Читать книгу Regen am Nil - Rainer Kilian - Страница 27
ОглавлениеDie Siegesfeier
Ganz Theben war erfüllt vom Jubel des Sieges über die Nubier. Die Maat war gesichert. Die Feinde Ägyptens waren niedergeworfen und besiegt. Der Pharao hatte ihnen bewiesen, dass die Götter Ägyptens stärker waren und ein mächtiges Volk geschaffen hatten.
Überall wurde gefeiert. Der Gesang der Menschen und die Musik rissen jeden Bewohner mit. Auch Senenmut war froh und glücklich darüber, dass der Aufstand der Nubier fehlgeschlagen war. Allerdings bedrückte es ihn auch, dass er nicht mehr alleine mit Hatschepsut im Palast sein würde. Der Palast wimmelte von Menschen. Der ganze Hofstaat war anwesend, um den großen Thutmosis als Sieger zu feiern. Die Soldaten hatten auch reichlich gestohlenes Korn zurückgebracht, das es nun einzulagern galt. Das Korn war der unbedeutendere Teil der reichen Kriegsbeute. Ganze Schiffsladungen voll Gold brachten die Sieger mit. In der Sprache der Nubier hieß Gold „Nub“, daher hatte die Provinz ihren Namen. Viele Goldminen waren dort zu finden.
Im Moment war Senenmut voll damit beschäftigt, seinen Untergebenen Chep-Ra zu beobachten, der von einigen aufgebrachten Soldaten mit deren Schwertern bedroht wurde.
„Mach den Weg frei, Sklave!“ Ein Soldat drohte Chep-Ra, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Chep-Ra war einen ganzen Kopf kleiner als der Soldat und unbewaffnet. Aber trotzdem ließ er sich nicht einschüchtern. Böse funkelte er den Offizier an.
„Ich bin kein Sklave mehr, das ist vorbei! Und merk dir, in den Kornspeichern bin ich der Herr! Das Korn wird erst gewogen und dann eingelagert. Und wenn du Sohn eines Nilpferdes nicht gleich dein Schwert wegsteckst, erstatte ich dem Pharao Bericht. Dann wird aus deinem dummen Schädel ein hübscher Trinkbecher für nubische Sklaven werden!“
Senenmut musste innerlich lächeln. Die frisch verliehene Freiheit hatte ihm wohl Löwenmut verliehen. Die Soldaten wollten das erbeutete Korn so schnell wie möglich abladen. Chep-Ra bestand darauf, es vorher zu wiegen und aufzuzeichnen. Das würde dauern. Denn das Korn wurde von frisch erbeuteten nubischen Sklaven getragen, die sich nur widerwillig in ihr Schicksal ergaben. Die Soldaten mussten die Sklaven bewachen, anstatt zu den Siegesfeiern zu gehen. Und jetzt dieser störrische Verwalter!
Senenmut war unbemerkt hinzugetreten und hatte die Situation erfasst. Es amüsierte ihn, dass sich Chep-Ra in Senenmuts vermeintlicher Abwesenheit gleich zum „Herrn“ befördert hatte. Die beiden Streithähne hatten ihn noch nicht bemerkt. Die anderen Soldaten, fünf an der Zahl, beobachteten interessiert die Reaktion ihres Anführers. Der warf wutschnaubend sein Schwert in den Sand und ging direkt auf Chep-Ra los.
„Um dich den Willen der Götter zu lehren, brauche ich kein Schwert!“ Er griff mit beiden Händen nach dessen Hals, aber Chep-Ra wich ihm schnell aus und landete mit seiner Faust einen Treffer im Magen. Der Offizier knickte leicht ein und bot sein Kinn zu einem weiteren Treffer, der sogleich erfolgte. Erst flog der Kopf nach hinten, dann folgte der massige Körper nach und stürzte kraftlos in den Sand. Jetzt zogen die anderen Soldaten ihre Schwerter und machten Anstalten, auf Chep-Ra einzudringen. Senenmut hatte genug gesehen und trat hinzu. „Genug jetzt! Halt im Namen des Pharaos! Wenn einer von euch Lust auf einen Kampf hat, soll er es mit mir tun. Und jetzt wird das Korn gewogen und verzeichnet!“
Chep-Ra war erschrocken und erfreut zugleich über Senenmuts Beistand. Er hatte ihn nicht hier erwartet. Die Soldaten steckten murrend ihre Schwerter weg. Im gleichen Moment nutzte ein nubischer Sklave das Durcheinander und warf den schweren Krug mit Korn, den er auf seiner Schulter trug, auf seinen Bewacher. Der taumelte und stürzte. Der Nubier entriss ihm sein Schwert und schlug es dem Unglücklichen über den Schädel. Die restlichen Soldaten starrten fassungslos auf die Szene, bevor sie ihre Schwerter erneut zogen und die anderen Sklaven im Zaum zu hielten. Der Nubier eilte nun mit dem Schwert in der Hand auf den unbewaffneten Offizier zu, der gerade wieder dabei war, sich auf den Knien aufzurichten.
Voll Entsetzen registrierte der, dass er ja sein Schwert weggeworfen hatte. Senenmut hatte die gefährliche Situation als Erster begriffen und sprang zu dem Schwert, das noch immer im Sand lag. Er riss es nach oben und warf sich dem Nubier entgegen. Der hatte den Offizier erreicht und holte zum tödlichen Schlag aus. Unfähig sich zu bewegen, mit vor Angst geweiteten Augen, erwartete er den Tod. Scharf zischend schoss die Klinge nach unten. Im gleichen Moment trafen die Schwerter krachend aufeinander. Funken sprühend verfehlte der Hieb sein Ziel. Mit einem wütenden Schrei holte der Nubier erneut aus. Senenmut hielt mit aller Kraft dagegen. Durch den wuchtigen Zusammenprall zerbrach das Schwert des Nubiers. Senenmut wollte den Nubier schonen, aber der versuchte einen erneuten Angriff mit dem stumpfen Rest. Senenmut stieß zu und versenkte seine Klinge in der Brust des Angreifers.
Er zog das Schwert wieder heraus. Ungläubig stierte der Nubier auf das Blut, das aus seiner Brust quoll, dann brach er tot zusammen. Schwer atmend warf Senenmut dem Offizier das Schwert vor die Füße.
„Und jetzt räumt hier auf! Und seid gewiss, dass ich dem Pharao Bericht erstatte, wenn Ihr meinem Verwalter nicht gehorcht.“
„Ja, Herr. Ich stehe in deiner Schuld“, stammelte der Soldat verlegen.
Senenmut ging ins Verwaltungsgebäude und widmete sich den Aufzeichnungen. Er konnte von draußen die Stimme Chep-Ras vernehmen, dem es alle Freude der Erde bereitete, die Soldaten zu kommandieren. Schon nach kurzer Zeit brachten ihm andere Sklaven die Papyrusrollen mit den Aufzeichnungen. Den ganzen Tag lang folgte nun eine Kornlieferung nach der anderen. Langsam befürchtete Senenmut, dass die Lager voll seien, aber die neuen Kornspeicher erwiesen sich als sehr geräumig. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn trotzdem. Er rief Chep-Ra zu sich.
„Ich will wissen, ob das nubische Korn essbar ist!“ Chep-Ra blieb gelassen.
„Das habe ich auch bedacht, Herr. Ich habe zuerst den nubischen Sklaven davon zu essen gegeben. Wenn sie es vergiftet haben sollten, werden die Götter sie strafen.“
Senenmut war beruhigt. „Du hast meine Gedanken erraten, Chep-Ra. Du hast dir deine Freiheit verdient. Woher hast du den Faustkampf gelernt?“
„Von dem Sohn des minoischen Gesandten. Wir haben als Kinder zusammen gespielt. Aber Ihr versteht dagegen etwas davon, das Schwert zu führen, Herr. Der Soldat wäre jetzt bei Osiris ohne Euch.“
„Danke für dein Kompliment. Aber woher hast du den Sohn des minoischen Gesandten kennengelernt?“
„Wir haben uns als Kinder am Nilufer getroffen. Er ist plötzlich aus dem Papyrus aufgetaucht wie Sobek, der Nilgott. Er hat mir einen geheimen Gang gezeigt, aus dem er kam. Er endet im Palast!“ Senenmut staunte nicht schlecht. Scheinbar war der Geheimgang doch nicht so geheim.
Ihr Gespräch wurde von einem Diener aus dem Palast unterbrochen.
„Herr, ich habe frohe Botschaft für Euch. Unser aller Herr, der von den Göttern gesegnete Pharao Thutmosis, lädt dich zu einem Fest im Hof des Palastes heute Abend. Wir wollen den Sieg gebührend feiern.“ Mit einer tiefen Verbeugung entfernte er sich wieder. Senenmut war geehrt, an den Hof geladen zu sein. Es war das erste Mal. Rasch vollendete er sein Tagwerk und eilte in den Tempel, um sein Abendgebet zu verrichten. Danach ging er nach Hause, um sich zu waschen. Vor dem Eingang des Hauses wartete Inet, die Amme auf ihn. Sie drückte ihm ein großes, mit Leinen umwickeltes Bündel in die Hand.
„Meine Herrin schickt dir dies, mit Grüßen von ihr!“, erklärte sie geheimnisvoll und war schon wieder enteilt. Neugierig öffnete er es sofort, nachdem er die Tür verriegelt hatte. Ein kostbares, fein plissiertes Gewand kam zum Vorschein. Seine Farbe war strahlend weiß. Es war eine besondere Kunst in Ägypten, den Stoff so aufzuhellen, dass er fast leuchtete. Die Ränder und Säume waren dagegen mit Tiermotiven verziert, die aus farbigem Stoff und Perlen geschaffen waren. Die größte Überraschung aber war ein Halskragen, der im Stoff eingewickelt war. Er bedeckte die ganze Schulter sowie die Brust und war aus Gold und kostbaren Steinen hergestellt. Sie leuchteten in allen Farben um die Wette. Senenmut schlüpfte rasch in das Gewand, nachdem er sich gereinigt hatte, und legte den Halsschmuck an. Das Armband, das ihm der Pharao geschenkt hatte, trug er ebenfalls. Dann ging er voller Stolz zum Hof des Pharaos.
Schon von Weitem konnte er die Stimmen der Feiernden hören. Sie mischten sich mit den Instrumenten, die in hellen Tönen die Freuden des Sieges priesen. Der Innenhof des Palastes war erhellt von Fackelschein und war zum Bersten gefüllt mit den Festgästen, die aus allen Teilen des Reiches gekommen waren, um Thutmosis zu huldigen. Tänzer führten ihre mystischen Riten auf, die in den Sagen des alten Reiches ihren Ursprung hatten. Auf riesigen Feuerstätten wurden ganze Ochsen am Spieß gedreht. Der Duft des gebratenen Fleisches drang in Senenmuts Nase und machte Appetit auf mehr. Sklaven bedienten die Gäste und kamen kaum mit dem Füllen der Weinpokale nach. Gaukler und Artisten boten Kurzweil und vertrieben die Zeit, bis jeder etwas zu essen hatte.
„Seht hierher, Herr!“, wurde Senenmut von einem Magier abgelenkt. Er hielt Senenmut am Arm fest und deutete mit der anderen Hand nach oben. Eine weiße Taube flatterte plötzlich in seiner Hand und erhob sich in die Luft. Alle Umstehenden klatschten begeistert Applaus. Senenmut wollte weitergehen, aber der Magier hielt ihn fest.
„Wo ist denn dieses schöne Armband geblieben?“, fragte ihn der Zauberer. Senenmut erschrak und merkte, dass sein Arm leer war.
„Was habt ihr da?“ Schneller als er etwas sagen konnte, griff ihm der Zauberer hinter das Ohr und hielt das Armband in der Hand. Die Zuschauer johlten begeistert. Senenmut fand es alles andere als witzig. Wenn das Armband verloren gewesen wäre, hätte er sich zu Tode geschämt. Er hätte niemals dem Pharao wieder unter die Augen treten können. Verärgert entriss er dem Magier das Armband und legte es wieder um. Er würde diesen Kerl nicht mehr zu nahe an sich heranlassen.
Aber seine gute Laune wollte er sich auch nicht verderben lassen. Er nahm einen gereichten Weinpokal und nippte daran. Herrlich kühl war er. Sklaven verteilten kleine Miniaturamphoren mit kostbaren Düften, die aus verschiedenen Ölen bestanden.
„Nehmt dieses Parfum, Herr. Er führt Euch zu den Göttern!“ Senenmut bediente sich und nahm eine Amphore. Er musste an die Lotosfrauen denken und schmunzelte. Er hielt Ausschau nach der königlichen Familie. Aber niemand war zu sehen. Wahrscheinlich feierten sie im Palast und würden erst später nach außen in den Hof kommen. Auf der oberen Terrasse vor dem Haupttor war auf jeden Fall ein breiter Tisch gedeckt, der mit Gold und Edelsteinen geschmückt war.
Senenmut musste sich erst an die reiche Pracht gewöhnen, aber es gefiel ihm sehr bei Hofe. All die interessanten Menschen, die sich hier eingefunden hatten. Die Bewohner der Hauptstadt mischten sich mit den Besuchern aus allen Provinzen des Reiches. Hohe Offiziere aus Memphis in ihren prachtvollen Uniformen. Adlige aus dem Delta mit ihren Familien. Dunkelhäutige Fürsten aus Nubien, die sich als treue Verbündete des Pharaos erwiesen hatten. Statthalter aus Mitanni, deren Gesichtszüge sich deutlich von denen der Ägypter unterschieden. Auch Gesandte aus dem Norden, jenseits des ägyptischen Machtbereiches, konnte Senenmut ausmachen. Das schienen die minoischen Gesandten zu sein, von denen Chep-Ra bereits berichtet hatte.
Senenmut erkannte Hapuseneb unter ihnen. Er war im Gespräch mit einem hochgewachsenen Mann, der mindestens zwei Köpfe größer war als alle anderen Anwesenden. Hapuseneb erkannte ihn ebenfalls und winkte ihn herbei.
„Senenmut, komm zu uns. Darf ich dir einen guten Freund Ägyptens vorstellen? Der Sohn des minoischen Gesandten, Alexandros aus Knossos.“ Der Minoer reichte Senenmut die Hand. Sein Händedruck war fest und stark.
„Ich freue mich, dich kennenzulernen. Die Götter mögen dich segnen, Alexandros!“ Er trug einen Bart, was in Ägypten absolut ungewöhnlich war und Senenmuts Neugier erregte. Noch dazu diese hünenhafte Gestalt. Er war in strahlend weiße Gewänder gekleidet, die seine muskulöse Gestalt betonten. Er trug eine goldene Kette mit einem Fisch auf seiner breiten Brust. Senenmut hatte so etwas noch nie gesehen.
„Auch ich bin erfreut, dich zu sehen. Ich habe vieles von dir gehört. Chep-Ra hat mir in den höchsten Tönen von dir erzählt!“ Seine Stimme war voll und dunkel. Ein Lächeln prägte seine Züge.
„Lasst uns etwas zu essen nehmen!“, forderte Hapuseneb sie auf. Sie nahmen an einer Tafel ihren Platz ein, die sich vor raffinierten Speisen bog. Gemüse und Fleisch aller Art, Früchte und exotische Getränke.
„Lang lebe der Pharao!“ Alexandros hob seinen Pokal. „Lang lebe Thutmosis!“, stimmten alle ein.
„Was ist das für ein Fisch an deiner Kette?“, wollte Senenmut von Alexandros wissen.
„Es ist ein Delfin, das Wappentier unseres Königs!“
„Ich habe noch nie einen solchen gesehen! Warum hat er nicht einen Löwen oder etwas Ähnliches als Wappentier?“
„Weil es bei uns keine Löwen gibt! Aber der Delfin ist ein ungewöhnliches Tier. Er gebärt seine Jungen lebend, so wie wir Menschen. Und wenn wir über das Meer fahren, begleiten die Delfine unsere Schiffe. Es sind sogar schon Männer gerettet worden, die im Sturm gekentert sind. Sie wären ertrunken, aber Delfine brachten sie an Land. Wir glauben, dass sie so wie wir Menschen Verstand haben.“ Senenmut bekam seinen Mund nicht zu. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie Fische ihre Jungen bekommen. Für ihn war es so, dass die Götter die Fische den Menschen geschickt hatten. Und die Geschichten über die Errettung von Schiffbrüchigen waren gewiss erfunden. Aber er war zu höflich, um es anzuzweifeln.
„Wie gefällt es dir in Ägypten?“, wechselte er das Thema.
„Ich bin schon fast ein Ägypter! Mein Vater hat mich als kleinen Jungen mit auf die Reise nach Ägypten genommen. Meine Familie stammt von einer Insel, die sie früher „Kalliste“ nannten. Sie wurde durch einen Vulkanausbruch zerstört.“
Senenmut kam sich etwas dumm vor. Aber er war zu neugierig und hing an den Lippen des Minoers. „Was ist ein Vulkanausbruch?“
„Ein Feuer spuckender Berg! Er speit flüssige Steine und Asche. Er hat die Insel zerstört. Nur ein schmaler Rand der Insel ist geblieben. Der Rest ist im Meer versunken. Aber die Bewohner der Insel konnten sich alle retten. So kamen wir nach Knossos und fanden eine neue Heimat.“ Senenmut glaubte ihm kein Wort. Aber es war faszinierend.
„Auch wir haben unser Mythen in Ägypten. Du wirst sie kennen?“, prüfte er ihn.
„Natürlich. Wir haben unsere Götter. Und wenn man sie vergleicht, sind sie sich sehr ähnlich.“
„Aber unsere Berge spucken kein Feuer!“, entgegnete er ihm.
„Das ist der Gott Hephaistos. Er ist der Hüter des Feuers! Er kann Steine schmelzen.“
Senenmut wusste nicht, ob er einen Schwindler vor sich hatte oder einen Märchenerzähler. Aber wenn es nur einen wahren Kern daran gab, würde er gerne dieses Land kennenlernen.
„Du musst mir bei Gelegenheit mehr von deinem Land erzählen.“
„Gerne, Senenmut. Ich wollte auch morgen bei den Kornspeichern vorbei sehen, um meinen alten Freund Chep-Ra zu begrüßen. Und die neuen Kornspeicher will ich auch sehen.“
„Das ehrt mich, Alexandros. Aber jetzt lass uns trinken!“ Senenmut hob seinen Pokal und prostete ihm zu. Alexandros hob den Pokal.
Fanfaren unterbrachen ihre Unterhaltung. Die Gespräche verstummten und alles blickte auf die Treppe zum Palast. Dort verkündeten die Fanfaren das Erscheinen der königlichen Familie. Alle erhoben sich von den Plätzen. Die breiten Türen wurden geöffnet. Der Hofstaat trat hinaus und machte Platz für den Pharao. Sklaven mit goldenen Lanzen gingen voran. Ein Zeremonienmeister verkündete das Erscheinen.
„Der Sohn des Horus! Der lebende Gott auf Erden! Der Herrscher des roten und des schwarzen Landes! Kniet nieder vor dem Eroberer, dem Einiger der beiden Länder!“ Trommeln und Sistren steigerten die Geräuschkulisse und die Untertanen knieten nieder. Der Pharao trat ins Freie, gefolgt von seinem Sohn Thutmosis und Hatschepsut. Senenmut traf ihr Anblick mitten ins Herz. Ihr Anblick überstrahlte alles Gold des Hofes. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden.
Die Familie des Pharaos nahm Platz an der gedeckten Tafel. Der Pharao und sein Sohn schienen sehr glücklich zu sein. Aber Hatschepsut schien merkwürdig gedrückt. Ihre Blicke suchten ihn. Als sie ihn erblickte, waren ihre Augen fast flehentlich. Die Festgäste jubelten dem göttlichen Herrscher zu, aber Senenmut hatte ein ungutes Gefühl. Die Menge schien sich kaum zu beruhigen.
„Heil dir, Pharao! Heil dir, Thutmosis!“, schrien alle in Ekstase. Thutmosis senkte mit einer beruhigenden Geste beide Arme und gebot, zu schweigen. Alles verstummte und wartete auf die Rede des Pharaos.
„Bewohner von Theben! Volk von Ägypten! Gäste aus allen Provinzen! Freunde und Verbündete Ägyptens! Wir haben einen glanzvollen Sieg errungen. Die Götter waren mit uns. Amun hat uns geholfen, die Maat wieder zu festigen!“ Alle jubelten erneut. „Amun! Amun!“
„Es war sein Wille, uns den Sieg zu schenken! Höret meine Worte! Es soll zum Jubel und Gedenken an den heutigen Tag Folgendes verkündet sein: Ich habe beschlossen, meinen Sohn als meinen Nachfolger zu erwählen. Und er wird eine starke Frau au seiner Seite haben. Die göttliche Linie der Pharaonen wird gesichert sein. Es ist der Wille der Götter, den ich hiermit verkünde! Er soll einst Herrscher über das rote und schwarze Land sein. Und wenn er die Krone der beiden Länder trägt, sollen ihm viele starke Nachkommen geboren werden. Ich gebe ihm mit dem heutigen Tag meine geliebte Tochter Hatschepsut zur Frau!“
Senenmut gefror das Blut in den Adern. Er starrte entsetzt auf die Szene, die in dem frenetischen Jubel des Volkes unterging. Er musste sich am Tisch festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er suchte den Blick von Hatschepsut, aber sie blickte aus leeren Augen in die Menge. Darum hatte sie so verzweifelt ausgesehen! Sie lächelte verkrampft und sah zur Mauer gegenüber. Wie von Weitem hörte er Alexandros sprechen.
„Ein weiser Entschluss von Thutmosis. Er hat die pharaonische Linie erhalten. Die Götter haben es so gewollt.“ Senenmut hielt es nicht länger aus und versuchte dem grausamen Anblick zu entfliehen. Sie war so nah und doch nun für immer unerreichbar. Er murmelte eine Entschuldigung und entfernte sich aus dem Innenhof des Palastes. Ziellos floh er zum Ufer des Nils.
Tränen der Verzweiflung standen in seinen Augen. Mitten in seinem größten Glück schien ihn dieses Unglück zu überfallen. Er sank kraftlos am Schilf nieder und setzte sich verzweifelt in den Ufersand. Er fühlte sich, als stürze er ins Bodenlose.
Ihr Bild war in sein Herz unauslöschlich eingebrannt. Nie würde er jemanden anders lieben können als sie. Wie sollte er nur ohne sie leben können? Der Schmerz war so groß. Es wollte sein Herz zerreißen. Alle Momente, die sie gemeinsam erlebt hatten, zogen an ihm vorbei. Ihre Augen, ihr Gesicht so nah an seinem. Der Duft ihrer Haare und ihres Körpers. Ihre Zärtlichkeit, ihre Stimme, wenn sie ihm Worte ins Ohr flüsterte, die nur für ihn bestimmt waren. Die Momente, wenn sie zusammen lachten. Die Nächte voller Liebe. Sie in den Armen zu halten, sollte es nie mehr sein? Das konnte nicht der Wille der Götter sein, sonst hätten sie es nicht zugelassen, dass sie sich so nah gekommen waren. Sie hatten sie zusammen geführt und sich etwas dabei gedacht, davon war er überzeugt.
„Gebt sie mir zurück, ich bitte euch um nichts anderes!“, flehte er die Sterne an. „Mein Leben hat keinen Sinn, wenn ich sie nicht mehr in den Armen halten kann. Ich bin nichts ohne sie!“
Aber die Götter gaben ihm keine Antwort. Nur das undeutliche Geräusch der feiernden Menschen drang zu ihm aus dem Palast herüber. Er starrte auf die Fluten des Nils, der träge vorüberfloss. Er dachte daran, sich einfach hineinzustürzen. Das sollte das Ende ihrer Liebe sein? Die Maat wollte es so. Und er war so erzogen wie alle Ägypter, dem Willen des Pharaos zu folgen, dem Horus, dem leibhaftigen Gott.
Ein Rascheln im Schilf schreckte ihn auf. Ein Krokodil? Ein Licht erschien, das von einer Öllampe gespeist wurde. Ein Geist? Jetzt war es Senenmut bewusst, dass er in der Nähe des geheimen Ganges war. Er verbarg sich hinter einem dichten Strauch Papyrus und beobachtete eine Gestalt, die sich vorwärts tastete. Im Schein der Lampe erkannte er ein Gesicht.
„Hatschepsut! Ich bin es!“ Sie erschrak und ließ die Lampe beinahe fallen. Sie eilten zueinander und weinend sank sie in seinen Arm.
„Welch ein Unglück für uns, Geliebter!“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. „Ich wusste es selbst nicht bis heute Abend. Mein Vater wusste, dass sein Sohn ein schwacher Mann ist. Also musste er uns vermählen, weil er die Zukunft Ägyptens retten muss. Er hatte keine Wahl. Ich liebe nur dich! Aber ich werde dem Willen der Götter folgen müssen.“
„Bist du dir sicher, dass es der Wille der Götter ist, uns zu trennen? Ich glaube es nicht!“
„Ich bin auch verzweifelt, Liebster. Ich kann auch nicht ohne deine Liebe leben. Aber wir dürfen den Zorn der Götter nicht auf uns ziehen. Wenn sie es gut mit uns meinen, werden sie uns wieder vereinen.“
„Vielleicht gehe ich weg nach Iuni, meiner Heimat. Ich kann den Anblick nicht ertragen, wenn er dich anfasst.“
Panik stand in ihren Augen. „Bitte gehe nicht! Ich vermisse deine Liebe ebenso und brauche dich! Senenmut, du weißt es, du bist mein wahrer Gebieter!“ Weinend bedeckten sie gegenseitig ihre Gesichter mit Küssen. „Ich muss zurück in den Palast, Liebster! Man wird mich suchen.“ Sie verabschiedete sich schnell von ihm und verschwand wieder im Tunnel.
Senenmut blieb einsam mit seinen Gedanken am Nilufer zurück. Er war immer noch unglücklich über die Situation, aber solange er nur wusste, dass sie ihn liebte, hatte sein Leben noch einen Sinn.