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Die Legende

Die Tage auf Ios vergingen auf einmal wie im Flug. Melina war daran nicht ganz unschuldig. Sie leistete mir Gesellschaft, wann immer es ging. Ich genoss ihre Anwesenheit. Ungeduldig saß ich morgens am Strand vor der Surfstation und wartete auf sie. Wir hatten uns zum Surfen verabredet. Sie war aber nicht erschienen und so schnappte ich mir missmutig das Surfbrett. Eigentlich war ich gar nicht so wild aufs Surfen, aber am Strand zu sitzen und nur zu warten machte mich irgendwie nervös. Auf dem Brett hatte ich wenigstens Ablenkung. Und so war mir der Meltemi zum Freund geworden. Ich hatte wieder Übung bekommen und freute mich auf die Böen, die mich vorwärts trugen. Noch dazu konnten wie so oft im Sommer die Fähren nicht so pünktlich fahren. Die Bucht war sozusagen frei für die Surfer.

Nachdem ich so einige Zeit verbracht hatte, gesellte sich vom Strand her ein buntes Segel zu mir. Diese gekonnte Art kam mir bekannt vor. Mein Herz beschleunigte sich etwas, als ich sie erkannte. Wie selbstverständlich lenkte sie das Surfbrett mit einer Hand und winkte mir zu, als sie an mir vorüberglitt. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und winkte zurück. Im gleichen Moment lag ich im Wasser. Das Segel begrub mich unter sich und drückte mich unter die Oberfläche. Ich schluckte kräftig Salzwasser und kam prustend wieder hoch. Melina hatte seelenruhig eine Wende gemacht und kam zu mir gesurft. Elegant stoppte sie die Fahrt und bremste ihr Board ab.

„Brauchen sie Hilfe?“, lachte sie mich an. Ich wusste nicht, ob ich mich ärgern oder freuen sollte.

„Danke, es geht. Wo zum Teufel haben sie so gut surfen gelernt?“ Sie schmunzelte.

„Ich bin hier aufgewachsen. Der Meltemi war mein Lehrer!“

„Ein hervorragender Lehrer, wie ich meine.“

„Danke für das Kompliment. Aber jetzt ist, glaube ich, nicht die richtige Zeit dafür.“ Sie deutete auf die Hafeneinfahrt, in der sich laut tutend eine Fähre bemerkbar machte. Wir schwangen uns auf unsere Bretter und nahmen Kurs auf den rettenden Strand. Das Training zeigte gute Erfolge, rasch erreichten wir schnelle Fahrt und lieferten uns ein Wettrennen, das sie natürlich gewann. Aber das war mir egal. Sie sah einfach zu gut auf dem Surfbrett aus. Wir legten die Segel am Strand ab und setzten uns in den Sand.

„In zwei Tagen ist unser Inselfest. Ich hoffe doch sehr, dass Sie uns Gesellschaft leisten werden.“

„Also offen gesagt, Noda hat mir das auch schon angedroht. Aber Ihre Einladung klingt irgendwie verlockender!“

Sie lachte mich an. „Das ist schon wieder ein Kompliment. Ich glaube, Sie sind ein ganz schöner Charmeur.“

„Das liegt an Ihrer Gesellschaft. Es fällt mir sehr leicht mit Ihnen.“

„Warum sind Sie nicht verheiratet? Ein Mann in Ihrem Alter sollte Kinder und Familie haben.“ Ich seufzte etwas.

„Das hat noch nicht geklappt. Wenn ich ehrlich bin, war ich die letzte Zeit zu beschäftigt, um mich um Familie zu kümmern. Aber Sie sind es wohl auch nicht? Ich meine verheiratet.“

„Jetzt ist wohl die Zeit der großen Lebensbeichten, was?“, meinte sie ironisch. Sie hatte plötzlich so einen verletzten Blick bekommen. Ihre Gedanken schienen weit weg.

„Es tut mir leid, wenn ich Sie mit meinen Fragen verletzt haben sollte. Es geht mich gar nichts an.“ Sie legte beschwichtigend ihre Hand auf meinen Arm.

„Nein, nein. Ich habe damit angefangen. Ist schon in Ordnung. Wir alle haben unsere Erfahrungen gemacht. Gute und schlechte. Und das ist grundsätzlich gut so. Aber der Grund, warum ich nicht verheiratet bin, sind eben schlechte Erfahrungen.“ Ihre Hand war immer noch auf meinem Arm.

„Schlechte Erfahrungen sind ebenfalls Lehrer für unser Leben. Wir lernen Gut und Böse voneinander zu unterscheiden“, philosophierte ich.

„Aber das Leben ist zu schön, um trüben Gedanken nachzuhängen, oder? Wenn wir schon verheiratet wären, würden wir nicht hier zusammensitzen. Ich jedenfalls genieße den Moment mit Ihnen.“ Mein Geständnis erschreckte mich selbst etwas. Aber sie lachte schon wieder so wundervoll.

„Mir geht es genau so. Sie sind ein offener und ehrlicher Mensch. Und Sie machen aus Ihren Gedanken kein Geheimnis. Das mag ich an Ihnen. Sie schaffen es mit einem heiteren Satz, meine traurigen Gedanken zu verscheuchen. Ich danke Ihnen.“

Sie beugte sich zu mir herüber und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich war vollkommen perplex. Das Blut schoss mir nur so in den Kopf. Ich spürte ein Kribbeln von Kopf bis Fuß, aber sie saß schon wieder da und blickte hinaus auf die Bucht.

„Also werden Sie uns Gesellschaft leisten?“, nahm sie den Faden wieder auf. „Ich würde mich sehr freuen.“

„Ich kann Ihrer Bitte nicht widerstehen. Ich komme mit!“, lenkte ich ein. „Aber vorher müssen Sie mir noch etwas über Ihren Heiligen erzählen. Noda hat mir gesagt, dass er heilen kann.“

„Ja, so ist es. Niemand weiß es genau, woher er kam und wann. Aber er ist alt, sehr alt. Die Legenden sagen, eine Schar Delfine hat ihn an den Strand unserer Bucht getragen. Ein fürchterlicher Sturm hat sein Boot zerstört. Er wäre ertrunken, wenn er nicht von ihnen gerettet worden wäre.“

„Diese Legenden kommen mir bekannt vor. Aber glauben Sie wirklich daran?“

„Es gibt viele alte Erzählungen von Fischern, dass sie von einem Delfin gerettet wurden. Ich glaube es. Aber das Interessanteste kommt noch. Er trug Kleider, die sehr fremd waren, aber er sprach unsere Sprache. Er lebte in einer Höhle unter den Wurzeln eines großen Baumes. Und die Menschen der Inseln kamen zu ihm, weil er heilen konnte. Er wusste vieles über Krankheiten und wie man sie bekämpfte. Aber genau so wichtig war für uns sein Rat in seelischen Dingen. Er war sehr weise und konnte kranke Seelen retten.“

„Wie ist er gestorben?“

„Er ist sehr alt geworden. Man hat ihn in der Nähe eines alten Baumes begraben. Viele Jahre später hat man sein Grab geöffnet. Sein Körper war unversehrt und strömte einen wundervollen Duft aus. Seitdem pilgern die Menschen zu ihm und viele Wunder sind seitdem geschehen. Er hat sie bewirkt. Bis zum heutigen Tag. Man hat ihm zu seinen Lebzeiten den Namen „O Leondaros tis Io, der Löwe von Ios“ gegeben, weil sein richtiger Name zu schwer auszusprechen war.“

Fasziniert hing ich an ihren Lippen. „Und jetzt ist sein Körper immer noch da?“

„Ja, aber er ist in der Kapelle hinter einer goldenen Wand vor den Blicken der Gläubigen geschützt. Sie ist das ganze Jahr geschlossen. Nur am Abend des Inselfestes wird er um Mitternacht in einer Prozession um den Ort getragen. Das ist die Erinnerung an seine Reise zu uns. Und wenn du ihn dann erblickst, bedeutet das Glück für dein weiteres Leben.“

Jetzt hatte sie mich doch neugierig gemacht. „Ich denke, er wird uns Glück bringen. Leider muss ich schon bald wieder nach Hause. Mein Urlaub geht zu Ende.“

„Das tut mir leid. Aber auch ich muss wieder an meine Arbeit. Unsere Zeit auf Ios geht zu Ende.“ Schmerzlich wurde es mir bewusst. Ich wollte gerne die Zeit anhalten.

„Und wer zuletzt im Wasser ist, hat verloren!“, rief sie und sprang auf. Hand in Hand rannten wir ins seichte Wasser und bespritzten uns gegenseitig mit Wasser. Erst als ich sie auf die Arme nahm und drohte, sie unterzutauchen, rief sie um Gnade. Ich gewährte sie ihr und trug sie aus dem Wasser. Vor der Surfbasis stellte ich sie auf die Füße. Ralf beobachtete uns kopfschüttelnd. „Wie kleine Kinder, ihr zwei. Wie alt seid ihr denn?“ „Entschuldigung, Chef. Aber wir haben Urlaub!“, tat ich in gespieltem Ernst. „Schon okay. Ich gönne es dir ja.“ Ich half ihm, die Segel unter dem Sonnendach zu verstauen. Melina verabschiedete sich von uns. „Ich muss noch ein paar Freunde besuchen. Sehen wir uns heute Abend?“ „Gerne, ich hole Sie vor Nodas Bar ab.“ Sie ging und zog wieder einmal alle Blicke auf sich. „Du bist ein Glückspilz, Felix. Ich beneide dich wirklich.“ Ralf klopfte mir anerkennend auf die Schulter. „Sie mag dich.“

Ich war wohl ein tatsächlicher Glückspilz. Aber wie konnte ich ihr sagen, dass es noch eine andere Frau in meinem Leben gab, die mich in meinen Gedanken beschäftigte? Vor allem eine Frau, die schon lange tot war. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, aber ich war nicht frei. Für ein Urlaubserlebnis war sie mir zu schade. Wie konnte man nur unglücklich und glücklich zugleich sein? Dazu war wohl nur ich in der Lage.

Regen am Nil

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