Читать книгу Regen am Nil - Rainer Kilian - Страница 13
ОглавлениеDas Grab des Ramose
Der Tag des Begräbnisses war gekommen. Die Priester des Amun, allen voran Hapuseneb, hatten die Vorbereitung für die Grablegung getroffen. Die Mumie des Ramose war den Schriften entsprechend vorbereitet worden. In Binden gehüllt und mit heiligen Schriftzeichen versehen, lag sie auf einer Bahre im Tempel des Amun. Senenmut hatte die ganze Nacht Totenwache gehalten. Er hatte die Gebete des Anubis aufgesagt und Osiris um die Aufnahme in sein Reich gebeten. Am Morgen kamen seine Mutter Hatnofer und Senenmuts Geschwister dazu. Sie führten den Trauerzug an, der sich in Richtung Nilufer in Bewegung setzte. Der schlichte Holz-Sarkophag wurde auf einen Karren gehievt, der von einem Ochsengespann gezogen wurde.
Direkt hinter dem Sarkophag ging Hatnofer, gestützt von ihren Söhnen Amenemhat und Pa-Iri. Dahinter ging Senenmut mit seinem Bruder Minhotep, gefolgt von ihren Schwestern Ah-Hotep und Nofret-Hor. Der ägyptischen Sitte folgend, beklagten die Frauen laut jammernd und Haare raufend den Tod des Ramose. Die Priester des Amun folgten in kleinerem Abstand der Familie, ebenso einige Freunde und Bewohner Thebens, die Ramose verbunden gewesen waren. Am Nilufer warteten einige Barken auf den Trauerzug. Der Sarkophag mit der Mumie wurde umgeladen und die Barken setzten über zum Westufer des Nils.
Am Ufer der westlichen Totenstadt nahm ein weiteres Ochsengespann die sterblichen Überreste auf. Unter Wehgeschrei der Klageweiber und dem Murmeln der betenden Priester setzte Ramose seine letzte Reise fort, bis sie das hügelige Vorgebirge der Wüste erreicht hatten, in das eine kleine Grabkammer getrieben war. Sie war gerade groß genug, um den Sarkophag aufzunehmen. Bevor der Sarkophag geschlossen wurde, stellten die Priester des Amun die Mumie aufrecht.
Hapuseneb trat hinzu, er trug die Maske des Anubis. Mit einem Holzspatel berührte der den Mund der Mumie. „Hört, ihr Sterblichen! Höre, Ramose! Ich, Anubis, der Gott der Unterwelt, führe dich vor das Totengericht. Wenn du Zeugnis abgelegt hast, dein Herz gewogen ist, darfst du das Binsengefilde schauen. Dein Ka und dein Ba werden sich wieder vereinen mit deinem irdischem Körper. Ich habe ihn gewaschen und gereinigt, aber er ist noch ohne Leben. Siehe, ich gebe ihn dir zurück, damit du ewig in ihm wohnen wirst.“
Er öffnete mit einer Hebel-Bewegung symbolisch den Mund der Mumie. „Nimm das Anch als Zeichen des Lebens, das in deinen Leib zurückkehre. Das heilige Wasser erfrische dich!“ Er nahm einen Krug mit gesegnetem Nilwasser und besprengte die Mumie mit Wasser. Gleichzeitig trat ein zweiter Priester hinzu der das Anch, das Symbol des Lebens, unter die Nase der Mumie hielt.
„Lege dich in dein Grab und ruhe, damit du jedes Jahr hinausgehen und die Sonne schauen kannst.“ Sie legten die Mumie gemeinsam in den Sarkophag und verschlossen ihn. Dann wurde Ramose in die Grabkammer gelegt. Dazu wurden die Krüge gestellt, die die mumifizierten Eingeweide enthielten. Ebenso die Uschebtis, kleine Dienerfiguren, die im Jenseits für Ramose die geforderten Arbeiten verrichten würden. Anschließend brachte Senenmuts Familie ein Trank- und Speiseopfer dar.
„Siehe, Vater, ich bringe dir den Leib des Brotes, dazu Bier und Wasser, damit dein Körper stark bleibt. Vereine dich!“, sprach Senenmut. „Vereine dich!“, wiederholten Senenmuts Geschwister und legten ihre Opfergaben dazu. Auch Hatnofer sprach: „Vereine dich!", und legte als Letzte einen geflochtenen Blumenkranz auf den Sarkophag.
Sie strich noch ein letztes Mal zärtlich über das Holz, dann wandte sie sich um und vergrub ihr Gesicht an Senenmuts Brust. Leise zitternd wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Im Kreis der Familie beobachteten sie alle, wie die Graböffnung vermauert wurde. Danach löste sich die Trauergemeinde auf und nahm ihren Weg zurück zum rechten Ufer des Nils.
Senenmut übergab seine Mutter in die Obhut seiner Geschwister und beschloss, noch einmal nach dem kleinen Totentempel seiner Familie zu sehen. Er wollte die Gelegenheit nutzen und dort alles vorbereiten für das kommende Talfest. Die Wüste beschützte mit ihrem trockenen Klima die Farben vor der Zerstörung. Aber gleichzeitig bescherte sie auch Sand, der von draußen herbeigetragen wurde. Er würde unweigerlich den Eingang zudecken. Senenmut hatte noch einen Krug mit Wasser mitgenommen, denn das Arbeiten in der Sonne würde ihn schnell durstig machen. So oft hatte er diesen Weg gemeinsam mit seinem Vater genommen. Jetzt war er verantwortlich dafür. Er legte seine Kleider ab, um sie nicht zu verschmutzen, und begann, den Eingang freizuräumen. Innerhalb eines halben Jahres war der Sand schon kniehoch angeweht worden. Schnell geriet Senenmut ins Schwitzen. Aber er war Arbeit gewohnt und es tat ihm gut. Er begann im Inneren an der Statue des Osiris, nicht ohne ihm zuvor mit einem Gebet Respekt zu erweisen. Hier im Inneren war es erträglicher und deutlich kühler als draußen.
Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten, als er im äußeren Teil der Stätte angekommen war. Dankbar registrierte er, dass die darüber liegenden Hügel Schatten auf die kleine Terrasse warfen. Im Eingangsbereich konnte er erkennen, dass sich kleine Stücke des Felsens von ihrem Untergrund gelöst hatten. Die starken Temperatur-Unterschiede zwischen Tag und Nacht bewirkten dies. Er würde doch etwas länger benötigen, bestimmt mehrere Tage, um den Fels zu glätten und erneut zu bemalen. Senenmuts Familie konnte es sich nicht erlauben, dafür einen Handwerker zu bezahlen. Aber er würde es selbst versuchen. Oft genug hatte er seinem Vater geholfen.
Es erfüllte ihn mit Stolz, diese Aufgabe zu bewältigen. Er würde allerdings erst spät am Nachmittag beginnen können, denn er musste ja am Tage seinen Pflichten als Schreiber nachkommen. Am besten würde es für ihn sein, hier zu übernachten und am Morgen zum Tempel überzusetzen. Für heute würde er nur noch den groben Schutt wegräumen. Über Nacht konnte er diesmal nicht bleiben, denn er hatte nicht die geeignete Kleidung dabei. Es würde viel zu kalt werden.
Senenmut erfrischte sich mit dem Wasser aus dem Krug. Der gebrannte Ton hielt es herrlich kühl darin. Das verbliebene Wasser nutzte er, um sich vom Staub zu reinigen. Er hob den Krug über seinen Kopf und ließ sich das Wasser über seinen bloßen Körper rinnen. Danach zog er sein Gewand wieder an.
Ein einzelner, etwas größerer Felsen war irgendwann im vergangenen Jahr von oben herabgestürzt und verengte etwas den Fußweg zur Gedenkstätte. Senenmut befürchtete, dass er mit all dem Werkzeug, das er brauchen würde, dort schlecht vorbeikommen könnte. Der Brocken lag genau am Abhang. Mit einem Hebel würde er sicher zu bewegen sein. Er drückte mit seinen Händen gegen den Fels, um zu prüfen, ob er sich nicht auch so bewegen ließ. Zu Senenmuts Überraschung gab er etwas nach und neigte sich nach vorne. Erst wie in Zeitlupe, dann schneller werdend, kippte er und rollte den Fußweg hinab nach unten. An einem Überhang änderte der Weg seine Richtung und der Felsbrocken schoss darüber hinweg. Senenmut verlor ihn aus den Augen und er hoffte nur, dass dort unten niemand war, der vielleicht auch nach den anderen Totenstätten unterwegs sei.
Krachend und polternd schlug der Stein am Talgrund auf. Fast zeitgleich hörte Senenmut einen spitzen Schrei. Senenmut beeilte sich nun, den sich windenden Weg herabzueilen und nachzusehen. Als er an dem Überhang vorbeikam, sah er den Körper einer Frau unweit der Einschlagstelle liegen. So schnell er konnte, schlitterte und rutschte er den steinigen Weg herab zu ihr. Sie lag auf dem Bauch und bewegte sich nicht. Behutsam nahm er sie bei den Schultern und drehte sie um.
Ein heiliger Schreck durchfuhr ihn, als er sie erkannte: SIE war es, die ihm zuvor im Tempel erschienen war! Sie schien nicht verletzt, war aber bewusstlos. Er nahm sie auf und trug sie in den Schatten des Überhangs. Vorsichtig legte er sie auf den Boden. Er stützte ihren Oberkörper mit seinem Arm und befreite ihr Gesicht von Sand und Staub. Ihm klopfte das Herz bis zum Hals vor Aufregung. Sie bewegte sich wieder und kam Staub hustend zu sich. Sie öffnete die Augen und blickte direkt in die seinen. Senenmut verspürte wieder dieses seltsame Gefühl in seiner Brust. Er war doppelt froh, dass ihr nichts passiert war. Stumm vor Glück sah er sie an. Wie im Tempel war er nicht in der Lage, etwas zu sagen. Als ihr die Situation wieder bewusst wurde, trat ein wütendes Funkeln in ihre Augen. Ehe Senenmut es sich versah, holte sie aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Verblüfft ließ Senenmut sie los.
„Ist das eine Art, eine Dame zu behandeln?“, fauchte sie ihn an. „Ich hätte tot sein können!“
Senenmut stammelte verlegen: „Bitte verzeih mir, ich konnte nichts dafür. Der Fels hatte sich von selbst gelöst. Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.“
„Das war nicht dein Verdienst! Ich sah den Felsen kommen und bin weggerannt. Ich bin nur vor Schreck ohnmächtig geworden.“
Jetzt war Senenmut aber doch neugierig geworden.
„Wenn du den Felsen gesehen hast, musst du aber auf dem Pfad zu unserer Stätte gewesen sein ... Ist das etwa die Art einer feinen Dame, einem nackten Mann beim Arbeiten zuzusehen?“ Sie wurde puterrot im Gesicht und blickte verschämt zu Boden. Mehr belustigt als verärgert stellte Senenmut fest, dass es an ihr war, die Fassung zu verlieren. Wie ein kleines Kind, das man beim Lügen erwischt hat, saß sie da. Senenmut beobachtete sie. Wie schön sie war! Er wollte nur dort mit ihr sitzen und sie beobachten.
„Ich bin dir nicht böse, du konntest ja nicht wissen, dass ich ohne Kleider bin. Ich habe ja auch nicht mit Beobachtern, ich meine, mit Besuchern gerechnet. Ich würde deswegen auch nicht mit Steinen nach dir werfen, wenigstens nicht ganz so große! Aber sage mir doch jetzt, was du hier oben wolltest!?“
„Ich habe dich gesucht!“, antwortete sie ihm. Der Klang ihrer Stimme war so wundervoll klar und rein. Sein Herz hüpfte vor Freude. „Ich habe deinen Vater gekannt. Er hat mir manchmal etwas von den Schriften erklärt. Und er hat immer voller Freude von dir erzählt. Du warst sein gelehrigster Schüler. Ich wollte dich fragen, ob du mir nicht mehr beibringen kannst. Ich weiß so wenig und möchte doch viel mehr wissen!“
Senenmut war erfreut über die Aussicht, sie öfter zu sehen. Aber warum um alles in der Welt sollte er einer Frau die Schrift lehren? Das war eindeutig Männersache!
„Du bist eine Frau!“, entgegnete er.
„Es spricht für deinen hellen Geist, dass du es bemerkt hast“, spottete sie. „Und weiter?“
„Du bist Priesterin der Göttin Hathor. Du musst doch nur die Riten deiner Göttin wissen! Irgendwann wird man dich verheiraten und du wirst Kinder gebären. Was soll dir die Schrift nutzen?“ Sie hatte wieder dieses Funkeln in den Augen.
„Du bist ein Dummkopf, Senenmut! Ich habe mich in dir getäuscht! Diese Arroganz von euch Männern hast du wohl aus der Armee mitgebracht?“ Sie blickte ihn an und ihre Augen glühten in wütendem Feuer. „Glaubst du, dass euch die Welt alleine gehört? Und merke dir eines, den Mann, dem ich Kinder gebären werde, suche ich mir alleine aus!“
Sie war richtig in Fahrt. Senenmut war geschockt von ihren Worten, aber gleichzeitig faszinierte ihn diese Schönheit und Energie, die sie in ihrer Wut ausstrahlte. „Denkst du vielleicht, wir Frauen sind nur da, um Kinder zu gebären?“ Wenn er ehrlich war, fiel ihm im Moment sonst nicht viel mehr ein. „Hast du noch nie von Pharao Nitokris gehört?“
„Nein“, gab er kleinlaut zu. „Dann werde ich dein Wissen auffüllen. Nitokris war eine Frau! Es mag wohl siebenhundert Schemus her sein, da beherrschte sie den Thron der beiden Länder alleine. Ihr Mann war von feigen Mördern hinterrücks erschlagen worden. Sie hat abgewartet, bis die Bande ihren vermeintlichen Sieg gefeiert hat. Dann ließ sie den Raum versiegeln und hat ihn vom Nil fluten lassen. Wie die Ratten sind sie ertrunken!“
Staunend hörte Senenmut zu. „Woher weißt du das alles?“, wollte er wissen.
„Aus dem Kemit!“, bekannte sie stolz.
Senenmut kam aus dem Staunen nicht heraus. „Das Kemit ist ein fünfhundert Schemu altes Buch! Und du kannst es lesen?“
„Du meinst, weil ich eine Frau bin, darf ich nicht wissen, was vor unserer Zeit alles passiert ist? Hast du die Pyramiden gesehen? Vor über eintausend Schemus wurden sie erbaut. Aber kein ägyptischer Baumeister ist heute mehr in der Lage, so etwas zu konstruieren. Das ist eine so große Dummheit! Wenn unsere Vorfahren ihr Wissen mit mehr Menschen geteilt hätten, wäre es nicht verloren gegangen!“
„Amun sei Dank, dass nicht alles vergessen ist“, trumpfte Senenmut auf. „Wer kennt nicht die Geschichte von Neferet-Sobek?“, holte er zu einem Seitenhieb aus. „Sie war auch eine Frau. Sie glaubte, als Pharao regieren zu können. Doch sie war schwach. Die Hyksos hätten Ägypten beinahe zerstört! So lange Zeit haben sie unser Land beherrscht und geplündert. Erst unter Ahmose gelang es uns, sie endgültig zu vertreiben! Aber das weißt du bestimmt auch. Du magst gute Lehrer gehabt haben. Aber glaube mir, es ist besser, wenn man sich als Frau aus Dingen heraushält, für die man nicht bestimmt ist. Ich möchte gerne wissen, wer dir diese Ideen in den Kopf gesetzt hat.“
„Mein Vater ist es gewesen. So wie der deine hat er mich gelehrt, neugierig zu sein. Aber ich habe es schon gemerkt, du wirst kein Interesse daran haben, mich weiter zu unterrichten.“
Sie erhob sich und klopfte sich den Staub von ihrem Gewand. Als sie sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen wendete, überwog in Senenmut doch die Angst, sie nicht mehr sehen zu können.
„Bitte warte noch!“ Er hielt sie am Arm fest. Sie drehte sich noch einmal um und sah ihn erwartungsvoll an. Nichts wünschte er sich mehr, als sie immer sehen zu können. Er suchte nach einem Weg, nicht sein Gesicht zu verlieren.
„Ich bin bereit, dich zu unterrichten! Aber erst will ich deinen Vater um Erlaubnis bitten. Und ich werde ihn rügen, dass er seiner Tochter nicht so viele Dummheiten in den Kopf setzen soll. Sage mir, wo ich ihn finde!“ Er wartete darauf, dass sie wieder wütend werden würde, aber statt dessen brach sie in schallendes Gelächter aus.
„Du musst dich noch etwas gedulden!“, rief sie lachend. „Er wird in den nächsten Tagen hier eintreffen, um mit uns zusammen das Talfest und den Sieg über die Mitanni zu feiern. Er wird an Bord der Horusbarke sein!“ Sie konnte sich kaum halten vor Lachen. „Aber sei milde mit ihm, er wird es nicht gewohnt sein, mit einem Schreiber über die Erziehung seiner Tochter zu streiten!“ Senenmut verstand nicht, was sie so zum Lachen brachte.
„Die Horusbarke ist das Schiff des Pharaos!“, stellte er fest. Demnach musste ihr Vater ein hoher Beamter sein. Das erklärte auch, warum sie sich einen Lehrer leisten konnte. „Gehört er zum Hofstaat des Pharaos?“, hakte er nach. Sie schüttelte sich in einem Lachkrampf und hielt ihren Bauch fest.
„Die Horusbarke ist SEIN Boot!“, rief sie aus und klopfte sich auf die Schenkel vor Lachen. Senenmut schwankte der Boden unter den Füßen. Er konnte kaum aussprechen, was er erkannte.
„Du bist, du bist ...“, stotterte er.
„Hatschepsut!“
„Die Tochter von, von ...“
„Thutmosis I., dem Pharao!“ Senenmut wurde blass vor Schreck. Er ließ sich auf die Knie fallen und senkte den Kopf tief in den Staub.
„Verzeiht mir mein ungebührliches Verhalten und meine Anmaßung, Prinzessin! Ich lege mein Leben in Eure Hand. Wenn der Pharao erfährt, wie ich mich Euch gegenüber verhalten habe, lässt er mich den heiligen Krokodilen zum Fraß vorwerfen. Bitte gewährt mir Gnade!“
Sie hatte aufgehört zu lachen und stemmte ärgerlich die Arme in die Hüften. „Steh auf und benimm dich wie ein Mann! Ich werde bestimmt niemandem verraten, was passiert ist. Aber steh endlich auf und rede um Hathors Willen wieder mit mir wie zuvor! Ich kann alle diese Höflinge nicht ausstehen, die unentwegt vor mir im Staub kriechen! Und wenn du noch einmal die Anrede Prinzessin gebrauchst, solange wir alleine sind, werde ICH dich höchstpersönlich zu den Krokodilen schicken. Ich heiße HATSCHEPSUT!“
Senenmut erhob sich. Ihm war nicht mehr ganz wohl in seiner Haut. Allein mit der Tochter des Pharaos, dafür hätte ihn die Leibwache des Pharaos schon zerstückelt.
„Wo sind denn Eure, ich meine, deine Wachen?“, erkundigte er sich besorgt.
„Sie warten auf mich am Nilufer. Ich kann es nicht leiden, wenn sie mir wie Hunde auf jedem meiner Schritte folgen. Aber gut, dass du mich erinnerst, ich war länger weg als geplant. Sie werden mich suchen. Ich muss zurück. Aber komm mit mir, du kannst mit meiner Barke nach Theben zurückfahren.“
Senenmut folgte ihr eher widerwillig. Der Gedanke an ihre Leibwache schmeckte ihm nicht. Tatsächlich kamen sie ihnen auf halbem Weg entgegen. Ein riesiger, grimmig dreinblickender Nubier zog sein Schwert und kam auf Senenmut zu, aber Hatschepsut gebot ihm Einhalt. So gingen sie zurück ans Nilufer zu einer wartenden Barke, die das Zeichen des Horus trug, argwöhnisch beäugt von ihren Wachen. Am Ufer kam ihnen eine Frau entgegen gelaufen.
„Hatschepsut, mein Kind, was ist mit dir geschehen?“, rief sie. „Keine Sorge, Inet, es ist nichts passiert. Dieser tapfere Priester hat mich vor einem herabstürzenden Felsen gerettet. Ich verdanke ihm mein Leben.“ Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu.
Inet ging auf ihn zu. „Du musst Senenmut sein, der Sohn von Ramose! Du siehst deinem Vater sehr ähnlich. Ich bin Inet, die Amme von Hatschepsut. Ich danke dir, dass du mir das Licht meines Lebens heil zurückbringst.“ Sie bestiegen die Barke und setzten über zur östlichen Seite nach Theben.
Am Ufer verabschiedete sich Hatschepsut von ihm. „Ich danke dir, Senenmut. Wir sehen uns bald wieder.“ Dann ging sie fröhlich plappernd mit Inet ihres Weges. Senenmut ließ einen tiefen Seufzer und ging zum Tempel des Amun zurück.