Читать книгу Die Sphinx des digitalen Zeitalters - Rainer Patzlaff - Страница 11
Das Ziel: Den Anschein von Echtheit erzeugen
ОглавлениеDer Laie wird sich beim Blick auf Abbildung 2 fragen: Wie soll denn nach diesem Vorgang der ankommende Ton noch dem Originalklang gleichen, wenn von dem Original nur Stichproben übermittelt werden, zwischen denen sich ein Nichts auftut? Bedeutet das nicht ein völliges Zerfetzen des Originals, das sich auch im Klang bemerkbar machen müsste?
Die Antwort des Technikers lautet: Wenn die Abtastungen häufig genug geschehen, wird es beim rekonstruierten Klang keine Einbußen geben; er wird sich nicht oder höchstens geringfügig von dem Klang einer analogen Wiedergabe unterscheiden. Um diesen Effekt zu erreichen, genügen für eine normale Sprechstimme am Telefon 8.000 Abtastungen pro Sekunde; bei deutlich höheren Frequenzen, z.B. bei Musik, erhöhen wir die Abtastfrequenz entsprechend; das ist technisch überhaupt kein Problem. Im Übrigen sorgt im Empfangsgerät ein Kondensator dafür, dass die zwischen den Abtastungen real vorhandenen Lücken überbrückt werden und so der Eindruck eines durchgehenden Klangs erzeugt wird.
Mag die Klangqualität auch noch so echt erscheinen, so ist doch nicht zu leugnen, dass es sich um eine bewusst herbeigeführte Illusion handelt. Folglich ist die Frage erlaubt, was dieser Umstand auf Dauer im Menschen bewirkt. Aber die Frage wird kaum je gestellt geschweige denn untersucht. Das Publikum nimmt die Illusion wie selbstverständlich hin und erfreut sich daran, nicht anders als beim Kinofilm, der dem Auge durch die schnelle Abfolge von Momentaufnahmen eine flüssig strömende Bewegung vorgaukelt, die nicht vorhanden ist.
Das digitale Verfahren wird auch für optische Aufzeichnungen eingesetzt, stark abweichend vom natürlichen Sehen. Die Augen des Menschen nehmen jedes Objekt und jede Landschaft, die sich ihnen darbietet, als eine in sich konsistente Ganzheit wahr, über die die Blicke nach Belieben schweifen können. Die klassische Fotografie fixiert den momentanen Eindruck in Form eines Bildes, das immer noch eine in sich geschlossene Einheit darstellt. Die Digitalkamera hingegen kann mit dieser Ganzheit nichts anfangen. Sie bemächtigt sich des optischen Eindrucks in der Weise, dass sie das mit der Linse eingefangene Bild in Abertausende kleine Splitter zerlegt.
Genauer gesagt überzieht sie das Bild mit einem Raster aus winzigen Messpunkten, die in ungeheurer Geschwindigkeit nach Lichtstärke, Farbe usw. abgetastet werden. Die Messergebnisse gelangen binär codiert in den Computer, der dann auf dem Screen das ursprüngliche Bild Punkt für Punkt wieder aufbaut und so die Wirklichkeit gerastert vor Augen rückt (ähnlich den Bildern aus der Druckerpresse) – mit dem Anspruch, die Wirklichkeit exakt reproduziert zu haben. Dass sie in Wahrheit fragmentiert ist in Einzelpunkte, sieht jeder, der mit einer starken Lupe an den Screen heranrückt.