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Denkstrukturen, geronnen im Computer

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Es blieb nicht dabei, dass die scholastische Methode zum Paradigma ernst zu nehmender Wissenschaft wurde; nach ihrem Muster formte sich auch die in der westlichen Welt vorherrschende Art des Denkens, die allgemein als diskursiv bezeichnet wird. Man versteht darunter ein methodisches Vorgehen, das von Vorstellung zu Vorstellung, von Begriff zu Begriff logischgesetzmäßig voranschreitet und dadurch zu Schlussfolgerungen gelangt, mit denen sich z.B. eine Auffassung oder eine Theorie begründen lässt.

Gedankengänge in Sprache und Text diskursiv zu entwickeln ist im Laufe der Zeit so selbstverständlich geworden, dass eine wichtige Eigenart, die damit verknüpft ist, kaum mehr auffällt: Bei jedem Schritt der Darlegung prüft der Zuhörer oder Leser unwillkürlich: Ist die Aussage richtig oder falsch? Ist sie logisch einwandfrei? Entspricht sie den bekannten Tatsachen? Zustimmung oder Ablehnung ist gefragt, Ja oder Nein. Sinnvolle weitere Schritte können sich erst anschließen, wenn die Frage beantwortet ist. Am deutlichsten zeigt sich das in der Mathematik, die nach jeder Rechenoperation prüft: Ist das Ergebnis richtig oder falsch? Kein Weg führt dort an einer eindeutigen Festlegung vorbei, denn das Ergebnis kann nur richtig oder falsch sein, eine andere Alternative gibt es nicht.

Nicht auf allen Forschungsfeldern ist die Entscheidung so eindeutig zu treffen. Die streng mathematisch orientierte Naturwissenschaft allerdings hat es mit dieser Methode weit gebracht; sie ist zur beherrschenden Wissenschaft der Neuzeit aufgestiegen. Im 20. Jahrhundert war es eines ihrer Anliegen, die schon in der Antike und dann wieder ab der Renaissance verfolgte Idee einer mechanischen Rechenmaschine neu aufzugreifen und ein Gerät zu entwickeln, mit dem die logischen Strukturen des diskursiven Denkens technisch nachgeahmt werden können. Das Projekt begann in den 1930er-Jahren und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem triumphalen Erfolg: Der Computer (abgeleitet von lat. computare = berechnen) eroberte die Welt, einige Zeit noch mit analoger Technik, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dann nur noch mit der Digitaltechnik.

Die heute gebräuchlichen Computer werden elektronisch mit dem Binärsystem betrieben. Ihre Grundfunktion besteht aus Entscheidungen zwischen Ja oder Nein, die physikalisch realisiert werden durch die Befehle «Strom an» für Ja und «Strom aus» für Nein (binär ausgedrückt «1» und «0»). Die im diskursiven Denken ständig sich wiederholende Grundstruktur (zuerst die Prämissen, dann der logische Schluss daraus) wird vom Digitalrechner mit Millionen winziger elektrischer Schalter imitiert, die jeweils zu kleinen Einheiten zusammengefasst sind. Letztere bestimmen, ob der Strom zur nächsten Einheit weiterfließen darf oder nicht, indem sie die Prämissen festlegen: Entweder lassen sie mehrere Bedingungen zu, von denen wenigstens eine erfüllt sein muss (sog. Oder-Schaltung), oder sie fordern eine bestimmte Anzahl von Bedingungen, die gemeinsam erfüllt sein müssen (sog. Und-Schaltung). Hinzu kommt als drittes Element die Nicht-Schaltung, die den in einem sekundären Stromkreis fließenden Strom aus- statt anschaltet. Durch die Kombination dieser drei Schaltungen kann jeder logisch strukturierbare Vorgang dargestellt werden. Anzumerken ist noch, dass die «Schalter» heute so winzig sein können, weil sie nicht mehr aus mechanischen Teilen oder aus Röhren bestehen, wie es zunächst der Fall war, sondern aus winzigen Transistoren, deren Siliziumschichten je nach angelegter Spannung den Strom durchlassen oder stoppen.

Die Sphinx des digitalen Zeitalters

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