Читать книгу Die Sphinx des digitalen Zeitalters - Rainer Patzlaff - Страница 23
2. Schöne neue Welt der Medien
ОглавлениеDie angedeutete Zwiespältigkeit der digitalen Technik stellt unser Zeitalter vor ein großes Problem. Dennoch scheint es mir nicht sachgemäß, von Anfang an nur auf die negativen Seiten zu blicken. Wir müssen auch verstehen, warum die Menschen von den neuen Errungenschaften derartig fasziniert waren, dass sie zuerst nur das Gute und Vorteilhafte im Auge hatten und kritische Einwände lange Zeit in den Wind schlugen. Ich möchte dazu eine kleine historische Skizze entwerfen, die uns bis zu dem Punkt führt, an dem es schließlich zu einem bösen Erwachen kam.
Ein großes Thema des 19. Jahrhunderts war das Bemühen, sowohl optische als auch akustische Sinneseindrücke in technische Vorgänge zu überführen. Den Beginn machte die Erfindung der Fotografie. Aufgetragen auf Zelluloidfilme wurde sie universell einsetzbar, besonders auch in Form von «bewegten Bildern», die durch die schnelle Abfolge von 24 Aufnahmen pro Sekunde die Illusion echter Bewegungen erzeugten. Daraus entstand die Gattung der Spielfilme, die ab 1895 einem staunenden Publikum vorgeführt wurden – zunächst als Stummfilm. Den Ton konnte man erst nach der Erfindung von Mikrofon und Lautsprecher hinzufügen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trat neben den Kino-Spielfilm ein mächtiger Konkurrent: das Fernsehen. Hier wurde das bewegte Bild auf dem Schirm einer Kathodenstrahlröhre elektronisch erzeugt. Die Geräte, die zu dieser Zeit in die Läden kamen, steckten noch in den Kinderschuhen: Anders als viele längst in Farbe produzierte Kinofilme war das Fernsehbild schwarz-weiß, und vor allem flimmerte und flackerte es ständig, sodass das Zusehen wenig angenehm war. Außerdem gab es lange Zeit nur ein einziges Programm zu sehen (1963 begann das ZDF, erst 1984 folgten die privaten Sender).
Umso mehr überrascht es im Rückblick, wie schnell sich die Öffentlichkeit trotz aller Mängel mit dem neuen Medium anfreundete. Allerdings waren dabei zwei Publikumsmagnete im Spiel, die das Interesse anstachelten. Ähnlich wie Adolf Hitler 1936 durch die erstmalige Fernsehübertragung der Olympischen Spiele die Öffentlichkeit beeindruckte, waren es auch nach dem 2. Weltkrieg zwei Großereignisse, die wie geschaffen waren, um die Massen für das Fernsehen zu begeistern: 1953 die Krönung der englischen Königin Elisabeth II. und 1954 die Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz. Obwohl es zu beiden Ereignissen in den Kinos farbige und technisch viel bessere Präsentationen gab, erregte das Fernsehen weit mehr Aufsehen.
Die Fernsehproduzenten wie auch die Gerätehersteller hätten sich keine bessere Werbung wünschen können als diese erregenden «Events», die vom Publikum als welthistorisch empfunden wurden. Denn mit ihnen eröffnete sich den Menschen eine neue Dimension: War man bisher auf Berichte in der Zeitung oder im Radio angewiesen, um zu erfahren, was in der Welt vorgeht, konnte man jetzt, so meinte man, alles «mit eigenen Augen» sehen. Etwas wie Magie schien dem Fernseher anzuhaften: Ohne dass der Zuschauer sich von der Stelle rührte, entrückte ihn das Gerät an den Ort des Geschehens, wo er unmittelbar «am Ball» war und bei jedem Tortreffer gemeinsam mit den fernen Stadionbesuchern jubeln konnte. An diesen prickelnden Effekt des Dabeiseins reichten selbst gute Dokumentarfilme nicht heran, weil sie immer erst nachträglich erschienen.
Damit war der Weg bereitet für die rasante Ausbreitung des Fernsehens im ganzen Land, und bald schon gehörte die «Glotze», wie man sie spöttisch nannte, zur festen Einrichtung jedes Wohnzimmers und wurde extensiv genutzt. Die berechtigten Warnungen vor einem allzu ausgiebigen Fernsehkonsum, besonders bei Kindern, stießen auf taube Ohren, und so zeigten sich mit der Zeit immer gravierendere Folgen, die hier aber nicht thematisiert werden sollen.10