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Das geheime Potenzial digitaler Reproduktionen

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Wäre das Ziel der Digitaltechnik lediglich dieses, möglichst perfekt den Anschein echter Wirklichkeit zu erzeugen, dann wäre sie nichts weiter als eine Alternative zu den längst vorhandenen Reproduktionstechniken, von denen Film und Fernsehen, Radio und Grammophon erfolgreich Gebrauch machten; sie wäre keine besondere Attraktion. Ihr eigentlicher Reiz jedoch liegt in der Tatsache, dass sie die sichtbare und hörbare Realität verwandelt in elektronische Daten, die durch den Computer gehen, ehe aus ihnen die Abbilder generiert werden. Und das bedeutet: Der Mensch bekommt am Computer eine Verfügungsgewalt über den Wiederaufbau des Bildes, den er bei den herkömmlichen Verfahren nicht oder nur in sehr geringem Maße hatte. Er kann die Daten unverändert so weiterleiten, wie sie eingegangen sind; er kann sie aber auch, wenn er das möchte, nach Belieben verändern, indem er in den binären Code der Einzeldaten eingreift und die Zahlwerte ein wenig erhöht oder verringert. In der Masse Abertausender Rasterpunkte fallen solche Eingriffe nicht als Verfälschung auf, vielmehr bleibt der Eindruck eines echten Bildes weiterhin bestehen.

Praktisch gesprochen: Man kann Bilder unbemerkt manipulieren, kann Farben und Kontraste verändern, kann missliebige Objekte herausschneiden oder neue hineinbringen, die im Original gar nicht vorhanden waren, kann Gesichter verändern usw. Das dient oft nur dem «Aufhübschen» der Bilder, kann aber auch in böswilliger oder betrügerischer Absicht geschehen. Ebenso bei digitalen Sprach- und Musikaufnahmen: Störgeräusche kann man löschen, einzelne Orchesterstimmen hervorheben oder abschwächen, den Klang eines Instruments schärfer oder weicher machen, die Stimme des Sängers mit Halleffekt versehen usw. Die Zeit ist endgültig vorbei, in der Filme und Tonaufnahmen als ein getreuer Spiegel der Wirklichkeit gelten konnten. Fotos in der Presse oder im Fernsehen beweisen keineswegs mehr unwiderleglich, «wie es wirklich war». Überall ist mit der Möglichkeit einer Fälschung zu rechnen, sodass man seinen Augen und Ohren buchstäblich nicht mehr trauen kann.

Was sich für Fälschungen aller Art verwenden lässt, ist andererseits aber auch geeignet zum Aufbau einer virtuellen Realität, also zu Szenarien, in denen nichts mehr das Abbild einer äußeren Wirklichkeit ist, sondern alles von Anfang bis Ende am Computer konstruiert wurde. Architekten beispielsweise können das künftige Haus schon detailgetreu auf dem Bildschirm erscheinen lassen, von allen Seiten betrachtbar, ja sogar in den Innenräumen begehbar – und vor allem: jederzeit nach Wunsch veränderbar, bevor man es gebaut und eingerichtet hat. Jeder wird darin einen großen Nutzen sehen.

Wie ist es aber, wenn virtuelle Räume für Computerspiele aufgebaut werden, in denen Monster oder Aliens, Krieger von fremden Sternen, Zauberer und Hexen bekämpft werden können oder in denen monströse Kriegsszenen die Sinne gefangen nehmen, Spiele, in denen der Spieler mit einer eigenen Waffe Personen töten kann, jedwede Gewalt ausüben darf und dabei nicht die geringste menschliche Empathie zeigt, sondern nur die Sucht nach Punktegewinn auslebt?

Die Sphinx des digitalen Zeitalters

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