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8. Unterbrechung wichtiger Handlungen im Büro

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Das Telefonat dauerte nicht lange. Es war die Zeitverschiebung, die Cleo nicht beachtet hatte und es war in Santiago de Chile vier Stunden früher als in Deutschland. Sie hatte trotzdem Glück und ein Beamter der Kriminalpolizei Policía de Investigaciones de Chile war am Apparat. Er sprach sogar einwandfreies Deutsch. Vermittelt hatte das Gespräch ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft. Brecht hatte den Botschafter sprechen wollen, doch der befand sich zurzeit nicht in Santiago. Deutschland hatte vor kurzem zwei bilaterale Initiativen zur Zusammenarbeit im Energiebereich mit Chile gestartet und es fand ein Treffen statt, an dem der deutsche Botschafter Rolf Schulze, der chilenische Energieminister Andrés Rebolledo und der Deputy Head of Mission der britischen Botschaft teilnahmen.

„Woher können Sie so gut deutsch?“

„Ah, das ist nicht so gut. Aber meine Vorfahren waren Deutsche. Sie sind nach dem Krieg nach Chile ausgewandert. Es waren da wohl politische Gründe ausschlaggebend.“

„Aha. Verstehe. Sie haben also deutsche Wurzeln.“

Cleo wollte ihn nicht verärgern und verschwieg, dass sie der Meinung war, seine Vorfahren waren wohl Nazis auf der Flucht gewesen.

„Ja. Was kann ich für Sie tun, Frau Brecht?“

Cleo Brecht nannte ihm ihre Bitte. Er solle sich um die drei Adressen kümmern, die sie vom Vater der Toten Saskia bekommen hatte. Sie gab sie ihm durch.

„Ich rufe Sie wieder an. Oder Sie rufen mich zurück, sobald Sie die Familien befragt haben, wann und warum Saskia Gebert so schnell wieder abgereist ist.“

Es war einen Moment still am anderen Ende und Cleo glaubte schon, die Verbindung sei unterbrochen, da meldete sich der Polizist wieder.

„Frau Brecht. Wir können das Ganze abkürzen. Ich habe gerade in meinen Computer geschaut. Es gibt keine der drei Adressen hier in Santiago de Chile.“

„Was? Nicht eine Adresse stimmt?“

„Nicht eine! Warum wollen Sie das überhaupt wissen?“

Sie erklärte ihm die Lage und er pfiff durch die Zähne.

„Da vermute ich, dass das Mädchen als Drogenschmugglerin fungierte.“

„Wie läuft das ab?“

„Das ist nichts Ungewöhnliches in Chile. Junge Menschen werden angeworben für einen Schmuggel und werden entweder unter Druck gesetzt oder mit Geld gelockt. Oder mit beidem. Dann verlassen sie das Land per Flugzeug.“

„Und der Schmuggel fällt nicht bei Kontrollen am Flughafen auf?“

„Wenn sich die Schmuggler nicht auffallend benehmen, nein! Wir hatten vor kurzem den Fall, dass ein Kondom im Magen eines Schmugglers aufgegangen war und der junge Mann noch vor dem Abflug aus der Maschine geholt wurde, weil der Pilot sich geweigert hatte, mit einem Kranken an Bord abzufliegen. Der Mann hatte Schweißausbrüche und sich erbrochen. Aber die meisten Leute gehen ohne Probleme durch die Kontrollschleusen.“

„Wenn es so offensichtlich ist, warum unternehmen Sie nichts dagegen?“

„Oh, das tun wir. Aber auch wir sind ständig unterbesetzt. Hinzu kommt, dass nicht gerade wenige Polizisten selber mit der Drogenmafia Geschäfte machen. Die, die nicht dazugehören, kümmern sich um die großen Fälle. Vernichtung der Plantagen. Dort werden gleich hunderte Kilos des Pulvers vernichtet. Was sind da schon ein paar Gramm Kokain im Magen einer Touristin?“

„Lohnt sich der Drogentransport überhaupt? Immerhin sind es nur einige Gramm.“

„Ja. Das stimmt. Aber die Menge der Kuriere macht es aus. Nach Abzug der Flugkosten bleiben unterm Strich noch jede Menge Dollars.“

„Danke für die Auskunft.“

Cleo beendete das Gespräch. Sie rief die Staatsanwältin an.

„Hören Sie zu! Das Ganze ist komplizierter als es den Anschein hat. Es geht hier um Drogenschmuggel, wahrscheinlich bei mehreren Personen und es geht wahrscheinlich um Tötung zweier Personen, wahrscheinlich handelt es sich hierbei um Mord.“

Die Staatsanwältin war nicht alleine in ihrem Büro. Der junge Mann, der seit zwei Monaten zu ihrem Mitarbeiterteam gehörte, machte sich gerade mit beiden Händen unter ihrer geöffneten Bluse zu schaffen. Er hatte angenehme warme Hände, wie die Staatsanwältin fand.

Er stand hinter ihr und während seine linke Hand den rechten Busen der Staatsanwältin fest umschloss, wanderte seine Rechte über ihren Bauch abwärts. Gerade als sie in den Rocksaum der Staatsanwältin eintauchen wollte, sprang diese auf. Die Hände des Mannes wunderten sich genauso wie er selbst, dass sie nicht vollenden konnten, was so vielversprechend begann und zitterten ein wenig.

„Wahrscheinlich, wahrscheinlich! Ich höre immer nur wahrscheinlich! Haben Sie nichts Konkretes vorzuweisen?“

Cleo sagte sich, dass es sich bei der Staatsanwältin wohl um eine alte, vertrocknete Jungfer handeln müsse, da sie sie offensichtlich nicht mochte. Cleo konnte nicht ahnen, dass sie gerade eine Situation unterbrochen hatte, der sich die Staatsanwältin sehr gerne hingegeben hätte.

„Aber es spricht alles dafür, dass meine Vermutung stimmt!“

Die Staatsanwältin stieß den jungen Mitarbeiter, der sich ihr bei den letzten Worten wieder genähert hatte und seine Arbeit von vorne beginnen wollte, von sich.

„Wir machen nachher weiter, Paul! Lass mich jetzt mal alleine.“

Paul verzog zuerst das Gesicht und dann sich selbst. Er verließ das Büro, obwohl seine Hose noch etwas angespannt war.

„Frau Brecht, wenn es wirklich so ist, sollten Sie nach Hamburg fahren.“

In der Hoffnung, dass die Polizistin damit einige Zeit verbringen würde, gab sie ihr diese Empfehlung.

Brecht war begeistert.

„Ok. Das mache ich. Vielen Dank, Frau Staatsanwältin. Aber ich brauche auch hier einen Kollegen. Alleine ist das nicht zu schaffen.“

Das hatte die Staatsanwältin befürchtet. Sie seufzte.

„Ok, Frau Brecht. Ich spreche mit Ihrem Vorgesetzten.“

„Gut. Dann will ich mich mal auf den Weg machen.“

„Ach, Frau Brecht. Wo wollen Sie eigentlich in Hamburg ansetzen?“

„Na, wenn das Mädchen in Hamburg gelandet ist, ist doch anzunehmen, dass hier die Fäden gezogen werden. Alleine ist sie doch nicht auf die Idee gekommen, das Kokain zu schmuggeln. Außerdem ist hier ihr Bruder ebenfalls ums Leben gekommen. Unter mysteriösen Umständen. Leider wurde er eingeäschert, sodass eine Obduktion ...“

„Ja, ja. Ist schon gut. Da ist nichts mehr herauszubekommen. Konzentrieren Sie sich auf das Mädchen.“

„Ok. Mach ich, Frau Staatsanwältin.“

Sie beendete auch dieses Gespräch, welches der Staatsanwältin noch einige Zeit Kopfzerbrechen bereitete. Erst danach und nach einer Tasse Kaffee rief sie ihren Mitarbeiter Paul wieder ins Büro.

Cleo telefonierte zum dritten Male. Sie rief in Hamburg an. War sie als einer der besten Absolventen der Polizeiakademie erst vor kurzem von der Schule abgegangen, so kannte sie sich in Hamburg bestens aus. Ihr Mentor und alter Freund Peter Hannes Petersen hielt große Stücke auf sie und wollte ihr nun behilflich sein, als sie ihn fragte, wo sie in diesem Falle ansetzen sollte. Sie erklärte ihm den Fall und die bisherigen Ermittlungsergebnisse.

Petersen hatte seine lockere Art mit Azubis, wie er die Absolventen der Akademie nannte, umzugehen. Er nahm sie oft hoch und hatte immer einen Witz auf Lager.

„Deern, da brauchts ´ne Menge Fingerspitzengefühl. Die Ganoven hier in Hamburg sind sensibler als im Bundesdurchschnitt. Gerade bei den Drogen fangen die gleich an zu heulen. Nimm denen bloß nichts von dem Pulver weg. Das verkraften die nicht.“

Cleo musste lachen.

„Nee, nee mach ich schon nicht. Aber sagen Sie mir mal, wem ich etwas wegnehmen könnte?“

„Aha, die Deern ist ja eine ganz Schlaue. Denkt, ich verplappere mich und verrate ihr, wer hier in Hamburg die Fäden zieht.“

„Ach kommen Sie, Herr Petersen! Einen Tipp können Sie Ihrer Lieblingsschülerin doch geben.“

„Ich glaub es ja nicht! So plump wollen Sie mich um den Finger wickeln?“

Cleo machte gerade ein etwas enttäuschtes Gesicht, als Petersen antwortete.

„Reingefallen! Klar kriegst du einen Tipp. Aber nur, wenn ich dich zum Abendessen einladen darf.“

„Danke. Danke. Also, wer hat hier das Sagen?“

„Komm erst mal hier an. Willst du wieder in der Pension bei Mutter Anna wohnen? Dann lasse ich dir ein Zimmer reservieren und wir treffen uns dort.“

„Ok. So machen wir‘s.“

Als man am Abend bei einem Essen in einem der Fischrestaurants in Altona am Fischmarkt saß, kam die Sprache wieder auf die Geschehnisse um die tote Drogenschmugglerin.

Cleo gab ihre Kenntnis preis.

„Der Beamte in Chile sagte mir, dass hier junge Mädchen als Au-pair angeworben und als Drogenkuriere eingesetzt werden. Habt ihr eine Vermutung, ob da eine Organisation dahintersteckt? Es können gut und gerne mehrere Personen sein.“

Peter Petersen machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Hm. Da kann ich nicht viel zu sagen. Hamburgs Innenstadt, insbesondere das Bahnhofsviertel, ist ein Drogenbrennpunkt. In St. Georg haben wir jeden Tag über einhundert Dealer, die weit über dreihundert Abhängige versorgen. Das Ganze bei sechzig Drogentoten pro Jahr. Wir haben letztes Jahr über zweihundertfünfzig Razzien machen müssen und mussten viele Personen wieder laufen lassen.“

„Warum das?“

„Ein Gramm Kokain im Besitz ist erlaubt. Die Personen, die mehr haben, werfen es schnell weg. Dann können wir selten zugreifen. Wir konzentrieren uns hier aber im Wesentlichen auf den Schmuggel im großen Stil. Erst kürzlich haben wir in einem Container sechshundert Kilo Stoff gefunden. Da war die rückwärtige Wand mit einer zweiten Wand davor zugeschweißt. Seit kurzem gibt es am Hafen aber ein riesiges Röntgengerät, das alle Container blitzschnell erfassen kann. Aber solch kleine Mengen Koks, die geschluckt werden, sind kaum erfassbar und da lohnt es sich auch nicht, einen noch größeren Aufwand zu betreiben. Die Leute haben wir einfach nicht dafür.“

„Ja, verstehe. Wird so ein Container entdeckt, verlieren die Dealer gleich einen hohen Betrag. Aber nehmen wir mal an, es steckt doch eine Logistik bei den Au-pairs dahinter. Es werden zwar nur kleine Mengen geschmuggelt, aber dies sehr oft. Kleinvieh macht auch Mist!“

„Da kannst du schon Recht haben, Deern. Und sie verlieren, wenn einer auffliegt, nur einen kleinen Teil. Es gibt aber keine Statistik darüber.“

„Brauch ich auch nicht. Ich will nur wissen, wer in der Lage ist, so ein Geschäft zu organisieren.“

„Na, da haben wir die Hells Angels, zum Bleistift.“

„Nein, nein. Die sind eher für die Verteilung des Stoffs zuständig, nicht für die Beschaffung von Übersee.“

Cleos Gesprächspartner wurde nachdenklich.

„Vielleicht hast du Recht. Da gibt es eine Autowerkstatt in Wilhelmsburg. Der Inhaber ist nicht ganz koscher. Wir haben ihn schon zweimal verhaftet, mussten ihn aber immer wieder freilassen. Es war ihm nichts nachzuweisen.“

„Weswegen habt ihr ihn verhaftet?“

„Wir haben vermutet, dass die Werkstatt eine Tarnfirma ist. Dort werden Gelder gewaschen. Es sind undurchsichtige Mitarbeiter beschäftigt, manche sogar legal mit richtiger Anmeldung ...“

„Aber?“

„Da könnten Drogen eine Rolle spielen, obwohl wir bei der Durchsuchung nicht fündig geworden sind.“

„Du bist so nachdenklich. Ist da noch etwas?“

„Ja. Wie soll ich es sagen? Ich habe die Vermutung, dass die dort mit Auftragsmorden zu tun haben.“

„Auftragsmord. Und gleich mehrere?“

„Ja. Wir konnten nichts nachweisen. Wir haben zwar das Telefon und Handys abgehört. Nur Vermutungen – nichts Konkretes!“

„Die schau ich mir mal an!“

„Sei ja vorsichtig, Deern. Wenn es zutrifft, dass die da was mit Auftragsmorden zu tun haben, dann sind dort Killer am Werk. Dagegen ist das bisschen Koks ein Fliegenschiss!“

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