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5. Au-pair im Wechsel

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Die Kommissarin telefonierte nochmal mit dem Pfarrer und erhielt von ihm die Adresse der Eltern des toten Mädchens. Sie berichtete der Staatsanwältin gleichzeitig die Sachlage mit den Drogen im Magen der Toten.

„Gut, Frau Brecht. Dann können Sie die Leiche freigeben. Die Eltern wollen sicher die Beerdigung zu Ende bringen. Aber lassen Sie sich ruhig Zeit.“

„Ja mach ich. Ich fahre jetzt mal zu denen hin.“

„Warum? Haben Sie noch Fragen?“

„Es kommt mir etwas an der Sache komisch vor. Ich weiß noch nicht genau was, aber es ist ein Bauchgefühl, das mich noch nie irren ließ.“

„Na gut. Machen Sie, was Sie nicht lassen können.“

Damit war die Sache für die Staatsanwältin erledigt. Sie legte den Fall ‚Drogenkuriertote’ zu den Akten. Es gab Wichtigeres, als sich um ein paar Gramm Kokain zu kümmern. Alles andere war für sie lediglich ein Unfall mit Fahrerflucht.

Cleo Brecht hingegen vermutete dahinter weit mehr. ‚Das kann kein Zufall sein’, sagte sie sich. Und dachte auf der Fahrt zu den Eltern des Mädchens angestrengt nach.

Als sie hereingebeten wurde und auf dem Sofa Platz nahm, war die erste Frage der Mutter, wann sie ihr Kind beerdigen könne.

„Wir haben sie freigegeben. Morgen kann die Beerdigung stattfinden.“

„Haben Sie sie denn … geöffnet?“

„Ja das mussten wir. Sie ist obduziert worden.“

Der Vater hatte die ganze Zeit geschwiegen und meldete sich jetzt plötzlich zu Wort.

„Was haben Sie denn Wichtiges erfahren? Hat unsere Tochter etwa einen Goldbarren verschluckt?“

Die Beamtin blieb ruhig.

„Gold nicht, aber sie hat Drogen im Magen gehabt. Und nicht wenig von dem Zeug. Es waren achthundert Gramm mit einem Marktwert von über sechzigtausend Euro.“

Die Eltern schauten sich an und verstanden die Welt nicht mehr. Dann ergriff der Vater wieder das Wort.

„Sie war nicht drogenabhängig!“

„Nein, das war sie nicht. Wir haben keine Hinweise darauf bekommen. Sie hat allerdings Kokain geschmuggelt.“

„Was? Wie? Woher?“

„Genau das fragen wir uns auch. Wo war Ihre Tochter vorher, als sie in Hamburg angefahren wurde? Und wo wollte sie hin?“

Die Mutter schüttelte den Kopf.

„Das wissen wir auch nicht. Was sie in Hamburg gemacht hat, ist uns völlig unbekannt. Sie sollte morgen erst aus Amerika zurückkommen. Und da wäre sie wohl in Frankfurt gelandet.“

Nun war die Kommissarin überrascht.

„Aus den Staaten? Das wissen wir ja gar nicht, dass sie dort war.“

Nun schüttelte der Vater den Kopf und sprach zu seiner Frau.

„Nicht Amerika, Frau. Aus Chile im Süden. Sie war dort als Aupairmädchen für ein halbes Jahr, ist aber zwischenzeitlich dreimal zurückgekommen.“

„Herr Gebert! Das ist wichtig! Bei wem war sie als Au-pair? Und von wann bis wann?“

„Da muss ich nachschauen.“

„Machen Sie das bitte. Sie sagen, sie sei dreimal zurückgekommen. Warum?“

„Es hat halt nicht so mit den Familien geklappt, hat sie gesagt. Sie hätte immer Arbeiten verrichten müssen, die nicht abgesprochen waren. Alte Familienmitglieder pflegen, einkaufen, putzen und so weiter.“

„Das gehört in der Tat nicht zu den Aufgaben. Wer hat denn die Kosten für die Flüge übernommen?“

„Das wären die Eltern der Kinder gewesen, die sie hätte betreuen sollen. So hat sie es uns gesagt.“

„Höchst unwahrscheinlich.“

Horst Gebert hatte inzwischen den Zettel mit Adressen in Santiago de Chile, bei denen Saskia Gebert Babysitter sein sollte, in einer Küchenschublade gefunden. Er händigte ihn der Polizistin aus.

„Und für ein halbes Jahr sollte sie dableiben?“

„Hat sie uns so gesagt.“

„Das ist unüblich. Au-pair-Dienste dauern in der Regel ein ganzes Jahr. Wenn die Entfernung so groß ist, kann es eher länger sein.“

Sie wollte sich jetzt schnell verabschieden und die Geberts nicht länger in ihrer Trauer behelligen.

„Haben Sie vielen Dank.“

Auf dem Flur erblickte sie ein Foto, das an der Wand hing und worauf Saskia und ein junger Mann zu sehen waren.

„Ist das ihr Freund gewesen?“

„Nein. Das ist unser Sohn Tobias. Saskias Bruder.“

„Ich habe ihn nicht gesehen. Lebt er nicht hier?“

„Er lebt überhaupt nicht mehr. Er ist vor einem halben Jahr verstorben. Zufällig auch in Hamburg.“

Da war er! Der Blitz, der in Cleos Herz fuhr.

Ebenfalls in Hamburg! Vor einem halben Jahr!

Das konnte kein Zufall sein.

„An einem Verkehrsunfall?“

„Nein. Sein Herz war schwach. Er durfte schon als kleiner Junge nicht beim Sportunterricht mitmachen. Er hat sich aber nie geschont. Dann ist er beim Joggen an der Außenalster zusammengebrochen. Er ist ins Wasser gefallen und war sofort tot.“

Cleo Brechts Puls raste. Das roch nach einem Verbrechen.

„Herr Gebert. Hat Ihr Sohn in Hamburg gewohnt?“

„Nein. Um Gottes willen! Er hat hier bei uns sein Zimmer gehabt.“

„Was hat er dann in Hamburg gemacht?“

„Das wissen wir nicht. Er wollte sich nach seiner Rückkehr ein Musical ansehen.“

„Moment! Welche Rückkehr?“

„Er hatte so einen Zeitvertrag mit einer amerikanischen Firma. Den Namen habe ich vergessen.“

„Und da ist er in den Vereinigten Staaten von Amerika gewesen?“

„Nein. Der war ebenfalls in Chile unterwegs.“

Cleos Puls klopfte heftig.

„Ist Ihr Sohn hier auf dem Friedhof beigesetzt?“

„Ja, natürlich.“

„Herr Gebert! Ich kann Ihnen das jetzt nicht ersparen! Wir müssen auch Ihren Sohn obduzieren. Ich werde veranlassen, dass das Grab morgen geöffnet wird. Es tut mir leid!“

„Braucht es nicht. Aber Tobias können Sie nicht obduzieren. Seine Asche ist in der Urne. Er wollte das so. Hat er in seinem Testament hinterlassen.“

„Scheiße!“

„Jetzt gehen Sie aber bitte.“

Cleo Brecht nickte und verließ das Anwesen der Geberts.

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