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2. Weiches Herz

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„Warum hast du sie nicht mitgenommen, verflucht!?“

„Weil da so ein Blödmann angefahren kam, der hätte mich doch indiferenzieren können. Hat ja wohl auch noch gleich die Bullen gerufen, der Arsch!“

„Mann. Mann. Mann. Das heißt identifizieren, du Hohlkopf! Die Sache können wir jetzt in den Wind schreiben!“

Betrübt schaute der Angesprochene zu Boden, in der Hoffnung, dass dieser Kelch bald an ihm vorübergehen würde.

Aber er irrte sich. Der Chef war unnachgiebig.

„So blöd kann man doch nicht sein! Du hättest sie schnell in den Kofferraum werfen können und ab die Post. Dann wäre es wahrscheinlich niemandem aufgefallen, dass da eine krepiert ist! Du Idiot!“

Der Idiot war den Tränen nahe. Er war zwar ein harter Bursche, aber sein Herz war weich und sein Hirn war klein und er hatte nun Angst. Angst, die berechtigt war, denn es ging um viel Geld. Das war ihm bewusst. Da kannte sein ‚Chef’ keine Gnade. War sein Chef erst mal auf Hundert, dann konnte es gut sein, dass es nicht gut ausgehen würde.

Und wie erwartet schlug der Chef mit der rechten Hand mehrmals einen Baseballschläger in die linke Handfläche. Baseballschläger gehörten zum Inventar, hier in der Werkstatt.

„Warum musstest du Idiot sie auch über den Haufen fahren? Hey, warum eigentlich?“

„Da ... das wollte ich ja gar nicht. Die Göre ist mir schon am Flughafen entkommen. Schließlich bin ich nicht mehr der Jüngste. Da habe ich sie nur stoppen wollen und habe zu spät gebremst.“

„Idiot! Obwohl, so ist uns womöglich eine Arbeit erspart geblieben. Das ist trotzdem Scheiße, du hirnverbrannter Blödmann. Der Stoff ist nun weg!“

Olav Ortega wurde immer kleiner und erwartete den totalen Wutausbruch seines Chefs.

Doch der ließ plötzlich und wider Erwarten alle Aggressionen fallen und legte den Baseballschläger aus der Hand.

Olav Ortega war Grieche, genau genommen Halbgrieche, seine Mutter war Kroatin, der Vater Grieche, auf der Insel Lesbos geboren. Infolge dessen hatte er von ihm zwar die positive Denkweise geerbt, allerdings konnte man dies auch als eine gewisse Eigenüberschätzung sehen, denn sein Stolz war unverkennbar groß.

So ließ er nach Außen keine weitere Gemütsregung zu, obwohl ihm innerlich schon ein Stein vom Herzen fiel.

Sein Chef fand nun auch milde Worte.

„Na, egal. Mir ist da zu Ohren gekommen, dass das Koks zu stark gestreckt worden ist. Das hat noch ein Nachspiel bei unserem Lieferanten. Jetzt müssen wir erst einmal sehen, ob noch was zu retten ist.“

„Chef, die ist schon in ihrem Heimatort angekommen. Da ist nichts mehr zu retten. Die wird dort in die Erde versenkt!“

„Na und? Buddeln wir sie wieder aus! Schneiden ihr den Bauch auf und holen die Pariser raus. Schaufeln alles wieder zu und keiner merkt etwas.“

„Aber das ist ein ganz kleines Dorf, da fällt es bestimmt auf, wenn wir auf dem Friedhof buddeln!“

„Nicht bei Nacht! Zwischen zwei und fünf Uhr morgens ist da sicher der Hund begraben. Das passt sogar. Ha, ha, ha.“

Er lachte herzhaft über seinen eigenen Witz.

Olav Ortega stellte sich gerade vor, wie er nachts um zwei Uhr mit einer Schaufel den Sarg des Mädchens ausgraben würde und bekam eine Gänsehaut.

„Nee, Chef. Das kann ich nicht machen. Das geht nicht. Das ist gegen meine Religion.“

„Was? Tickst du noch richtig? Aber umbringen kannst du sie? Bist du noch recht bei Trost? Du fährst da heute noch hin und checkst die Lage!“

Der Halbgrieche machte einen letzten Versuch, seinem Chef die Sache auszureden.

„Chef, das ist ein ganz kleines Kaff. Da sind auch nachts die Leute wachsam. Wenn mich da auf dem Friedhof einer sieht, bin ich geliefert.“

„Quatsch! Da ist nachts keiner auf dem Friedhof. Das ist tiefstes Hinterland. Kurz vorm Mond! Die haben nachts alle Angst, schließen alle Türen zu und ziehen die Decken über den Kopf. Da hast du freie Bahn. Auf den Friedhof traut sich nachts sowieso keiner. Da könnte es ja spuken! Da könnten ja die Toten auferstehen und umherfliegen!“

Wieder wurde der weichherzige Gangster demütig und traute sich nicht mehr, zu widersprechen.

Er holte sich aus dem Kühlschrank eine Flasche Bier, während sein Chef telefonierte.

Es dauerte eine Weile, bis am anderen Ende abgehoben wurde.

„Mit was habt ihr Idioten das Koks gestreckt?“

Die Frage kam schnell, zu schnell für den Mann aus Übersee.

„Mit Backpulver. Woher weißt du davon überhaupt?“

„Ich habe meine Informanten und wenn ich keine hundertprozentige Ware bekomme, werde ich stinksauer!“

„Langsam, langsam. Wir verdienen alle daran. Es kann dir doch egal sein, ob es rein oder nicht ganz so rein ist. Somit haben wir mehr Koks im Angebot. Das Backpulver hat die gleiche Farbe und Konsistenz. Das fällt überhaupt nicht auf.“

„Mir ist es aber nicht egal. Meine Kunden sind bisher immer zufrieden gewesen mit meinen Lieferungen. Das hier gibt einen gehörigen Preisabzug!“

„Das werden wir noch sehen.“

„Darauf bestehe ich, sonst suche ich mir einen anderen Lieferanten in Chile.“

Der Gesprächspartner war nun doch etwas verunsichert.

„Also gut. Zwanzig Prozent weniger. Das ist mein erstes und letztes Angebot.“

„Gut. Jetzt müssen wir den Stoff erstmal bekommen.“

„Was heißt hier bekommen? Die Göre hat die Kondome hier unter meiner Aufsicht geschluckt, und zwar alle zweiunddreißig. Runtergespült mit viel Flüssigkeit. Ekelhaft! Und sie ist ohne Probleme durch die Sicherheitsschleuse am Aeropuerto Internacional Comodoro Arturo Merino Benítez gekommen.“

Er wurde immer lauter und seine Stimme überschlug sich am Ende des Satzes.

„Ja, ja, schon gut. Halt mal die Luft an! Hier in Hamburg ist sie auch ohne Probleme durch die Scannerschleuse gekommen. Aber dann ist sie bei einem Autounfall in Hamburg ums Leben gekommen.“

„Auweia. Merde! Was nun?“

„Wir versuchen, an den Stoff zu kommen.“

„Wenn nicht?“

„Teilen wir uns den Ausfall!“

„Nee. Nee. Wir haben geliefert. Ihr bezahlt! So ist das!“

„Was regst du dich so auf? Der Preis ist doch eben gerade sowieso um zwanzig Prozent gefallen.“

Damit beendete er das Gespräch.

Dass am anderen Ende der Welt ein Mann bei einem Wutanfall einen Aschenbecher durch das Fenster warf, bekam er nicht mit. Es wäre ihm auch egal gewesen. Es war ja nicht sein Fenster.

Erlöse mich

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