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Liebe ohne Grenzen

Ich aber sage euch …

Während seiner Predigt auf dem Berg geht Jesus auf einige Bereiche der gängigen Bibelauslegung seiner Zeit ein. Sie betreffen das Töten, den Ehebruch, das Schwören, die Vergeltung und die Liebe (Matthäus 5,21-48). Diesen ausgewählten Beispielen ist gemeinsam, dass durch die traditionelle Auslegung der Thora Gottes Absichten verdeckt oder gar außer Kraft gesetzt werden. Sie bestand zu jener Zeit nur als mündliche Überlieferung, deshalb konnten die Zuhörer sie nicht gelesen, sondern nur gehört haben. Die Ausdrucksweise „Ihr habt gehört, dass gesagt ist“ verdeutlicht deshalb, dass Jesus nicht dem biblischen Gebot, sondern den Interpretationen durch die Schriftgelehrten widerspricht. Er geht nicht bei jedem Punkt auf die jeweiligen Sichtweisen ein. An den beispielhaften Spitzfindigkeiten zur Gültigkeit eines Schwures wird anschaulich, wie unterschiedlich man darüber dachte (Matthäus 5,33-37).

Schauen wir auf die Weisung zur Nächstenliebe aus 3. Mose 19,18. Die rabbinische Auslegung ließ Gottes Wort zwar unangetastet, doch bei der Frage, wer mit dem Nächsten gemeint sein könne, entledigte man sich der persönlichen Herausforderung. Die Liebe zu Feinden schloss man aus und folgte damit den Empfindungen der menschlichen Natur. Diese Art der Gerechtigkeit erfordert keine grundlegende Veränderung in der Geisteshaltung, wie sie Gott gefällt. Sie ist selbst bei Menschen zu finden, die ohne ihn leben (Matthäus 5,47).

Kann man Liebe denn befehlen?

Wir kennen es aus dem eigenen Erleben, dass Liebe manchmal spontan entsteht. Etwa wenn ein Kind mit seiner niedlichen und unverfälschten Art unser Herz einnimmt. Manchmal entwickelt sie sich im Miteinander, wenn wir feststellen, dass ein gegenseitiges Verstehen uns verbindet. Bei etlichen Menschen fällt es uns leicht, sie zu lieben, bei anderen braucht es dafür eine Entwicklung. Jesus spricht in Matthäus 5,44 jedoch von einer Liebe, die nicht vorrangig auf Gefühlen beruht.

Drei Begriffe für Liebe

Das Griechische hat drei Begriffe für „Liebe“: Eros ist die leidenschaftliche Liebe, die den anderen begehrt. Sie sucht den Rausch der Sinne in der Schönheit des anderen (Hoheslied 8,6). Philia gehört zur fürsorglichen Liebe, die auf Wechselseitigkeit ausgelegt ist (Matthäus 10,37). Es ist falsch zu sagen, dass Philia nur eine menschliche Liebe beschreibe, wie sie unter guten Freunden herrscht (1. Samuel 20,17). Sie wird auch gebraucht, um aufzuzeigen, dass der Vater den Sohn liebt (Johannes 5,20) oder der Auferstandene uns (Offenbarung 3,19).

Agape ist eine Liebe, die sich bedingungslos schenkt. Wo in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (Septuaginta) das Wort Agape gebraucht wird, steht im Hebräischen Ahava. So etwa in 3. Mose 19,18, dessen Auslegung Jesus in Matthäus 5,43 aufgreift.

Lieben wollen

Jesus spricht in Matthäus 5,44 von einer Liebe, die nicht vorrangig auf Gefühlen beruht. Agape hat es mit der Entscheidung zu tun, einen Menschen lieben zu wollen. Unter Umständen werden wir zwar eine persönliche Abneigung oder sogar Hass wahrnehmen, entschließen uns aber, uns nicht davon bestimmen zu lassen. Von dem amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King (1929–1968) stammt der Satz: „Liebe ist die einzige Kraft, die einen Feind in einen Freund verwandelt.“ Wir werden dieser Aussage sicher zustimmen. Unser Problem liegt jedoch nicht in der mangelnden Einsicht, sondern in der Fähigkeit, auf diese Art und Weise lieben zu können. Es ist wichtig, unseren inneren Zwiespalt nicht zu ignorieren. Frömmigkeit wird dann zur Heuchelei, wenn sie vorgibt, was nicht ist. Besser die unbändige Wut und den nach Vergeltung drängenden Zorn als Tatsache zu erkennen und Jesus zu bekennen. Im Galaterbrief werden die Kräfte unserer menschlichen Natur sowie die des Heiligen Geistes nebeneinander gestellt, weil wir beides erleben. Jesus verlangt mit der Feindesliebe nicht, dass wir Übermenschliches leisten, sondern dass wir einen Wechsel unserer inneren Ausrichtung vornehmen. Das geschieht, indem wir ihn um jene Liebe bitten, die wir nicht aus uns selbst heraus schaffen können. Liebe im Sinne der Agape ist eine Wirkung von Gottes Geist in uns (Römer 15,30; Kolosser 1,8). Sie nimmt den Raum ein, den wir ihr zugestehen.

Das Matthäus-Evangelium

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