Читать книгу Ich habe dich im Auge - Ramona Paul - Страница 10

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Montag, fünf Minuten nach elf Uhr. Ich saß im Konferenzraum der Werbeagentur Dollmann & Bichler am ovalen Glastisch. Vor mir stand der aufgeklappte Laptop und der Bildschirm über mir war bereit, dem Kunden die Präsentation vorzustellen. Drei Plätze neben mir saß meine Chefin, Frau Dollmann. Gegenüber zwei Herren und eine Dame des Autoherstellers Trian. Erwartungsvoll richteten sich alle Augen in meine Richtung.

Frau Kiefer war Mitte vierzig, hatte dunkle lockige Haare und trug eine weiße Bluse mit einem schwarzen Blazer. Die Männer waren beide im Anzug. Auf der linken Seite saß Herr Arnold, der im selben Alter wie ich war. Herr Huber, der aussah wie fünfzig, hatte seinen Platz in der Mitte gefunden.

Mein Herz raste. Schlagartig wurde mir warm, sodass sich Schweiß unter meinen Armen bildete. Ich sah voller Entsetzen auf den Laptop. Die Präsentation; sie war verschwunden.

Herr Huber räusperte sich und nahm einen Schluck Wasser.

„Es geht gleich los. Einen kleinen Moment bitte noch.“ Ich versuchte in die kleine Runde zu lächeln, was mir nur schwer gelang. Mein Blick schweifte kurz zu Frau Dollmann, die mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansah; was mich nur noch mehr ins Schwitzen kommen ließ.

Vorhin musste ich mich um ein Problem eines anderen Auftrags kümmern, dadurch war ich für das Meeting etwas knapp dran gewesen. Und somit hatte ich nicht die Zeit, die Präsentation nochmals zu überfliegen beziehungsweise zu prüfen, ob sie da war, wo sie hingehörte. Ich hatte nicht einmal die Zeit gehabt, meinen Laptop hochzufahren, bevor ich im Konferenzraum war.

Ich durchforstete alle möglichen Ordner. Selbst im Papierkorb sah ich nach, für den Fall, dass ich sie versehentlich dort hineingeschoben hatte. Aber die Präsentation war nirgends aufzufinden. Auch der Ordner Trian, in dem ich die Datei nochmals gesichert hatte und alle wichtigen Dokumente lagen, war verschwunden.

Ruhig bleiben!, ermahnte ich mich.

Natürlich hatte ich eine Sicherheitskopie. Doch diese war auf dem Ersatzlaptop, der zu Hause lag.

Konzentriert darauf, mir meine Hilflosigkeit nicht anmerken zu lassen, tat ich weiter so, als hätte ich alles unter Kontrolle.

Wo war die verdammte Präsentation? Freitag hatte ich an ihr gearbeitet und sie auf den Desktop gespeichert. Ich hatte sie an diesem Laptop ausgearbeitet. Sie musste hier irgendwo sein.

„Wir müssen den Kunden für uns gewinnen!“, hatte Frau Dollmann kurz vor dem Meeting nochmals zu mir gesagt. „Dieser Auftrag ist außerordentlich wichtig für die Agentur. Also geben Sie alles!“

Ich schauderte. Ein Tropfen glitt an meiner Wirbelsäule hinunter. Darauf folgte ein Weiterer und sie flossen um die Wette.

„Frau Dollmann, ich müsste kurz noch etwas mit Ihnen besprechen“, sagte ich zu meiner Chefin gewandt, als ich die Suche aufgab.

Der ältere Herr stöhnte leicht auf. „Gibt es Probleme?“

„Entschuldigen Sie uns nur einen kurzen Augenblick“, sagte Frau Dollmann in freundlichem Ton.

Wir marschierten zur Glastür hinaus.

„Alessa, was ist los mit Ihnen?“, fragte sie und betrachtete mich genauer. „Warum schwitzen Sie denn so?“

„Die Präsentation ist weg.“ Es klang verzweifelter, als es sollte. „Sie ist nicht mehr auf meinem Laptop. Ich kann mir das nicht erklären!“

„Wie bitte?“ Ihre Augen waren weit aufgerissen. „Das ist nicht Ihr Ernst? Was sollen wir denn jetzt tun? Der Kunde wird uns abspringen!“

„Ich habe die Präsentation und alle notwenigen Dokumente auf meinem Ersatzlaptop …“

„Gut, dann holen Sie ihn schnell und los geht es“, unterbrach sie mich.

„Der liegt bei mir zu Hause.“

Sie stöhnte auf. „Der Kunde wird aber nicht länger warten!“ Frau Dollmann legte ihre Handflächen aufeinander als würde sie beten und presste sie gegen ihren Mund. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte oder gestresst war.

„Wir müssen versuchen, den Termin zu verschieben“, sagte ich.

„Das wirft so ein schlechtes Licht auf uns. Das ist ein Desaster.“

„Was ist los? Ist etwas schiefgelaufen?“ Noemi gesellte sich zu uns. Ich registrierte einen vorsichtigen Unterton.

Wie ich war Noemi Lombardi Projektmanagerin dieser Werbeagentur. Seit sie vor fünf Jahren hier angefangen hatte zu arbeiten, war sie nicht nur eine Kollegin, sondern auch meine Freundin geworden.

„Die Präsentation ist weg“, antwortete ich ihr.

„Che diavolo! Wie kann das sein?“ Entsetzt sah sie zwischen unserer Chefin und mir hin und her.

„Kommen Sie!“, sagte Frau Dollmann zu mir, ohne Noemi weiter zu beachten. „Wir versuchen den Kunden sanft zu stimmen und reden mit ihnen. Beziehungsweise ich rede mit ihnen.“ Wir drehten uns zur Glastür, auf der Konferenzraum stand. Noemi blieb wie angewurzelt stehen und sah uns nach.

„Herr Arnold, Herr Huber, Frau Kiefer.“ Frau Dollmann blickte die Drei nacheinander an. Ihre Stimme war ruhig. „Es ist uns leider ein Fehler unterlaufen. Wir bedauern es sehr und würden Ihnen gerne einen neuen Präsentationstermin vorschlagen.“

Herr Huber stand auf. „Frau Dollmann, unsere Zeit ist sehr kostbar.“ Er klang verärgert.

„Das ist uns bewusst und es tut uns wirklich sehr leid!“

„Das zeugt von Zuverlässigkeit.“ Er nahm seine Dokumente vom Tisch und packte sie ein. Frau Kiefer und Herr Arnold folgten ihm. „Ich habe gedacht, Ihre Agentur wäre in der Lage professionell und zuverlässig mit uns zusammenzuarbeiten.“

„Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns weiterhin Ihr Vertrauen geben und eine zweite Chance, Sie von unserer Arbeit zu überzeugen. Ich versichere Ihnen, wir werden Sie nicht enttäuschen. Sie werden von dem Ergebnis begeistert sein!“

„Sie stellen erst nach Beginn des Termins fest, dass Ihnen ein so großer Fehler unterlaufen ist, dass die Präsentation gar nicht erst stattfinden kann.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, ob Sie die richtige Werbeagentur für uns sind. Schließlich möchte ich mich auf die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, verlassen können.“

Ich stand stumm neben meiner Chefin. Hilflos musste ich mit ansehen, wie uns der Auftrag absprang. Wegen mir.

Wohin ist nur diese verdammte Präsentation verschwunden? Das ist alles meine Schuld!

Die Drei rückten ihre Stühle, auf denen sie eben noch gesessen hatten, wieder an den Tisch zurück und begaben sich langsam Richtung Ausgang. Meine Chefin folgte ihnen in den Eingangsbereich.

Ich dagegen blieb im Konferenzraum stehen und hörte, wie Frau Dollmann versuchte, die Kunden noch immer von einem neuen Termin und ihrem Vertrauen unserer Arbeit gegenüber zu überzeugen. Bis sie so weit entfernt waren, dass ich sie nicht mehr hörte.

Ich habe es verbockt! Wie konnte das nur passieren?

Überfordert mit meinen Gefühlen huschte ich auf die Toilette und war froh, dass ich dort niemanden antraf.

„Scheiße!“ Das Gesicht vergrub ich in meinen Händen, um den Schrei zu dämpfen.

Hatte sich die Datei selbstständig gemacht und selbst zerstört? War so etwas möglich? Oder war es sogar Fremdeinwirkung? Den Vormittag über hatte der Laptop, meist unbeaufsichtigt, auf meinem Schreibtisch gestanden. Allerdings hätte derjenige zuerst das Passwort knacken müssen. Diesen Gedanken verwarf ich gleich wieder, denn wer wollte schon der Firma schaden, in der man selbst arbeitete?

Angespannt verschränkte ich die Arme vor der Brust und kaute an meinen Nägeln.

Ich fing an mich mehr und mehr selbst in Frage zu stellen. So durcheinander und vergesslich ich in der vergangenen Zeit war. Zudem hatte ich mich letzte Woche ziemlich überarbeitet.

Im Spiegel vor dem Waschbecken betrachtete ich mich und schüttelte den Kopf. Nein, das geht nicht auf meine Kappe! Es muss sich um einen technischen Fehler handeln.

Was meine Arbeit betraf, war ich sehr genau, nahezu perfektionistisch. Es konnte nicht mein Fehler gewesen sein!

Ich erinnerte mich daran, wie ich Freitagnachmittag von einem Meeting zurück an meinen Schreibtisch gekommen war. Der Bildschirmschoner des Laptops hatte ein Bild von Noemi und mir aus einem unserer Wellnesswochenenden gezeigt. An dieses Foto konnte ich mich gut erinnern, da es kurz nach der Trennung von Chris entstanden war. Noemi hatte mir in dieser schweren Zeit beiseite gestanden. Ich konnte immer auf sie zählen, selbst wenn es drei Uhr nachts war und ich jemanden zum Reden brauchte. Das Wellnesswochenende war ihre Idee gewesen. Sie wollte mich auf andere Gedanken bringen und mir damit etwas Gutes tun, womit sie voll ins Schwarze traf.

„Na, bereit für die große Präsentation am Montag?“, hatte mich ein Kollege aus den Erinnerungen geholt.

„Ja, alles fertig. Ich freue mich.“

„Schon aufgeregt?“

„Ja.“ Ich lachte auf. „Aber es ist so ein tolles Ergebnis dabei herausgekommen. Es kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen.“

„Wenn du willst, können wir deinen Erfolg nächste Woche feiern? Wir wäre es mit tanzen gehen?“ Benji schwang seine Hüften.

Ich verdrehte die Augen. „Also ich mache jetzt erst mal Feierabend.“

„Ich rede auch nicht von jetzt, sondern von nächster Woche.“

Seufzend entsperrte ich den Laptop. Da waren die Präsentation sowie der Ordner auf dem Desktop gespeichert.

„Benji …“

„Sag nichts. Wir quatschen nächste Woche.“ Er zwinkerte mir zu und stolzierte davon, bevor ich etwas dazu sagen konnte.

Daraufhin hatte ich den Laptop ausgeschaltet, um Feierabend zu machen.

Seitdem war er nicht mehr angeschaltet gewesen. Bis vor ein paar Minuten im Konferenzraum.

Das geht nicht auf meine Kappe!, sagte ich mir erneut.

Geschätzte zehn Minuten und fünf tiefe Atemzüge später verließ ich die Toilette.

Ich habe dich im Auge

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