Читать книгу Ich habe dich im Auge - Ramona Paul - Страница 6

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Ein Blick, der sich förmlich in den Körper drängt, sodass wir ihn spüren können, ohne ihn zu sehen. Allein dieses Kribbeln lässt uns instinktiv wissen, dass wir in diesem Moment beobachtet werden.

Während meine Beine sich der erhöhten Geschwindigkeit des Laufbandes anpassten, spürte ich, dass jemandes Augen auf mir haften blieben. Ich drehte den Kopf etwas nach links. Ein paar Geräte weiter saß ein Mann strampelnd auf dem Fahrrad, während mich seine Augen fixierten.

Sein Drei-Tage-Bart spiegelte die dunkle Farbe seiner Haare. Die Augenbrauen waren etwas zusammengezogen und leicht angehoben, sodass sich ein paar Falten auf seiner Stirn bildeten. Er hätte ein attraktives Gesicht, wenn er nicht so finster dreinblicken würde.

Ich hatte ihn hier schon öfters gesehen; allerdings nie mit einer freundlichen Miene. Vor sechs Monaten hatte er mich einmal angesprochen, doch viel mehr als eine flüchtige Begrüßung war das eigentlich nicht gewesen, da uns damals ein Trainer unterbrach. Auch da war nicht allzu viel Sympathie in seinem Gesicht zu sehen gewesen. Er teilte mir mit wie er hieß, doch ich konnte mich nicht mehr daran erinnern. Es war ein kürzerer Name und ich glaubte, er begann mit einem F. Felix? Fabian? Finn? Flo?

Innerhalb des letzten Jahres erwischte ich ihn immer wieder, wie er mich beobachtete. Mir war nicht klar, warum. Ich bekam ständig Komplimente wegen meines Aussehens, doch die Blicke der anderen Männer glichen seinem in nichts. War er schüchtern? Zu schüchtern, um zu lächeln?

Höchstens zwei Sekunden nachdem sich unsere Augen trafen, wandte er sich ab und konzentrierte sich darauf, schneller in die Pedale zu treten.

Ich erinnerte mich, dass vor wenigen Wochen mein Handy aufgeleuchtet war, weil ich eine Benachrichtigung erhalten hatte. Auf einer Social-Media-Plattform hatte jemand ein vier Jahre altes Selfie von mir mit „Gefällt mir“ markiert. Bei näherem Betrachten erkannte ich auf den Profilbildern das Gesicht des Mannes, der mich gerade gemustert hatte.

Hatte er gezielt nach mir gesucht? Oder war er zufällig über mein Profil gestolpert und hat es dann durchforstet?

Durch dieses Ereignis schien er mir noch unheimlicher als ohnehin schon. Wobei ich mir selbst an die Nase fassen musste und zugab, dass auch ich bereits öfters in den sozialen Medien nach jemandem gesucht hatte, den ich interessant fand. Also sollte ich wohl nicht zu skeptisch sein. In der jetzigen Zeit war das vermutlich normal.

Ein paar der Fotos hatten ihn mit einem breiten Lächeln gezeigt, das zugleich seine Augen warm und herzlich aussehen ließ. Dieser Ausdruck weckte sogar ein wenig Interesse in mir. Auf zwei weiteren Bildern war er gemeinsam mit einem Mann abgebildet, der schulterlange dunkelblonde Haare hatte und ein größeres Tattoo auf seinem Unterarm trug.

Sein Profilname bestand aus wahllos zusammenhängenden Buchstaben und Zahlen, die keinen Hinweis auf seinen richtigen Namen zuließen.

Meinen Blick richtete ich wieder geradeaus. Die Wand vor den Geräten war mit einem riesigen Spiegel versehen. Ich beobachtete mich darin. Meine langen blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Der Zopf schwang von der einen Seite zur anderen, mit einer Schnelligkeit als würde ich gleich abheben.

Ich versuchte nicht weiter an den Mann zu denken. Stattdessen lenkte ich mich mit anderweitigen Gedanken ab.

Da fiel mir wieder ein, wie ich vor knapp einer Stunde am Marienplatz, im Zentrum Münchens, auf meine Freundin gewartet hatte. Wir hatten uns dort um achtzehn Uhr verabredet, mit etwa zehn Minuten Verspätung war ich am Treffpunkt angekommen, doch von Fio war nichts zu sehen gewesen. Was unüblich war, denn für gewöhnlich war ich die Unpünktliche von uns beiden.

Fünf Minuten später war sie noch immer nicht da. Auch eine Nachricht hatte sie nicht gesendet. Also rief ich sie an.

„Fio, wo bist du denn?“, hatte ich sie gefragt, als sie nach dem dritten Klingeln den Anruf entgegennahm.

„Alessa?“ Sie klang verwirrt. „Wir hatten es doch auf morgen verschoben!“

„Was? Wann?“

„Als ich am Dienstag bei dir war. Weißt du das nicht mehr? Ich hab dir geholfen den Kuchen für deine Arbeit zu backen. Hatte dir gesagt, dass mir Freitag etwas dazwischengekommen ist und ob wir die Verabredung auf Samstag verschieben können. Du meintest: Ja klar!

Jetzt war ich verwirrt.

Fio hatte mir am Dienstag geholfen, einen Marmorkuchen für das Büro zu backen. Meine Chefin, Frau Dollmann, hatte am Mittwoch Geburtstag und dieses Jahr war ich an der Reihe gewesen, einen Kuchen mitzubringen. Doch ich erinnerte mich nicht an die Worte von meiner Freundin. Wobei ich zugeben musste, dass ich bei unserem Treffen teils in Gedanken vertieft war. Ich hatte es wohl überhört und die Information nicht abgespeichert.

Was war aktuell nur los mit mir? In letzter Zeit war ich öfters durcheinander.

Ich schob es auf den Stress, den es in der vergangenen Zeit auf der Arbeit gab.

„Oh, das habe ich ja ganz vergessen. Tut mir leid“, sagte ich. „Dann sehen wir uns morgen.“

„Bis dann.“ Dann hatte sie aufgelegt.

Kopfschüttelnd versuchte ich mich an das Gespräch zu erinnern. Vergeblich.

„Ich verliere noch meinen Verstand“, flüsterte ich zu mir selbst und spazierte zur U-Bahn-Station. Ich beschloss nach Hause zu fahren und gleich weiter ins Fitnessstudio - den Kopf ein wenig frei bekommen.

Nach einer halben Stunde stellte ich die Schnelligkeit von dem Laufband herunter, um langsam zum Ende zu gelangen.

Als ich mich im Spiegel betrachtete, bemerkte ich, dass mein Gesicht eine etwas rötliche Farbe angenommen hatte. Der Atem ging schneller und mein Puls wurde durch die Anstrengung nach oben getrieben. Bei niedrigerer Geschwindigkeit versuchte ich ihn wieder nach unten zu bekommen.

Da registrierte ich im Spiegel, wie der Mann von vorhin Richtung Ausgang schlenderte. Wie es aussah, war er fertig mit seinem Training für heute. Ich dachte, aus dem Augenwinkel gesehen zu haben, dass er sich nochmals umdrehte und zu mir spähte, bevor er aus dem Raum huschte. Doch ich war mir nicht sicher, ob er das wirklich tat.

Bei nur fünf Kilometer die Stunde lief ich auf dem Band, bis auch ich kurze Zeit später die Halle verließ und zu meinem Spind marschierte. Als ich meine Sachen holte, begab ich mich auf den Heimweg. Von dem Fitnessstudio bis zu meiner Wohnung waren es nur zehn Minuten zu Fuß. Meistens duschte ich erst zu Hause, da die Duschen im Studio oft unhygienisch waren.

Als ich die Straße entlang spazierte, überkam mich das unwohle Gefühl verfolgt zu werden. Ich spürte Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten und ein großes Unbehagen in mir auslösten. Ich drehte mich um. Eine alte Frau - konzentriert darauf ihren Rollator vor sich herzuschieben. Eine Mutter mit ihrem Kind, die gemeinsam über einen Zebrastreifen schlenderten. Die schienen mir wenig verdächtig. Doch ich sah noch jemanden und bekam schlagartig ein mulmiges Gefühl in der Bauchregion. Jemand lief circa zehn Meter hinter mir. Der Kopf unter der Kapuze war gesenkt, wodurch ich das Gesicht nicht erkennen konnte. Die schwarzen Sportshorts gaben kräftige Waden zu erkennen, die eindeutig zu der Statur eines Mannes gehörten. Darüber trug er eine schwarze Kapuzenjacke.

Wurde ich verfolgt?

Ich werde schon paranoid.

Es war vermutlich nur jemand, der in dieselbe Richtung lief.

Ich bog in die nächste Querstraße ein und genoss die letzten Sonnenstrahlen, die auf meiner Haut prickelten wie Brausestäbchen auf der Zunge, bevor die Sonne am Horizont verschwand.

Ein paar Meter weiter warf ich automatisch einen Blick nach hinten, um mich zu vergewissern, dass ich nicht verfolgt wurde. Aber der Mann bog ebenfalls ab. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Was, wenn er sich doch an mich drangehängt hatte?

Jedes Mal, wenn ich über die Schulter blickte, hatte ich das Gefühl, dass der Abstand zwischen uns kleiner wurde. Noch immer mit gesenktem Kopf schlenderte er hinter mir her. Sein durchbohrender Blick saß mir tief in den Knochen. Aber das Gesicht war zu sehr im Schatten der Kapuze verborgen, um etwas zu erkennen.

Ich versuchte mich zu beruhigen. Die Panik zu ersticken. Was sollte er mir schon tun? Was für einen Grund sollte er haben? Es war gerade mal Viertel vor acht und etliche Menschen waren auf den Straßen Münchens unterwegs.

Sicherlich steigerte ich mich da in etwas hinein. Aus Angst davor, dass mir so etwas erneut widerfahren würde. Denn vor zwei Jahren war ich schon einmal verfolgt und bedroht worden.

In der Hoffnung, ihn nicht mehr im Rücken haben zu müssen, wechselte ich die Straßenseite. Doch als ich den gegenüberliegenden Gehweg erreichte, begab auch er sich auf dieselbe Seite. Ich beschleunigte meine Schritte. Anschließend tat auch er es.

Nur noch eine Minute, dann bin ich zu Hause.

Als der Mann mich so weit eingeholt hatte, dass er nur noch ein paar Schritte hinter mir war, blieb er auf einmal ruckartig stehen. Durch den Schatten über seinem Gesicht spürte ich das kribblige Gefühl seines Blickes auf mir. Ein kalter Schauer jagte mir über den Rücken.

Da entdeckte ich meine Straße und bog ein. Endlich! Auf den letzten Metern wurde mein schneller Gang zu einem leichten Joggen. Als ich vor der Haustür ankam, wagte ich einen Blick zurück. Er war nicht zu sehen.

Ich habe dich im Auge

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