Читать книгу Ich habe dich im Auge - Ramona Paul - Страница 14
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Es wurde gerade dunkel. Die Uhr zeigte Viertel nach sieben abends. Man merkte jeden Tag, wie es ein paar Minuten früher dämmerte. Langsam fielen die Temperaturen etwas nach unten. Es war ein warmer Spätsommer, doch man bemerkte, dass der Sommer vorbei war und der Herbst begann. Passend zum kalendarischen Herbstanfang kommenden Montag.
Aus dem Fitnessstudio gekommen, noch immer mit verwirrenden Gefühlen, lief ich den Gehweg entlang.
Plötzlich wurde ich von der Straße gerissen. Eine Hand presste sich auf meinen Mund. Ich wurde an der Taille in die kleine Gasse hinter einer Apotheke gezogen. Die Hand drückte nicht nur meinen Mund zu, sondern hielt mein Gesicht so fest, dass ich den Kopf nicht drehen konnte.
Ich versuchte zu schreien, denn wir waren gleich um die Ecke zu einer belebten Straße; einige Menschen, die dort liefen und viele Autos, die dort fuhren. Doch die Schreie kamen einzig als dumpfes leises Gestöhne heraus, das sofort von den Umgebungsgeräuschen übertönt wurde.
Ein lederartiger Geruch stieg mir in die Nase, der von den Handschuhen kommen musste.
Immer weiter in die Gasse wurde ich gezogen. Links waren ein paar Treppenstufen, die er - dem Griff und der Kraft nach zu urteilen, war ich mir sicher, dass es sich um einen Mann handelte – mit mir nach oben ging. Wenige Stufen später befand sich eine kleine Lücke in einem Zaun, wo er mit mir auf eine schmale grüne Fläche zwischen dem Gebüsch zusteuerte.
Weiterhin versuchte ich vergeblich zu schreien. Hier waren etliche Wohnhäuser in unmittelbarer Nähe. Das Fitnessstudio nur wenige Meter weiter und die Straße mit dem Gehweg gleich nebenan. Es konnte doch nicht sein, dass einen da niemand sah. Wobei es kaum noch hell war und die Büsche das Sichtfeld erheblich verkleinerten.
Er streifte mir den Turnbeutel ab, ohne seine Hand von meinem Mund zu nehmen und ohne mir mit der anderen mehr Freiheit zu gewähren. Allerdings wurde ich dadurch etwas zu ihm gedreht. Schätzungsweise einen Meter achtzig, vielleicht auch einen Meter fünfundachtzig groß war der Mann.
Dann stieß er mich auf den Boden, sodass ich auf dem Rücken lag. Ich versuchte mit meinen Händen seine Hand von meinem Mund zu schieben. Vergeblich. Er setzte sich auf mich. Noch immer hielt er mir den Mund fest zu und fixierte meine Hände mit seiner eigenen.
Er trug dunkle Kleidung und eine schwarze Sturmhaube, mit der man nur seine Augen erkannte.
Ich versuchte mich zu konzentrieren. Einen Ausweg zu finden. Doch bevor ich nur einen Gedanken fassen konnte, lehnte er sich weiter vor, womit er mir nicht nur näherkam, sondern mich mit dem zusätzlichen Gewicht auch mehr fixierte und mich noch bewegungsunfähiger machte, als ich ohnehin schon war.
Er sah mir direkt in die Augen, als sein Gesicht nur noch knapp zwanzig Zentimeter von meinem entfernt war. Die Augenbrauen waren heller - in Richtung Dunkelblond. Als ich seine Augen sehen konnte, erschauderte ich am ganzen Körper. Die grün-grauen Augen ließen meine Ängstlichkeit in Wut umwandeln. Diese Augen kamen mir bekannt vor; auch wenn ich sie schon lange nicht mehr direkt gesehen hatte. Chris hatte dieselbe Augenfarbe. Er hatte ebenso eine vergleichbare Statur wie dieser Mann und er hatte sowohl dunkelblonde Haare als auch Augenbrauen.
Mit dem Versuch zu Schreien hörte ich auf und funkelte ihn zornig an.
War es möglich, dass dieser Mann, der gerade auf mir saß und was auch immer noch mit mir vorhatte, mein Ex-Freund Chris war?
Er richtete sich erneut auf. Mit seiner freien Hand schob er meine Jeansjacke beiseite und berührte meine Brust über dem T-Shirt. Ich versuchte seine Hand wegzudrücken und mich so viel es ging zu drehen. Daraufhin griff er nach meinen Handgelenken und drückte so fest zu, dass ich vor Schmerzen aufstöhnte. Anschließend ließ er wieder los.
Von meinem Gesäß rutschte er weiter nach unten und musste sich dadurch etwas nach vorn lehnen, damit er mir mit genug Kraft den Mund zuhalten konnte. Er schob das Shirt ein wenig hoch und fuhr mit seiner Hand darunter an meine Brust.
Du krankes Arschloch!, versuchte ich ihn anzuschreien.
Seine Hand griff mir jetzt in den Schritt über der Jeans, die ich trug.
Ich probierte weiterhin ihn von mir zu stoßen. Vergeblich. Die Versuche, ihn zu schlagen, gingen ins Leere oder wurden von seiner Hand abgefangen. Meine Kraft kam bei weitem nicht gegen ihn an.
Nun versuchte ich es weniger mit Kraft und mehr mit meinen Nägeln. So fest ich konnte, kratzte ich seinen Unterarm und seine Hand, die er auf meinen Mund presste. Doch durch den Handschuh und das langärmlige Shirt bewirkte es nichts, nur dass es ihn sauer gemacht hatte. Er lehnte sich nach vorn, womit ich mehr Gewicht auf mir spürte und fixierte sofort meine Hände.
„Du willst das doch auch. Du kleine geile Barbieschlampe!“, flüsterte er mir so leicht ins Ohr, dass ich mir sicher war, dass er dabei kaum seinen Mund bewegt hatte. Es war vielmehr ein Hauchen, als feste Worte. Die Stimme war somit nicht zu erkennen. Es hätte jeder sein können. Chris oder viele andere Männer mit derselben Augenfarbe und Statur.
Wieder richtete er sich auf. Seine freie Hand klemmte er sich zwischen Oberkörper und Oberarm, um sie aus dem Handschuh ziehen zu können. Diese ließ er an meiner Haut über dem Hosenbund gleiten. Er versuchte den Knopf meiner Jeans aufzubekommen, doch nur einhändig schien er damit Probleme zu haben. Nachdem er es auch Sekunden später nicht geschafft hatte, schob er seine Hand grob in meine Hose, da der Bund eng saß. Ich schrie weiter und versuchte mich mit allen Kräften zu wehren.
In diesem Moment wurde er schlagartig von mir heruntergerissen und mein dumpfes Stöhnen ertönte zu einem lauten Schrei. Es passierte so schnell, dass ich dem Geschehen kaum folgen konnte.
Ein Mann stand rechts von mir. Er hatte dem Maskierten einen Tritt in die Seite verpasst, sodass er von mir gerissen wurde und links neben mich fiel. Sein linkes Bein noch halb auf mir. Zügig versuchte er aufzustehen, doch kaum war der Maskierte auf den Beinen, schnellte der andere Mann zu ihm und verpasste dem Dreckskerl eine mitten ins Gesicht. Der Täter taumelte und presste seine Hand aufs Gesicht. Der Schlag musste gesessen haben.
Schnell versuchte ich aufzustehen. Zu schnell, denn mir wurde schwarz vor Augen und Sternchen tänzelten vor mir herum. Ich geriet ins Schwanken, sank auf die Knie, hielt mir meinen Kopf und stöhnte auf. Daraufhin huschte der Blick des Mannes, der mir geholfen hatte, in meine Richtung und er kam rasch auf mich zu.
Der Maskierte nutze seine Chance und verschwand zwischen die Büsche, um über den Zaun zu springen.
„Hau bloß ab, du verdammtes Arschloch!“, brüllte mein Helfer ihm nach, als er die Flucht bemerkte.
Der Mann ging neben mir in die Hocke mit einem halben Meter Abstand.
„Alessa? Ist alles okay bei …“ Ein Zögern war zu hören. „Bist du verletzt?“, fragte er mitfühlend.