Читать книгу Ich habe dich im Auge - Ramona Paul - Страница 7
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Ich flitzte die Treppen hoch in den zweiten Stock, in dem sich meine Wohnung befand. Darin angekommen, schlug ich die Tür, etwas fester als nötig, zu und sperrte sie doppelt ab.
Bevor ich unter die Dusche sprang, spähte ich hastig durch das Badezimmerfenster auf die Straße hinunter. Niemand zu sehen.
Beim Duschen prasselte das Wasser auf mich nieder. Noch immer leicht zitternd, versuchte ich die Panik den Abfluss hinunterzuspülen. Im Hintergrund hatte ich Musik angemacht, um mich zu beruhigen. Gerade so laut, dass ich sie unter dem Plätschern des Wassers hören konnte.
Ein schrilles Geräusch ließ mich zusammenzucken. Die Klingel für die Wohnung. Erstarrt und mit pochendem Herzen stand ich da, während sich das warme Wasser um meinen Körper schlängelte. Ich erwartete keinen Besuch. Wer war das also? Der Mann, der mir offensichtlich gefolgt war?
Schnell drehte ich das Wasser ab, blieb aber wie angewurzelt in der Dusche stehen. Zitternd und mit Schaum in den Haaren lauschte ich auf ein weiteres Klingeln.
Als es einige Sekunden später ruhig blieb, atmete ich mehrmals tief durch. Die Anspannung löste sich langsam. Ich drehte das Wasser wieder auf und spülte mir den restlichen Schaum aus den Haaren.
Wenige Minuten später stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab und schlüpfte in meinen flauschigen hellrosa Bademantel. Die nassen Haare klebten mir im Nacken.
Das Fenster öffnete ich, um dem Dampf, der sich durch das warme Wasser im Bad angesammelt hatte, die Freiheit zu gewähren. Ich lehnte mich etwas hinaus und frische Luft durchflutete meine Nase. Ich kuschelte mich noch mehr in den Bademantel ein.
Mittlerweile war es dunkel geworden. Vereinzelt waren Sterne am Himmel zu erkennen.
Ein dumpfer Knall ließ mich hinunter auf die Straße blicken. Das Geräusch kam von der zufallenden Haustür unseres Gebäudes. Da registrierte ich einen Mann mit dunklen Haaren, der genau in dem Moment seinen Kopf wegdrehte, als ich ihn bemerkte. Adrenalin schoss erneut durch meinen Körper. Ich hatte den Drang, von dem Fenster wegzugehen und mich zu verstecken. Doch ich war wie versteinert. Stattdessen starrte ich weiterhin auf ihn hinab. War das derselbe Mann? Hatte er meine Wohnung beobachtet? War er es, der geklingelt hatte?
Dieser Mann kam mir aus der Entfernung nicht bekannt vor. Wobei ich sein Gesicht in dem Bruchteil der Sekunde, als er nach oben gesehen hatte, nicht deutlich erkennen konnte.
Er stand unmittelbar vor der Haustür und lief anschließend hastig die Straße hinunter.
Während ich ihm nachsah, bis er in der Dunkelheit verschwunden war, knabberte ich an meinen Fingernägeln. Eine Angewohnheit, die ich seit meiner Kindheit nicht losgeworden war. Mit ein paar tiefen Atemzügen versuchte ich die Angespanntheit loszuwerden.
Das war sicherlich alles nur ein Zufall. Dich hat niemand verfolgt. Sei nicht so paranoid!, dachte ich mir.
Der Dampf im Bad war mittlerweile verzogen. Nachdem ich meine Haare durchgebürstet hatte, schlenderte ich in die Küche. Dort schlug ich zwei Eier in die Pfanne und belegte eine Scheibe Brot mit Avocado. Die Ablenkung entspannte mich ein wenig.
Nach dem Essen ließ ich mich auf das Sofa sinken.
Die letzten Tage erwiesen sich als die stressigsten meiner bisherigen beruflichen Laufbahn. Die Werbeagentur hatte eine Anfrage für einen Auftrag von einem angesehenen Autohersteller bekommen. Wir sollten uns um die Werbemaßnahmen des neuesten Modells kümmern. Falls wir den Kunden mit unserem Konzept zufriedenstellten, würden wir damit den größten Auftraggeber an Land ziehen, den die Agentur je gehabt hatte. Und er würde auch bei zukünftigen Projekten mit uns zusammenarbeiten wollen.
Meine Chefin hatte darauf bestanden, dass ich für dieses Projekt zuständig war. Ob wir den Auftrag und den Kunden für unsere Agentur gewinnen konnten oder ihn verlieren würden, hing nun an der Präsentation, die ich nächsten Montag halten würde.
Wegen des Auftrags war ich die letzten Tage kaum zur Ruhe gekommen und hatte fast nur gearbeitet. Deshalb freute ich mich auf dieses Wochenende.
Während ich Filme und Serien durchsah, kam mir das schrille Geräusch der Klingel in Erinnerung und ließ mich erneut zusammenzucken. Ob es tatsächlich dieser Mann gewesen war?
Nicht wieder paranoid werden!
Vielleicht war es nur eine Freundin. Fio, die doch Zeit gefunden hatte und vorbeischauen wollte. Oder Noemi, die nicht nur eine Arbeitskollegin war. Sie kam öfters spontan vorbei, nachdem sie sich mit einer Nachricht ankündigte.
Ich blickte auf mein Handy.
Keine Nachricht.
Nach fünf Minuten, noch immer unschlüssig, was ich mir ansehen wollte, ließ mich der Gedanke, wer geklingelt hatte, nicht los.
Mein Bauchgefühl ließ mich aufstehen und zur Wohnungstür laufen. Ich spähte mit steigendem Puls durch den Türspion. Dunkelheit. Dort wo eigentlich der kleine Flur und wenige Meter gegenüber die Tür meines Nachbarn sein sollte, war nur Finsternis zu sehen. Auch wenn es zwischenzeitlich dunkel geworden war, sollte vom Treppenhaus noch etwas erkennbar sein. Denn vor dem kleinen Fenster im Flur stand eine Laterne, die immer für einen dezenten Lichtschimmer sorgte.
Erstarrt blieb ich stehen. Stand jemand unmittelbar davor oder hielt sogar von außen den Türspion zu? Sekunden oder Minuten verstrichen, in denen meine Gedanken sich nicht zuordnen ließen. Zugleich überkam mich Panik - was meine Handflächen feucht werden ließ.
Auf Zehenspitzen drehte ich mich um und schlich zur Küche auf der linken Seite. Ich griff mir eines der Messer aus dem Block. So leise es mir möglich war, begab ich mich zurück zur Wohnungstür.
Mach dich doch nicht lächerlich! Die Laterne ist vermutlich einfach nur ausgegangen.
In einem Ruck drehte ich den Schlüssel im Schloss. Unbewusst hielt ich den Atem an. Mit dem Messer in der rechten Hand drückte ich die Türklinke nach unten und zog sie auf.
Schwer ausatmend erkannte ich den Flur im leichten Lichtschimmer der Laterne. Aber niemanden, der vor meiner Tür stand.
Ich schaute auf den Boden. Dort lag nur meine olivfarbene Fußmatte mit der Aufschrift Willkommen.
Mit schnellem Atem blickte ich die Tür hinauf, um herauszufinden, warum ich nur Dunkelheit gesehen hatte. Ich bemerkte, dass etwas an der Wohnungstür klebte. Ein Briefumschlag, auf dem mit Computer geschrieben mein Name stand. Über dem Türspion war er mit einem durchsichtigen Tesastreifen befestigt.
Ich nahm den Umschlag, riss ihn von der Tür und schlich in den Flur hinaus. Auch auf den Treppen war niemand zu sehen.
Als ich vorhin nach Hause kam, klebte der Brief noch nicht dort. Hatte derjenige, der kürzlich geklingelt hatte, mir auf diesem Weg eine Nachricht hinterlassen?
Voller Ungeduld, Neugier und etwas Unbehagen öffnete ich den Briefumschlag. Währenddessen lief ich in meine Wohnung zurück und schloss hinter mir ab.
Ein Blatt, DIN-A4-Größe, befand sich in dem Umschlag. Mit Computer geschrieben waren nur ein paar Wörter mittig darauf zu finden:
Das nächste Mal lasse ich dich nicht entkommen!
Mir lief es kalt den Rücken hinunter und meine Hände wurden schwitzig.
Sicher wusste ich jetzt, dass diese Nachricht von dem Mann kam, der mich vorhin verfolgt hatte. Was konnte dieser Kerl von mir wollen? Wer war das?
Ein Déjà-vu überkam mich.
Durch die hervorkommenden Erinnerungen schoss mir ein Name in den Kopf. Chris. Christian Lange. Mein Ex-Freund.
Vor zwei Jahren hatte ich die Beziehung mit Chris beendet. Damals war er neunundzwanzig gewesen. Wir waren fast vier Jahre ein Paar. Die ersten drei Jahre waren wundervoll. Er war charmant, attraktiv und ein toller Mensch. Wir hatten sogar schon übers Heiraten gesprochen. Ich konnte mir keinen anderen Mann an meiner Seite vorstellen und wollte die Zukunft mit ihm verbringen. Doch als er seinen Job verlor, fing er an, sich zu verändern. Er wurde immer eifersüchtiger. Zuerst fand ich es süß, aber mit der Zeit wurde es schlimmer. Irgendwann wollte er nicht einmal mehr, dass ich mich außerhalb mit Freunden traf.
In eine Bar mit Freundinnen? Willst du jemanden aufreißen? Einen tiefen Ausschnitt tragen? Wem willst du dich denn so präsentieren?
Wir waren nur noch am Streiten gewesen. Selbst nachdem er wieder einen Job gefunden hatte, änderte es nichts an unserer Situation. Als ich mich immer weiter von ihm distanzierte, wurde sein Verhalten nur noch extremer. Dadurch wurde der Sex weniger, was ihm umso mehr Grund zur Annahme gab, dass ich ihn betrügen könnte. Er fing an, mich zu kontrollieren, durchsuchte mein Handy vergeblich nach Nachrichten von anderen Männern. Das Vertrauen war verloren. Er nahm mir die Luft zum Atmen. Von dem Mann, in den ich mich verliebt hatte, war kaum noch etwas übrig. Trotz allem hoffte ich vergeblich, dass ich den Chris von damals irgendwann wieder zurückbekommen würde. Ich war immer treu gewesen und hatte ihm keinen Grund für sein Benehmen gegeben.
Letztlich musste ich den Schlussstrich ziehen, als ich begann, mich vor ihm zu fürchten. Er war nie gewalttätig, weder mir noch sonst jemandem gegenüber, doch plötzlich gehörte Aggressivität zu seiner neuen Persönlichkeit. So hatte eine Beziehung keinen Sinn mehr. Jedenfalls für mich nicht. Ich war niemand, der sich so behandeln ließ. Das hatte ich lang genug mit mir machen lassen. Doch er wollte es nicht akzeptieren.
Ständig anonyme Anrufe und Nachrichten, von denen ich wusste, dass er es war. Ich werde dich niemals aufgeben!, war der Inhalt sämtlicher Mitteilungen. Auch Drohungen waren dabei: Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich keiner haben. Du wirst schon sehen, was du davon hast. Er verfolgte mich auch hin und wieder. Einmal, auf dem Heimweg von der Arbeit, erkannte ich ihn deutlich.
Die Polizei konnte mir dennoch nicht helfen. Chris hatte alles abgestritten und sogar falsche Alibis von Freunden. Ich sollte mir alles notieren. Wann ich Anrufe und Nachrichten erhielt, den Inhalt der Mitteilungen, die ich bekam und wann ich meinte, verfolgt worden zu sein.
Ich hatte Angst vor ihm. Angst davor, was er noch vorhatte. Ob er mir noch etwas antun würde. Zu was war dieser Mann in der Lage, den ich einst für so harmlos gehalten hatte?
Nach unendlich langen zwei Wochen und vier Tagen hörte es auf. Chris entschuldigte sich in einem handgeschriebenen Brief. Als er seine Arbeit verlor, hätte er Angst gehabt, auch mich zu verlieren. Das nagte an seiner Männlichkeit und er hatte keine Kontrolle darüber. Ihm sei nun klar geworden, dass sein Verhalten nicht in Ordnung war und er kündigte an in Therapie zu gehen.
Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben konnte. Doch ich hatte seitdem nie wieder etwas von ihm gehört. Keine Anrufe, keine Nachrichten und niemanden, der mich verfolgte. Zwei Jahre war es ruhig gewesen.
Bis jetzt.
Irgendjemand wollte dasselbe Spiel mit mir spielen. So sehr ich mich anstrengte, fiel mir niemand ein, der einen Grund dafür haben könnte. Weder wissentliche Feinde noch abgeblitzte Verehrer, denen ich so etwas zutrauen würde.
Erneut betrachtete ich den Brief in meinen zittrigen Händen. Was würde denn passieren, wenn ich das nächste Mal nicht entkommen sollte?
Als ich mich wieder auf das Sofa sinken ließ, überlegte ich, ob ich diesen Zwischenfall bei der Polizei melden sollte. Doch was würde das bringen? Sie würden ohnehin nichts unternehmen können. Nicht einmal einen Verdächtigen könnte ich ihnen nennen. Sie würden mich höchstens dazu auffordern, für den Fall, dass weitere Drohungen folgten, alles zu dokumentieren. So wie damals. Mehr würden sie nicht unternehmen können, es war ja nichts Schlimmeres passiert. So wie damals.