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Lieblich war die Maiennacht…

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Laura versucht, gegen den Strom zu schwimmen. Kämpft gegen braunes Schlammwasser. Das kalte Wasser dringt durch den Anorak, ihre Hose, und den Wollpullover. Die Haare werden naß. Laura presst die Lippen fest zusammen, das Dreckwasser soll nicht in den Mund kommen. Sie versucht, Boden unter die Füße zu bekommen. Vergebens. Sie tritt ins Leere, will sich über Wasser halten. Bloß nicht untergehen. Kämpft gegen die Strömung, um nicht noch weiter vom Ufer abgetrieben zu werden. Das ist anstrengend. Die Beine werden schwer. Laura schnappt nach Luft und schmeckt die faulige Brühe. Wird von Dämmerung umfangen, schwefelgelbes Dämmerlicht. Kein Ufer, kein Himmel, keine Bäume, keine Sonne, kein Vogelgesang. Sie ist allein in der dunklen Kloake.

Laura wacht auf und ringt schweißgebadet nach Luft.

Halb vier. Verdammt. Dieser Albtraum. Warum auch hier bei Sünje? Warum wird sie auch hier die quälenden Bilder nicht los, kann das Gedankenkarussell nicht stoppen? Zum Glück muss sie morgen nicht in die Schule. Wenigstens das. An Werktagen klingelt um halb sechs ihr Wecker. Sie würde den Vormittag nicht durchstehen.

Laura schleicht durch das dunkle fremde Haus, holt sich ein Glas Wasser und setzt sich an den Küchentisch. Die Zeitung ist schon da. Das lenkt ab von den düsteren Bildern, manchmal. Wenn nicht, dann wäre es vorbei mit dem Schlaf in der Nacht. Und der Lärm in der Schule unerträglich.

‚Wie soll ich Land gewinnen, wenn ich müde und unkonzentriert bin? Nicht den Faden verlieren in lauten Klassen? Wie den Unwillen und die Ungeduld unter Verschluß halten?’

Vier Uhr. Laura leert ihr Glas und legt die Zeitung beiseite.

Das war wohl nichts mit der Ablenkung. Warum? Die vergangenen Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Kein Ärger mit den Schülern, kein Beziehungsstress, gleichförmiger öder Alltag ohne Höhen und Tiefen. Nur dieser Traum, aufgetaucht aus dem Nichts nach so vielen Jahren.

Laura stellt sich ans Fenster, blickt in die dunkle Nacht. Weiß von dem weiten Wiesental mit den Bäumen und Büschen, in dessen Mitte Lenes Haus liegt. Nicht weit davon fließt ein kleiner Bach.

„Lieblich war die Maiennacht,

Silberwölklein flogen,

Ob der holden Frühlingspracht

Freudig hingezogen.

Schlummernd lagen Wies und Hain,

jeder Pfad verlassen.

Niemand als der Mondenschein

Wachte auf der Straßen.

Leise nur das Lüftchen sprach,

Und es zog gelinder

In das stille Schlafgemach

All der Frühlingskinder.

Heimlich nur das Bächlein schlich,

Denn der Blütenträume

Dufteten gar wonniglich

Durch die stillen Räume …

Die Frühlingsnacht hier bei Sünje vertreibt Lauras düstere Gedanken und lässt dieses Gedicht von Nikolaus Lenau in ihr Bewußtsein. Auch seine dunkle Seite: Trauer, Tod und Gewalt.

Laura denkt an Lorenz und seinen gesunden Schlaf. Wenn er Streß hat, dann schläft er ein. Beim streiten wird er müde. Will dann nichts ausdiskutieren, nur ins Bett.

Das ist eine besondere Begabung, vor den Konflikten wegschlafen. Schluß machen können. Morgen ist auch noch ein Tag. Das schafft Distanz. Ausgeschlafen finden sich Lösungen. Manchmal.

Halb fünf. ‚In einer Stunde müßte ich aufstehen.

Nur drei Stunden Schlaf diese Nacht. Das wird nichts.’ Gut, dass sie nicht zur Schule muss. Laura wäre trotzdem gegangen, präpariert mit Schmerzmitteln. Hätte unterrichtet trotz Kopfschmerzen und Übelkeit. Benommen und übermüdet. Anfangs trieb sie die Angst um den Arbeitsplatz.

Doch auch jetzt fühlt sie sich nur wertvoll, wenn sie funktioniert.

Mördermädchen

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