Читать книгу Mördermädchen - Regine Wagner-Preusse - Страница 8
Wie eine ewige Krankheit…
ОглавлениеDas Wasser war eiskalt, damals im November auch wenn Laura das nicht gespürt hat.
„Das ist noch nicht einmal eine Erklärung, bestenfalls eine Vermutung. Auf keinen Fall eine Entschuldigung. Die Eri hat sich noch einige Sachen geleistet, das weißt Du ganz genau. Tu‘ nicht so scheinheilig. Vor allem die Geschichte mit Bruno. Das war das Schlimmste neben den anderen Eskapaden. Aber Du entschuldigst sie noch.“
,Typisch, dass Dir weiter nichts dazu einfällt. Noch nicht einmal die Frage, warum ich mehr als 40 Jahre geschwiegen habe. 40 Jahre. Warum wohl?‘
Laura spricht es nicht aus, fürchtet den mütterlichen wie-kannst-du-nur…-Blick.
Auch Helmut wundert sich:
„Jeder dem etwas Schlimmes passiert ist, der darf einen anderen umbringen? Das ist doch nicht Dein Ernst!“
Warum hat Laura so lange geschwiegen?
Einmal hat sie ein großer Junge umgerannt. Davon hatte Laura blutige Schrammen im Gesicht. Das war nicht zu übersehen. Laura war sieben und neu in der Schule. Sie wollte, dass die Mutter mit Wilfried spricht. Denn er hatte Laura verletzt und war weitergelaufen, als ob nichts gewesen wäre. Hatte sich nicht um Laura gekümmert, die durch seine Schuld am Boden lag. Die Mutter sollte zu Wilfried sagen, dass er sich bei Laura entschuldigen soll.
„Wenn ich den anspreche, dann lacht der mich aus.“ Die Mutter hatte befürchtet, dass ein Schuljunge sie nicht ernst nimmt. Deshalb hatte sie Laura nicht verteidigt. Das war schwach.
‚Wenn ich als Kind von Erwachsenen kritisiert wurde, dann hat mich das in Verlegenheit gebracht’, denkt Laura. ‚Erwachsene waren für mich Respektpersonen. Damals. Wie klein muss sich die Mutter gefühlt haben, dass sie den Konflikt mit einem Zwölfjährigen scheute.’
Doch Laura ließ nicht locker, hakte immer wieder nach:
„Hast Du es ihm heute gesagt?“
„Heute Mittag bin ich ihm zufällig begegnet. Da habe ich es gesagt.“
„Und was hast Du gesagt. Was hat er geantwortet?“
„Ich habe gesagt: „Na, bist Du mit Laura zusammengestoßen?“
„Mehr nicht? Und er hat nur Ja gesagt, sonst nichts?“ Laura ist enttäuscht. Wahrscheinlich hat sie zu ihm gesagt,
,ich weiß, du konntest nichts dafür, die Laura, die passt ja nicht auf, wo sie hinläuft, guckt immer in die Luft. Immer mit den Gedanken woanders. Da kann das schon mal passieren. Selber schuld.‘
Später hat Laura so etwas mit sich allein ausgemacht. Die Mutter hatte auch so komische Sachen gesagt: „Wenn ich gestorben bin, dann pflanze einen Rosenstock auf mein Grab.“
Warum sagte sie so etwas? Ist sie krank? Stirbt sie bald? Das machte Laura Angst.
„Musst Du mich auch noch ärgern ...“ Wie oft hat Laura diesen Satz gehört. Auch die Suggestion, „ich habe es auch so schwer genug.“
Lauras Mutter war in Ungarn aufgewachsen. Und es war Krieg. Die Front lief nah am Dorf vorbei. Die Mutter musste mit ihrer Schwester Schützengräben ausheben. Am Abend versteckte die Großmutter ihre Töchter in der Scheune, um sie vor den betrunkenen Russen zu schützen. Nach dem Krieg musste die Mutter mit der Familie ihr Dorf verlassen. Als Volksdeutsche mussten sie nach Deutschland, obwohl ihnen das Land fremd war. Ihre Vorfahren waren 300 Jahre vorher von Schwaben nach Ungarn ausgewandert. Die Heimatvertriebenen wurden auf die Familien im Dorf verteilt. Dort wollte man sie nicht, denn sie waren fremd und man lebte auch so schon in beengten Wohnverhältnissen. Die Großeltern waren dagegen, dass der Vater ein Flüchtlingsmädchen heiratete. Der Vater setzte sich durch. Wenigstens dieses eine Mal. Die Mutter lebte fortan im Haushalt der Großeltern. Wollte alles richtig machen. Erkrankte nach der Geburt von Laura. Schwangerschaftsvergiftung. Davon erholte sich die Mutter nur langsam bei der vielen Arbeit mit dem Kind, dem Haushalt und der Landwirtschaft.
Auch der Vater war im Krieg gewesen. Mit 17 als Hitlers letzte Reserve. Kam in amerikanische Gefangenschaft. Mit 70 hat er davon geredet, wie er eingezogen wurde. Immer dasselbe. Immer wieder.
Vom Vater war keine Hilfe zu erwarten. Der war den ganzen Tag auf den Beinen. Laura hat sich gefreut, wenn er nachmittags von der Arbeit kam. Hat gewartet und ihn angestrahlt. Der Vater sah an ihr vorbei, durch sie hindurch. Sein Gesicht war angespannt.
Der Vater redete nicht mit den Kindern. Machte nur Späße. Auf Kosten der Kinder. Amüsierte sich über ihre Naivität und Unwissenheit. Musste gleich wieder weg. Aufs Feld. Gras mähen, Heu machen, Kartoffeln ernten, säen, später die Kühe füttern und den Stall ausmisten. Beim Nachmittagskaffee wurde der Rest des Tages verplant.
Einmal in der Woche ging der Vater zum Gesangverein und ein Mal zur Feuerwehr.
Am Sonntag Besuche bei der Oma, der Mutter von der Mutter. Da mussten die Kinder mit. Saßen endlos lange Nachmittage bei der Oma auf dem Sofa. Die Mutter und die Großmutter klagten. Der Vater wartete in der Gastwirtschaft nebenan. Allein beim Bier. Jeden Sonntag.
Warum hat Eri Laura ins Wasser gestoßen? Sie hatten doch nichts miteinander zu tun. Laura war Christianes Freundin. Christiane war Eris Schwester. Eri war nie dabei, wenn Laura und Christiane spielten. Warum wollte Eri Laura umbringen?
Junge Katzen ersäufte man im Fluss, weil es immer zu viele davon gab. Damals im Dorf. Auf Christianes Hof gab es auch Katzen. Die der Großvater am Leben ließ, die durften auch ins Haus. Die Katzen brachten ihre Jungen in der Scheune zur Welt. Christianes Großvater wusste, wo er die neugeborenen Kätzchen finden konnte. Er holte sie aus ihrem Nest im Heu und schlug sie mit einem Holzscheit tot.