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Antigone

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Nun trat Kreon die Königsnachfolge an und richtete für Eteokles, der für Theben gefallen war, eine Bestattung, verbot sie jedoch für Polyneikes, da er gegen die Heimatstadt gekämpft hatte. Dessen Schwester Antigone setzte sich über diesen Befehl hinweg und begrub Polyneikes dennoch. Jemandem das Grab zu verweigern und ihn zum Fraß für Vögel und Hunde auszusetzen galt für das griechische Verständnis als unerhörter Frevel.

Als Kreon von der Täterin erfuhr, bemühte er sich, seine Verwandte vor dem angedrohten Todesurteil zu bewahren. Doch Antigone wies alle Vermittlung zurück:

»Nicht so mächtig ist dein Befehl, als dass sich das Gesetz der Götter dir, einem Sterblichen, beugen müsste. Wenn dir das töricht scheint, beschuldigt ein Tor mich der Torheit.«

»Wie kannst du nur an dem Bruder, der die Heimat verteidigte, derart freveln, indem du jenem, der sie niederbrennen wollte, die gleiche Gunst erweist?«, warf Kreon ihr vor.

»Hades’ Recht gilt für beide gleichermaßen«, antwortete Antigone unbeirrt.

»Niemals, auch im Tode nicht, wird mir der Feind zum Freunde«, beharrte der Herrscher.

»Nicht mitzuhassen, sondern mitzulieben bin ich hier«, erwiderte die Jungfrau.

»Wenn du lieben musst«, entschied der König, »so liebe in der Unterwelt.«

Antigone wurde abgeführt, und Haimon, Antigones Bräutigam, versuchte seinen Vater mit vernunftvollen Worten zur Einsicht zu bringen, denn in der ganzen Stadt verurteile man dessen Entschluss. Doch Kreon hielt ihm vor:

»Wenn ich bei meiner eigenen Familie Ungehorsam dulde, wie könnte ich dann Fremde bezähmen? Nur wenn die Gesetze des Herrschers treu befolgt werden, blüht das Land. Aber Zügellosigkeit rottet ganze Städte aus, verwandelt Wohnungen in Wüsteneien. Lieber töte ich das ungehorsame Weib, als vor dem Volk als Lügner dazustehen.«

»Ein Baum, der sich im Gewittersturm beugt, rettet seine Äste. Wer starr sich widersetzt, der wird entwurzelt«, gab Haimon zu bedenken.

»Knecht eines Weibes, erspare mir dein glattes Geschwätz«, brauste der König auf.

»Noch einen reißt sie in den Tod!«, warnte Haimon. Kreon sah das als Drohung und sich verhöhnt:

»Bringt sie her, sie soll sterben, hier vor den Augen des Bräutigams.«

Doch dazu kam es nicht, denn Haimon eilte wutentbrannt fort. Und Kreon ordnete an, Antigone lebend in eine Felsenhöhle zu sperren, mit kleinem Mundvorrat, um die Göttergunst nicht zu verscherzen.

Da wurde Teiresias von einem Knaben vor den Herrscher geführt; dessen düstere Prophezeiungen stimmten Kreon schließlich um. Um das bedrückende Schicksal, den Fluch des Oidipus, abzuwenden, eilte der König selbst zum Felsenkerker und ließ den Stein von der Öffnung schieben. Doch drinnen hatte sich Antigone bereits erhängt, und Haimon, der ebenfalls zu spät gekommen war, umschlang weinend ihre Hüften und richtete dann das Schwert gegen den Vater. Als der floh und Haimon ihn verfehlte, stürzte er sich selber in seine doppelscheidige Waffe. Nach dem Tod ihres Sohnes bohrte sich auch Kreons Frau Eurydike (II) ein Schwert in den Leib, so Teiresias’ Seherspruch erfüllend. Kein Verbrechen entging je der Sühne, aber nicht immer straften die Götter sofort, wie bei Kreon, manchmal büßten erst die Kinder oder Enkel die Schuld ihrer Vorväter, wie Oidipus und seine ganze Sippschaft die des Labdakos.

Griechische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt

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