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11 Eine neue Zeitrechnung beginnt und eine Hoffnung stirbt

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Am 29. Juni 1963 fand im Stuttgarter Neckarstadion vor 75.700 Zuschauern das letzte Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft zwischen Borussia Dortmund und dem 1.FC Köln statt. Die Borussen holten mit einem 3:1-Sieg ihre dritte Deutsche Meisterschaft und den letzten Titel, der auf der herkömmlichen Art ausgespielt worden war. Die Dortmunder Tore erzielten Dieter Kurrat, Reinhold Wosab und Alfred „Aki“ Schmidt, bevor Karl-Heinz Schnellinger das Ehrentor für die Kölner schoss und damit der letzte aller Torschützen in den Endspielen um die deutsche Meisterschaft seit 1903 war. Für Schnellinger, der 1962 zum Fußballer des Jahres gewählt wurde, war es das letzte Spiel im Dress des 1.FC Köln bevor er Profi in der 1. Italienischen Liga wurde. Die Zeiten der Oberligen als höchste deutsche Spielklasse, der packenden Endrundenspiele und der mitreißenden Endspiele gehörten damit der Vergangenheit an.

Ein Wettbewerb des Fußballs kam in meinen Erinnerungen bisher nicht vor, der DFB-Pokal. Es liegt daran, dass der Pokalwettbewerb in Deutschland, anders als insbesondere in England, zur damaligen Zeit eindeutig im Schatten der Meisterschaftsspiele stand. Den heutigen Stellenwert sollte der DFB-Pokal erst im Jahr 1985 erhalten, als sich der DFB dazu entschieden hatte, das Pokalendspiel ständig im Berliner Olympiastadion austragen zu lassen. Fortan war es Ziel eines jeden Vereins und insbesondere seiner Fans, nach Berlin zum Endspiel um den DFB-Pokal zu fahren. Jetzt wurde über das „Deutsche Wembley“ gesprochen, in Anlehnung an das Wembley-Stadion in London, wo traditionell in jedem Jahr das englische Cup-Finale ausgetragen wird. Aber dies war, wie erwähnt, nicht immer so. So habe ich zum ersten Mal bewusst Notiz von diesem Wettbewerb genommen, als mein Vater am 14. August 1963 mit der Bahn nach Hannover gefahren war, um im Niedersachsen-Stadion das Pokal-Endspiel zwischen dem Hamburger SV und Borussia Dortmund mitzuerleben. Die Borussia war klarer Favorit vor diesem Finale und dies nicht nur deshalb, weil sie knapp zwei Monate zuvor Deutscher Meister geworden war, sondern als absoluter Angstgegner des HSV galt, der nicht nur im Meisterschaftsfinale 1957, sondern mehrfach auch in den Endrundenbegegnungen das Nachsehen gegen die Dortmunder hatte. Doch es sollte ganz anders kommen als erwartet vor 70.000 Zuschauern, die hellauf begeistert waren, sofern sie keine Fans des BVB waren. Durch drei Tore von Uwe Seeler besiegte der HSV den Deutschen Meister klar mit 3:0 und wurde damit erstmals DFB-Pokalsieger. Spiel entscheidend war das großartige Zusammenspiel zwischen Charly Dörfel und Uwe Seeler, der zwei glänzende Flanken des überragenden Linksaußen unnachahmlich mit dem Kopf ins Tor wuchtete. Später witzelte Charly Dörfel: „Na Uwe, da hab´ ich Dich ja wieder gut angeschossen, oder?“

Es ist nicht selten, dass man noch heute in den Medien hört oder liest, dass dies oder das zum ersten oder zum x-ten Mal seit Einführung der Fußball-Bundesliga eingetreten sei. Dabei ist es jetzt schon fünfzig Jahre her, als diese neue Zeitrechnung begann. Das, was Bundestrainer Sepp Herberger schon lange gefordert hatte, wurde 1963 Wirklichkeit. Als oberste Spielklasse wurde in Deutschland eine eingleisige Liga eingeführt, die Fußball-Bundesliga. Sechzehn Vereine wurden für die erste Saison der neu geschaffenen Liga nominiert, jeweils fünf aus dem Westen und Süden der Republik, drei aus dem Norden zwei aus dem Südwesten sowie einem Verein aus Berlin. Die Mannschaft, die am Ende der Saison 1963/ 1964 an der Tabellenspitze stehen würde, wäre der erste Deutsche Meister im Rahmen der Bundesliga und die beiden Tabellenletzten müssten absteigen und würden für die nächste Saison durch die Sieger der beiden Gruppen in der Aufstiegsrunde ersetzt, in der die Sieger und Zweitplatzierten der Regionalligen - sie entsprachen den Bereichen der bisherigen Oberligen - gegeneinander anzutreten hatten. Heftige Proteste in Bezug auf die Nominierung der Vereine gab es insbesondere beim Westdeutschen Fußballverband, vor allen durch die etablierten Vereine wie Rot Weiß Essen und Fortuna Düsseldorf, die bei der Besetzung der Bundesliga nicht berücksichtigt wurden, während die weniger bekannten Mannschaften Meidericher SV (heute MSV Duisburg) sowie Preußen Münster für die 1. Bundesliga-Saison nominiert worden waren. Und auch beim FC Bayern München wird man nicht sonderlich begeistert gewesen sein, dass man nicht berücksichtigt wurde, sondern stattdessen der Lokalrivale TSV 1860 München. Letztendlich zählte bei der Nominierung das Abschneiden der Vereine in den letzten Jahren vor Einführung der Bundesliga und nicht die Erfolge früherer Zeiten. Folgende 16 Vereine waren in der ersten Bundesliga-Saison 1963/ 1964 vertreten:

Hertha BSC Berlin 1. FC Köln

Eintracht Braunschweig Meidericher SV

SV Werder Bremen TSV 1860 München

Borussia Dortmund Preußen Münster

Eintracht Frankfurt 1. FC Nürnberg

Hamburger Sportverein 1. FC Saarbrücken

FC Kaiserslautern Schalke 04

Karlsruher SC VfB Stuttgart

Der Hamburger SV ist der einzige dieser sechzehn Vereine, der seit 1963 ununterbrochen der Fußball-Bundesliga angehörte – zumindest bis zu meinem 60. Lebensjahr.

Als mein Vater überglücklich aus Hannover vom Pokalendspiel zurück gekehrt war, nachdem er den überraschenden Sieg des HSV miterlebt hatte, war ich ein wenig neidisch, obwohl mich der DFB-Pokal bis dahin überhaupt nicht interessiert hatte. Aber er hatte eine Riesenüberraschung für mich, als er mir eröffnete, dass er mich zum Bundesliga-Start am 24. August mit ins Stadion nehmen wolle. Dass es dabei nicht zum HSV ging, der sein erstes Bundesligaspiel nicht in Hamburg, sondern bei Preußen Münster auszutragen hatte, tat meiner Freude keinen Abbruch. Meine Schulfreunde sind vor Neid erblasst als sie erfuhren, dass ich am aller ersten Bundesliga-Spieltag nach Bremen fahren werde, um dort im Weserstadion das Spiel des SV Werder gegen den Deutschen Meister und Pokalfinalisten Borussia Dortmund sehen zu können. Ich konnte nicht ahnen, dass ich dabei Augenzeuge eines Fußballhistorischen Ereignisses werden würde. Mein Vater und ich hatten gerade Platz genommen, als das erste Bundesligaspiel in Bremen angepfiffen wurde und ich war aus dem Staunen noch gar nicht ganz heraus gekommen, denn ich war an diesem Tag zum ersten Mal in einem Fußballstadion. Es war noch keine Minute gespielt, genau genommen 58 Sekunden, als die Menschen vor, hinter und neben mir aufsprangen. Soeben hatte „Timo“ Konietzka das 1:0 für Borussia Dortmund erzielt, als er einen Pass von der linken Seite durch Lothar Emmerich in das Werder-Tor verlängert hatte. Erst später wurde mir bewusst, dass ich Augenzeuge des aller ersten Tores der Bundesliga-Geschichte geworden war und das nicht nur live, sondern exklusiv. Die Aufnahmetechnik des Fernsehens steckte noch in den Kinderschuhen. Es gab noch keine MAZ und Aufzeichnungen konnten nur mit Hilfe von Filmkameras angefertigt werden. Die aber standen zunächst, genauso wie die meisten Fotoreporter, hinter dem Tor des Deutschen Meisters. Deshalb gibt es keine Filmaufnahme, nicht einmal ein Foto von diesem ersten Tor in der Bundesliga-Geschichte. Selbst für die „Sportschau“ fiel der Treffer zu schnell, denn die Fernsehkamera war noch gar nicht eingeschaltet. So hatten nur die etwa 30.000 Menschen dieses historische Tor sehen können, die an diesem Tag im Bremer Weserstadion anwesend waren, so wie mein Vater und ich. Fußball – die schönste Nebensache der Welt. Trotz des Rückstands in der ersten Spielminute hat der SV Werder dieses erste Bundesligaspiel in Bremen übrigens noch mit 3:2 gewonnen.

Seit dem Bundesligaauftakt, mit dem schnellen Tor in Bremen, waren drei Wochen vergangen, als es endlich zum ersten Mal zu einem Spiel des HSV ging. Und es war gleich ein absolutes Spitzenspiel, denn beim Gegner handelte es sich um die Eintracht aus Frankfurt, die genau wie der Hamburger SV zu den Favoriten für den Gewinn der ersten Meisterschaft in der Bundesligageschichte gehörte. Beide Mannschaften waren schließlich erst wenige Jahre zuvor Deutscher Meister geworden und hatten sich äußerst erfolgreich im Europapokal behauptet. Während der Bahnfahrt zusammen mit meinem Vater und einem Arbeitskollegen von ihm war ich voller Vorfreude und konnte es gar nicht abwarten, erstmals im Volksparkstadion sein zu können, um „meinen“ HSV zu sehen. Es war damals eine umständliche und langwierige Angelegenheit, mit der Bahn von der Hamburger Innenstadt in den Stadtteil Bahrenfeld zu gelangen, um das Stadion zu erreichen, denn die S-Bahn-Anbindung nach Hamburg- Stellingen war zu dieser Zeit noch nicht fertig gestellt. Endlich angekommen, sah ich von weiten schon die markanten Flutlichtmasten, die zum Merkmal des Volksparkstadions gehörten und als wir die Treppen zu den Tribünen hinaufgestiegen waren und ich in das damals modernste Stadion Deutschlands blicken konnte, verschlug es mir fast den Atem. Ich schaute hinunter auf einen herrlich grünen Rasen auf dem deutlich die weißen Linien gezogen worden waren und ich sah ein schwarz-weiß-blaues Fahnenmeer. Im gleichen Moment kamen die Spieler der beiden Mannschaften auf den Platz, um sich für das Spiel aufzulockern. Und dann sah ich sie zum ersten Mal mit meinen eigenen Augen – die Brüder Uwe und Dieter Seeler, Charly Dörfel, Jürgen Kurbjuhn aus Buxtehude, Willy Giesemann, der von Bayern München neu gekommen war, Torwart Horst Schnoor und wie sie alle hießen. 65.000 Zuschauer bejubelten an diesem wunderschönen Spätsommertag bei strahlendem Sonnenschein einen 3:0-Sieg des HSV. Nachdem Uwe Seeler die beiden Tore zur 2:0-Führung erzielt hatte schallten sie durch das weite Rund, die „Uwe-Uwe-Uwe“- Rufe der begeisterten HSV-Anhänger. Das 3:0 erzielte Charly Dörfel, der aber auch noch an einer anderen Szene maßgeblich beteiligt war, die ich bis heute nicht vergessen habe. Das Spiel hatte sich gerade ein wenig beruhigt und die Zuschauer waren für einen Moment relativ leise, als Charly Dörfel plötzlich und unerwartet einen Flankenball direkt aus der Luft nahm und auf das Frankfurter Tor schoss. Mit voller Wucht prallte der Ball gegen die Querlatte des Tores, das damals noch aus Holz bestand. Es gab einen so lauten Knall, der durchs Stadion hallte, dass ich dachte, das Tor würde zusammenbrechen. Kurz vor Beendigung der Begegnung erhoben sich auch die Sitzplatzbesucher, wie mein Vater, sein Kollege und ich von ihren Sitzen und bis auf ein paar Eintracht-Fans sangen 65.000 Zuschauer und es schallte durch das riesige Stadion- Rund: „Aber eins, aber eins, das bleibt besteh´n, der HSV wird niemals unter geh´n“. Als hätten sie es alle gewusst, dass der HSV niemals aus der Bundesliga absteigen würde. Erinnerungen eines damals 11-jährigen Jungen an den Fußball – der schönsten Nebensache der Welt.

Nachdem ich zusammen mit meinem Vater auch das Bundesliga-Spiel gegen Eintracht Braunschweig besucht hatte, von dem ich eigentlich nur noch in Erinnerung habe, dass der HSV mit 2:1 gewann und Willy Giesemann beide Hamburger Tore geschossen hatte, folgte am 23. November 1963 ein Besuch im Hamburger Volksparkstadion, den ich aus einem ganz bestimmten Grund niemals vergessen werde. Es liegt sicherlich nicht daran, dass der HSV gegen den VfB Stuttgart nur ein 1:1-Unentschieden erreicht hatte, sondern weil ein Tag zuvor etwas Unfassbares geschehen war. Auf der Fahrt ins Stadion wurde nicht wie sonst über Fußball philosophiert und auch die Schlachtgesänge der Fans hielten sich merkbar in Grenzen. Das einzige Thema über das gesprochen wurde, war das schreckliche Ereignis des Vortages. Während einer Wahlkampfreise wurde US-Präsident John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas, Texas, bei einem Attentat getötet. Auf der Rückbank im offenen Lincoln, neben seiner Gattin Jackie sitzend, winkte Kennedy in die Menge, wohl wissend, dass er als Katholik und Mitglied der Demokratischen Partei in Texas einen schweren Stand hatte und hinsichtlich seiner Wiederwahl auf keine sichere Mehrheit bauen konnte. Als der Präsidenten-Konvoi mittags um 12.30 Uhr in die Elm Street einbog, fielen aus der sechsten Etage eines Hochhauses plötzlich mehrere Schüsse. Die ersten beiden Kugeln trafen den Präsidenten und den Gouverneur von Texas, John Connally, auf dem Beifahrersitz. Die dritte Kugel traf den Präsidenten tödlich, als sie seinen Schädel durchschlug. Normalerweise hätte Kennedy nach dem ersten Schuss, der ihn verletzt hatte, in sich zusammensacken müssen, was ihm vermutlich das Leben gerettet hätte. Doch er blieb aufrecht sitzen, weil er aufgrund einer Osteoporose im Wirbelbereich ein Korsett tragen musste.

Die westliche Welt war schockiert, als sie vom Tod des Präsidenten erfuhr. Auch auf die 40.000 Zuschauer im Hamburger Volksparkstadion beim Spiel gegen den VfB Stuttgart traf dies zu. Die Atmosphäre war sehr bedrückend und längst nicht so ausgelassen, wie ich sie in den Bundesligaspielen zuvor erlebt hatte. Zu Beginn des Spiels wurde eine Gedenkminute eingelegt und die Spieler trugen einen Trauerflor. Viele Zuschauer werden während des Spiels hin und wieder an die Vorgänge des Vortags gedacht haben, mir ging es jedenfalls so. Und unwillkürlich tauchten Bilder wieder auf, die gerade einmal ein halbes Jahr her waren. Am 26. Juni 1963 hatte John F. Kennedy erstmals – und leider auch zum letzten Mal – Berlin besucht und wurde von der Westberliner Bevölkerung begeistert empfangen. Zusammen mit Bundeskanzler Adenauer und dem Regierenden Bürgermeister Brandt fuhr er auch damals in einer offenen Limousine durch die Straßen der Stadt und wurde von zigtausend Bürgern gefeiert, die ihn als Garanten ihrer Freiheit und Schutzpatron gegen die Kommunisten sahen. Die Gleichgültigkeit, die er 1961 anfangs beim Bau der Berliner Mauer – genauso wie andere westliche Staatsmänner – an den Tag gelegt hatte, war längst von dem Bewusstsein verdrängt worden, dass diese Mauer das sichtbare Zeichen für die Trennung Deutschlands und Europas darstellte und den Kalten Krieg manifestierte. Am Ende seiner Triumph-Fahrt durch die Stadt richtete sich Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg in einer flammenden Rede an die Bevölkerung, deren Schlusssatz Geschichte geworden ist, als er rief: „Alle freien Menschen sind Bürger dieser Stadt. Ich bin stolz, zu sagen“ – und sagte dies in gebrochenem deutsch – „Ich bin ein Berliner!“

43 Jahre alt war John F. Kennedy, als er am 20. Januar 1961 US-Präsident wurde. Er war damit der jüngste Präsident der Vereinigten Staaten aller Zeiten und großer Hoffnungsträger für die Menschen auf eine bessere und friedvolle Welt. Fast 50 Jahre später sollte wiederum ein junger US-Präsident Hoffnungsträger für die Menschen werden, Barack Obama. Der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten wurde nach seiner Wahl aufgrund seiner positiven Ausstrahlung auf die Menschen häufig mit John F. Kennedy verglichen und es gibt sicherlich einige Parallelen zwischen den Beiden. Insofern ist es fast eine Ironie des Schicksals, dass Barack Obama am 08. August 1961, also nur wenige Monate nach der Wahl Kennedys zum Präsidenten, geboren wurde. Die Hintergründe des Attentates auf John F. Kennedy sind niemals wirklich aufgeklärt worden und bis heute wird über die tatsächlichen Gründe spekuliert. Handelte es sich bei dem Mörder um einen Einzeltäter oder hatte er einen Auftrag für das Attentat? Die Mafia, Fidel Castro, selbst die CIA wurden als Auftraggeber für die Tat ins Spiel gebracht. Die Lösung eines der größten Rätsel der Geschichte verhinderte Jack Ruby. Zwei Tage nach dem Attentat erschoss der Nachtclub-Besitzer im Parkhaus-Keller des Polizeipräsidiums von Dallas den mutmaßlichen Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald, einen verkrachten Marxisten, der in Moskau Asyl beantragt hatte und dann doch wieder in die USA zurückkehrte, als der mutmaßliche Mörder in das Bezirksgefängnis überführt werden sollte, der seine Schuld aber bis zum Schluss geleugnet hat. Jack Ruby, der Mörder des Attentäters, hatte beste Kontakte zur Mafia und war bereits todkrank, als er zum Tode verurteilt wurde. Bevor er am 03. Januar 1967 an einer Lungenembolie starb, sagte er, dass die Wahrheit niemals ans Licht kommen werde und erzählte von Hintermännern und von einer „Person, die alles weiß“. Vier Tage nach dem Attentat setzte Lyndon B. Johnson, der bisherige Vizepräsident, der wenige Stunden nach dem Attentat als neuer Präsident vereidigt worden war, eine Kommission ein, die damit beauftragt wurde, die Umstände des Attentats aufzuklären. Die Kommission kam ein Jahr später zu dem Schluss, dass Oswald der alleinige Täter war und es keine Verschwörung zur Ermordung Kennedys gegeben habe. Später wurde jedoch bekannt, dass die staatlichen Organe FBI, CIA und Secret Service wichtige Informationen vor der Kommission geheim gehalten hatten, die zu einem anderen Ergebnis hätten führen können. Zudem wurden Zweifel laut, ob die Kommission selbst überhaupt an der Aufklärung der Zusammenhänge interessiert war. Die Akten über Kennedys Ermordung bleiben bis zum Jahr 2017 unter Verschluss. Vielleicht wird das Rätsel dann ja gelöst. Am 23. November 1963 war ich im Hamburger Volksparkstadion, um ein Bundesliga-Spiel zu sehen. Selten traf es so extrem zu, wenn man sagt: „Fußball – die schönste Nebensache der Welt.“

Der Berlin-Besuch des US-Präsidenten Kennedy war eines der letzten Ereignisse, bei denen Bundeskanzler Konrad Adenauer einen großen Auftritt in der Öffentlichkeit hatte. Er war inzwischen 87 Jahre alt, als er im Oktober 1963 von seinem Amt zurück trat. Vierzehn Jahre lang gab er an der Spitze der Regierung in dominanter Art und Weise die Richtlinien der Politik in der Bundesrepublik Deutschland vor. Seine Ziele hatte er erreicht, nämlich die Aussöhnung und Stabilisierung der Zusammenarbeit mit den Westmächten, die Sicherung des inneren und äußeren Friedens, sowie die Stärkung der Wirtschaft in der Bundesrepublik. Am 19. April 1967 starb Konrad Adenauer in seinem Wohnort Rhöndorf bei Bonn und wurde dort in unmittelbarer Nähe seines Hauses beigesetzt. Als Schüler habe ich ein Jahr später im Rahmen einer Klassenfahrt die Bundeshauptstadt und dabei auch das Grab des ehemaligen Bundeskanzlers besucht. Die vielen Blumen zeugten davon, dass seine Ruhestätte mittlerweile zum Pilger-Ort für viele Deutsche geworden war. Schon bedingt durch die politische Einstellung meiner Eltern, später aber auch aus eigener Überzeugung, hielt sich meine Sympathie zur Volkspartei CDU durchaus in Grenzen. Konrad Adenauer aber – da gibt es für mich keinen Zweifel – war für die Anfangsjahre der Bundesrepublik Deutschland mit Sicherheit der richtige Mann für den Posten des Bundeskanzlers, da er sich in seiner gradlinigen Art während einer schwierigen und Richtungsweisenden Zeit durch nichts und durch Niemanden von seinem Weg und seiner Überzeugung abbringen ließ. Er gehörte sicherlich zu den größten und wichtigsten Staatsmännern des 20. Jahrhunderts. Zwei weitere bedeutende deutsche Politiker der Nachkriegszeit verstarben im Dezember 1963. Der ehemalige Bundespräsident Theodor Heuß starb im Alter von 79 Jahren und Erich Ollenhauer, von 1952 bis zu seinem Tode Partei- und Fraktionsvorsitzender der SPD, wurde nur 62 Jahre alt.

Nachfolger von Konrad Adenauer im Amt des Bundeskanzlers wurde Ludwig Erhard. Der ständig dicke Zigarren rauchende Erhard hatte sich als Wirtschaftsminister große Verdienste und Ansehen erworben, da er maßgeblich am Wirtschaftswunder und damit am Aufschwung der Bundesrepublik beteiligt war. Doch die Rolle des Bundeskanzlers war irgendwie wohl doch eine Nummer zu groß für ihn. Wie sagte schon Altbundeskanzler Adenauer einige Jahre zuvor über ihn: „Der kann keine Außenpolitik“. Und so kam es dann auch, dass Ludwig Erhard auf diesem Parkett etwas ungeschickt agierte, insbesondere im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger. Man wird ihn deshalb wohl eher als erfolgreichen Wirtschaftsminister, denn als großen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland in Erinnerung behalten.

Am 24. Oktober 1963 und in den folgenden Tagen sollte ein Unglück die gesamte Nation bewegen, die sich in Lengede, einem kleinen niedersächsischen Ort südwestlich von Braunschweig gelegen, ereignet hatte. In dem Schacht „Mathilde“ des nahegelegenen Erzbergwerks war es zu einem Schlammeinbruch gekommen. 129 Bergleute wurden unter Tage von 500.000 Kubikmeter Wasser überrascht, weil ein Klärteich eingebrochen war. 86 Kumpel konnten bald gerettet werden, sieben von ihnen am nächsten Tag, 23 Stunden nach dem Unglück. Aber für die 43 noch vermissten Bergleute schien es keine Rettung zu geben. Doch es wurde alles unternommen, das Unmögliche möglich zu machen und wenigstens einige der noch Verschütteten retten zu können, zumal man leise Klopfzeichen von unten vernommen hatte. Mit einem Schwertransport wurde eigens ein riesiger Bergwerksbohrer aus dem Ruhrgebiet herangeschafft und fieberhaft ging die Suche weiter. Der NDR war Tag und Nacht vor Ort und berichtete von den Rettungsaktionen im Radio und im Fernsehen. Auch bei uns zuhause lief das Radio ununterbrochen und wir saßen gebannt davor, um von einem Lebenszeichen der verschütteten Bergleute zu hören. Vielleicht ging uns dieses Drama so nahe, weil wir ein Jahr zuvor so freundlich von einer Bergarbeiterfamilie in Castrop-Rauxel aufgenommen worden waren. Es erschien wie ein Wunder, als acht Tage nach dem Unglück tatsächlich noch drei Bergarbeiter an die Erdoberfläche befördert werden konnten. Kurz darauf wurde die Suche nach weiteren Verschütteten aufgegeben. Für sie gab es keine Hoffnung mehr. Der Schwertransport mit dem riesigen Bergwerksbohrer befand sich bereits auf der Rückfahrt in das Ruhrgebiet, als er gestoppt und zurück nach Lengede beordert wurde. Man konnte es kaum glauben, aber es waren erneut Klopfgeräusche vernommen worden. Wie sich später herausstellte, hatten sich elf Kumpel in einem Nebenstollen vor den Wassermassen retten können. Ein erfahrener Hauer unter den Helfern vermutete, dass sich dort eventuell noch Überlebende befinden könnten. Es gab aber keine genauen Aufzeichnungen über die Lage dieses Stollens, so dass er eher zufällig von dem Bohrer getroffen wurde. Am 7. November, also mehr als zwei Wochen nach dem Eindringen des Wassers in die Grube, wurden diese elf Bergarbeiter doch noch gerettet. Dies war das wirkliche „Wunder von Lengede“. Vor dem Radio sitzend, liefen bei uns die Tränen über die Wangen, als bei der Reportage des NDR die Namen der einzelnen Bergleute genannt wurden, wenn sie von den Helfern in Empfang genommen wurden, obwohl wir zu ihnen ja gar keinen persönlichen Bezug hatten. Die Körper von 28 der 29 getöteten Bergarbeiter konnten geborgen und an die Oberfläche gebracht werden. Die am 07. November geretteten Kumpel aber konnten diesen Tag fortan als ihren zweiten Geburtstag betrachten.

Im Frühjahr dieses ereignisreichen Jahres 1963 begann auch für mich ein neuer Abschnitt auf meinem Lebensweg. Die vierjährige Grundschulzeit war zu Ende und jetzt stellte sich die Frage, welche Schule ich zukünftig besuchen würde. Drei meiner Schulfreunde durften fortan nach Hamburg-Harburg fahren, um dort auf einem Gymnasium ihre Schulzeit fortzusetzen. Als ich sie nach Beginn des neuen Schuljahrs zum ersten Mal wieder traf, schwärmten sie von einem ihrer neuen Lehrer, der gerade sein Staatsexamen absolviert hatte. Es war kein Geringerer als Jürgen Werner, seit seiner Jugend Wegbegleiter von Uwe Seeler, Klaus Stürmer und Gert Krug beim HSV. Zweimal spielte Jürgen Werner direkt gegen den großen Pele. Das erste Mal bei einem Freundschaftsspiel, dass der HSV an dem Tage, als sich 1962 unsere Familie auf dem Weg nach Castrop-Rauxel befand, im Volksparkstadion gegen den FC Santos bestritt. Nach dem Spiel schwärmte Pele über Jürgen Werner: „So schlecht habe ich noch nie ausgesehen, wie gegen diesen langen Blonden.“ Das Spiel endete 3:3, wobei die Hamburger noch dreimal Latte und Pfosten trafen. Alle drei Tore für den HSV erzielte Uwe – nein, diesmal nicht Seeler, sondern Reuter. Zum zweiten Aufeinandertreffen zwischen den Beiden kam es am 05. Mai 1963, ebenfalls im Volksparkstadion beim Länderspiel zwischen Deutschland und Brasilien. Bei der 1:2-Niederlage schoss Jürgen Werner per Elfmeter das Tor für Deutschland. Der Mittelläufer gehörte zwar zum Aufgebot für die WM in Chile, wurde dort aber nicht eingesetzt und brachte es letztlich nur zu vier Länderspielen. Es wurde gemunkelt, dass Bundestrainer Sepp Herberger nicht viel von ihm gehalten hat, weil der ihm „zu intelligent“ war. Für Jürgen Werner war das Länderspiel gegen Brasilien gleichzeitig das Ende seiner aktiven Laufbahn als Fußballspieler. Er wollte kein Profi in der Bundesliga werden, weil er einerseits unter Hüftproblemen litt, aber vor allem, weil er seinen Beruf als Lehrer ausüben wollte und er brachte es später sogar zum Oberstudiendirektor. Für den HSV war es allerdings der zweite herbe Verlust, nachdem 1961 bereits Klaus Stürmer den Verein verlassen hatte und in die Schweiz zum FC Zürich gewechselt war.

Für mich war das Gymnasium eine Nummer zu groß, zumal ich zu viel Zeit auf dem Bolzplatz verbrachte und die Schularbeiten nicht mit dem notwendigen Eifer erledigt wurden. Man kann auch sagen, dass ich zu faul zum Lernen war. So bekam ich die Chance, in den folgenden zwei Jahren in einer Förderklasse, die als Modellversuch in diesem Jahr startete, für einen halbwegs zufriedenstellenden Schulabschluss durchzustarten. Die Schule, in der dieses Förderprogramm etablierte wurde, lag in dem drei bis vier Kilometer entfernt liegenden Ort, in dem mein Onkel die englische Besatzungszeit beinahe nicht überlebt hätte, weil er Eier mit einer Axt verwechselt hatte. In dieser Zeit bekam meine Grundkondition, an der meine beiden Schwestern ja schon erfolgreich gearbeitet hatten, als sie ihren kleinen Bruder zu Rekordzeiten getrieben hatten, um möglichst schnell ihre Süßigkeiten in Empfang nehmen zu können, ihren Feinschliff. Ich hatte damals noch kein Fahrrad und für die Inanspruchnahme des Busses fehlte das Geld. So musste ich jeden Tag den weiten Weg zur Schule und zurück, beladen mit einer schweren Schultasche, zu Fuß absolvieren. Geschadet hat es mir nicht. Es war damals noch nicht allzu sehr verbreitet, dass die Kinder von den Eltern mit dem Auto vor der Schule abgesetzt wurden. Das mag zwar bequemer sein, auf der anderen Seite hatte ich kein Problem mit Übergewichtigkeit und musste nach einem 400-Meterlauf nicht unter ein Sauerstoffzelt.

Nach jahrelangem Hin und Her ging am 01. April 1963 das Zweite Deutsche Fernsehen auf Sender, natürlich noch in Schwarzweiß. Dies konnte unser Familienleben aber nicht weiter stören, denn wir hatten ja noch kein Fernsehgerät. Wir hörten die Hits des Jahres, die in den etablierten Rundfunksendern noch überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum kamen, nach wie vor im Radio. Freddy hatte mit „Junge komm bald wieder“ einen Riesenerfolg und Gitte behauptete „Ich will ´nen Cowboy als Mann“. Sie schwamm damit im Trend der Unterhaltungsbranche, die vom „Wilden Westen“, Cowboys und Indianern bestimmt wurde. Gus Backus zum Beispiel, berichtete von dem alten Häuptling der Indianer, der vom schweren Beruf im Wilden Westen sprach. Die Entdeckung des Jahres aber war die junge Manuela aus Berlin-Wedding, die mit ihrer Stimmlage und einem amerikanischen Akzent ihr Vorbild Connie Francis perfekt nachahmte und mit dem Schlager „Schuld war nur der Bossa Nova“ ihren ersten und wohl auch größten Hit landete. Die Tatsache, dass das Abspielen dieses Titels aufgrund der Textzeile: „Doch am nächsten Tag, fragte die Mama: Kind, warum warst du erst heut´ morgen da?“ im Bayrischen Rundfunk zunächst verboten wurde, beschleunigte den Erfolg wahrscheinlich noch. Der Titel dieses Schlagers brachte es fast zwangsläufig mit sich, dass später auf Betriebsfesten und anderen Feiern gesungen wurde: „Schuld war nur der Boss der Nova…“.

Die meisten Kriegs-Ruinen waren inzwischen beseitigt worden und es wurde Zeit für neue Errungenschaften. Die Fehmarnsund-Brücke wurde gebaut, die auf einer Länge von 963 Metern die Insel Fehmarn mit dem deutschen Festland verbinden sollte. Zusammen mit der neuen Brücke und dem Fährhafen Puttgarden entstand die „Vogelflug-Linie“, die dafür sorgte, dass fortan Eisenbahn und Autos für die Fahrt nach Skandinavien fast eine Stunde weniger benötigten, als bisher. Nordeuropa war damit näher gerückt.

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte

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