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1 Der Urknall

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Zufrieden schlummerte ich in meinem kleinen Bettchen und hörte im Unterbewusstsein, wie der Regen ohne Unterbrechung auf das Dach prasselte. Aber ich fühlte mich wohl, denn es war angenehm warm unter der Decke und ich wusste, dass ich mich nur lautstark bemerkbar machen müsste, wenn mir etwas fehlen sollte. Mit einem Schlag war es jedoch vorbei mit der Ruhe an diesem Sonntagnachmittag des 04. Juli 1954. Scheiben zersplitterten und Lampen fielen von der Decke. Die Menschen fielen über sich her, schrien und weinten. Was war geschehen? Eine Bombe war eingeschlagen. Diesmal aber nicht wie noch neun Jahre zuvor in irgendeinem Haus irgendeiner europäischen Stadt, sondern Zentimeter vorbei an den Fingern von Gyula Grosics, dem Torwart der Ungarischen Fußball- Nationalmannschaft. So oder so ähnlich mag es gewesen sein, als Helmut Rahn, der Rechtsaußen von Rot-Weiß Essen, im Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in der Schweiz das 3:2 gegen die für unschlagbar gehaltenen Ungarn geschossen hatte. Es gab sicherlich kein Radiogerät in Deutschland, dass in diesem Moment nicht eingeschaltet war und aus dem die sich überschlagende Stimme des legendären Rundfunkreporters Herbert Zimmermann schallte, der von einem Fußballgott namens Toni berichtete, als der deutsche Torwart Toni Turek aus Düsseldorf tollkühn gegen den ungarischen Ausnahmefußballer Ferenc Puskas rettete und wenig später schrie: „Aus, aus, aus, das Spiel ist aus!! Deutschland ist Weltmeister!!!“. Auch ich werde seine Freudenschreie wahrscheinlich vernommen haben. Mit meinen gerade einmal eineinhalb Jahren habe ich die Bedeutung dieses Ereignisses aber nicht so wirklich einordnen können und um ehrlich zu sein, so richtig erinnern kann ich mich nicht daran. Aber für mich war es wohl die erste Begegnung mit der Faszination Fußball.

Für die Menschen in Deutschland, die diesen Endspielsieg gegen Ungarn bewusst miterlebt hatten, war es jedoch viel mehr als das banale Ergebnis in einem sportlichen Wettbewerb. Es ging ein kollektiver Jubelsturm durch eine ganze Nation, die mit allem Eifer, aber voller Depressionen angefangen hatte, das nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg zerstörte Land wieder aufzubauen. Ob bewusst oder unbewusst, ob aktiv oder nur duldend. Alle wussten, dass sie sich mitschuldig gemacht hatten an dem, was ihr Führer und seine Schergen unter ihrer Mithilfe angerichtet hatten. Und jetzt war ihr Land sensationell, gegen einen für übermächtig gehaltenen Gegner, Fußball-Weltmeister geworden. Stolz verkündeten die Deutschen Zeitungen: „Wir sind wieder wer“! Fußball – die schönste Nebensache der Welt. Nicht einmal zehn Jahre war es her, dass der Zweite Weltkrieg geendet hatte und Deutschland am Boden lag.

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte

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