Читать книгу Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte - Reinhard Warnke - Страница 15

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In der aller ersten Bundesliga-Saison galt der 1.FC Köln unter Präsident Franz Kremer als Vorzeigeklub. Im Gegensatz zu allen anderen Clubs war der Verein zum Start der Bundesliga in der Lage, den Anforderungen des Profifußballs gerecht zu werden. Dazu gehörte natürlich auch ein erfahrener, besonders qualifizierter Trainer. Und dies war Georg Knöpfle, der erste Meistertrainer der Bundesliga, zweifellos. Vom ersten Spieltag an war der 1. FC Köln ununterbrochen Tabellenführer und wurde mit sechs Punkten Vorsprung (bis zur Saison 1994/ 95 galt die 2-Punkte-Regel) erster Meister der Bundesliga. Weltmeister Hans Schäfer war der Leitwolf der Mannschaft, Regie aber führte der erst 20-jährige Wolfgang Overath. Die erfolgreichsten Torschützen des Meisters waren Karl-Heinz Thielen mit 16 und Christian Müller mit 15 Treffern. Torschützenkönig der Liga wurde hingegen Uwe Seeler, der 30 Tore für den HSV erzielte und infolgedessen von den Sportjournalisten zum Fußballer des Jahres gewählt wurde. Er erhielt diese Auszeichnung damit bereits zum zweiten Mal, nachdem er 1960 der erste Spieler überhaupt war, dem diese Ehre entgegen gebracht worden war. Timo Konietzka, Torschütze des ersten Bundesliga-Tores aller Zeiten, kam mit immerhin zwanzig Treffern auf Rang zwei der Torschützenliste. Die Sensationsmannschaft der ersten Bundesliga-Saison aber kam aus Duisburg. Viele wunderten sich, dass der Meidericher SV beim Start der Bundesliga dabei war. Umso überraschender kam es für alle Experten, dass die Meidericher die Vizemeisterschaft errangen. Trainer der Mannschaft war Rudi Gutendorf, Weltenbummler in Sachen Trainertätigkeit, der in dieser Saison den Spitznamen „Riegel-Rudi“ erhalten hatte, weil er seine Mannschaft stets extrem defensiv spielen ließ, um die Gegner ein ums andere Mal mit schnellen Kontern zu überraschen. 36 Gegentreffer waren dann auch die wenigsten in der gesamten Liga. Zu Beginn der Saison hatte sich der MSV mit einem sehr prominenten Neuzugang verstärkt. Es war kein Geringerer als Weltmeister Helmut Rahn, der nach seinem Engagement in Köln für ein Jahr in Holland bei Twente Enschede gespielt hatte. Erneut sollte der „Boss“ für einen Eintrag in den Geschichtsbüchern des deutschen Fußballs sorgen, denn er war der erste Spieler, der in der Bundesliga vom Platz gestellt wurde.

Auch Charly Dörfel, der Linksaußen des HSV, wurde in dieser ersten Bundesligasaison des Feldes verwiesen. Es gab in dieser Zeit noch keine „gelben und roten Karten“, sondern wenn ein Schiedsrichter einen Spieler verwarnte, notierte er dessen Namen in seinem Notizbuch. Im Spiel des HSV gegen 1860 München, das die Hamburger mit 5:0 gewannen, wollte der Schiedsrichter den Nationalspieler wegen einer Regelwidrigkeit verwarnen und fragte nach seinem Namen, wohl wissend, wer da vor ihm stand. Dies wird sich auch Dörfel gedacht haben und antwortete mit: „Meyer“. Daraufhin schickte ihn der Schiedsrichter zum Duschen. Irgendwie passte dies zum eigenwilligen Charly Dörfel. Die Löwen aus München revanchierten sich für die 0:5 Niederlage im Rückspiel spektakulär. Mit sage und schreibe 9:2 überrollten sie den HSV Anfang März 1964 wie eine Lawine. Wobei dies sinnbildlich zu sehen war, denn das Spiel im Stadion an der Grünwalder Straße fand im dichten Schneetreiben und auf einer mehrere Zentimeter hohen Schneedecke statt. Insofern musste man den Herren aus dem hohen Norden wohl zu Gute halten, dass sie sich in Wintersportdisziplinen nicht so gut auskannten, wie die Kontrahenten aus dem Alpenvorland. Dabei hatte der HSV durchaus schon Gelegenheit zum Üben gehabt, denn auch das Bundesligaspiel gegen den Deutschen Meister Borussia Dortmund im Volksparkstadion fand in der Vorweihnachtszeit auf Schneeboden statt. Es handelte sich dabei allerdings um ein Wiederholungsspiel, denn am 7. Dezember standen sich beide Mannschaften schon einmal gegenüber. Dieses Spiel musste nach 61. Minuten beim Spielstand von 2:1 für die Borussia wegen zu starken Nebels im Volksparkstadion abgebrochen werden. Es war damit der erste Spielabbruch in der Geschichte der Bundesliga. In der Neuauflage dieser Begegnung hatte dann der HSV die Nase vorn, der nach dem Sieg im Pokalfinale nunmehr auch das erste Aufeinandertreffen in der Bundesliga gegen den BVB für sich entscheiden konnte. Nach einem 0:1-Halbzeitrückstand, der vom Borussen-Stürmer Reinhold Wosab hergestellt wurde, erzielte Uwe Seeler die beiden Treffer für den HSV zum 2:1-Sieg. Ein erfindungsreicher Journalist schrieb daraufhin ein Weihnachtsgedicht der besonderen Art, dass in der Woche nach dem Bundesligaspiel in einer großen deutschen Tageszeitung veröffentlicht wurde. Endlich mal ein Weihnachtsgedicht, dass auch mir gefiel und so ist es nicht verwunderlich, dass ich es nach kurzer Zeit auswendig kannte. Noch heute kann ich mich zum Teil daran erinnern. So oder so ähnlich lautete es:

„Von drauß´ vom Strafraum komm ich her,

ich muss Euch sagen, dass Tor war leer.

Und all überall auf den Stiefelspitzen,

sah ich goldene Vorlagen blitzen.

Und droben aus dem Borussen-Tor,

schaute mit großen Augen Tilkowski hervor.

Und wie ich so kam durch den Strafraum dann,

rief´s mich mit heller Stimme an:

„Knecht Uwe rief es, alter Gesell,

hebe die Beine und spute dich schnell.

Das Borussen-Tor wird aufgetan,

für den HSV fängt die Adventszeit jetzt an.“

Freude über einen Bundesligasieg anno 1963. Die erste Bundesliga-Saison, deren Beginn ich mit dem allerersten Tor in Bremen selbst miterlebt hatte, endete im Mai 1964, mit einem überlegenen 1.FC Köln als Deutscher Meister. Für Weltmeister Max Morlock, Torschütze des wichtigen Anschlusstreffers gegen Ungarn im WM-Endspiel 1954, hieß es Abschied nehmen, vom aktiven Fußball. In 900 Spielen für den 1. FC Nürnberg erzielte er 700 Tore, wurde zweimal Deutscher Meister und 1961 Fußballer des Jahres. In der deutschen Nationalmannschaft kam er von 1950 bis 1958 sechsundzwanzig mal zum Einsatz und schoss dabei einundzwanzig Tore. Nach einer Achillessehnenoperation im Dezember 1964 musste ein weiterer Weltmeister seine Karriere beenden, der in diesen Aufzeichnungen schon häufig genannt wurde und der dafür gesorgt hatte, dass die Deutschen 1954 voller Stolz von sich behaupteten: „Wir sind wieder wer“ – Helmut Rahn. Preußen Münster und der 1. FC Saarbrücken waren die ersten Absteiger aus der Bundesliga. Obwohl Borussia Neunkirchen als Geheimfavorit in Gruppe 1 der Aufstiegsrunde zur Bundesliga gehandelt wurde, war es doch überraschend, dass sich die Mannschaft aus dem Südwesten Deutschlands gegen Bayern München durchsetzten konnte und in die Bundesliga aufstieg. Im ersten Spiel der Bayern in der Aufstiegsrunde, das sie mit 4:0 beim FC St. Pauli gewannen, wurde erstmals ein 19-jähriges hoffnungsvolles Talent im Seniorenbereich eingesetzt, es war Franz Beckenbauer! In Gruppe 2 der Aufstiegsrunde war der Meister der Regionalliga West, Alemannia Aachen, eindeutiger Favorit und es kam schon einer Sensation gleich, dass sich Hannover 96 durchsetzte und in die Bundesliga aufstieg.

Der Deutsche Meister von 1963, Borussia Dortmund, spielte eine außerordentlich gute Europapokal-Saison und triumphierte dabei gleich gegen zwei europäische Spitzen-Teams. Im Achtelfinale besiegten die Borussen den zweimaligen Europapokal-Sieger Benfica Lissabon nach einer 1:2 Niederlage in Portugal im Rückspiel sensationell mit 5:0. Im Viertelfinale gegen Dukla Prag gewannen sie das Hinspiel deutlich mit 4:0, verloren dann aber das Rückspiel mit 1:3. Dies reichte jedoch, um in das Halbfinale zu gelangen. Dort aber kam das Aus nach einem 2:2 und einem 0:2 gegen Inter Mailand. „Catenaccio“ ist ein wohlklingendes italienisches Wort für eine wenig attraktive und verpönte Spielweise im Fußball. Trainer Helenio Herrera entwickelte diese totale Defensiv-Taktik und ließ sie mit Inter Mailand bis zur Vollendung spielen. Im Abwehrzentrum hatte er hierfür mit Faccetti, einen der weltbesten Abwehrspieler aller Zeiten, der 98 Länderspiele, davon 70 als Kapitän, für die italienische Nationalmannschaft bestritten hat, sowie Burgnich, ebenfalls italienischer Nationalspieler, die idealen Spieler für dieses „Mauer-System“ zur Verfügung. Aber auch für die Konterangriffe hatte Inter in der Offensive Fußballer der gehobenen internationalen Klasse, wie Jair, Mazzola und Suarez. So hatte auch Real Madrid im Endspiel keine Chance, gegen diese „Mauer-Taktik“ anzukommen und verlor mit 1:3. Der Europapokal blieb damit in Mailand, nur der Verein hatte gewechselt.

Altona 93 gehört zu den ältesten Fußball-Clubs Deutschlands. Fast ununterbrochen gehörte der Verein in der Oberliga Nord bis 1963 der höchsten deutschen Spielklasse an. Zu den Höhepunkten der Ligamannschaft gehörten sicherlich die Duelle mit dem HSV, dem großen Hamburger Stadtrivalen, in den 50er Jahren. Die Adolf-Jäger-Kampfbahn, Heimstätte des Clubs und benannt nach dem ersten Nationalspieler von Altona 93, platzte bei diesen Begegnungen mit zum Teil 27.000 Zuschauern aus allen Nähten. Am 03. Juni 1964 nahm mein Vater mich mit in die traditionsreiche Adolf-Jäger-Kampfbahn. Anlass hierfür war, dass Altona 93, durch Einführung der Bundesliga zur Zweitklassigkeit in der Regionalliga Nord verdammt, überraschend das Halbfinale des DFB-Pokals erreicht hatte und dabei auf den TSV 1860 München traf. Den „weiß-blauen“ Löwen aus München gehörte zu dieser Zeit nach dem HSV meine größte Sympathie. So war es für mich natürlich eine große Freude, diese Mannschaft in dem kleinen Stadion einmal aus nächster Nähe bewundern zu können. Auf Petar Radenkovic - den legendären jugoslawischen Torwart - Spaßvogel mit dem Drang nach Ausflügen bis an die Mittellinie, die beiden Haudegen in der Abwehr – Otto Luttrop und Rudolf Steiner, vor allem aber die Offensivspieler Wilfried Kohlars, Rudi Brunnenmeier, Hannes Küppers und Fredy Heiß habe ich mich besonders gefreut. Der Bundesligist konnte seiner Favoritenrolle in diesem Halbfinale allerdings nicht gerecht werden und so stand es sehr zur Freude der Zuschauer in der Adolf-Jäger-Kampfbahn nach 90 Minuten 1:1 Unentschieden, nachdem Stürmer Heiko Kurth, der später sein Glück auch beim HSV suchte, den Durchbruch dort aber nicht schaffte, den umjubelten Ausgleich für Altona 93 erzielt hatte. In der Verlängerung ging dem Regionalligisten dann allerdings die Puste aus und so erreichte 1860 München mit einem 4:1 nach Verlängerung das Pokal-Endspiel. Dieses Finale sollte nur zehn Tage später im Stuttgarter Neckar-Stadion bei glühender Hitze stattfinden. Der Gegner der Löwen, Eintracht Frankfurt, am Ende der gerade abgelaufenen ersten Bundesligasaison immerhin Tabellendritter und seit Januar des Jahres ungeschlagen, wurde dabei als klarer Favorit gehandelt. Dies störte die Löwen aber wenig. Mit der Hitze offensichtlich besser klarkommend, gewannen sie das Spiel durch Tore von Kohlhas und Brunnenmeier mit 2:0 und wurden Pokalsieger 1964.

Frühlingshafte Temperaturen sorgten dafür, dass die Olympischen Winterspiele in Innsbruck unter akutem Schnee- und Eismangel litten. Das österreichische Bundesheer musste 40.000 Kubikmeter Schnee für die alpinen Skistrecken heranschaffen und auch 20.000 Eisblöcke mussten nach Innsbruck transportiert werden, um die Bob- und Rodelbahnen präparieren zu können. Dies störte die sowjetische Eisschnellläuferin Lydia Skoblikowa nicht weiter. Sie gewann alle vier Eisschnelllaufwettbewerbe der Frauen und wurde damit die erste Sportlerin, die vier Goldmedaillen während einer Winterolympiade gewann. Weniger Glück hatte das Traumpaar des deutschen Eiskunstlaufens Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler, für die es wieder einmal nur zum zweiten Platz hinter den Protopopows aus der Sowjetunion und damit zur Silbermedaille reichte. Und diese Medaillen mussten sie auch noch zurück geben, weil sie vor den Spielen einen Profivertrag unterschrieben hatten. Erst 1987 sollten sie ihre Medaillen zurück bekommen. Manfred Schnelldorfer sorgte dann dafür, dass sich die deutschen Eiskunstlauf-Fans dennoch über eine Goldmedaille freuen durften.

Die Olympischen Sommerspiele 1964 fanden in der japanischen Hauptstadt Tokio statt. Deutschland trat zum letzten Mal mit einer gesamtdeutschen Mannschaft an, also mit Sportlern aus West- und Ostdeutschland und gewann zehn Goldmedaillen. In Erinnerung geblieben sind mir die Goldmedaillen von Willi Holdorf im Zehnkampf der Leichtathleten, Willi Kuhweide beim Segeln, dem Vierer mit Steuermann beim Rudern, sowie der Dressur-mannschaft mit Harry Boldt, Dr. Reiner Klimke und Josef Neckermann, dem Begründer des gleichnamigen Versandhauses. Ein deutscher Sportler aber hat seine Bronzemedaille vergoldet. Der Hammerwerfer Uwe Beyer erhielt ohne schauspielerische Erfahrung 1966 die Hauptrolle des Siegfried in der Kinoproduktion „Die Nibelungen“.

Arbeitslosigkeit, dies war in Deutschland anno 1964 ein Fremdwort. Etwa 100.000 Arbeits-suchenden standen 670.000 offene Stellen entgegen und dies, obwohl bereits 986.000 Gastarbeiter nach Deutschland gekommen waren. Viele von ihnen kamen in der ersten Zeit aus Italien und so beschrieb Conny Froboess in ihrem Schlager „Zwei kleine Italiener“ zutreffend die Gefühle und Träume von Gastarbeitern, fern der Heimat, mit Sehnsucht nach ihren Freundinnen und ihrer Familie. Wenn heute jemand der Meinung ist, Ausländer würden ihm die Arbeit „wegnehmen“, so sei ihm gesagt, dass in der Bundesrepublik Deutschland seit Anfang der 60er Jahre dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt wurden, um den Wirtschaftsaufschwung stabil zu halten. Diese Arbeitnehmer haben für sich und ihre Nachkommen das Recht erwirkt, dauerhaft in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Mir sind diese Mitbürger weitaus lieber, als die zufällig in Deutschland geborenen hohlköpfigen Idioten, die mit Baseballschlägern bewaffnet Menschen anderer Herkunft verfolgen und attackieren. Das Gleiche wie für die Gastarbeiter und ihre Angehörigen aus Italien, der Türkei, aus Griechenland oder sonst woher gilt für Menschen, die ihr Heimatland verlassen mussten, weil sie dort Verfolgung oder Kriegszuständen ausgesetzt waren und in Deutschland Asyl gefunden haben. Millionen von Juden wären froh gewesen, wenn sie in irgendeinem Land aufgenommen worden wären, bevor sie von den Deutschen bestialisch ermordet wurden. Jeder friedvolle Mensch, egal welcher Herkunft oder Hautfarbe, hat das Recht auf ein Leben in Freiheit. Niemand darf sich anmaßen, dieses Recht in Zweifel zu ziehen. Dieses gilt für glatzköpfige Ignoranten genauso wie für Politiker, die bei der Diskussion über Integration und Ausweisung manchmal offenbar vergessen, dass es sich dabei um das Schicksal von Menschen handelt.

Siw Malmkvist gehörte nicht zu den zitierten Gastarbeitern, sondern die Schwedin war Schlagersängerin mit großem Erfolg in Deutschland und hatte im Jahr 1964 mit „Liebeskummer lohnt sich nicht“ ihren größten Hit. Die Tatsache, dass ARD und ZDF keine Peter-Alexander-Filme zeigen wollten, hatte wahrscheinlich keinen rassistischen Hintergrund in Zusammenhang mit der österreichischen Herkunft des Hauptdarstellers, sondern den beiden Fernsehsendern waren die Filme zu seicht. Als das ZDF sich dann schließlich doch entschloss, Produktionen mit Peter Alexander auszustrahlen, entpuppten sie sich als Riesenerfolg beim deutschen Fernsehpublikum. Dies zeigt, dass man weitreichende Entscheidungen sorgsam überdenken sollte.

Ich hatte mittlerweile Freude daran gewonnen, Bücher zu lesen. Besonders angetan war ich damals vom Abenteuerroman „Robinson Crusoe“ des englischen Schriftstellers Daniel Defoe, Mark Twains sozialkritischem Roman „Tom Sawyer“, „Die Schatzinsel“, bekanntester Roman des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson, der 1966 mit dem jungen Michael Ande in der Hauptrolle des Jim Hawkins verfilmt wurde und „Die deutschen Heldensagen“, in denen insbesondere die Sagenumwogende Geschichte der Nibelungen geschildert wurde, die Grundlage für die schauspielerische Karriere des Hammerwerfers Uwe Beyer in der Figur des „Siegfried“ war. Eine große Faszination übten auf mich in dieser Zeit aber natürlich auch die Romane des Karl May aus. Welch eine Phantasie muss dieser Schriftsteller gehabt haben, der die Länder des Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, eines Winnetou und Old Shatterhand nie besucht hatte und sie dennoch so lebendig beschrieben hat, als hätte er selbst mit Sklavenjägern gekämpft und wäre bei den Indianerkriegen persönlich dabei gewesen. Natürlich habe ich mir später auch mit Begeisterung die Karl May-Filme im Kino und im Fernsehen angeschaut, in denen Winnetou und Old Shatterhand von den Schauspielern Pierre Brice und Lex Barker so hervorragend dargestellt wurden, ungefähr so, wie ich sie mir beim Lesen der Bücher vorgestellt hatte. Von allen Karl May-Büchern hat mich ich in meiner Kindheit am meisten der Roman „Der Schatz im Silbersee“ begeistert und viele Jahre später hatte ich die Möglichkeit, diesen „Silbersee“ mit eigenen Augen zu sehen. Im Jahr 1985 habe ich zusammen mit meiner Freundin einen Campingurlaub auf der Halbinsel Istrien im damaligen Jugoslawien verbracht und von unserem Urlaubsort aus sind wir damals zu den Plitvicer Seen gefahren, eine unglaublich schöne Seenlandschaft. Dort sind sämtliche Außenaufnahmen für den Film „Der Schatz im Silbersee“ gedreht worden. Schon tief beeindruckt von der Schönheit der Natur in Plitvice, wurden bei mir die Erinnerungen an das Buch und den Film wach. So wurde für mich diese Ausfahrt zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Noch aber befinden sich meine Aufzeichnungen im Jahr 1964, einer Zeit, in der Rassenhass und Diskriminierung noch längst nicht überwunden waren, insbesondere in den Südstaaten der USA, dem Land, in dem der Freiheitsgedanke angeblich über allem steht. An der Spitze der Bürgerrechts-Bewegung, die sich gegen soziale Unterdrückung und Rassismus wendete, stand seit Mitte der 50er Jahre der Baptistenpastor Martin Luther King. Die Weltöffentlichkeit wurde erstmals auf ihn aufmerksam, als er in Montgomery, einer Stadt im Süden der USA, den Boykott der schwarzen Bevölkerung gegen die städtischen Busunternehmen organisiert hatte. Anlass für diesen Boykottaufruf war die unglaubliche Tatsache, dass die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks am 01. Dezember 1955 verhaftet worden war, weil sie sich weigerte, im Bus einem Weißen Platz zu machen. 381 Tage dauerte dieser gewaltlose Widerstand mit dem Erfolg, dass jede Art von Rassentrennung in den Bussen der Stadt Montgomery durch den Obersten Gerichtshof verboten wurde. Dieser Erfolg war die Initialzündung für weitere gewaltlose Aktionen gegen den Rassismus unter der Führung von Martin Luther King. Der Freiheitsgedanke der schwarzen Bevölkerung war inzwischen vom Süden auf die gesamte USA übergeschwappt und immer mehr Weiße zeigten ihre Solidarität zur Bürgerrechtsbewegung, allen voran John F. Kennedy, der sich offen gegen die Rassen-Diskriminierung aussprach, eine Bürgerrechts-Gesetzgebung angeschoben hatte und Martin Luther King mehrmals hilfreich zur Seite gestanden hat, wenn dieser wieder einmal aus vorgeschobenen Gründen inhaftiert worden war. Sehr zum Unwillen des FBI und dessen Chef Hoover, der entschiedener Gegner einer Gleichberechtigung der Schwarzen in Nordamerika war. Es ist nicht ausgeschlossen, dass John F. Kennedy ermordet wurde, weil er sich vehement für die Bürgerrechte der Schwarzen eingesetzt hatte. Am 28. August 1963, drei Monate vor dem Attentat auf den amerikanischen Präsidenten, fand in Washington eine friedliche Großdemonstration mit mehr als 250.000 Menschen, darunter 60.000 Weiße, für die Bürgerrechts-Gesetzgebung statt, auf der Martin Luther King seine wohl bedeutendste Rede hielt, mit dem legendären Satz: „I have a dream“. Im Jahr 1964 erhielt er für seinen couragierten Einsatz in Bezug auf die Menschenrechte den Friedensnobelpreis. Doch sein Kampf um die Gleichberechtigung ging weiter, denn obwohl Präsident Lyndon B. Johnson dafür gesorgt hatte, das Bürgerrechtsgesetz in Kraft treten zu lassen, blieb der Rassenhass in den Vereinigten Staaten Realität. Am 04. April 1968 bezahlte auch Martin Luther King seinen gewaltlosen Kampf für die Verwirklichung der Bürgerrechte der Schwarzen mit seinem Leben, als er auf dem Balkon eines Motels in Memphis erschossen wurde. Nicht im Traum konnte man damals ahnen, dass jemals ein Schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden könnte.

Nicht ganz so dramatisch vollzog sich das Ende einer Ära im bundesdeutschen Fußball. Beim 4:1-Sieg über Finnland in Helsinki war Sepp Herberger nach 28 Jahren zum letzten Mal für die deutsche Nationalmannschaft verantwortlich. Er war nicht nur der erfolgreiche Trainer des Überraschungsweltmeisters von 1954, sondern bahnte auch den Weg dafür, dass Deutschland seit Jahrzehnten eine der besten Nationalmannschaften der Welt stellen kann und er hat sich maßgeblich für die Einführung der Fußball-Bundesliga eingesetzt. Dass der langjähriger Assistent, Helmut Schön, sein Nachfolger werden würde, stand schon seit langem fest und der hatte gleich im ersten Spiel unter seiner Verantwortung eine schwere Hürde vor sich. In der Qualifikation um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 1966 in England kam es am 04. November 1964 zum ersten Aufeinandertreffen mit Schweden, dem ernsthaftesten Rivalen in der Qualifikationsgruppe. Im Berliner Olympiastadion kam die deutsche Mannschaft bei einem Treffer durch den Münchener Rudi Brunnenmeier über ein 1:1-Unentschieden nicht hinaus. Vom ersten Tag seiner Tätigkeit als verantwortlicher Trainer der deutschen Nationalmannschaft an musste Helmut Schön also unter erheblichem Druck arbeiten.

Dass der Mini in dieser Zeit begann, die Mode der jungen Frauen zu bestimmen, hat mich mit meinen 12 Jahren noch nicht sonderlich interessiert. Ich hatte ganz andere Probleme, denn meine kriminelle Karriere schien begonnen zu haben. Seit kurzem hatten die ersten Selbstbedienungsgeschäfte ihren Betrieb aufgenommen. Man musste jetzt nicht mehr am Tresen des Geschäftes seine Einkaufswünsche benennen, sondern konnte sich aus den Regalen die Waren nehmen, die man gedachte, zu kaufen, um sie dann vor dem Ausgang an der Kasse zu bezahlen. Eine revolutionäre Erneuerung, die aber auch dazu verführen konnte, Ware heimlich an sich zu nehmen und das Geschäft zu verlassen, ohne vorher bezahlt zu haben. Auch in unmittelbarer Nähe unserer Schule war gerade ein solcher Selbstbedienungsladen eröffnet worden. Einige Mitschüler rühmten sich damit, Süßigkeiten mitgenommen zu haben, ohne sie zu bezahlen. Darunter war auch einer meiner besten Schulfreunde, dessen Mutter Lehrerin an der besagten Schule war. Mein Freund forderte mich immer wieder auf, auch einmal in dem Geschäft Süßigkeiten heimlich einzustecken und als ich mich weigerte, galt ich als Feigling. Mit diesem Attribut bedacht, entschloss ich mich dann eines Tages zum Diebstahl. Aber ich glaube, irgendwie fehlt mir das Talent, Dinge mitzunehmen, die mir nicht gehören. Ich kann mich noch heute genau daran erinnern, dass der Kassierer aufgestanden war und es genau beobachtet hatte, als ich eine Tüte Bonbons in meiner Jackentasche verschwinden ließ. Der Versuch, das Geschäft ohne Probleme verlassen zu können, schlug natürlich fehl und ich nannte dem Kassierer auch sofort meinen Namen, als er danach gefragt hatte. Er wollte mein Vergehen umgehend bei der Schule melden, traf dabei aber zum Glück auf die Mutter meines Freundes. Sie sprach mich auf mein Vergehen an, als ich meinen Heimweg antreten wollte und ich erklärte ihr, dass ich meine Handlung nicht geplant hatte und es auch bereits bereuen würde. Da ich sie ja sehr gut kannte, war ich davon überzeugt, dass sich die Angelegenheit damit erledigt und ich keine weiteren Schwierigkeiten zu befürchten hatte. Trotzdem beschäftigte mich die Angelegenheit den ganzen Tag über und ich verabschiedete mich am späten Nachmittag weitaus früher von meinen erstaunten Spielkameraden, um schnell nach Hause zu kommen. Doch dort erschrak ich fürchterlich, denn vor dem Bahnhof stand der blaue VW – Käfer meines Klassenlehrers. Der stand noch nie da. Welch eine Schmach, wenn meine Eltern erfahren würden, dass ich gestohlen hatte. Ich ahnte Schlimmes und kehrte zurück zu meinen jetzt noch mehr erstaunten Spielkameraden. Irgendwann musste ich dann aber doch nach Hause. Der blaue VW – Käfer stand nicht mehr da, aber mein beklemmendes Gefühl war geblieben. Von meinen Eltern wurde ich begrüßt wie sonst immer, ohne dass sie irgendwelche Andeutungen auf meine Verfehlungen machten. Ich weiß bis heute nicht, warum das Auto meines Lehrers gerade an diesem Tag vor dem Bahnhof stand und ob meine Eltern jemals von meinem Diebstahl Kenntnis erhalten haben. Da meine Eltern und der Lehrer schon seit vielen Jahren nicht mehr am Leben sind, werde ich dies auch nicht mehr erfahren. Ich habe mich damals aber vor mir selber so geschämt, dass meine kriminelle Karriere so schnell endete, wie sie begonnen hatte.

Der 2. Weltkrieg lag jetzt bereits fast zwanzig Jahre zurück, aber in Vietnam herrschte seitdem immer noch Krieg um Unabhängigkeit, Vorherrschaft und Einheit des Landes. Es hatte im sogenannten Indochina-Krieg begonnen, als sich Vietnam nach dem Rückzug der japanischen Truppen gegen die französische Kolonialherrschaft zur Wehr setzte. In Hanoi, im Norden des Landes, wurde bereits 1945 nach Abzug der Japaner die „Demokratische Republik Vietnam“ errichtet. Unter ihrem Präsidenten Ho Chi Minh wurde die kommunistisch ausgerichtete „Liga für die Unabhängigkeit Vietnams“, der Vietminh, gebildet, der mit politischer und militärischer Unterstützung Chinas gegen die französische Kolonialherrschaft kämpfte und Ende 1953 den größten Teil Vietnams besetzt hatte. Auf der Genfer Indochina-Konferenz, die mit einem Waffenstillstand zwischen Frankreich und Vietnam geendet hatte, wurde der 17. Breitengrad als vorläufige Demarkationslinie zwischen Nord- und Südvietnam festgelegt. Mit Zustimmung der westlichen Verbündeten verstärkte fortan die USA ihr Engagement im Süden Vietnams, um die Ausweitung des kommunistischen Systems auf den Süden zu verhindern und löste 1955 Frankreich als Schutzmacht in Südvietnam ab. Der Norden wurde jetzt nicht nur von China, sondern auch von der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten unterstützt. Es gab etliche Krisenherde auf dem Erdball, die den Konflikt zwischen Ost und West deutlich werden ließen, wie zum Beispiel Kuba und Korea. In meiner Wahrnehmung symbolisierte jedoch insbesondere der Krieg in Vietnam genauso wie das geteilte Deutschland den Kalten Krieg zwischen Ost und West.

Ngo Dinh Diem errichtete in Süd-Vietnam mit amerikanischer Rückendeckung ein autoritäres Regime, in dem jede Art von Opposition unterdrückt wurde. Vor diesem Hintergrund begannen die Kommunisten Südvietnams, die sich Vietcong nannten, mit Guerillaaktionen gegen das Regime Diem und amerikanische Militäreinrichtungen. Unter Präsident John F. Kennedy wurde die Präsenz der Amerikaner in Vietnam weiter verstärkt, obwohl er wahrscheinlich wirklich bis zu seinem gewaltsam herbeigeführten Lebensende gehofft hatte, einen aktiven Eingriff der USA in den Vietnamkrieg abwenden zu können. Doch die meisten Historiker sind sich einig, dass auch er es nicht hätte verhindern können, dass im Februar die amerikanische Luftwaffe begann, strategisch wichtige militärische und wirtschaftliche Ziele in Nord-Vietnam zu bombardieren. Auch der Ho-Chi-Minh-Pfad in Laos und Kambodscha, über den der Vietcong seinen Nachschub aus dem Norden erhielt, war Ziel der amerikanischen Bomber. Jetzt hatte die Phase des Vietnamkrieges begonnen, in der die Emotionen der Menschen auf der ganzen Welt aufgewühlt wurden und im Laufe der Jahre sollten die Proteste immer lauter werden. Die Auflehnung der Jugend gegen das verhasste Establishment, die 1968 ihren Höhepunkt erreichen sollte, wurde von den Geschehnissen in Vietnam stark geprägt.

Joan Baez, die großartige und engagierte amerikanische Sängerin, Tochter einer Schottin und eines Mexikaners, hatte aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe während ihrer Kindheit selbst unter Diskriminierung zu leiden. Sie war die Erste, die sich in ihren Protestsongs gegen Missstände und Rassendiskriminierung richtete. Ihr Protestlied „We Shall Overcom“, mit dem sie weltberühmt wurde, spielte in der Bürgerrechtsbewegung der USA eine sehr wichtige Rolle. Aber fortan engagierte sie sich auch im Protest gegen den Krieg in Vietnam. Ein weiterer Sänger von Protestliedern wuchs quasi im Windschatten von Joan Baez auf. Sie hatte Bob Dylan, der bis dahin nur als Straßenmusiker in Erscheinung getreten war, zeitweise bei sich aufgenommen, weil sie ihn mochte und von seinem unglaublichen Talent überzeugt war. Bereits In dieser Zeit entstand sein Erfolgssong „Blowing in the Wind“, man kann sagen, die Hymne der 68´-Bewegung. Aber Dylan war wahrscheinlich weniger politisch engagiert, als seine Lieder es ausdrücken. Als leidenschaftlicher Anhänger der Folk-Musik suchte er in erster Linie lange Zeit nach seinem eigenen musikalischen Weg. Mehr noch als Interpret seiner eigenen Lieder, sollte er als Songwriter Weltruhm erreichen, für andere Sänger und Pop-Gruppen, insbesondere von Bands wie „The Birds“ und „Manfred Mann“. Bob Dylan blieb allerdings auch weiterhin aktiver Begleiter der Protestaktionen gegen Rassenhass, Unrecht und Krieg.

Am 20. Februar 1965 erlitt die bundesdeutsche Fußballnation einen fürchterlichen Schock. Im Frankfurter Waldstadion, auf tief gefrorenem Boden, war dem Kapitän des HSV und der deutschen Nationalmannschaft die Achillessehne gerissen. Eine Verletzung, die in dieser Zeit bisher das Aus einer Sportlerkarriere bedeutet hatte. Ohne „Uns Uwe“ im September nach Schweden, wo das alles entscheidende Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft 1966 in England stattfinden würde. Dies schien unvorstellbar! Selbst in der Tagesschau wurden Interviews mit dem sympathischen Torjäger in seinem Krankennzimmer gezeigt. Es wurde Hoffnung erzeugt, aber so recht mochte keiner an eine wundersame Heilung glauben. Selbst in Bremen war Seeler sehr beliebt und das soll bei der Rivalität der beiden Vereine aus dem Norden etwas heißen. Der Bremer Max Lorenz ist noch heute einer der besten Freunde von Uwe Seeler. Doch bei Werder hatte man in diesen Tagen ganz andere Gedanken, denn die Bremer waren auf dem besten Weg, Deutscher Meister zu werden. Eine Woche vor dem Unglück in Frankfurt hatte der HSV den SV Werder zu Gast. Mein Vater, der mich diesmal nicht mit ins Volksparkstadion genommen hatte, kam anschließend total begeistert zurück. Man merkte ihm an, dass sein Herz doch ein wenig mehr für Werder als für den HSV schlug. Bremen hatte Hamburg mit 4:0 geschlagen und damit einen wesentlichen Schritt zur Meisterschaft getan. Und mein Vater schwärmte von den Bremer Fans, die mit dem aktuellen Mainzer Karnevalsschlager „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ für riesige Stimmung gesorgt hatten. Dieser Fan-Song war noch über Jahrzehnte in den Stadien zu hören und Werder Bremen wurde 1965, zur Überraschung Vieler, tatsächlich zum ersten Mal Deutscher Meister. Den DFB-Pokalsieg konnte in diesem Jahr Borussia Dortmund mit einem 2:0-Sieg gegen Alemannia Aachen für sich erringen. Erst im folgenden Jahr sollte deutlich werden, welche Bedeutung dieser Pokalsieg für die Borussia haben würde.

Die Begegnung Deutschland gegen Italien in Hamburg, am 13. März 1965, war das erste Länderspiel, das ich im Stadion miterlebt habe. Mein Vater hatte nicht nur mich, sondern diesmal auch meine Mutter mitgenommen. Mit Torhüter Manfred Manglitz, Horst-Dieter Höttges, Sepp Piontek, Bernd Patzke und Heinz Hornig feierten gleich fünf Spieler ihren Einstand in der deutschen Nationalmannschaft. Aber wir sahen in diesem Klassiker des europäischen Fußballs ein überaus ruppiges Spiel, das 1:1 endete und das mit einem rüden Foul von Burgnich den Höhepunkt der Brutalität erlebt hatte, für das der Italiener zu Recht vom Platz gestellt wurde. An diesen Platzverweis wird Burgnich am 27. Mai sicherlich nicht mehr gedacht haben, als er mit Inter Mailand durch einen 1:0-Sieg gegen Benfica Lissabon zum zweiten Mal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte. Die laufende Europapokal-Saison war verbunden mit dem tragischen Ausscheiden des Deutschen Meisters 1. FC Köln. Der Gegner im Viertelfinale war der FC Liverpool. Sowohl Hin- als auch Rückspiel blieben torlos und das fällige Entscheidungsspiel in Rotterdam endete mit 2:2 nach Verlängerung ebenfalls Unentschieden. Es war für diesen Fall noch kein Elfmeterschießen vorgesehen, sondern ein Münzenwurf des Schiedsrichters musste entscheiden, welche Mannschaft die nächste Runde erreichen würde. Der erste Wurf endete damit, dass die Münze aufrecht in dem aufgeweichten Boden stecken blieb. Durch den zweiten Wurf hatte der FC Liverpool das Halbfinale erreicht. Glücklicher Weise gibt es heutzutage das Elfmeterschießen bei entsprechenden Situationen. Auch hier spielt sicherlich Glück eine Rolle, aber es kommt auch auf Können und Nervenstärke an. Gegen den Fall einer Münze ist man machtlos. Im Europapokal der Pokalsieger hatte sich erstmals eine deutsche Mannschaft für das Finale qualifiziert. Der TSV 1860 München, im Vorjahr noch mühsamer Sieger des deutschen Pokalhalbfinales gegen Altona 93, musste gegen West Ham United London antreten. Die Engländer hatten quasi ein Heimspiel, weil das Endspiel im Londoner Wembley-Stadion stattfand. Durch zwei Tore von Sealey verloren die Münchener mit 0:2, errangen aber den bis heute größten internationalen Erfolg des Vereins. Und sie leiteten gleichzeitig eine Serie ein, dass vier deutsche Clubs in Folge dieses Finale erreichen würden.

Am Ende der Saison 1964/ 65 hätten der Karlsruher SC und der ruhmreiche FC Schalke 04 aus der Bundesliga absteigen müssen, da die Clubs die beiden letzten Tabellenplätze eingenommen hatten. Aber der DFB war wohl der Meinung, dass Schalke in der Bundesliga bleiben muss. Jedenfalls wurde die Liga auf 18 Mannschaften aufgestockt, so dass es in dieser Saison keinen sportlichen Absteiger gab. Allerdings musste sich Hertha BSC Berlin aus der Liga verabschieden, weil dem Verein überhöhte Handgeldzahlungen nachgewiesen worden waren. Da man im DFB und in der Politik der Auffassung war, dass es nicht angehen könne, in der „heimlichen Hauptstadt“ Berlin keinen Bundesligaverein mehr zu haben, stieg Tasmania 1900 Berlin in die erste Liga auf, obwohl die Mannschaft diesen Ansprüchen nicht im Ansatz entsprach. Dass die Mannschaft nach Abschluss dieser Spielzeit wieder absteigen würde, musste man von vornherein annehmen. Dies konnte auch die Verpflichtung des Nationalspielers Horst Szymaniak nicht verhindern. Noch heute werden Negativrekorde der Bundesligavereine an der Bilanz von Tasmania Berlin gemessen. Aber zu Beginn der Saison 1965/ 66 stiegen auch zwei Mannschaften in die 1. Liga auf, die das Geschehen der Bundesliga in Zukunft maßgeblich mitbestimmen würden, Bayern München und Borussia Mönchengladbach. Insbesondere auf die Leistung der Bayern, mit ihrem großen Talent Franz Beckenbauer, war man gespannt. Am ersten Spieltag gab es gegen den Lokalrivalen TSV 1860 München eine 0:1 Niederlage. Torschütze in der 1. Minute war ausgerechnet Timo Konietzka, der ja auch schon das aller erste Tor der Bundesliga in der ersten Minute geschossen hatte. Die Bayern zeigten sich davon aber wenig beeindruckt und spielten in der Folgezeit in ihrer ersten Bundesligasaison nur noch in der Spitzengruppe der Liga.

Am 26. September 1965 kam es dann im Rasunda-Stadion von Stockholm zu dem alles entscheidenden Qualifikationsspiel für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in England gegen Schweden. Noch nie hatte Deutschland auf schwedischen Boden gegen diesen Gegner gewonnen, doch nur mit einem Sieg würde man die Teilnahme an der Weltmeister-schaft im darauffolgenden Jahr ermöglichen können. Vor dem Hintergrund, dass seinerzeit in Pflichtspielen keine Spieler ausgewechselt werden durften, bewies der neue Bundestrainer Helmut Schön unglaublichen Mut und Risikobereitschaft. Uwe Seeler, dem im Februar die Achillessehne gerissen war, hatte es tatsächlich geschafft, die schwere Verletzung zu überwinden. Vier Wochen zuvor hatte er sein Comeback im Dress des HSV in der Bundesliga gegeben. Aber selbstverständlich war er noch längst nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte. Dennoch wollte Helmut Schön nicht auf seinen wichtigsten Torjäger und Führungsspieler verzichten. Ein Risiko, dass in den Tagen zuvor sowohl in den Medien wie auch unter den Fans äußerst kontrovers diskutiert wurde. Aber dies war nicht die einzige riskante Maßnahme des Bundestrainers bei der Besetzung der Mannschaft für dieses so eminent wichtige Spiel. Für das defensive Mittelfeld war neben Klaus Sieloff vom VfB Stuttgart eigentlich der Kölner Wolfgang Weber vorgesehen. Helmut Schön hatte allerdings den Eindruck gewonnen, dass Weber dem unglaublichen Druck dieses Spieles mental nicht gewachsen sein würde. So entschied er sich, den 20-jährigen Franz Beckenbauer, der seit einigen Wochen mit Bayern München in der Bundesliga für Furore sorgte, als Neuling auf dieser Position einzusetzen. Doch damit nicht genug. Mit Peter Grosser von 1860 München bot er für das offensive Mittelfeld einen weiteren Debütanten auf. Ein Großteil der deutschen Fußballfans war skeptisch, dass die Mannschaft in dieser Zusammensetzung in der Lage sein würde, den notwendigen Sieg erringen zu können. Die Skeptiker fühlten sich bestätigt, als die Schweden schon nach kurzer Zeit mit 1:0 in Führung gegangen waren. Doch als Werner Krämer vom Meidericher SV, der später zum HSV wechseln sollte, den Ausgleich erzielen konnte, kam wieder Hoffnung auf. Dann geschah das Unglaubliche. Eine flache Hereingabe kam in den schwedischen Strafraum. Mit letzter Kraft rutschte Uwe Seeler in den Schuss und lenkte den Ball über die Linie. Das 2:1, dies war der Sieg und es folgte grenzenloser Jubel. Die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in England wurde also doch noch erreicht. Und ausgerechnet die Willenskraft eines Führungsspielers, dem einige Monate zuvor das Ende seiner Karriere prophezeit worden war, schaffte die Entscheidung. Auch die beiden Neulinge im Team hatten ihre Sache ausgezeichnet gemacht, so dass man davon ausgehen konnte, sie noch öfters im Nationaldress zu sehen. Helmut Schön hatte bei der Mannschaftsaufstellung also alles richtig gemacht.

Die erste Begegnung gegen Aufsteiger Borussia Mönchengladbach konnte der HSV klar mit 5:0 gewinnen. So leicht sollte es in der Folgezeit gegen die „Mannschaft der 70er Jahre“ allerdings nie wieder werden. Als dann Bayern München am 20. Oktober 1965 zum ersten Mal in der Bundesliga im Hamburger Volksparkstadion gegen den HSV antrat, waren mein Vater und ich selbstverständlich auch dabei, nachdem wir in der Zwischenzeit einige andere Bundesligaspiele gesehen hatten, an die ich mich aber nicht mehr so intensiv erinnern kann, wie an die Spiele im ersten Bundesligajahr. Natürlich wollten wir in dieser Begegnung auch den neuen deutschen „Wunderspieler“ Franz Beckenbauer zum ersten Mal live im Stadion sehen. 72.000 Zuschauer fasste das Volksparkstadion seinerzeit, aber als das Spiel begann, waren mit Sicherheit weit über 80.000 Menschen auf den Tribünen. Tausende Fans hatten sich Zugang in den Innenraum verschafft, indem sie über die Zäune geklettert waren. Dies wäre heute undenkbar. In dem Spiel selbst wurde deutlich, was mit den Bayern auf die Bundesliga in Zukunft zukommen würde. Bei der 0:4-Niederlage gegen den Aufsteiger hatte der HSV nicht den Hauch einer Chance. Aber die Zuschauer erlebten obendrein noch ein Novum. Als Torwart Sepp Maier für einige Minuten verletzungsbedingt behandelt werden musste, vertrat ihn Gerd Müller zwischen den Pfosten. Doch auch den „Bomber der Nation“, wie er Jahre später tituliert wurde und der zuvor schon für das 2:0 gesorgt hatte, konnten die HSV-Stürmer nicht überwinden.

Im Frühjahr des Jahres 1965 war meine zweijährige Zugehörigkeit zu der Förderklasse zu Ende gegangen. Die Lehrer hatten sich dafür entschieden, dass ich zukünftig die Realschule besuchen solle. Meine Eltern begrüßten dies und auch ich hatte kein Problem damit. Der Vorteil war, dass ich fortan nicht mehr zu Fuß mehrere Kilometer zur Schule gehen musste. Die Grundkondition war jetzt ohnehin vorhanden und nunmehr konnte ich bequem mit der Bahn in die Nordheidestadt Buchholz fahren, wo sich die Realschule befand. Da ich Fußball spielen konnte und ohnehin nicht kontaktscheu war, hat die Integration an der neuen Schule ohne Probleme sofort geklappt.

Bei der ersten Bundestagswahl ohne Konrad Adenauer konnte der neue Bundeskanzler Ludwig Erhard mehr Stimmen holen, als sein Vorgänger im Jahr 1961. Trotzdem muss seine Zeit als Bundeskanzler eher als glücklos bezeichnet werden. Mehr Glücksgefühle hatte wahrscheinlich die englische Queen Elisabeth II. im Mai 1965 bei ihrem Staatsbesuch in der Bundesrepublik. Überall wo sie hinkam, wurde sie von der deutschen Bevölkerung begeistert empfangen.

Durch die Erfolge in der Fernsehserie „Die Unverbesserlichen“ wurde Inge Meysel an der Seite von Josef Offenbach zur „Mutter der Nation“. Davon abgesehen blieb Deutschland im Jahr 1965 weitgehend von größeren Katastrophen verschont. Im Fernsehen triumphierten Hans Söhnker und Jane Tilden im „Forellenhof“, Dr. Kimble war „Auf der Flucht“ und „Spiel ohne Grenzen“ hatte Premiere. Und erstmals wurde ein damals 31-jähriger Entertainer aus Holland im deutschen Fernsehen gesichtet, Rudi Carrell. Als böser Widersacher von Sean Connery in dem neuen James-Bond-Film „Goldfinger“ wurde Gert Fröbe zum Weltstar. Dem Hit des Jahres fehlten die Worte, doch noch heute wird Nini Rossos Trompetensolo „Il Silenzio“ auf größeren Familienfeiern gerne gehört. Auch Petula Clark hatte mit „Downtown“ einen großen Erfolg. Der wohl heute noch bekannteste Schlager aus diesem Jahr aber stammt von Drafi Deutscher. Es gibt wohl kaum ein Stadtfest in Deutschland, bei dem nicht irgendwann „Marmor, Stein und Eisen bricht“ ertönt. Der Interpret wurde einmal gefragt, ob er wisse, dass es in seinem Lied einen grammattischen Fehler gebe. „Natürlich“, erklärte Drafi Deutscher und fragte, „aber wie würde es sich anhören, wenn ich gesungen hätte: „Marmor Stein und Eisen brechen, aber unsere Liebe nechen“? Da hatte er Recht. Last but not least: Im Alter von 90 Jahren verstarb Winston Churchill. Neben der Tatsache, dass er zu den größten Politikern des 20. Jahrhunderts gehörte, verbindet man mit ihm noch zwei andere Dinge. Zum einen ist er neben Helmut Schmidt der Trost aller Raucher, da er trotz seines enormen Rauchkonsums so alt geworden ist. Zum anderen wird noch heute vielfach nach einer seiner größten Weisheiten gehandelt: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast!“

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte

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