Читать книгу Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte - Reinhard Warnke - Страница 7
4 Die Auferstehung
ОглавлениеDie meisten deutschen Städte lagen bei Kriegsende in Schutt und Asche. Von 16 Millionen Wohnungen in Deutschland waren durch die Kriegseinwirkungen etwa 25 Prozent total zerstört worden und ebenso viele stark beschädigt. Die Hälfte aller Schulgebäude konnte nicht mehr genutzt werden und 40 Prozent der Verkehrsanlagen war unbrauchbar. Doch es half kein Jammern, es musste weitergehen. Sofort sollte mit dem Wiederaufbau der Städte begonnen werden. Aber vor dem Wiederaufbau stand das Beseitigen von den Trümmern der zerbombten Gebäude. Das Problem dabei war, dass nur wenige männliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Viele Männer waren im Krieg gefallen oder als Kriegsgefangene gestorben, waren verwundet oder befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft. So waren es in erster Linie Frauen, die für die Beseitigung der Ruinen heran gezogen wurden. Die alliierten Besatzungsmächte hatten den Befehl herausgegeben, dass sich alle Frauen, die zwischen 15 und 50 Jahre alt waren, für diese Arbeit zu melden hatten. Man nannte sie die „Trümmerfrauen“. Aber nicht nur die aufgrund des Befehls der Alliierten verpflichteten Frauen, sondern auch Freiwillige beteiligten sich an der Trümmerbeseitigung, zumeist ohne schweres Gerät, nur mit den bloßen Händen. Nach und nach entstanden neue Häuser und Wohnungen, um den vielen Menschen eine neue Bleibe zu geben, die bis dahin in Notbehausungen oder überfüllten Zimmern leben mussten. Straßen und Brücken wurden repariert und auch die Bahnanlagen notdürftig geflickt, so dass auch der Personen- und Güterverkehr langsam seinen Betrieb wieder aufnehmen konnte.
Ausgehend von den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vereinbarten die Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte sowie der deutschen Nachbarstaaten Niederlande, Belgien und Luxemburg auf der Londoner Sechsmächtekonferenz, in Westdeutschland einen Staat mit föderalistischer Ordnung zu errichten. Drei Bedingungen wurden für die Bildung der Länder gestellt:
Die politisch-administrativen Strukturen sollten gemäß den Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens dezentralisiert und strikt von unten nach oben aufgebaut sein
Preußen sollte nicht wieder hergestellt werden und
Enklaven und Exklaven sollten nicht weiter bestehen
Eine Besonderheit stellte das Saarland dar, das bis zum Jahr 1957 den Sonderstatus eines autonomen Landes mit wirtschaftlichem Anschluss an Frankreich hatte. Die Bundesrepublik entstand also ausgehend von den westdeutschen Ländern, die bis Mitte 1947 gebildet worden waren. Durch die Vertretung der Bundesländer im Bundesrat sollten die Länder maßgeblich am Gesetzgebungsverfahren in Westdeutschland beteiligt werden.
Es ging nun um die Bildung einer angemessenen Zentralinstanz für die westdeutschen Länder. Da der Westzonen-Verfassung zunächst lediglich der Status eines Verfassungs-Provisoriums zugestanden werden sollte, einigten sich die Ministerpräsidenten der Länder und die Militärgouverneure der Westzonen auf die Namen „Parlamentarischer Rat“ anstatt „Verfassungsgebende Versammlung“ sowie „Grundgesetz“ anstatt „Verfassung“. 250 Tage haben Vertreter der westdeutschen Länder und der Westalliierten um das Grundgesetz und den Status der geplanten Republik gerungen. Neben der freiheitlichen und föderalistischen Grundordnung ging es bei der Gestaltung des Grundgesetzes auch darum, dass die Fehler, die in der Verfassung der Weimarer Republik zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie beigetragen haben, nicht wiederholt werden sollten. Dabei ging es insbesondere um die Einführung der „Fünf-Prozent-Klausel“, die verhindern soll, dass jede kleine und kleinste Partei in das Parlament einziehen kann. Auch dieser Parteienzersplitterung war es geschuldet, dass Adolf Hitler im Jahr 1933 mit einer Minderheitsregierung Reichskanzler werden und danach seine Macht ausbauen konnte.
Am 23. Mai 1949 konnte das Grundgesetz in Kraft treten. Dies war die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Etwas merkwürdig kam die Festlegung der Bundeshauptstadt zustande, die im Prinzip nur als provisorischer Regierungssitz anzusehen war, da Berlin als Hauptstadt für den Fall feststand, dass dies irgendwann einmal politisch möglich sein würde. Als provisorische Hauptstadt wurde Frankfurt am Main klar favorisiert, doch kurz vor der Entscheidung konnte der designierte Bundeskanzler Konrad Adenauer mit einigen Tricks und Überzeugungsgesprächen seinen Wunsch durchsetzen, dass die kleine Stadt Bonn am Rhein sich gegen Frankfurt durchsetzen konnte und somit das Votum für die vorläufige Bundeshauptstadt erhielt. Adenauers Wohnort Rhöndorf liegt nur wenige Kilometer von Bonn entfernt und so konnte sich der alte Mann bequem von zu Hause aus zum Regierungssitz oder ins Parlament fahren lassen.
Knapp drei Monate später, am 14. August 1949, kam es zur Wahl des ersten Deutschen Bundestages und damit zur ersten freien Wahl des deutschen Parlaments seit Ende der Weimarer Republik. Bei dieser Wahl galt eine abgeschwächte 5 Prozent - Hürde für kleinere Parteien. Um in den Bundestag zu kommen, musste eine Partei nur in einem Bundesland 5 Prozent der Stimmen erreichen oder lediglich einen Wahlkreis direkt gewinnen. Mit einem Stimmenanteil von 31,0 Prozent wurde die CDU/ CSU knapp die stärkste Partei vor der SPD, die 29,2 Prozent der Stimmen erreichte. In einer Koalition der CDU/ CSU mit der FDP und der Deutschen Partei wurde die Mehrheit erreicht. So konnte Konrad Adenauer mit exakt der absoluten Mehrheit zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden. Adenauer, der bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 Ober-Bürgermeister der Stadt Köln gewesen war, hatte bereits das 74. Lebensjahr erreicht, als er das höchste Regierungsamt übernahm und er sollte noch dreimal in seinem Amt bestätigt werden. 1951 übernahm er gleichzeitig das Amt des Außenministers, da er alle Fäden in der Hand haben wollte, bei seiner auf Aussöhnung mit dem Westen ausgerichteten Außenpolitik. Einen Monat nach der Bundestagswahl wurde der FDP-Politiker Theodor Heuss von der Bundesversammlung zum ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Der bei dieser Wahl unterlegene Parteivorsitzende der Sozialdemokraten, Kurt Schumacher, übernahm den Fraktionsvorsitz seiner Partei und wurde als erster Oppositionsführer des deutschen Bundestages erbitterter Gegenspieler des Bundeskanzlers, dem er vorwarf, mit seiner ausschließlich westlich orientierten Politik eine baldige Wiedervereinigung zu gefährden. Doch die Politik Adenauers, zunächst das Vertrauen der Westalliierten zu gewinnen und zu untermauern, war für die damalige Zeit sicherlich der richtige, weil realistische Weg in die Zukunft.