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III. Konsequenzen der Untersuchungshaft für die Verteidigung
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Auch die Verteidigung wird durch die Untersuchungshaft des beschuldigten Mandanten vor ganz erhebliche Schwierigkeiten und vor zusätzliche Aufgaben gestellt.
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Erhält der Verteidiger das Mandat unmittelbar im Zusammenhang mit der vorläufigen Festnahme oder Inhaftierung aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls, muss er sofort aktiv werden. Entscheidende Weichenstellungen erfolgen vielfach in den ersten Stunden nach der Festnahme. Die sofortige Kontaktaufnahme zu dem Beschuldigten, zur Polizei, Staatsanwaltschaft und zum Haftrichter ist erforderlich, wenn der Verteidiger Einfluss nehmen will.
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Der bereits inhaftierte Beschuldigte hat den verständlichen Wunsch, den unerträglichen Zustand der Inhaftierung so schnell wie möglich zu beenden. Er erwartet, dass der Verteidiger alles daran setzt, dieses Ziel zu erreichen. Der Verteidiger muss deshalb die Möglichkeiten einer erfolgreichen Intervention gegen die Inhaftierung prüfen und ggf. die erforderlichen prozessualen Schritte unternehmen. Auch dabei steht er unter erheblichem Zeitdruck, wenn er die von der Festnahme oder Untersuchungshaft ausgehenden Nachteile für den Mandanten so gering wie möglich halten will.
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Auch aus einem weiteren Grunde muss der Verteidiger daran interessiert sein, die Inhaftierung des Mandanten schnellstmöglich zu beenden. Je länger Untersuchungshaft vollzogen wird, desto geringer wird in der Regel die Chance, dass eine noch zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe verhängt wird und desto größer wird die Gefahr, dass bei der Bemessung der Dauer einer Freiheitsstrafe auch der Gedanke Berücksichtigung findet, die erlittene Untersuchungshaft durch eine entsprechend hohe Strafe zu legitimieren („U-Haft schafft Rechtskraft“).
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Auch ansonsten präjudizieren der Erlass oder die Ablehnung bzw. Aufhebung eines Haftbefehls in nicht wenigen Fällen das weitere Verfahren und dessen Ergebnis. Die Bejahung dringenden Tatverdachts bei Erlass des Haftbefehls, in der Haftprüfung oder im Beschwerdeverfahren lassen es fast aussichtslos erscheinen, eine Anklageerhebung, die bekanntlich nur hinreichenden Tatverdacht erfordert, zu verhindern. Auch wird es nur in seltenen Fällen gelingen, das aktenmäßig dokumentierte Ergebnis der Ermittlungen in der Hauptverhandlung mit der Folge zu „kippen“, dass sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Sachverhalt völlig anders darstellt. Die Annahme dringenden Tatverdachts und die Vollstreckung der Untersuchungshaft indizieren häufig die Verurteilung.
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Andererseits verhindert die Ablehnung des dringenden Tatverdachts oftmals bereits die Anklageerhebung. Gerade in „wackligen“ Fällen ist die Staatsanwaltschaft gezwungen, alle Karten auf den Tisch zu legen. Reicht dies für die Annahme dringenden Tatverdachts nicht aus, wird etwa der Haftbefehl abgelehnt oder vom Beschwerdegericht aufgehoben, kommt die Staatsanwaltschaft häufig zum Ergebnis, dass auch eine Prüfung des Sachverhalts in der Hauptverhandlung nach Anklageerhebung zu keinem anderen Ergebnis führen, es also nicht zu einer Verurteilung kommen wird. Das Verfahren wird dann oft nach § 170 Abs. 2[1] eingestellt.
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Diese kurzen Bemerkungen sollen verdeutlichen, dass es bei dem Kampf um die Inhaftierung oder Freilassung des Mandanten nicht nur um dessen Freiheit geht, sondern mit der Haftfrage oftmals auch das Ergebnis des gesamten Strafverfahrens (vor-)entschieden werden kann.
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Die Entscheidung, ob es sinnvoll oder möglicherweise sogar schädlich ist, prozessual gegen die Anordnung der Untersuchungshaft vorzugehen, muss in intensiven, zeitaufwendigen Diskussionen mit dem Mandanten getroffen werden, wenn dieser sich nicht auch von seinem Verteidiger im Stich gelassen fühlen soll.
Verbleibt der Mandant in Untersuchungshaft, ist auch seine Verteidigung in dem zugrunde liegenden Strafverfahren zusätzlichen Erschwernissen ausgesetzt. Durch die Untersuchungshaft werden die Kontaktmöglichkeiten zwischen dem Mandanten und seinem Verteidiger erschwert. Selbst wenn der Mandant in derselben Stadt inhaftiert ist, in der auch sein Verteidiger tätig ist, sind die Besuche gleichwohl mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden. Dies gilt erst recht, wenn der Verteidiger noch eine weite Anreise zur Justizvollzugsanstalt hat.
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Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft lassen erfahrungsgemäß die intellektuellen Leistungen des inhaftierten Mandanten nach. Aufnahme-, Merk- und Konzentrationsvermögen leiden ebenso wie die Fähigkeit, aktiv an der Hauptverhandlung mitzuwirken und die durch die StPO eingeräumten prozessualen Rechte wahrzunehmen.[2] Der Verteidiger muss durch häufige Kontakte zu dem Mandanten und durch eine besonders intensive Vorbereitung der Hauptverhandlung mit dem Mandanten versuchen, derartigen Entwicklungen entgegen zu wirken. Die Verteidigung des inhaftierten Beschuldigten ist weiterhin dadurch beschränkt, dass der Mandant die ihm in Freiheit zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verteidigungsvorbereitung nicht nutzen kann. Dies gilt beispielsweise für eigene Recherchen des Mandanten zur Sachverhaltsermittlung oder für Bemühungen um eine Schadenswiedergutmachung. Auch insoweit ist es Aufgabe des Verteidigers, durch eigene Aktivitäten diese Verteidigungsdefizite soweit wie möglich zu kompensieren.
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Angesichts der nachteiligen psychischen und physischen Wirkungen der Untersuchungshaft auf den Mandanten sowie ihrer Folgen für seine privaten und wirtschaftlichen Belange entstehen für den Verteidiger auch arbeits- und zeitintensive sozialarbeiterische Aufgaben. Ihnen gerecht zu werden, ist nicht nur aus menschlichen Gründen geboten. Bemühungen beispielsweise um die Aufrechterhaltung der persönlichen, sozialen und beruflichen Bindungen des Mandanten können nicht nur bei der Frage der Fluchtgefahr, sondern auch für eine günstige Prognosebeurteilung und damit für den Ausgang des Strafverfahrens selbst von erheblicher Bedeutung sein.
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Schließlich ist die Verteidigung insofern besonderen Belastungen ausgesetzt, als die Inhaftierung des Mandanten in der Regel zu einem Verteidigungskonzept zwingt, das eine längere Verfahrensdauer zu vermeiden trachtet[3]. Die Verteidigung steht hier häufig vor der Schwierigkeit, Pressionsversuchen seitens der Ermittlungsbehörden und der Strafjustiz widerstehen zu müssen, die die schwierige Situation des Beschuldigten im Sinne einer möglichst ökonomischen Verfahrenserledigung auszunutzen suchen. Die dies andeutende richterliche Frage, ob Ziel der Verteidigung „Freiheit oder Freispruch“ sei, zählt noch zu den harmlosen Beispielen dieser Art.