Читать книгу Untersuchungshaft - Reinhold Schlothauer - Страница 21
3. Weitere allgemeine Hinweise
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Und schließlich sollte sich der Verteidiger bei Übernahme eines Haftmandats ungeachtet von Sprachschwierigkeiten und Nationalität des Mandanten über weitere Besonderheiten im Klaren sein.
Sofern dem Beschuldigten nicht bereits bei Erlass des Haftbefehls ein Pflichtverteidiger nach §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 3 S. 4 bestellt sondern ihm gem. § 142 Abs. 1 eine Vorschlagsfrist eingeräumt wurde, muss der Beschuldigte innerhalb der Frist einen vorzuschlagenden Verteidiger finden (vgl. dazu insgesamt unten Rn. 288 ff.). Dies führt gerade in den ersten Tagen der Inhaftierung, insbes. in den Zugangsstationen, zu einem lebhaften „Handel mit Anwälten“. Die Inhaftierten preisen ihren Anwalt, nur allzu oft veranlasst durch diesen selbst, als den besten an. Der Verteidiger wird dann von dem potenziellen Mandanten durch einen Telefonanruf des Sozialarbeiters oder aber, was wohl die Regel ist, durch eine Besuchskarte um einen Besuch gebeten, und zwar unabhängig davon, ob die Beauftragung als Wahl- oder Pflichtverteidiger erfolgen soll. Der Verteidiger sollte jedoch wissen, dass viele Gefangene gleichzeitig mehrere Anwälte (auf jeweilige Empfehlung von Mitgefangenen) um einen Besuch bitten. Die Gründe, mehrere Anwälte gleichzeitig zu „bestellen“, sind mannigfach. So kann es dem Gefangenen darum gehen, so schnell wie möglich mit einem Anwalt zu sprechen. Schreibt er mehrere Anwälte an, so kann er ziemlich sicher sein, dass mindestens einer alsbald erscheint, denn auch bei den Anwälten gibt es in Kenntnis dieser Praxis den Wettlauf um Mandate. Ein anderer Grund kann sein, einen Anwalt zu finden, dem der Gefangene nach dem ersten Gespräch am ehesten vertraut. Und schließlich geht es auch um die finanzielle Seite. Durch die Bestellung mehrerer Anwälte kann sich der Mandant quasi Kostenvoranschläge einholen bzw. herausfinden, ob der Anwalt zur Übernahme der Pflichtverteidigung bereit ist, um sodann unter mehreren Anwälten die Auswahl zu treffen. Für den Verteidiger ist es daher ratsam, gerade bei Erstbesuchen von Untersuchungsgefangenen nach vorangegangenen Verteidigerbesuchen bzw. bereits erteilter Verteidigervollmacht zu fragen. War bereits ein Anwalt zum Besuch, dem Vollmacht erteilt wurde, ist der Verteidiger „gewarnt“ und kann in dem Gespräch mit dem Gefangenen gleich darauf hinweisen, dass der Gefangene bereits einen Verteidiger hat und nach dem Grund für den Besuch des weiteren Anwalts fragen.
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Ferner sollte der Verteidiger wissen, dass die Fälle des „Sturms auf die Haftmandate“ und des „Mandatsklaus“ nirgends so häufig sind wie in der JVA. Hier seien nur einige Berichte wiedergegeben, die aus der Zeit vor der Einführung der Pflichtverteidigung ab Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft stammen. Es soll Kollegen geben, die sich im Bereich der Vorführzellen aufhalten und sich all denen als Verteidiger anbiedern, die dem Haftrichter vorgeführt werden. Es soll auch Kollegen geben, die sich die Liste der in Untersuchungshaft genommenen Beschuldigten beschaffen und, nachdem sie sich auf der Geschäftsstelle über den Gegenstand des Vorwurfs erkundigt haben, sich für die ihnen am interessantesten erscheinenden Beschuldigten einen Anbahnungssprechschein ausstellen lassen, um die betreffenden Beschuldigten dann in der JVA aufzusuchen. Wird der Verteidiger etwa von Familienangehörigen oder Dritten beauftragt, so wird er nach Erscheinen in der JVA feststellen müssen, dass ein Kollege bereits die Verteidigung übernommen hat (zum Problem der Ereilung eines Anbahnungssprechscheins bei Beauftragung durch Dritte siehe unten Rn. 78 ff.). Auch wenn der Verteidiger ein Mandat in der Haft übernommen hat, schützt ihn dies nicht vor Abwerbungsversuchen anderer Kollegen. Die Untersuchungsgefangenen sind nicht nur dem jederzeitigen Zugriff der Polizei, sondern auch dem der Kollegen ausgesetzt. Es kommt immer wieder vor, dass sich Kollegen nach der Beschaffung von Sprechscheinen bereits verteidigte Untersuchungsgefangene vorführen lassen und die Übernahme der Verteidigung anstelle oder zusammen mit dem bisherigen Verteidiger anbieten. Allerdings kann die Initiative zum Besuch eines anderen Anwalts auch vom Mandanten selbst ausgehen. So kann es sein, dass dem Mandanten von anderen Gefangenen eingeredet wurde, der bisherige Verteidiger sei schlecht oder in dieser Sache nicht spezialisiert, der beste Anwalt für den Fall sei Rechtsanwalt X. Die Bereitschaft des Mandanten, auf derartige „Ratschläge“ zu hören, wird in dem Maße steigen, wie der Mandant sich unverteidigt oder nicht gut „betreut“ fühlt, was sich aus der Sicht des Mandanten ggf. auch aus der Anzahl der Besuche ergibt. Und schließlich kann nicht verschwiegen werden, dass viele Gefangene von ihren Verteidigern angehalten werden, neue Mandate zu beschaffen. Dies kann durch einfache Bitte oder Aufforderung geschehen, aber auch durch andere Mittel. So wird berichtet, dass mittellosen Mandanten vom Verteidiger etwa Geld für den Einkauf, ein Radio oder gar ein Fernseher zur Verfügung gestellt wird mit der Maßgabe, dass die Kosten durch die Beschaffung neuer Mandate abgetragen werden müssen. Es wird auch berichtet, dass Honorare vereinbart werden, die der Mandant durch die Beschaffung anderer Mandate (teilweise) begleicht, wobei für Pflichtverteidigung und Wahlverteidigung jeweils ein bestimmter Betrag vom vereinbarten Honorar abgezogen wird. Und schließlich wird von Bestechung von Beamten der JVA gemunkelt, für eine Pflichtverteidigung zahle der Verteidiger 100 €, für eine Wahlverteidigung zwischen 200 € und 300 €. Vor derartigen Dingen kann nur gewarnt werden.
Neben diesen aus der Zeit vor der Einführung der Pflichtverteidigung ab Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft stammenden Berichten tritt nun, nach Einführung der §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 3 S. 4, ein weiteres, nicht weniger bemerkenswertes Phänomen häufiger in Erscheinung. Neben der Anbiederung von Anwälten an die potentiellen Mandanten, ist in der Praxis nun vermehrt auch eine solche an die Haftrichter zu beobachten. So wird zunehmend von Rechtsanwälten berichtet, die ein besonderes Näheverhältnis zu Haftrichtern pflegen und nicht selten durch das mehr oder minder offen ausgesprochene Versprechen eines „bequemen“, „unkritischen“, „soften“, „devoten“, „harmlosen“, „handzahmen“, „kooperativen“, „dealfreudigen“ und/oder „pflegeleichten“ Verhandlungsstils Beiordnungen durch die Haftrichter zu erreichen suchen. Es ist die Rede von „Geständnisbegleitern“, „Kuschelverteidigern“ und „Robenständern“, deren „Verhandlungsstrategien“ oft wenig mit sachgerechter Verteidigung zu tun haben. Die Intransparenz der Beiordnungspraxis und mangelnde Bereitschaft zur Offenlegung ermessensleitender Gründe für eine Beiordnung vieler Haftrichter leistet diesem Phänomen noch erheblichen Vorschub.[1]
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Zum Abschluss sei dazu noch ein allgemeiner Hinweis für den Fall gegeben, dass der Verteidiger von einem Gefangenen aus einer JVA zum Besuch gebeten wird. Im Hinblick auf das Erfordernis der unverzüglichen Verteidigerbeiordnung nach Beginn des Vollzuges der Untersuchungshaft nach § 141 Abs. 3 S. 4 sollte der Verteidiger bereits bei Beantragung des Anbahnungssprechscheins in Erfahrung bringen, ob dem Beschuldigten schon ein Verteidiger beigeordnet wurde. In jedem Fall muss der Gefangene befragt werden, ob er bereits einen Verteidiger beauftragt hat oder ihm bereits ein Pflichtverteidiger bestellt wurde. Und schließlich sollte bei der Bestellung eines neuen potenziellen Mandanten an der Innenpforte – wie erwähnt – stets gefragt werden, ob der Gefangene bereits Anwaltsbesuch hatte und ob diesem Vollmacht erteilt oder ihm schon ein Pflichtverteidiger bestellt wurde. So vorbereitet kann der Verteidiger ggf. mit dem Wissen, dass bereits ein Kollege tätig ist, in das Gespräch gehen. Auf die gezielte Frage, warum ein weiterer Anwalt bestellt worden sei, wird der Gefangene oft erklären, sein Verteidiger tue nichts, er sitze nun schon so lange etc. In der Regel sollte in solchen Fällen trotz des vorstehend beschriebenen Phänomens unzureichender Verteidigung, – das freilich nicht stets zutreffend ist, nur weil der Mandant sich schlecht verteidigt fühlt – das Mandat nicht ohne Rücksprache mit dem bisherigen Verteidiger übernommen werden. Dies gilt erst recht, wenn ein Pflichtverteidiger bestellt wurde. Denn im Falle der Beauftragung als Wahlverteidiger müsste nach § 143 der Pflichtverteidiger entpflichtet werden. Es bietet sich an, dem Gefangenen zu erklären, man werde den Kollegen anrufen und ihn bitten, nochmals zum Besuch zu kommen, damit die Frage der Beendigung des Mandats besprochen werden kann. Sobald die Frage der Mandatsbeendigung mit dem bisherigen Verteidiger geklärt sei, solle sich der Gefangene wieder melden. Den Kollegen sollte man dann umgehend von dem Gespräch unterrichten und ihn bitten, seinen Mandanten sofort aufzusuchen. In den meisten Fällen sind die Kollegen über eine derartige Unterrichtung dankbar, da sie den Mandanten nur aus Gründen der Arbeitsüberlastung nicht aufsuchen konnten und sich in der Sache selbst nichts getan hatte. Der Besuch des Verteidigers und eine klärende Aussprache wird das Mandatsverhältnis wieder festigen. Ein so informierter Kollege wird sich ebenso verhalten, wenn man selbst in eine ähnliche Situation kommt. Besteht der Gefangene auf der Übernahme des Mandats und erklärt er, er wolle definitiv von seinem bisherigen Anwalt nicht mehr verteidigt werden, ist er darauf hinzuweisen, dass das Mandat vor Beendigung des bisherigen bzw. ohne Information des bisherigen Verteidigers nicht übernommen werden sollte. Auch in diesen Fällen ist der Gefangene darauf hinzuweisen, dass er sich selbst um die Kündigung des Mandats zu kümmern hat und den neuen Anwalt von der Beendigung unterrichten muss. Auch ist der Hinweis an den Mandanten erforderlich, dass im Falle einer bereits erfolgten Beiordnung diese nur unter erschwerten Bedingungen wieder aufgehoben und ein anderer Verteidiger beigeordnet werden kann. Auf die Unsitte, sich Vollmacht zur Kündigung des (alten) Mandats erteilen zu lassen und sodann das alte Mandatsverhältnis selbst zu kündigen, sollte der Verteidiger tunlichst verzichten. Wird dem neuen Anwalt Vollmacht erteilt, muss er den bisherigen Verteidiger davon unterrichten und anfragen, ob er mit der Übernahme des Mandats einverstanden ist. Alles andere, insbes. die Mandatskündigung durch den neuen Verteidiger, führt zu hässlichen und peinlichen Streitereien um ein Mandat.
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Das Vorangesagte ist selektiv und unvollständig. Verallgemeinerungen verbieten sich. Nicht alles geschieht überall. Aber es handelt sich auch nicht um Einzelfälle. Es sind Informationen, Erkenntnisse und (leidvolle) Erfahrungen aus jahrelanger Tätigkeit in Haftsachen.
Die vorangegangenen Ausführungen sollen weder „Kollegenschelte“ sein, noch von der Mandatsübernahme abschrecken, was vielleicht die Zusammenballung der Hinweise an einer Stelle bewirken könnte. Sie sollen jedoch den, der noch keine große Erfahrung in Haftsachen hat, auf das vorbereiten, was auf ihn zukommen kann.
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Und schließlich muss der Verteidiger auch wissen, dass in der JVA unter den Gefangenen über Verteidiger, deren Erfolge und Misserfolge gesprochen und darüber diskutiert wird, welcher Verteidiger in einem bestimmten Fall wohl der beste sei. Dies führt gerade bei Verteidigern, die mehrere Haftmandate in einer JVA haben, dazu, dass sie einen bestimmten Ruf genießen. Es ist keine Seltenheit, dass bestimmte (ortsansässige) Verteidiger in den jeweiligen Vollzugsanstalten als besonders gute, bei Gericht und Staatsanwaltschaft angesehene und einflussreiche Verteidiger gehandelt werden, während anderen Verteidigern nachgesagt wird, sie arbeiteten mit der Polizei zusammen. Oftmals werden Verteidiger auch nach bestimmten Deliktsgruppen klassifiziert, Spezialist in Wirtschaftssachen, bei Tötungsdelikten, in Betäubungsmittelsachen etc. Es gibt auch die „Platzhirsche“, die eine sehr große Zahl an Mandaten in einer JVA haben, bedingt wohl dadurch, dass sie aufgrund der großen Mandantenzahl besonders häufig neuen Gefangenen „empfohlen werden“. Der Ruf eines Verteidigers in der JVA ist Schwankungen unterworfen und reicht vom Starverteidiger bis zum Handlanger der Staatsanwaltschaft. Mit diesem jeweils Schwankungen unterworfenen Ruf müssen die Verteidiger leben. Auf die Entstehung derartiger Gerüchte hat der Verteidiger ohnehin kaum Einfluss. Darüber, wie sie entstehen, kann man nur spekulieren. Der Erfolg oder Misserfolg eines Verteidigers kann auf den Ruf innerhalb der JVA nur untergeordneten Einfluss haben. Ausschlaggebend ist oftmals auch, ob der Mandant sich gut verteidigt fühlt. So kann ein Mandant über ein aus der Sicht des Verteidigers hervorragendes Ergebnis, das durch eine stille und zurückhaltende Verteidigungsstrategie erzielt wurde, dennoch enttäuscht sein mit der Folge, dass er sich bei den Mitgefangenen über die schlechte Verteidigung bzw. das „Nichtstun“ des Verteidigers beschwert. „Hätte mein Verteidiger ordentlich gekämpft, hätte ich weniger bekommen“, lauten dann die Berichte in der JVA über den Ausgang des Verfahrens. Umgekehrt kann ein Verteidiger, der zwar ein schlechtes Ergebnis erzielt hat, aber in der Hauptverhandlung ein großes Spektakel veranstaltet hat, bei dem Mandanten, der regelmäßig die rechtliche Qualität des Verteidigerhandelns nicht überprüfen kann, den Eindruck hinterlassen, er habe unerbittlich und hart für den Mandanten gekämpft und trotz dieses Kampfes das schlechte Urteil nicht verhindern können. Der möglicherweise (objektiv) schlecht verteidigte Mandant kann auf diese Weise das Gefühl haben, dass für ihn gekämpft wurde, er also gut verteidigt wurde.
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Auf derartige Gerüchte muss der Verteidiger sich einstellen und mit ihnen leben. Der jeweilige Ruf in der JVA kann Grund dafür sein, dass einem Verteidiger plötzlich eine Vielzahl von Mandaten angetragen wird, aber auch dafür, dass einem „etablierten“ Verteidiger die Mandate weitgehend ausbleiben.