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Restriktive und positive Auffassungen
ОглавлениеAusgangspunkt des Diskurses über den Liberalismus bildet idealtypisch ein – wie ich es nenne – restriktives Verständnis, das sich auf «Klassiker» des Liberalismus wie Adam Smith, John Locke, Ludwig von Mises und Milton Friedman stützt. Voran steht eine negativ verstandene Freiheit, die gegenüber dem Staat abzuschirmen ist. Freiheit heisst in dieser Sicht vor allem Selbstbestimmung gegen Übergriffe der «Obrigkeit». Der Staat wird als Minimalstaat akzeptiert, der die Sicherheit zu garantieren hat – mit Polizei, Armee und Justiz, allenfalls ergänzt durch die Gewährleistung der Existenzgarantie. Spiegelbildlich schützen die in der Verfassung verankerten Freiheitsrechte das Individuum vor staatlichen Eingriffen im Sinn reiner Abwehrrechte. Im Vordergrund stehen oft die wirtschaftliche Freiheit mit Eigentumsgarantie und Marktwirtschaft sowie die pauschale Ablehnung von Regulierungen und Abgaben. Andere Liberale anerkennen auch «positive» Zugänge zum Liberalismus; sie lehnen sich eher an John Stuart Mill oder Ralf Dahrendorf an und befürworten eine begrenzte aktive Rolle des Verfassungsstaats zum Schutz von Freiheitsoptionen. Viele Anhängerinnen und Anhänger eines restriktiven Freiheitsverständnisses pflegen ihre Haltung als die «einzig wahre» zu halten; entsprechend bereitet es ihnen Mühe, andere, positive Zugänge zum Liberalismus als liberal zu akzeptieren. In einer Extremposition befinden sich Anarcholiberale, die jegliche staatliche Regulierung unbesehen als Übergriffe auf bürgerliche Freiheiten taxieren und «Exponenten des real gelebten Liberalismus», die auch staatliche Verantwortungen anerkennen, als «loyale Hofnarren etatistischer Totalität» bezeichnen.10 Dass Liberale oft nicht dasselbe unter Liberalismus verstehen,11 ist insofern nicht weiter verwunderlich, als der Liberalismus keine Ideologie, kein gefestigtes Lehrgebäude und keine Anleitung für die Lösung aller Probleme darstellt, sondern eine politische Philosophie, eine offene Denkrichtung, für mich vergleichbar mit einem Kompass, der das Ziel bestimmt, aber unterschiedliche Wege offenlässt. Ja, man kann sich fragen, ob der Begriff des Liberalismus nicht einen Widerspruch in sich selbst bildet, denn die liberale Ideenwelt lässt sich nicht in eine gefestigte Ideologie einbinden. Die Frage stellt sich erst recht, wenn «der» Liberalismus Ideologien wie dem Sozialismus gegenübergestellt und nach eindeutigen Abgrenzungsmerkmalen gesucht wird.