Читать книгу Die Erbin der Teufelsbibel - Richard Dübell - Страница 11
1.
ОглавлениеDer Tod kam im Frühling, und er glänzte wie Gold.
Der Junge, der die Schafe hütete, hörte die Reiter nicht gleich. Sie sprengten in einem unordentlichen Haufen aus dem Wald und auf die sattgrünen Weiden, aus dem blauen, lang gezogenen Schatten der Bäume hinaus in das rote Licht. Doch der Junge hatte den Blick abgewandt; er widmete sich ganz seiner Sackpfeife und der Melodie, die er aus ihr herausquälte. Er blickte erst auf, als das Donnern der Hufe seine Eingeweide zum Erzittern brachte. Die Schafe blökten und drängten sich zusammen.
Der Junge kam auf die Beine. Das Anblasrohr glitt aus seinem Mund, und als er unwillkürlich den Luftsack an sich presste, gab die Sackpfeife einen kläglichen Ton von sich. Das Hufgetrommel versetzte seinen Leib in Schwingungen und brachte seine Augen zum Tränen.
Die Reiter waren Kürassiere mit den üblichen, bis zu den Knien reichenden Trabharnischen und Sturmhauben auf den Köpfen, aber das wusste der Junge nicht. Was er sah, waren gesichtslose Wesen, die im Abendrot wie aus purem Gold gemacht schienen und deren blankgezogene Klingen Lichtreflexe schleuderten. Die Kürassiere schwärmten in einer langen, zerrissenen Reihe aus und formten einen Bogen wie eine riesige Hand, die nach der Schafherde und ihrem einsamen Hirten griff. Der Hund stürzte hinter der Herde hervor und warf sich den Reitern entgegen, das Donnern verschluckte sein Bellen, dann verschluckte ein Wirbel aus galoppierenden Beinen, hochgeschleuderten Grassoden und Dreck seinen Körper, als wäre er nie da gewesen. Die Schafe drehten sich wie auf Kommando um und flohen, eine hüfthohe Woge aus schmutzig weißem, krausem Fell, panisch glotzenden Augen und aufgerissenen Mäulern, die sich um die schmächtige, wie angewurzelt dastehende Gestalt mit der Sackpfeife im Arm teilte. Der Goldschimmer der Panzer und die tanzenden Lichtblitze waren so schön, dass es einem den Atem verschlug. Der Junge blinzelte.
Einer der Reiter schwenkte herum, lehnte sich halb aus dem Sattel, und irgendetwas im Hirn des Jungen, das von Überraschung und Staunen vollkommen überwältigt war, löste den Befehl aus, die Arme hochzuheben und dem Reiter entgegen zustrecken. Er fühlte den Anprall aus Pferdegeruch und Donnern, einen Augenblick bevor der Reiter heran war, fühlte sich emporgerissen und quer über einen Sattel geworfen, die Sackpfeife ging verloren und wurde in den Boden gestampft, er wurde durchgeschüttelt und auf- und abgeworfen, die Luft wurde aus seinen Lungen getrieben und sein Magen gequetscht, dass er sich hätte übergeben müssen, wenn er nur etwas im Bauch gehabt hätte. Er hatte das Gefühl zu fliegen. Eine gepanzerte Hand drückte ihn grob gegen einen gepanzerten Körper, doch er fühlte keinen Schmerz. Er flog! Die Pferdebeine waren ein Wirbel aus Muskeln, Sehnen und glänzendem Fell, der Dreck spritzte ihm ins Gesicht. Er renkte sich den Hals aus, um nach oben zu sehen, und starrte in ein bärtiges, schmutziges Gesicht unter dem Goldglanz der Sturmhaube. Ein Schwenk, der ihn beinahe heruntergeschleudert hätte, und die Sonne war im Rücken des Reiters, warf Reflexe um ihn herum und blendete den Jungen. Er sah, dass sich der Mund im Gesicht unter dem Helm öffnete, sah ein braunes Gebiss mit vielen Lücken. Der Mund verzog sich, und der Mann lachte laut.
Der Junge lachte mit.
Als sie den Hof erreichten, auf dem der Junge lebte, brachte der Reiter sein Pferd zum Stehen und ließ seine Beute von dessen Rücken gleiten. Die Knie waren dem Jungen so weich, dass er in sich zusammensackte, doch als er nach oben sah, lachte er erneut. Der Hof lag bereits im Schatten, das Gold verwandelte sich in Eisenglanz und den matten Schimmer der bronzierten Helme. Die Schafe wimmelten zwischen den Gebäuden herum. Der Bauer hatte nie erlaubt, dass sie frei auf dem Hof herumliefen; selbst zum Scheren waren sie in einen Pferch getrieben worden. Ihre Bocksprünge brachten den Jungen erneut zum Lachen.
Ein zweiter Reiter kam zu dem heran, auf dessen Pferd er hierhergelangt war.
„Das is’ ja ’n lustiger Vogel“, sagte der zweite Reiter. „Gehört der Flick hierher?“
„Wo soll er sonst hingehören. Gibt doch weit und breit nix außer dem Hof hier.“
Der erste Reiter musterte den Jungen, der inzwischen wieder auf die Beine gekommen war und erwartungsvoll zu den Männern nach oben blinzelte. Ein breites Grinsen lag immer noch auf seinem Gesicht.
„Das is’n Idiot, wenn ich je einen gesehen hab“, sagte der zweite Reiter.
„Das is’n Bauernbalg.“
„Wo is der Unterschied?“
Beide Reiter lachten. Der Junge hörte das Krachen, mit dem Türen, die ohnehin offen waren, von Stiefeln eingetreten wurden. Er erwartete, dass der Bauer und seine Familie im nächsten Moment herauskommen würden, doch nichts tat sich. Nicht einmal die Knechte, die sich sonst mit Sensen und Dreschflegeln im Hintergrund herumzudrücken pflegten, voller Hoffnung, jemand möge einen Streit vom Zaun brechen, waren zu sehen. Er dachte an Leupold, der mit einem gebrochenen Bein im Stall lag, doch dann nahm etwas anderes seine Aufmerksamkeit gefangen: Einer der Reiter, der abgestiegen war, zog sich den Helm vom Kopf, riss an Lederbändern, die an seinem eisernen Leib herabhingen, und wand sich aus seinem Harnisch. Darunter war er nichts weiter als ein dünner Mann mit verschwitztem Hemd, zotteligem Bart und verfilztem Haar. Der Junge starrte ihn weniger enttäuscht als erstaunt an, dass eine solche Wandlung mit dem Eisenreiter vorgegangen war. Der dünne Mann schüttelte sich, bückte sich um das Rapier, dessen Klinge er in den Boden gesteckt hatte, zog es heraus und durchbohrte mit einem langen Vorwärtsschritt das ihm am nächsten stehende Schaf.
Das Blöken des Schafs hörte sich an wie ein überraschtes Husten. Es brach vorne auf die Knie, dann versuchte es wieder aufzustehen. Die anderen Schafe drängten von ihm weg. Der Mann mit dem Rapier zog die Klinge heraus und stach erneut zu. Das Schaf zuckte und fiel auf die Seite, seine Beine begannen zu schlagen.
„Kannst du nich’ mal so’n blödes Vieh auf einen Streich totmachen?“, schrie einer der anderen Reiter. „Wie auf’m Schlachtfeld!“
„Leck mich“, sagte der Mann mit dem Rapier und sah sich nach seinen Sachen um.
„Keine Pistolen“, sagte der Reiter, der den Jungen mitgenommen hatte. „Spart euch das Pulver für morgen.“
„Das geht so nich’“, hörte sich der Junge sagen. Die Reiter starrten ihn an. Das Schaf auf dem Boden röchelte.
„Du musst ihm die Gurgel durchschneiden“, sagte der Junge.
„Na so was, ein Fachmann. Zeig’s uns, du Hosenscheißer.“
Der Junge lief zu dem auf dem Boden liegenden Schaf hinüber, kauerte sich bei ihm nieder und packte seine Schnauze mit beiden Fäusten. Dann zog er den Kopf nach hinten und entblößte die Kehle. Er schaute den Mann mit dem Rapier aufmunternd an. Dieser stach zu. Der Körper des Schafs versteifte sich, es begann zu zittern. Blut pumpte in einzelnen Stößen hervor und prasselte hörbar auf den Boden. Der Mann hob sein Rapier erneut, diesmal zeigte die Spitze auf den Leib des Jungen.
„Lass den Buben in Ruh, Vollidiot“, schnauzte der Anführer der Reiter. Er stieg ächzend vom Pferd, reckte sich und deutete dann zu den Hühnerställen und auf die Schafe. „Holt euch die Holderkäuze und ihre Eier und stecht so viele von den Schafen ab, wie wir auf die Pferde kriegen. Wenn ihr Hornböcke findet, lasst sie leben. Die nehmen wir mit – wir können die Milch brauchen. Das hier weidet aus und richtet es her; heut Abend feiern wir das Osterfest nach!“ Er blinzelte dem Jungen zu und machte eine Kopfbewegung. „Komm mal mit.“
Der Junge folgte ihm ins Haus. Mehrere Reiter waren in der Stube, und das Gepolter von oben sagte ihm, dass weitere sich in den Schlafzimmern umsahen. Er wunderte sich, dass niemand von der Familie hier war. Es sah dem Bauern gar nicht ähnlich, den Hof allein zu lassen, schon gar nicht, wenn Fremde eingetroffen waren. Die Reiter hatten Tücher, Decken und Kleidung zusammengerafft und schleuderten wahllos Kochutensilien und Werkzeug in die behelfsmäßigen Säcke. Aus dem Obergeschoss drang der Krach von zerberstender Töpferware und Federngestöber, als Zudecken und Kissen aufgeschlitzt und in Tragetaschen verwandelt wurden. Einer der Männer starrte die brennende Osterkerze im Herrgottswinkel an, als wecke sie eine verschüttete Erinnerung in ihm, von der er nicht wusste, ob er sich ihr ergeben oder sie verachten sollte; dann schlug er die Flamme mit der flachen Hand aus und steckte die teure Wachskerze in einen Sack. Aus dem Mund quollen ihm zerquetschtes Eigelb und zerbissene rote Schalen. In der Räucherkammer wurde lautes Jubelgeschrei vernehmbar – die Reiter hatten den Speck und die Würste entdeckt, die vom Osterfest vor ein paar Tagen übrig geblieben waren.
„Wer lebt hier?“, fragte der Anführer der Reiter den Jungen.
„Der Bauer und seine Leute“, antwortete dieser.
„Ist der Bauer dein Alter?“
Der Junge erinnerte sich daran, dass der Bauer ihn deutlich grober zu behandeln pflegte als seine beiden Söhne und seine Tochter, jedoch sanfter als die Knechte oder den Gänsejungen. Er war sich nicht sicher.
„Die Christel ist meine Mutter“, sagte er. Das wenigstens stand fest.
„Das is’ die Bäuerin?“
„Nö“, sagte der Junge stolz. Die Bäuerin pflegte in der Stube zu sitzen und den ganzen Tag die Hände zu ringen. Seine Mutter hingegen packte zu. „Die Magd.“
„Na, du Bastard“, grinste der Reiter. „Und wo sind sie alle hin?“
Der Junge zuckte mit den Schultern. Er sah zu, wie die Männer das Kupfer- und Zinngeschirr zerschlugen und die Bruchstücke einpackten. Andere rissen die Fenster heraus und warfen sie nach draußen und die Bänke und die Bettladen hinterher. Er roch nach Rauch; jemand vor dem Haus versuchte, ein Feuer in Gang zu bekommen.
„Wir ham Holz in der Scheune“, sagte er.
Die Reiter waren merkwürdig. Wenn sie das Schaf, das sie geschlachtet hatten, braten wollten, sollten sie lieber das gehackte Feuerholz nehmen; mit dem Hausrat würden sie nur eine hoch lodernde Flamme erzeugen, in der das Fleisch verbrannte. Er fand es erheiternd, dass diese Männer, die die Fähigkeit hatten, auf den Pferden förmlich über den Boden zu fliegen und sich in Eisen zu gewanden, zu dumm zum Feuermachen waren.
„Was is’ so lustig, du Rauling?“
„Nix“, sagte der Junge und kicherte.
„Wachtmeister!“, rief eine Stimme von draußen. „Wachtmeister, wir haben was gefunden.“
Der Anführer der Reiter packte den Jungen am Arm und zog ihn hinter sich her. Leupold, der Knecht, lag zwischen drei Reitern auf dem Boden; er stöhnte und keuchte und hielt sich das Bein. Seine Nase war blutig. Einer der Reiter trat Leupold nachlässig gegen das gebrochene Gelenk, und Leupold schrie auf.
„Is’ der Iltis allein?“
„Nee, ’ne Moß hat ihm das Händchen gehalten.“ Der Reiter machte eine Kopfbewegung zur Scheune. Gedämpfte Geräusche drangen daraus hervor, als wenn jemand zu schreien versuchte.
Der Wachtmeister beugte sich zu Leupold hinunter. Leupolds Augen wurden weit, als er den Jungen erblickte.
„Wo sind alle?“, fragte der Wachtmeister.
„Ich sag nix“, keuchte Leupold. „Ihr Teufelsbrut.“
Ein neuerlicher Tritt gegen sein verletztes Bein ließ ihn brüllen.
„Wie war das?“, fragte der Wachtmeister.
„Lasst den Bengel laufen, er hat euch nix getan.“
„Du hast uns auch nix getan, und glaubst du, wir lassen dich laufen?“
„Bei der Liebe Gottes, ich bin nur der Knecht!“, stöhnte Leupold.
„Gebt ihm was zu trinken“, sagte der Wachtmeister.
Leupold schrie und wand sich, aber sie banden ihm Hände und Füße zusammen. Einer holte etwas aus einer Satteltasche, das wie zwei handtellergroße Brettstücke aussah, mit einer Zwinge verbunden. Sie packten Leupolds Unterkiefer und zwangen ihm den Mund auf, dann rammten sie das Holz hinein und drehten an der Zwinge. Leupold ächzte und lallte. Die Bretter öffneten sich. Sie waren ein Sperrholz, wie man es auch den Schafen ins Maul rammte, wenn man ihnen etwas einflößen musste. Ein Reiter schleppte einen Kübel herbei, und unter allgemeinem Gejohle schüttete er den Inhalt des Eimers in Leupolds Mund. Der Junge verzog das Gesicht. Jauche.
Leupold bäumte sich auf und gurgelte und spuckte die Jauche und alles aus, was er sonst noch im Magen hatte. Sie drehten ihn auf die Seite und rissen ihm das Sperrholz aus dem Mund. Leupold lag in seinem Erbrochenen und krümmte sich.
„Is’ dir jetzt eingefallen, wo alle sind?“, fragte der Wachtmeister.
Leupold winselte und nickte. Der Wachtmeister kauerte sich neben ihn. „Erleichtere dich, du Sünder“, sagte er grinsend.
Der Junge blickte zum Eingang der Scheune hinüber. Mehrere Reiter standen dort dicht an dicht und betrachteten etwas, das offenbar in der Scheune vor sich ging. Sie johlten und pfiffen, dazwischen war rhythmisches Gegrunze und Klatschen zu hören. Er trat über Leupolds sich krümmenden Leib und machte sich auf den Weg zur Scheune, um ebenfalls zu schauen. Ein Reiter fing ihn ab.
„Richte das Schaf her, du Nichtsnutz“, sagte er und stieß ihn in Richtung auf den Kadaver.
Der Junge bedauerte, dass er nicht zur Scheune gelassen wurde, aber er war barsche Anweisungen gewohnt und vor allem die Folgen, wenn er nicht darauf hörte. Er machte sich an dem Schaf zu schaffen. Als bestiefelte Beine neben ihn traten, blickte er blinzelnd auf. Es war der Wachtmeister. „Wir holen die Familie zusammen.“
Der Junge zuckte mit den Schultern. Er hielt es für keine gute Idee, den Bauern zu holen. Wenn dieser die Bescherung im Haus und das tote Schaf sah, würde er zu brüllen anfangen. Der Bauer konnte sehr laut brüllen.
„Wie heißt du?“
„Bub“, sagte der Junge stolz.
Der Wachtmeister verdrehte die Augen. „Das seh ich selber. Wie ruft dein Alter dich?“
Der Junge legte den Kopf schief.
„Der Bauer“, stieß der Wachtmeister hervor. „Wie nennt der dich, in drei Teufels Namen?“
„Taugenichts. Dumme Sau. Drecksbengel.“
„Und deine Mutter? Die Magd?“
„Bub“, sagte der Junge und wusste nicht, ob er wegen der Begriffsstutzigkeit des Wachtmeisters erneut lachen sollte.
„Bist du zu blöd, um deinen Namen zu wissen?“
„Wieso, du weißt ihn ja auch nicht.“
„Scheiße, du Frosch, werd bloß nich’ frech. Was bist du, ’n Weißhulm? Kannst du den Himmelssteig aufsagen?“
Der Junge blinzelte verständnislos.
„Das Paternoster, verdammt!“
„Kann ich“, sagte der Junge.
„Sag’s mir vor.“
„Unser lieber Vater, der du bist Himmel, heiliget werde dein Nam, zu kommes dein Reich, dein Will schehe Himmel ad Erden, gib uns Schuld, als wir unsern Schuldigern geba, führ uns nicht in kein bös Versucha, sondern erlös uns von dem Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Ama.“
„Heilige Scheiße“, staunte der Wachtmeister.
Ein anderer Reiter war herzugekommen.
„Der Bursche is’ so blöd, ich krieg nich mal aus ihm raus, wie er heißt, geschweige denn, ob seine Herrschaft Dofelmänner oder Grillen sind“, erklärte der Wachtmeister.
„Is’ doch eh egal“, erwiderte der Reiter.
„Ich würd mich wohler fühlen, wenn ich wüsste, dass es Ketzer sind.“
„Ich würd mich wohler fühlen, wenn ich was zu fressen und zu saufen hätte und um die nächste Courasche Schlange stehen könnte“, sagte der Reiter und fügte hinzu: „Und wenn ich wüsste, dass der Schwed’ nich’ kommt. Wir sin’ auf deren Seite des Flusses, Wachtmeister.“
„Scheiß auf den Schwed’. Der Schwed’ schanzt irgendwo bei Rain am Lech und holt sich dort einen runter.“ Der Wachtmeister richtete sich auf. „Na schön“, seufzte er. „Mal sehen, ob die anderen die Vögel einfangen können.“
Der Junge wurde allein gelassen. Nach einigen Sekunden des Nachdenkens kümmerte er sich wieder um das Schaf. Es schien ihm, dass sie das von ihm wollten.
Das Schaf war bereits geschoren und ausgenommen, als der Bauer mit seiner Familie und den Knechten kam. Die Reiter führten sie ins Haus. Da andere Männer ihm das Schaf wegnahmen und sich bemühten, es auf einen Spieß zu stecken, folgte der Junge ins Haus. Der Bauer, seine Frau, die Tochter und die beiden Söhne saßen auf dem Boden, die Knechte wurden von den Soldaten festgehalten. Der Bauer blinzelte vor Angst.
„Zwei Fragen“, sagte der Wachtmeister und hob behandschuhte Finger. „Erstens: Protestant oder Katholik?“
Das Kinn des Bauern bebte. Niemand konnte erkennen, ob er protestantische oder katholische Truppen vor sich hatte, wenn er auf Marodeure wie diese hier stieß. Im Kampf trugen die kaiserlichen Soldaten schwarz-rote und die schwedischen weiß-blaue Tuchfetzen oder Hutfedern, um von den eigenen Truppen erkannt zu werden. Abseits des Schlachtfelds war dies nicht nötig. Abseits des Schlachtfeldes war es taktisch klüger, unerkannt zu morden. Was immer der Bauer sagte, er hatte eine gute Chance, das Falsche zu sagen. Er schluckte und schwieg.
„Zweitens“, sagte der Wachtmeister. „Wo hast du deine Wertsachen versteckt?“
Der Junge sah zu, wie das Kinn des Bauern noch stärker bebte und seine Lippen weiß wurden, so fest presste er sie zusammen. Man konnte seinen Atem in der Kehle wimmern hören.
Die Reiter zwangen einen der Knechte auf die Knie, wickelten ihm blitzschnell einen Strick um den Kopf und drehten ihn dann mit einem Holzstück zusammen. Der Knecht begann zu schreien. Blut lief ihm aus Ohren, Nase und Mund. Seine Hände rissen sich los und zerrten an den Stricken, aber sie saßen zu stramm. Seine Augen traten aus den Höhlen, groß und weiß wie Hühnereier. Der Knecht heulte. Etwas knackte. Mit einem dumpfen Keuchen sackte der Unglückliche in sich zusammen. Der Junge starrte ihn an und schluckte. Leupold die Jauche in die Kehle zu schütten war irgendwie lustig gewesen, ein grober Streich, wie ihn die Knechte sich gegenseitig immer wieder spielten – aber das viele Blut hier … und die Augen … Irgendwo in seinem Innern verkümmerte das Lachen. Er versuchte ein hilfloses Lächeln und sah zu dem Wachtmeister auf, doch dieser beachtete ihn nicht.
„Fällt’s dir noch nich’ ein?“, fragte der Wachtmeister. „Na gut, schauen wir, was die Weiber davon halten.“
Die Tochter versuchte sich an der Bäuerin und diese am Bauern festzuhalten, als die Soldaten sie davonzerrten. Sie scharten sich in einer Ecke um sie, direkt unter dem Herrgottswinkel. Der Junge versuchte erneut zu erspähen, was sie mit ihnen trieben. Der Wachtmeister wurde auf ihn aufmerksam.
„Alch dich“, sagte er. „Kümmer dich um den Braten.“
Zögernd schlenderte der Junge zur Tür, verfolgt von Anfeuerungsrufen und panischem Kreischen aus dem Herrgottswinkel, das abrupt in abgehacktes Schmerzgeheul überging. Er blickte über die Schulter zurück. Der Wachtmeister stand über den Bauern gebeugt. Reiter zogen dem Bauern die Schuhe von den Füßen. In einer Hand des Wachtmeisters war ein langes Messer, mit der anderen griff er, ohne hinzusehen, in das Salzfass. Die bloßen Füße des Bauern zuckten. Der Junge sah, dass auch den Söhnen des Bauern die Schuhe ausgezogen wurden.
„Die Weiber wissen’s nich’“, sagte der Wachtmeister. „Oder sie ham den Mund zu voll, um was sagen zu können. Wir müssen uns wohl an die Männer in der Familie halten. Wolltet ihr in der nächsten Zeit viel zu Fuß gehen?“ Ohne zu dem Jungen hinzusehen, fügte der Wachtmeister hinzu: „Bist du noch nich’ draußen, Nichtsnutz? Soll’n wir dich auch fragen?“
Der Junge stolperte hinaus. Über die Geräusche aus dem Herrgottswinkel hinweg hörte er einen der Knaben erschreckt aufschreien und den Bauern keuchen: „Also gut, ich sag’s euch!“, und den Wachtmeister sagen: „Schön, schön, aber lass uns dir zeigen, was los is’, wenn du uns Scheiß erzählst!“, und daraufhin eine gellende Knabenstimme, die schrie und schrie …
Er stürzte davon, zu der Feuerstelle hinüber, an lachenden oder gelangweilt aussehenden Soldaten vorbei, die ihm einen Tritt gaben, wenn er sie anrempelte. Zitternd griff er nach dem Spieß und versuchte, das Schaf herumzudrehen, das an der Unterseite schon schwarz wurde. Plötzlich fehlte ihm die Kraft.
Jemand langte an ihm vorbei und drehte den Spieß mit einem Ruck um. Eine Handfläche klatschte gegen seinen Hinterkopf.
„Hier, bring den Cavallen was zu saufen, wenn du zu dumm zum Bratendrehen bist.“
Der Junge schnappte sich blindlings einen Eimer, füllte ihn am Brunnen und torkelte mit seiner Last in die Scheune. Die Soldaten, die sich zuvor noch im Eingang gedrängt hatten, waren verschwunden, die Scheune eine schwarze Höhle in der Dämmerung. Auf einmal fühlte er die Kühle des Aprilabends und erkannte, dass sein Körper mit Schweiß überzogen war. Undeutlich nahm er zwei Gestalten unweit des Eingangs wahr, die auf dem Boden lagen. Eine richtete sich schwach auf. Sein Blick glitt zu der anderen. Der Eimer fiel aus seiner Hand.
„Lauf, Bub“, flüsterte eine heisere, von Schmerz zerrissene Stimme, die er kaum als die seiner Mutter erkannte. „Lauf, sonst tun sie mit dir das Gleiche!“