Читать книгу Die Erbin der Teufelsbibel - Richard Dübell - Страница 23

7.

Оглавление

Der Knall erreichte Alexandra im selben Augenblick, als der Kopf des bayerischen Dragoneroffiziers aufplatzte. Die linke Gesichtshälfte Erik Wrangels war plötzlich rot. Der Dragoner sackte in sich zusammen, eine Gliederpuppe, deren Fäden durchtrennt waren, ein Haufen Gliedmaßen in schmutzigen, bunten Gewändern. Eben noch hatten seine hämischen Worte in der Luft gehangen, und nun war seine Seele bereits auf dem Weg in die Hölle. Wrangel stolperte einen Schritt zurück, so langsam wie in einem Traum. Die bayerischen Soldaten gafften.

Aus der weißen Qualmwolke, die aus einem dichten Fichtenbestand hervorquoll, sprangen plötzlich Pferde mit Reitern darauf. Alexandra sah dunkelgrüne Lederkoller über türkisfarbenen Jacken, blitzende Helme mit Wangen- und Nackenschützern, einen Offizier mit einem dunklen Hut und einer gelben Feder obenauf. Zwischen den Reitern sprang ein Musketier aus der kleinen Schonung, die Waffe noch rauchend, die Gabel in der anderen Faust; er rammte sie in den Boden und begann in aller Seelenruhe die Muskete zu laden, während die Reiter an ihm vorbeigaloppierten, dass ihm beinahe der Hut vom Kopf gerissen wurde. Sie sah einen der bayerischen Soldaten, der vollkommen fassungslos vor dem heranstürmenden halben Dutzend Angreifer stand, einen langen Spieß nutzlos in den Händen. Im nächsten Moment war er unter den Hufen des vordersten Pferdes verschwunden. Der Offizier mit der gelben Feder ließ die Zügel los, richtete sich halb in den Steigbügeln auf und streckte die Arme aus; in seinen Fäusten steckten langläufige Pistolen. Zwei Schüsse, gleichzeitig abgegeben, und die beiden bayerischen Dragoner, die Erik Wrangel am nächsten standen und ebenso starr wie alle anderen den Angreifern entgegenblickten, brachen zusammen. Erik Wrangel duckte sich und barg den Kopf in den Händen. Der Offizier preschte an ihm vorbei, steckte die Pistolen zurück in die Sattelhalfter und riss ein Rapier aus der Scheide, während er das Pferd nur mit den Schenkeln um den jungen Schweden herumlenkte.

Alexandra packte ihre Mutter an der Hand. „Zum Baum!“, schrie sie. „Schnell!“

Die Waffe des Musketiers dröhnte erneut los und traf. In die Überfallenen kehrte das Leben zurück. Sie hatten keinen Offizier mehr, der sie befehligte, aber sie hatten lange Erfahrung sammeln können in einem Krieg, der begonnen hatte, als sie noch nicht auf der Welt gewesen waren.

Die Hellebardenträger rannten aufeinander zu, um eine Front aus Stahl aufrichten zu können; die Schützen schlossen auf und fummelten bereits an ihren Waffen herum. Der einsame Musketier unter den Angreifern hatte seinen Standort gewechselt und lud nun ebenfalls nach. Ein paar von den bayerischen Dragonern rannten zu den Zelten, um ihre Pferde zu holen, aber die meisten erkannten, dass sie sich entweder hier und jetzt oder nie mehr würden verteidigen können. Eine Handvoll floh kopflos in den Wald hinein.

Der Schreiber aus dem Kontor der Firma, der die schwedische Sprache kannte, lag immer noch auf dem Boden, eingerollt wie ein kleines Kind, den Kopf unter den Armen. Agnes riss sich aus Alexandras Griff los und bückte sich, um ihn in die Höhe zu ziehen. Ihr langes graues Haar hatte sich halb gelöst und wehte um ihr Gesicht. Ihre Wangen waren bleich, aber ihre Augen glühten. Der Schreiber kam schluchzend auf die Beine und ließ sich von Agnes davonzerren. Alexandra fuhr herum. Der Mann aus dem Dorf einen halben Tag weiter, der sich ihnen als Führer angeboten hatte, stand zur Salzsäule erstarrt zwischen den sich hektisch organisierenden Bayern. Den Baum fast in Reichweite, änderte sie die Richtung und lief auf ihn zu. Sie hörte ihre Mutter schreien und erkannte einen der bayerischen Dragoner, der mit gezogenem Rapier auf sie zuhielt. Ihre Blicke flogen herum auf der Suche nach etwas, mit dem sie sich verteidigen konnte, da donnerte ein Pferd von hinten an den Dragoner heran, ein nägelbeschlagener Knüppel schwang durch die Luft, und der bayerische Soldat schlug einen vollendeten Purzelbaum und blieb auf dem Boden liegen. Sein Rapier polterte Alexandra vor die Füße. Der Angreifer riss das Pferd herum, und einen unwahrscheinlichen Augenblick lang glaubte Alexandra zu sehen, dass er ihr eine Kusshand zuwarf, bevor er davonsprengte.

Eine Salve von Schüssen brüllte auf – die Reihe der bayerischen Schützen. Offenbar hatten sie keinen der Angreifer getroffen. Der eine Musketier mit dem grün-türkisfarbenen Gewand legte den Musketenlauf in die Gabel und drückte ab, und aus der dichten weißen Rauchwolke, die die bayerischen Schützen einhüllte, stolperte eine Gestalt heraus und schlug schwer auf den Boden, wo sie sich zu winden begann. Von der Seite preschten zwei Reiter heran und sprengten die Schützen auseinander. Die Angreifer waren zahlenmäßig unterlegen, aber ihre reibungslose Koordination wog den Nachteil mehr als auf. Der Offizier mit der gelben Feder kam aus der Reihe der Zelte herausgaloppiert, eine Anzahl von Pferden an den Zügeln hinter sich her ziehend – er lenkte sie direkt in die Dragoner hinein, die ihre Tiere zu erreichen versucht hatten. Die Pferde wieherten und scheuten, sie schlugen mit den Hufen aus und trampelten ihre Besitzer nieder. Einer der Soldaten entkam dem Gemetzel, warf sich herum und zog eine Pistole aus dem Gürtel. Er richtete sie auf den Mann mit der gelben Feder, der ihm den Rücken zuwandte. Dicht neben Alexandra dröhnte das Gewehr des einsamen Musketiers los, und der Dragoner mit der Pistole machte einen Satz und sackte zusammen, ohne gefeuert zu haben. Sie fuhr herum und starrte den Mann mit der Muskete an; er stand keine fünf Schritte von ihr entfernt und lud mit der ihm eigenen Seelenruhe nach. Als spürte er ihren Blick, sah er auf und zuckte dann mit den Schultern.

In den Bauern kehrte das Leben zurück. Er stieß Alexandra beiseite und rannte los. Pferde stiegen mit wirbelnden Hufen, und er machte kehrt und sprang mit riesigen Sätzen zu Alexandra zurück. Sie packte ihn am Ärmel. Nebeneinander rannten sie auf den Baum zu, wo Agnes bereits dicht an den Stamm gepresst kauerte. Der Schreiber hatte ihre Hüfte umklammert und den Kopf in ihre Röcke gepresst, und Alexandra sah mit der Fassungslosigkeit, die sie angesichts der Entschlossenheit ihrer Mutter auch nach so vielen Jahren noch empfand, dass Agnes ihm mit der einen Hand über das Haar strich und mit der anderen einen abgebrochenen Ast zur Verteidigung parat hielt. Keuchend fiel sie neben ihr auf die Knie und zerrte den Bauern einfach mit sich. Sie zeigte ihrer Mutter das erbeutete Rapier.

„Wollen wir tauschen?“, stieß sie hervor.

Agnes schüttelte den Kopf. „Du bist gut mit dem Skalpell“, rief sie atemlos. „Mein Metier sind mehr Kopfnüsse!“ Sie schwang den Ast.

Zwischen den Zelten und dem Wald herrschte Armageddon. Die Reiter hatten eine einfache Taktik – sie kreisten und ritten durcheinander, als würden sie auf dem Exerzierplatz ihre Kunststücke vorführen, und beinahe sah es wirklich so aus wie ein eleganter Tanz, nur dass in diesem Tanz etliche mitmachen mussten, die zu Fuß waren und niedergeschossen, niedergehauen, niedergetrampelt wurden. Die fehlgegangene Salve war die einzige Verteidigungsaktion der Bayern gewesen; nun waren sie nur noch ein Haufen Kopfloser, die niedergemäht wurden wie Gras. Gebrüll, Pferdegeruch, der Gestank des Pulverqualms, die Geräusche, wenn Klingen und Knüppel auf Körper trafen …

„Heilige Maria“, keuchte Agnes. „Das ist die Hölle!“

Alexandra starrte mit aufgerissenen Augen auf das mit Körpern übersäte Schlachtfeld. Sie erblickte Erik Wrangel, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag, und dachte daran, wie er unwillkürlich nach seinem Rapier gegriffen hatte, als habe er kurz überlegt, ihr und Agnes beizuspringen.

Ein Mann rannte auf sie zu. Er schwang eine Pistole in der Hand. Direkt vor dem Baum stolperte er und fiel vornüber, richtete sich wieder auf und stierte Alexandra, Agnes und die beiden Männer an. Das Gesicht des Soldaten war voller Blut. Er hob seine Waffe und zielte auf Agnes. Alexandra versuchte aufzuspringen. Einer der grün-türkisfarbenen Reiter sprengte heran, doch er würde zu spät kommen. Der Soldat knickte ein, drehte sich halb herum, erspähte den einsamen Musketier, der sich ein weiteres Ziel suchte, schwenkte die Pistole herum und nahm den Musketier ins Visier …

Alexandra kaum auf die Beine. Sie wollte schreien, doch sie brachte keinen Ton heraus. Die Pistole knallte.

Der Musketier drehte sich um, eine Augenbraue erhoben, als sei er milde empört über die Störung.

Der Dragoner mit der Pistole richtete sich auf die Knie auf.

Der grüne Reiter war heran. Es war der Mann mit der Keule. Ein dumpfer Schlag, der Dragoner machte einen unfreiwilligen Satz nach vorn und landete mit dem Gesicht im Dreck, bereits leblos.

Der einsame Musketier schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seiner Waffe zu, die er an die in den Boden gerammte Gabel gelehnt hatte.

Der grüne Reiter zog sein Pferd herum, grinste übers ganze Gesicht, als er Alexandra erblickte, tippte sich an den Rand seines Helms und rief etwas, das sie nicht verstand. Agnes blinzelte, als erwache sie aus einer Ohmacht. Alexandra stierte den toten Dragoner vor ihren Füßen an. Seine Augen waren offen, aus einem Ohr und der Nase tropfte Blut.

Der einsame Musketier hob den Lauf seines Gewehrs in die Gabel und fiel dann langsam damit vornüber.

Stille kehrte ebenso plötzlich ein wie zuvor der Schlachtlärm.

Bis auf zwei stiegen die Reiter ab, zückten Messer und schlenderten zu den Gefallenen. Die beiden Berittenen lenkten ihre Pferde herüber. Alexandra packte den Griff des Rapiers fester. Das Wimmern des Schreibers ging ihr plötzlich auf die Nerven. Sie versetzte ihm einen Stoß, und er schrie auf, das Gesicht noch immer in Agnes’ Rock gepresst.

Beide Reiter hielten vor der stillen Gestalt Erik Wrangels an. Überrascht sah Alexandra, dass der junge Schwede den Kopf hob und die Männer anstarrte. Er war unversehrt! Der Reiter mit dem Knüppel hob seine Waffe und wirbelte sie einmal um sein Handgelenk. Erik Wrangel versuchte aufzustehen und kam nicht weiter als bis auf die Knie.

„Lasst ihn in Ruhe, ihr Mordpack!“, schrie eine Stimme, von der Alexandra nach einigen Augenblicken erkannte, dass es die ihre war.

Die beiden Reiter sahen auf. Der Offizier lenkte sein Pferd zum Baum herüber. Der Reiter mit dem Knüppel in der Faust beugte sich zu Erik Wrangel hinunter, dann schob sich das Pferd des Offiziers in ihr Blickfeld.

„Ihr Schweine!“, rief sie.

Der Offizier drehte sich um, sein Pferd tänzelte beiseite, und Alexandras Blickfeld war wieder frei. Der Reiter mit dem Knüppel hatte Erik auf die Beine gezogen, schwang sich aus dem Sattel, lehnte den jungen Schweden gegen die Flanke des Pferdes und tastete ihn überall ab. Er fragte etwas, und Erik schüttelte den Kopf wie ein Träumer. Der Reiter tätschelte dem jungen Mann die Wange und wandte sich dann grinsend zu seinem Offizier um. Er hob einen Daumen.

Der Offizier stieg ab und ging die letzten Schritte zu Fuß. Dicht vor Alexandra und Agnes blieb er stehen. Er nahm den Hut ab und wischte sich über die Stirn. Sein Haar war kurz geschoren, mit Grau durchsetzt, darunter ein hageres Gesicht mit langen Furchen in den Wangen, einem schmalen Mund. Dunkle Augen musterten sie. Sie hob das Rapier erneut. Ihr Herz trommelte, und die Furcht drückte ihr schier den Atem ab.

„Ich verstehe Ihre Sprache“, sagte der Offizier. „Sind Sie unverletzt?“

„Ja …“, sagte Alexandra.

„Wer sind Sie?“

Als Alexandra nicht antwortete, räusperte Agnes sich. „Ich bin Agnes Khlesl. Das ist meine Tochter Alexandra. Die beiden Herren hier …“, sie versetzte dem panisch wimmernden Schreiber eine sanfte Kopfnuss und seufzte, „… sind unser Geleitschutz.“ Wenn Alexandra es nicht selbst gesehen hätte, hätte sie nicht geglaubt, dass Agnes resigniert lächelte und dem Offizier dann zublinzelte.

Der Geist eines Grinsens huschte über das schmale Gesicht des Mannes. Seine Blicke fielen auf Agnes’ behelfsmäßigen Knüppel und das Rapier in Alexandras Faust. „Ich sehe“, sagte er.

„Ich glaube, Ihren Musketier hat es erwischt“, sagte Alexandra.

Der Offizier wandte sich ab und stapfte zu dem Mann hinüber, der mit seiner Muskete und der Gabel im Arm auf dem Boden lag und sich nicht rührte. Der Offizier starrte auf ihn hinab, den Hut in den Händen. Alexandra rappelte sich auf und stolperte zu den beiden, kauerte sich neben den Gefallenen. Sie sah in sein bleiches Gesicht mit den halb offenen Augen und wusste, dass sie seinen Puls nicht mehr zu fühlen brauchte. Sie tat es dennoch.

„Er ist tot“, sagte sie. „Es tut mir leid.“

Der Offizier nickte. Die Wangenmuskeln in seinem Gesicht zuckten, und seine Augen brannten. Überrascht erkannte sie, dass er mit den Tränen kämpfte. Abrupt riss er sich vom Anblick des Toten los.

„Wer sind Sie?“, fragte sie.

Der Reiter mit dem Knüppel kam herangeschlendert. Er hatte den Helm abgenommen und offenbarte darunter ebenso kurz geschnittenes, mit Grau durchzogenes Haar wie sein Vorgesetzter. Er führte Erik Wrangel am Arm und rollte etwas in der Sprache, die Alexandra mittlerweile als Schwedisch kannte. Als er Alexandra anblickte, grinste er plötzlich.

„Du varar skyldig mig två kyssar, mitt älskvärt“, sagte er.

„Was meint er?“, fragte Alexandra den Offizier.

„Dass es dem jungen Mann gut geht.“

„Und das Zweite?“

Der Offizier machte eine Kopfbewegung zu dem toten Musketier. Das Lächeln auf dem Gesicht des zweiten Reiters erlosch.

„Lasse är död“, sagte der Offizier.

„En vilken skam!“, grollte der zweite Reiter. „Skitit!“

Erik Wrangel warf Alexandra einen Seitenblick zu. „J'ai voulu vous aider! Honnêtement!”

Alexandra seufzte. „Alles treibt sich hier in unserem Land herum, und keiner kann die Sprache“, erwiderte sie.

Der Offizier beachtete sie nicht. Er musterte Erik Wrangel. Der junge Schwede stand stramm und legte eine Hand aufs Herz. Er ratterte etwas, das am Ende von einem Schluchzer unterbrochen wurde. Dann senkte er den Kopf und kämpfte um seine Fassung. Der Offizier zog einen Handschuh aus und tätschelte ihm ebenso die Wange wie der andere Reiter vorher. Erik Wrangel brach in Tränen aus.

Der Reiter mit dem runden Gesicht sah Alexandra unverwandt an. Sie hob eine Augenbraue. Er hielt zwei Finger in die Höhe und lächelte. „Två kyssar“, sagte er. „För två liv. Är det för mycket?“

„Er will zwei Küsse“, erklang Agnes’ Stimme in Alexandras Ohr. „Weil er dir zweimal das Leben gerettet hat.“

„Woher willst du …?“

Agnes, die neben Alexandra getreten war, deutete auf den Schreiber mit den schwedischen Sprachkenntnissen. Er schien sich wieder gefangen zu haben und stand verlegen abseits.

„Das ist doch die Höhe …“, murmelte Alexandra.

Agnes trat auf den Reiter zu. „Du hast mein Leben auch gerettet, Freundchen“, sagte sie. „Meine zwei Küsse bekommst du gleich.“ Sie drückte dem überraschten Mann zwei Küsse auf die Wangen. „Und dass du meine Tochter gerettet hast, hat selbstverständlich auch eine Belohnung verdient.“ Er erhielt zwei neue Küsse. Die anderen Reiter, die näher gekommen waren, pfiffen und klatschten. Der Reiter machte eine übertriebene Verbeugung und zwinkerte Agnes dann zu.

„Du hast dir gerade einen Freund fürs Leben gemacht“, knurrte Alexandra.

„Kann man immer brauchen“, erwiderte Agnes.

Alexandra wandte sich an den Offizier mit den dunklen Augen. „Wer sind Sie?“, fragte sie erneut.

„Das sind Samuels Gespenster, mein Fräulein“, erwiderte eine neue Stimme vom Waldrand. Sie troff förmlich vor Verachtung und hatte einen sächsischen Akzent. Alexandra drehte sich überrascht um. Lautlos waren am Waldrand mindestens zwei Dutzend Berittene erschienen, ausgerüstet mit Kürassen, blitzenden Helmen, Lanzen und Pistolen. Ihr Anführer hielt eine Pistole in die Höhe und zielte auf den Offizier mit den dunklen Augen. „Ich würde sagen: Gut gemacht, Brahe, aber angesichts der Umstände verkneife ich mir das. Lieutnant Wrangel, sont vous bien?

„Oui, mon colonel …“ Der junge schwedische Offizier sah verwirrt von den neu aufgetauchten Reitern zu seinen Rettern und zurück.

„Und wer sind Sie?“, fragte Alexandra.

„Ehemals sächsisch-weimarisches Leibregiment von Herzog Bernhard“, schnarrte der Mann. „Jetzt im Dienst Ihrer Majestät der Königin von Schweden.“

„Aber dann sind Sie doch Verbündete?“

Der Reiteroberst lachte. Alexandra sah dem Offizier, der vor ihr stand, ins Gesicht. Er gab ihren Blick unbewegt zurück. Auf einmal konnte sie in den dunklen Augen ganz deutlich lesen: Du und ich, wir kennen den Schmerz, nicht wahr? Den Schmerz, der aus dem Verlust dessen kommt, was uns am meisten bedeutet hat … Sie schluckte.

Die Neuankömmlinge schwärmten aus und trieben die grün-türkisfarbenen Soldaten zusammen. Fassungslos sah Alexandra zu, wie ihnen die Waffen abgenommen wurden. Jemand bückte sich und riss dem toten Musketier achtlos die Waffe aus den Armen.

„Diese Männer“, rief der Reiteroberst, „haben keine Verbündeten, noch nicht mal in der Hölle.“

Er trieb sein Pferd vom Waldrand herab, stieg ab und schritt an Alexandra vorbei. Als er dem schwedischen Offizier gegenüberstand, streckte er die Hände aus. Der Offizier drückte ihm die beiden Pistolen hinein. Der Reiteroberst nahm sie an und gab sie weiter, als hätte er etwas unsagbar Schmutziges angefasst. Auch das Rapier wurde auf die gleiche Weise übergeben.

„Sie haben diese Männer ausgeschickt, um den jungen Burschen zu befreien“, sagte Alexandra hitzig. „Sie haben Sie in den Kampf gegen eine dreifache Übermacht gesandt, obwohl Sie mit einem halben Heer dort unter den Bäumen versteckt waren und jederzeit hätten eingreifen können! Sie sagen, Sie stehen im Dienst der schwedischen Königin. Was soll das Ganze?“

„Mein Fräulein“, sagte der Reiteroberst herablassend, „das verstehen Sie nicht.“

„Ich bin Samuel Brahe“, sagte der Offizier mit den dunklen Augen plötzlich. Sein Blick brannte sich in Alexandras Herz hinein. „Der Mann, der die zwei Küsse von Ihnen wollte, ist Alfred Alfredsson. Die anderen sind meine Kameraden. Wir sind alles, was von den Småländischen Reitern noch übrig ist.“

„Halten Sie den Mund, Brahe!“, schnappte der Reiteroberst. „Småländische Reiter – pah! Sie und Ihre Männer sind Abschaum, nichts weiter. Los, führt sie ab. Lieutenant, suivez-moi. Nous vous escortons à votre oncle. Pour vous la guerre est finie.“

„Aber die Soldaten, die mich gerettet haben …“

„Kümmern Sie sich nicht um sie. Sie sind bereits tot.” Der Reiteroberst wandte sich an Alexandra. „Wohin wollen Sie?“

„Nach Würzburg …“, stotterte Alexandra.

„Wir sind gut in der Zeit. Wir geben Ihnen bis morgen Geleit. Einverstanden?“

„Natürlich. Aber …“ Sie sah den Männern hinterher, die ihrer kleinen Gruppe und Erik Wrangel das Leben gerettet hatten und die abgeführt wurden wie Verbrecher. Ihr schwirrte der Kopf. „Was haben sie denn Schreckliches getan?“

Samuel Brahe drehte sich zu ihr um, aber der Reiteroberst antwortete für ihn. „Sie haben König Gustav Adolf von Schweden auf dem Gewissen.“

Die Erbin der Teufelsbibel

Подняться наверх