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17.

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Pfarrer Christian Herburg war der Seelsorger des Örtchens Falkenau, zwei, drei Meilen nördlich von Eger. Die Nähe zu einer großen Stadt (nach Eger war es ein Fußmarsch von knapp einem Tag) machte das Leben schwer für den geistlichen Hirten eines Dorfes. Die Klugen und die Arbeitswilligen verschwanden so schnell wie möglich hinter die Stadtmauern, um die Freiheit, ihr Glück oder auch bloß eine andere Arbeit zu finden als die, sich vom Frühjahr bis in den Winter auf den Feldern abzuplacken und im Winter dann zu frieren und zu hungern. Die Einnahme Egers durch den schwedischen General Wrangel im vergangenen Sommer hatte diese Situation noch verschärft. Die Bevölkerung der Stadt hatte sich unter der schwedischen Herrschaft und unter dem Eindruck der schwer bewaffneten Garnison, die Wrangel zurückgelassen hatte, darauf besonnen, dass ihr Herz eigentlich schon immer protestantisch geschlagen hatte. Wer konvertierte, fand offene Arme; wer sich als Soldat in schwedischen Diensten einschreiben ließ, ebenfalls. Wer in die Hände spuckte und half, die Spuren der schweren Beschießung zu beseitigen, plackte sich zwar nicht weniger als zuvor auf dem Acker, konnte aber gewiss sein, ausnahmsweise als Held angesehen zu werden. Pfarrer Herburg hätte niemals geahnt, wie viele prospektive Protestanten, Soldaten und Helden sein kleines Dorf bewohnt hatten. Jetzt waren sie alle weg, und zurück blieben die Dummen, die Resignierten und diejenigen, die wussten, dass ihre immanente Bosheit sie in der Stadt zu Ausgestoßenen machte, auf dem Dorf aber zu Respektspersonen, die man fürchtete.

Während er mit den Füßen auf den Boden stampfte und versuchte, so etwas Ähnliches wie Gefühl in seine halb erfrorenen Zehen zurückzubringen, schalt er sich selbst einen Narren. Warum hatte er sich einmischen müssen, als er von der Geschichte erfahren hatte? Er könnte jetzt seine Füße in Richtung des Feuers im Kamin strecken und in der Bibel lesen, anstatt den beiden alten Wirrköpfen zuzusehen, wie sie versuchten, den gefrorenen Boden aufzugraben. Nicht dass er nicht überzeugt gewesen wäre, das Richtige zu tun, aber das Richtige war eben nicht das, was am bequemsten war, schon gar nicht, wenn der Schnee aus dem Himmel fiel, als wolle er die ganze Welt zudecken, und die eigenen Stiefel so leck waren wie ein Sieb.

Letztlich war er immer noch überrascht, wie schnell alles gegangen war – er war nach Eger marschiert, um sich mit dem dortigen Ordensmeisters der Kreuzherren mit dem Roten Stern zu beraten – und dieser hatte ihn mit den Worten nach Hause geschickt, dass jemand kommen würde, um sich der Angelegenheit anzunehmen. Schon am nächsten Tag war ein Reiter da gewesen, der sich als Abgesandter des Ordenskomturs ausgewiesen und den alten Heinrich Müller eingehend befragt hatte (nicht zu früh, der alte Heinrich war noch am selben Abend auf seinem Sterbelager entschlummert). Der Reiter war nach Eger zurückgeprescht, und jetzt, kaum vier Wochen später, noch vor dem Christfest, waren die beiden alten Herren in ihrem Wagen aufgetaucht, hatten Pfarrer Herburg gebeten, ihn zu der Stelle im Wald zu führen, die der sterbende Heinrich benannt hatte, und hatten zu graben begonnen.

„Meine Herren“, sagte Christian mit klappernden Zähnen, „es reicht doch, wenn wir die Leichen im Frühjahr auf meinen Kirchhof umbetten. Die armen Seelen liegen hier jetzt seit sechzehn Jahren, da kommt es sicher auf ein paar Monate nicht an.“

Der eine der beiden Männer richtete sich auf und drückte sich die Hände ächzend ins Kreuz. Schließlich legte er die Schaufel auf den Boden und kam zu Christian herüber. Der Pfarrer, der klein und pummelig war, legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzusehen. Der Mann war groß und hager; er machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Sind Sie sicher, dass es hier sein soll? Es findet sich nichts!“

„Heinrich Müller hat gesagt, es ist diese Stelle. Ich kenne die Gegend wie mein Pfarrhaus.“

„Erzählen Sie mir noch mal, wie Sie an diese Information gekommen sind.“

„Heinrich Müller sagte auf dem Totenbett, dass …“

„Wer war Heinrich Müller gleich wieder?“

Christian seufzte. „Zunächst der Müller von Falkenau. Aber Sie kennen das sicher – jede Generation bringt einen Menschen hervor, der für seine Umgebung zu groß oder zu stark oder zu zornig ist. Manchmal gehen diese Menschen aus ihrer Heimat weg und verwenden ihren Zorn, um anderswo ihr Glück zu machen; oder aber sie bleiben dort, wo sie herkommen, ständig unzufrieden, ständig wütend, ständig voller Verachtung gegenüber all den anderen, aber dennoch nicht mit genügend Mut oder Verstand beseelt, um wegzugehen. Irgendwann einmal werden sie älter, ruhiger, resignierter, wenn Sie so wollen, finden eine Frau, gründen eine Familie, werden zu ganz normalen Mitgliedern der Allgemeinheit. Aber in ihrer Jugend waren sie die Plage aller, und auch wenn sie sich beruhigt haben, lasten die Sünden aus dieser Zeit noch immer auf ihnen, und …“

„… und Heinrich Müller war so einer.“

Christian nickte. „Einer von den ganz üblen Burschen. Wenn sein Vater nicht der Müller gewesen wäre, hätten sich gewiss ein paar junge Leute zusammengetan und ihm in der Dunkelheit aufgelauert. Aber Sie wissen ja, wie es mit dem Müller ist … man weiß nie so recht …“

„ … ob er nicht mit dem Teufel im Bunde steht“, sagte der hagere alte Mann und grinste.

„Alles natürlich reiner Aberglaube“, winkte Christian ab, der es sich zur Regel gemacht hatte, sich zu bekreuzigen, wann immer ihm ein Müller über den Weg lief.

„Und Heinrich Müller hat sich geläutert.“

„Vor etlichen Jahren – als er die Mühle von seinem Vater übernahm und heiratete. Im Herbst diesen Jahres hat er sich den Fuß gebrochen, während er den Mühlstein auswechseln wollte, und das Fieber ist in die Wunde gekommen und hat ihn weggerafft.“

„Ein reuiger Sünder, der auf dem Totenbett ein altes Verbrechen gebeichtet hat.“

Christian wand sich. „Nicht gebeichtet“, sagte er. „Sonst hätte ich das alles für mich behalten. Nein, er hat mich gebeten, dafür zu sorgen, dass die armen Teufel, die er und seine Kumpane damals erschlagen haben, eine ordentliche Beerdigung erhalten, und hat mir sogar Geld dafür gegeben.“

„Worauf Sie sich mit dem Ordensmeister der Kreuzherren in Eger in Verbindung gesetzt haben, weil Heinrich Müller Ihnen erzählte, dass es sich nicht um einen simplen Mord handelte.“

„Und weil er sagte, dass ein paar Jesuiten Zeugen der Tat waren, und weil sie im Zusammenhang steht mit der Verbrennung von Anna Morgin …“ Christian ließ den Kopf hängen. „Nicht gerade ein Tag des Ruhmes für diese Gegend.“

„Ein Mord im Zusammenhang mit einem Hexenprozess, ein paar Jesuiten, die den Mord decken, eine Hinrichtung, die weit über den Landstrich hinaus bekannt geworden ist und die heute die Mütter dazu hernehmen, um ihren aufmüpfigen Töchtern Angst einzujagen … Sie haben schon recht damit getan, sich Rückendeckung bei den Kreuzherren zu holen.“

„Was ich noch immer nicht verstanden habe“, sagte Christian, „ist Ihre Rolle und die Ihres Freundes. Ich dachte eigentlich, eine Abordnung des Bischofs käme oder meinetwegen auch jemand von der Societas Jesu.“

„Oh, trösten Sie sich“, sagte der hagere Mann und zwinkerte ihm zu, „wir haben Verbindung zu höchsten Kirchenkreisen.“

Der andere der beiden Männer, der verbissen weitergebuddelt hatte, hielt plötzlich inne und bückte sich. Dann sah er zu ihnen herüber und rief: „Ich hab endlich was gefunden! Hilfst du mir, Andrej, oder hast du das Arbeiten für heute aufgegeben?“

„Ich hab das Arbeiten schon vor zehn Jahren aufgegeben“, rief der hagere Mann zurück. „Seit wir die Firma an deine Jungs übergeben haben. Erinnerst du dich noch an die Feier damals?“

„Nein“, erwiderte der Mann in der flachen Grube, die er ausgehoben hatte. „Und wenn es stimmt, was die Firmenlegende über diese Feier sagt, bin ich froh darüber.“ Er grinste wie einer, der es nicht ernst meint mit seiner Rede.

Der hagere Mann, den der andere Andrej genannt hatte, schlenderte zu der Grube zurück. Christian folgte ihm zögernd.

Die Jahre als Seelsorger hatten Pfarrer Christian mit dem Tod vertraut gemacht. Seine Schäfchen entschliefen sanft in ihren Betten vor seinen Augen, während er ihnen die Absolution erteilte; andere wurden erst im Frühjahr im Wald gefunden, nachdem die Zeit und die Tiere sich bereits an ihnen zu schaffen gemacht hatten. Verirrte und erfrorene oder von Wegelagerern erschlagene Wanderer, in ihren einsamen Hütten zusammengebrochene und umgekommene Köhler oder Eremiten, in Reihen an Bäumen hängende Soldaten, deren Regiment unbemerkt von den Dörflern in der Nähe vorbeigekommen war und deren Offiziere einen guten Baum gefunden hatten, um Insubordination, Diebstahl oder Totschlag innerhalb der eigenen Truppe zu bestrafen. Er hatte jedoch noch nie dabei geholfen, einen Leichnam, der bereits in die Erde gelegt worden war, wieder auszugraben, und er war überrascht, wie absolut nebensächlich und gering das Häufchen Knochen aussah in seinem Lager aus halb gefrorenem Dreck, eingewickelt in Fetzen schmutzigen, dunklen Tuchs.

Der Mann, der weitergegraben hatte, hockte sich auf die Fersen und wischte mit den Händen Erde vom knöchernen Gesicht des Toten. Im Gegensatz zu seinem Begleiter war er breitschultrig, stämmig und bärtig. Sein Haar war weiß, kurz geschnitten und schütter; das seines Freundes war lang und im Nacken nachlässig zusammengebunden und wies immer noch schwarze Strähnen im Grau auf.

„Meinst du, er ist es?“, fragte der Langhaarige – Andrej.

Der andere Mann rieb einen Zipfel des halb verfallenen Tuches zwischen Daumen und Zeigefinger. „Eine schwarze Kutte“, murmelte er. Er sah Christian ins Gesicht. „Und wir haben die Aussage Heinrich Müllers, dass der Einsiedler ein Hüne war, der so arg stotterte, dass man ihn kaum verstand.“

Christian nickte.

Der Mann in der Grube tätschelte das Knochengesicht des Toten sanft. „Hallo, Bruder Buh“, sagte er. „Hat dein Weg hier enden müssen, unter den Knüppeln von Totschlägern und Soldaten, weil du versucht hast, einer vor der Hinrichtung geflohenen Hexe Asyl zu geben? Du hast schon immer diejenigen beschützt, die es wirklich nötig hatten, nicht wahr? Abt Martin … deinen Freund Pavel … und uns alle, damals im Klosterhof von Braunau. Wenn einer seine Sünden wettgemacht hat, dann du.“

„Ruhe in Frieden“, sagte der Mann namens Andrej.

„Danke, mein Freund. Ich weiß, dass du ihn immer als den Mörder Yolantas gesehen hast.“

„Ich weiß nicht, Cyprian. Yolanta ist Bruder Pavels wegen gestorben, nicht seinetwegen. Und auch Bruder Pavel habe ich schon lange vergeben.“

Cyprian rieb den brüchigen schwarzen Stoff erneut. „Nach so langer Zeit lässt mir diese Kutte immer noch die Haare zu Berge stehen.“ Er ließ den Stoffzipfel los und wischte sich die Finger an der Hose ab.

„Geht mir genauso, wenn ich Wenzel darin sehe. Und er ist mein eigener Sohn.“

„Meine Herren“, sagte Christian, „wie geht es jetzt weiter?“

Die beiden Männer beachteten ihn nicht. Cyprian richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut Onkel Melchiors Verbindungen selbst eine Generation über seinen Tod hinaus noch arbeiten. Aber die Kreuzherren haben ihm aus der Hand gefressen, seit er damals ihren obersten Ordensmeister Bischof Lohelius auf seine Seite zog.“

„Hmmm“, brummte Andrej. „Na schön, wir haben die Leiche von Bruder Buh gefunden. Aber die Frage ist doch – was hat er erzählt, bevor er starb? Ich traue den Jesuiten nicht. Die Kerle sind schlauer als der Teufel selbst. Wenn es stimmt und die Jesuiten, die damals den Hexenprozess führten, mit den Leuten aus dem Dorf und ihren Soldaten hier herausgekommen sind auf der Jagd nach Anna Morgin, dann kann es sein, dass sie Bruder Buh noch mit dem letzten Atem abgequetscht haben, was er über …“

„Ha-rrrumph!“, machte Cyprian.

„… alles wusste“, vollendete Andrej geschmeidig.

Christian sah von einem zum anderen. „Heinrich Müller hat geschworen, dass er die Wahrheit …“

„Schon gut, Hochwürden. Keiner stellt Ihre Aussagen in Abrede.“

„Würden Sie mir freundlicherweise verraten, was Sie mit der ganzen Sache zu tun haben?“

„Lassen Sie es mich so sagen“, erklärte Andrej. „Der Ordensmeister der Kreuzherren von Eger hat eine Taube zu seinem Obersten nach Prag geschickt, sobald er sich vergewissert hatte, was hier vor sechzehn Jahren geschehen ist. Die Nachricht, die diese Taube dabeihatte, ist von der Kommende der Kreuzherren in Prag direkt zu unserem Haus gebracht worden und hat dort wiederum eine Botschaft nach Ingolstadt ausgelöst, wo wir beide uns zufällig aufhielten. Wenn Sie jetzt einwenden wollen, dass es bedeutend einfacher gewesen wäre, gleich eine Brieftaube von hier nach Ingolstadt zu schicken, dann stimme ich Ihnen zu, aber so ist es nun mal.“ Andrej lächelte freundlich in das vollkommen verwirrte Gesicht Christians hinein.

„Sie sind Abgesandte der königlichen Statthalter in Prag, nicht wahr?“, rang der Pfarrer sich schließlich durch zu fragen.

Cyprian schüttelte den Kopf. „Wir sind nur eine interessierte Partei, weiter nichts.“

„Eine sehr interessierte Partei“, ergänzte Andrej.

„Das Kind, das damals ebenfalls umgekommen ist, wäre hier in der gleichen Grube verscharrt worden?“

Christian zuckte mit den Schultern und gab es auf, verstehen zu wollen, wo die beiden alten Knaben herkamen. „Ich nehme es an.“

Cyprian kletterte aus der Grube und streckte sich. Mit seiner bulligen Figur und unten in der Grube hatte er klein gewirkt. Und wie beim ersten Mal, als er aus dem Wagen geklettert war, so war Christian auch jetzt wieder überrascht zu sehen, dass der alte Mann ihn um Etliches überragte und nur wenig kleiner war als sein hagerer Freund. Nun ergriff Cyprian die Schaufel und drückte sie ihm in die Hand.

„Hier, Hochwürden. Sie sehen aus, als würden sie frieren.“ Cyprian knöpfte seine Jacke auf. „Buddeln Sie ein bisschen, dann wird Ihnen warm. Sie sind noch jung – ich bin ein alter Sack und brauche Ruhe.“

Andrej nahm die andere Schaufel und klopfte Christian auf die Schulter. „Kommen Sie, machen wir uns an die traurige Pflicht. Wahrscheinlich liegt das Skelett des Kindes unter dem von Bruder Buh. Was hast du vor, Cyprian?“

„Ich bereite die Nachricht an Wenzel vor, damit wir sie gleich losschicken können. Wenn die Taube nicht in der verdammten Kälte erfroren ist.“

„Bestell ihm schöne Grüße von mir“, sagte Andrej und stieg in die Grube zu dem halb freigelegten Gerippe hinunter.

„Ehrwürdiger Vater, schöne Grüße von deinem Herrn Papa, und wenn wir Pech haben, wissen die Jesuiten, wo …“

„Ha-rrrumph!“, machte Andrej.

„… alles ist“, sagte Cyprian und verzog das Gesicht. „Herrgott, nimmt das denn nie ein Ende? Ich bin zu alt für diesen Mist.“

Nach einer Weile fühlte Christian Herburg die Kälte nicht mehr, und wenn er nicht um eine skelettierte Leiche herumgegraben hätte, hätte ihm die Arbeit vermutlich sogar Spaß gemacht. Andrej grub auf der anderen Seite, langsam und methodisch und ab und zu innehaltend und den blanken Schädel musternd.

„Woher kennen Sie ihn?“, fragte Christian schließlich.

Andrej sah auf. „Hmm?“

„Den Toten. Woher kennen Sie ihn?“

„Das ist eine lange Geschichte, Hochwürden.“

„Und Sie und … Cyprian? Haben Sie eigentlich noch andere Namen?“

Andrej grinste. „Darauf können Sie wetten, Hochwürden.“

„Na … und?“

„Was wollten Sie wissen über mich und … Cyprian?“

Unwillig brummte Christian: „Was das alles hier soll … Wer Sie beide sind … wer der arme Kerl hier wirklich ist … Bruder Buh … das ist doch kein Name.“

„Er hat drauf gehört, als er noch am Leben war.“

Christian versuchte sich einen Reim auf das Mienenspiel des hageren alten Mannes zu machen, der ihm gegenüberstand. Es war mehr Schatten als Licht darin, während dieser den Totenschädel anstarrte, so viel war sicher.

„Eine lange Geschichte, Hochwürden“, murmelte Andrej. „Sie beginnt mit einem Unwetter irgendwo am Ende der Welt, und wo sie endet, weiß der Teufel.“

„Gott der Herr weiß es“, erwiderte Christian.

Andrej sah ihm in die Augen. Dann schüttelte er den Kopf und lächelte ein freudloses Lächeln. Christian lief es kalt den Rücken herunter.

„Graben wir weiter“, sagte er rau. Erst nach ein paar Schaufelstößen wurde ihm klar, dass Andrej nicht mitgrub.

„Was ist los?“

„Kommen Sie doch mal auf meine Seite herüber, Hochwürden.“

Christian tat ihm den Gefallen, selbst erstaunt, wie beschwingt er sich fühlte nach den paar Minuten körperlicher Arbeit.

„Fällt Ihnen was auf?“

„Äh … nein …“

„Hmmm“, machte Andrej. Er drückte dem Pfarrer die Schaufel ohne große Umstände in die freie Hand und marschierte zum Wagen hinüber. Christian sah ihm ratlos nach, dann musterte er den Toten. Er lag nicht sonderlich tief, sodass die Erde auch unter ihm gefroren war – eine Heidenarbeit, weiterzugraben und ihn und das Gerippe des Jungen, von dem die beiden alten Kerle glaubten, dass es darunterliegen müsse, herauszulösen. Zu allem Überfluss war da auch noch eine dicke Baumwurzel, die man entweder entzweihauen oder absägen musste, wenn man unter das Skelett des Riesen gelangen wollte.

Andrej kehrte mit Cyprian zurück. Dieser bückte sich und spähte an Christians Stiefeln vorbei.

„Hab ich mir fast gedacht“, brummte er.

„Was haben Sie sich gedacht?“, fragte Christian.

„Hochwürden, wir ändern den Plan. Wir haben keine Zeit mehr, hier weiterzugraben. Wir geben Ihnen genug Geld, dass Sie ein paar Burschen bezahlen können, die den Rest erledigen. Dann gehen Sie nach Eger und bestellen dem Stadtrat schöne Grüße und dass er für ein namenloses Grab auf Ihrem Kirchhof sorgen und für die Beerdigung aufkommen soll. Die Kosten übernimmt die Firma Khlesl, Langenfels, Augustýn & Vlach in Prag. Wenn Sie diesen Namen nennen, wird es keine merkwürdigen Fragen geben. Ach ja …“ Cyprian winkte ab, als Christian ihn unterbrechen wollte, „stellen Sie uns zusammen, was es kostet, einmal im Jahr eine Messe für den armen Teufel hier zu lesen – am besten am Nikolaustag. Der Mann war ein Riese, aber ein Kind im Herzen, und wenn sich jemand seiner Seele annimmt, dann der heilige Nikolaus.“

„Aber was soll denn …“, stotterte Christian, als er endlich an die Reihe kam. „Ich dachte, wir graben auch noch den Leichnam des Jungen …“

„Dafür, dass ein Mord vertuscht wurde, bei dem auch noch Jesuiten Zeugen waren, war mir Bruder Buhs Leiche von Anfang an zu wenig tief begraben. Das Waldstück hier ist zwar abgelegen, aber die schlauen Jungs von der Societas Jesu gehen keine unnötigen Risiken ein. Dass das Grab so flach ist, liegt an den großen Baumwurzeln. Sie konnten damals einfach nicht tiefer graben. Als sie bei den Wurzeln angekommen waren, gaben sie auf und legten Buh hinein.“

Cyprian stieg aus dem Loch und klopfte Christian im Vorbeigehen auf die Schulter. „Kommen Sie mit zum Wagen, wir geben Ihnen alles Geld, das wir dabeihaben. Sie haben uns geholfen, und das soll Ihr Schaden nicht sein.“

„Ja, aber …“

Andrej schob ihn sanft auf den Wagen zu. „Unter dem Gerippe Buhs liegt keine weitere Leiche“, sagte er. „Der Junge damals … er hat überlebt.“

Die Erbin der Teufelsbibel

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