Читать книгу Die Erbin der Teufelsbibel - Richard Dübell - Страница 27
11.
ОглавлениеEbba drehte sich auf die andere Seite und tastete noch im Halbschlaf nach dem Körper Kristinas, aber die Betthälfte der Königin war leer. Sie schlug die Augen auf. Das Schlafzimmer war von hellem Sonnenlicht durchflutet. Gähnend richtete Ebba sich auf. Kristina musste auf Samtpfoten aus dem Bett geschlüpft sein, um sie nicht zu wecken. Ebba lächelte und seufzte. Die Königin war als Frühaufsteherin berüchtigt und noch mehr dafür, dass sie von ihrer Umgebung erwartete, die gleiche Vorliebe für graue Morgendämmerungen aufzubringen. Dass sie Ebba nicht geweckt hatte, war ein ebenso großer Liebesbeweis wie die Leidenschaft, die sie die ganze Nacht geteilt hatten. Dann hörte Ebba das Kratzen der Feder und blinzelte gegen das hell erleuchtete Fenster. Der Schreibtisch davor und die Gestalt mit der wild abstehenden Lockenmähne waren nur als ein Schemen erkennbar.
„Guten Morgen“, sagte Ebba.
„Guten Morgen“, erwiderte die Königin, ohne mit dem Schreiben innezuhalten. „Ausgeschlafen?“
„Die Reise war anstrengend.“
„Ich kann mich an weitere anstrengende Tätigkeiten erinnern.“
Ebba seufzte erneut und streckte sich wie eine Katze. „Das war keine Anstrengung, sondern ein Vergnügen.“ Sie schlang die Decke um sich, bis sie sich daran erinnerte, wo sie war. Eine Reise ins Land der Barbarei verdarb einen; wochenlang hatte sie den zweifelhaften Komfort eines Stadthauses in Münster ertragen, in dem Kälte das vorherrschende Merkmal war und in dem sie in den letzten Tagen vor ihrer Abreise auf dem Wasser in ihrem Waschstand eine dünne Eisschicht hatte durchbrechen müssen, um sich waschen zu können. Kristina, die sich sonst kaum einen körperlichen Luxus leistete, hielt ihr Schlafzimmer hingegen beheizt. Die Königin war jemand, der mit den Augen genoss; ihrer Geliebten die Decke wegzuziehen und jeden Quadratzoll ihres nackten Körpers erst mit den Blicken zu streicheln und sich dann selbst dabei zuzusehen, wie sie diesen Körper liebkoste, war ihre Eigenart. Ebendiese Eigenart sorgte auch für die Helligkeit des Schlafzimmers an sonnigen Tagen; die Wand gegenüber den Fenstern war zudem mit Spiegeln verkleidet, die das Sonnenlicht zurückwarfen und blitzend weiße und regenbogenfarbene Flecken überall auf die Wände zauberten.
Ebba ließ die Decke sinken, stand auf und trat splitternackt neben die Königin.
Kristina hatte sich einen Mantel über die Schultern geworfen. Darunter war sie ebenfalls nackt. Ebba küsste sie auf den Scheitel und lehnte sich dann an den Stuhl. Der Mantel hatte einen Pelzkragen, dessen Haare sie an der Haut kitzelten. Sie bewegte sich und fühlte die Berührung des Pelzes auf ihren Brüsten. Es sandte eine kurze Atemlosigkeit durch ihren Körper. Auf ihren Armen richteten sich die Härchen auf, und ihre Brustwarzen wurden hart. Die Erinnerung an die vergangene Nacht und den Taumel der Wiedersehensfreude, gepaart mit zu lange unterdrückter Lust auf beiden Seiten und dem Willen, erst zu schlafen, wenn die aufgestaute Leidenschaft bis zur Neige gekostet war, kroch in ihren Schoß. Sie räusperte sich und deutete auf das eng beschriebene Blatt.
„Arbeit?“
„Nein. Ich schreibe an René Descartes in Paris.“
„Du liebe Güte. Arbeit!“
„Vergnügen, mein Kind. Reines Vergnügen.“ Kristina, die fast auf den Tag gleich alt war wie Ebba, blickte hoch und lächelte. „Philosophie ist niemals Arbeit, genauso wenig wie Lernen, Denken und …“
„Ficken?“, schlug Ebba vor.
„Ich wollte sagen: regieren.“
„Ah ja.“
„Ich versuche Descartes zu überreden, hierher nach Stockholm zu kommen. Ich möchte mit ihm diskutieren … ich möchte verstehen …“
„Und er weigert sich, deinem Ruf zu folgen?“
„Unverschämt, nicht wahr?“
„Vielleicht mag er nicht gerne früh aufstehen?“
Kristina legte die Feder beiseite und lehnte sich im Stuhl zurück, sodass sie Ebba ins Gesicht sehen konnte. Ebba lächelte. Die Königin öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Ebba beugte sich hinunter und küsste sie. Nach einem oder zwei Herzschlägen erwiderte Kristina den Kuss, und die Atemlosigkeit befiel Ebba erneut. Sie hielt Kristinas Gesicht mit beiden Händen umfangen, bis beide keine Luft mehr bekamen und den Kuss abbrechen mussten.
„Je t’aime, ma Belle“, sagte Kristina heiser.
Ebba machte die paar Schritte zum Bett zurück und legte sich darauf. Im Spiegel sah sie sich selbst: die rotblonden Locken, nicht weniger zerzaust als das dunkle Haar der Königin, das schmale Gesicht, dessen Wangen sich bereits wieder rot zu färben begannen, ihre helle Haut … sie sah sich an und mochte, was sie sah, und als die Königin aufstand, dabei den Mantel von ihren Schultern gleiten ließ und nähertrat, um ebenfalls Ebbas Spiegelbild zu betrachten, beschleunigte sich der Herzschlag der jungen Gräfin.
Wie ist das möglich?, fragte sie sich selbst. Wie oft hat sie mir Erfüllung geschenkt in der letzten Nacht – viermal, fünfmal? Warum begehre ich sie schon wieder? Warum kommt es mir so vor, als hätte ich sie tagelang weder gesehen noch berührt, und dabei ist ihre Bettseite noch fast warm?
Sie begegnete Kristinas Blick im Spiegel und blinzelte; statt eines Lächelns öffneten sich ihre Lippen, und ihre Zunge fuhr wie von selbst darüber. Die Königin schluckte und musste ebenfalls blinzeln.
Ich kenne diesen Körper so gut wie meinen, dachte Ebba. Manchmal, wenn ich fort von Stockholm bin und mich selbst berühre, fällt es mir nicht schwer, so zu empfinden, als würde ich dich berühren, während ich gleichzeitig das Gefühl habe, es sind deine Finger, die mich streicheln, die mich liebkosen, die mich teilen und in mich eindringen, und ich schmecke dich, wenn ich meine eigenen Finger ablecke …
Ihre Blicke begegneten sich im Spiegel, und Ebba konnte erkennen, dass Kristina jedes ihrer Worte in ihren Augen hatte lesen können. Die Königin setzte sich aufs Bett und legte eine bebende Hand auf Ebbas Hüfte.
Du bist meine andere Hälfte, dachte Ebba. Du bist ernst, wo ich albern bin; du bist entschlossen, wo ich zögere. Du planst, während ich reagiere. Du willst dich weiterentwickeln, wenn ich nur möchte, dass der Moment nie aufhört, der Moment, in dem ich deinen Körper an meinem fühle und dein Herz an meinem schlägt, in dem ich mich winde und jeden Quadratzoll meiner Haut an deine pressen möchte, um das möglichste an Berührung herauszuholen, in dem ich in dich hineinkriechen und in dir aufgehen möchte, in dem unsere Gedanken und unsere Gefühle eines sind, eine schäumende, aufgewühlte See, deren Wogen langsam ruhiger werden, während unsere Körper noch zucken und das letzte Pochen des Schauers, den wir uns gegenseitig bereitet haben, durch unsere Glieder rieselt.
Ebba nahm die Hand Kristinas und führte sie zu ihrem Schoß, und ihre Gedanken begannen sich zu verwirren, während die sanft streichelnden Finger ihrer königlichen Geliebten ihr Fühlen auf die hitzigste Stelle ihres Körpers lenkten. Unzusammenhängend flatterte durch Ebbas Hirn, was weniger Gedanken als vielmehr Gefühle waren … du bist das, was ich nie sein werde, du bist das, wofür ich lebe, du bist das, was zu erhalten und zu unterstützen und zu lieben ich von Gott erschaffen worden bin, weil du die bessere Ausgabe von mir bist. Gib mir etwas, womit ich meine Liebe zu dir beweisen kann, jeden Tag, jede Stunde – gib mir eine Aufgabe, die mir das Herz herausreißt und mich tötet, wenn ich dadurch dich zu erhalten und vor der Dunkelheit zu retten und deine Seele zu erlösen vermag. Sie drehte sich um und zog Kristina in ihre Arme, diesen kleinen, muskulösen Leib. Sie schloss den Mund um die harten, dunklen Brustwarzen und hörte die Königin stöhnen, fuhr mit der Hand zwischen die vom Reiten gestählten, muskelbepackten Schenkel und spürte die Hitze und Feuchtigkeit an ihren Fingern und hörte die Königin ächzen.
„Noch einmal, ma chérie“, flüsterte die Königin und schob ein Knie zwischen Ebbas Beine.
Ebba begann zu zucken. Es war so einfach … es war die einfachste Aufgabe der Welt, und während sie Lust bereitete und sich selbst der Lust hingab, fühlte sie beinahe so etwas wie Bedauern, dass es ihr nicht gestattet war, für ihre Liebe, für ihre Königin, für den einzigen Menschen, den sie je geliebt hatte und je lieben würde, auf der Stelle zu sterben.
„Du hast dich gefragt, was es mit den beiden Patres von der Societas Jesu auf sich hat“, sagte Kristina eine Weile darauf. Sie hob den Blick und sah Ebba erneut über den Spiegel in die Augen. Die junge Gräfin presste Kristinas Körper an sich und schmiegte sich an ihren Rücken, strich mit einer Hand über die deformierte Schulter, wo Kristinas Mutter sie als Kleinkind hatte auf den Boden fallen lassen – oder, wie jeder flüsterte, den Versuch unternommen hatte, das ungeliebte Mädchen zu töten, um Platz für einen männlichen Erben zu machen. Sie küsste die Stelle, an der die Knochen schief zusammengewachsen waren.
„Ja“, murmelte sie.
„Sie öffnen mir die Welt.“
„Die Welt? Welche Welt?“
Kristina lächelte nicht. „Die des katholischen Glaubens.“
„Aber … du bist die Königin von Schweden. Unser Land ist protestantisch …“
„Unser Land zerfällt in verschiedene protestantische Richtungen, die einander Feind sind und nur eines gemeinsam haben: Trockenheit, Langeweile, Strenge.“
„… und dein Vater ist in den Krieg gezogen, um den Protestantismus im Reich vor der katholischen Aggression zu schützen.“
Die Königin lächelte Ebbas Spiegelbild ohne wirkliches Amüsement an. „Du enttäuschst mich, meine Belle.“
Ebba schnaubte. „Also gut, er ist den Krieg gezogen, um für die Konflikte zwischen dem Adel und dem Bürgertum hier in unserem Land ein Ventil zu finden und um Schweden die Hoheit über die Ostsee zu sichern.“
„Wie immer liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen“, seufzte Kristina. „Aber ich bin froh … einen Moment dachte ich, deine Reise ins Reich hätte eine naive Seite in dir eröffnet, die ich gar nicht kenne.“
„Nun, ich sehe eine Seite meiner Königin, die ich nicht kenne.“
Kristina machte sich frei und rückte ein Stück von Ebba ab. Dann wandte sie sich ihr zu. „Was siehst du?“
Ebba war einen Moment lang versucht, die steigende Unruhe in ihrem Herzen mit einem leichten Spruch abzutun. Kristina war splitternackt – eine zweideutige Bemerkung, ein Blinzeln, und das Gespräch wäre vielleicht aufs Neue in ein anderes Fahrwasser geraten. Doch Ebba spürte, dass es Kristina ernst war.
„Ich sehe die Frau, die die erste Zeitung in Schweden eingeführt hat. Ich sehe die Frau, die mit Philosophen korrespondiert und deren Freundschaft sich die intelligentesten Männer rühmen, die bei den Fürsten der Welt in diplomatischen Diensten stehen. Ich sehe die Frau, die sich die Meldungen über die Friedensverhandlungen in Münster nicht nur vorlegen lässt, sondern auch noch einen Spion“, sie lächelte schwach und deutete auf sich, „dorthin schickt, um herauszufinden, weshalb die Gespräche nicht vorangehen. Ich sehe die Frau, die mehr über die Religionen der Welt nachgelesen hat, als der Papst jemals wissen wird.“
„Etwas fehlt noch.“
Ebba zog eine Braue hoch. „Was?“
„Du siehst eine Regentin, die erkennt, dass ihr Reich in geistigen Dingen dreihundert Jahre hinter Europa herhinkt. Schweden ist eine riesige Schafweide voller besonders tumber Schafe, und nur die Hirten sind noch tumber. Weißt du, dass von zehn Baronen, die mein Vater ernannt hat, acht nicht lesen und schreiben können und die restlichen zwei überzeugt sind, dass man in eine andere Welt gerät, wenn man aus Versehen in einen Ring aus Pilzen tritt? Und dass die Bischöfe und Pastoren darüber diskutieren, ob auf schwedischen Handelsschiffen nicht besser ausländische Matrosen anheuern sollten, damit die eigenen Landeskinder nicht ständig den Sünden in den Hafenstädten ausgesetzt sind?“
Ebba lachte humorlos. „Du solltest sie ins Reich schicken – nach Bayern, nach Franken, wohin du willst. Dann können sie sehen, dass die schwedischen Soldaten nicht nur gut mit Sünden umgehen können, sondern ständig neue dazu erfinden. ‚Der Schwed kommt’ ist ein Begriff für das absolute Grauen, das sich nähert.“
„Die Kaiserlichen sind doch auch nicht besser!“
„Die Kaiserlichen sind nicht mit dem Anspruch angetreten, das Leben der Menschen im Reich zu retten.“
„Ich werde das Reich retten, ich!“, rief Kristina plötzlich. „Ob mein Vater nun in erster Linie das wirtschaftliche Wohl Schwedens im Auge hatte oder nicht, irgendwo in seinem Kriegerherzen trug er auch den Wunsch, das Reich tatsächlich zu neuer Größe zu führen. Er hat mich stets über alles geliebt, und ich weiß, dass er noch in seiner Todesstunde gehofft hat, ich möge seine Vision fortführen.“
„Kristina“, sagte Ebba vorsichtig. „Mein Herz, meine Liebste, meine Königin … du lebst dein Leben nicht, um die Wünsche eines Toten zu erfüllen.“
„Es ist doch auch mein Wunsch, Belle! Als ich vorhin sagte, Schweden sei um dreihundert Jahre hinter dem Reich zurück, habe ich das zugleich als Chance gemeint. Schweden ist nicht wie das restliche Europa dreihundert Jahre lang in eine Sackgasse gerannt. Die Schafherde mag tumb sein, doch ihr Blut ist noch frisch. Schweden ist das einzige Land, das in diesem Krieg nicht nur Männer, Frauen und Kinder verloren hat, sondern einen König. Dieser Verlust darf nicht umsonst gewesen sein.“
„Was willst du denn tun?“
„Um das Reich zu retten, braucht es entweder den Kaiser oder den Papst. Dem Kaiser geht es nur darum, den Reichtum seiner Dynastie zu erhalten. Also brauche ich den Papst.“
„Papst Innozenz geht es nur darum, die Kasse seiner Schwägerin zu füllen, was man so hört.“
„Päpste sind alte Männer. Man kann abwarten, bis ein neuer ans Ruder kommt.“
Ebba hielt inne und betrachtete Kristinas Gesicht. Auch auf ihren Wangen waren nun rote Flecken, die großen dunklen Augen funkelten. Sie schluckte. „Der Papst wird dich nicht anhören“, flüsterte sie, „egal, ob dieser oder sein Nachfolger. Für ihn bist du eine protestantische Ketzerin.“
„Das lässt sich ändern. Was, glaubst du, habe ich damit gemeint, als ich sagte, die Jesuiten öffneten mir die Welt für den katholischen Glauben?“
„Du willst … konvertieren?“
Die Königin antwortete nicht.
„Und du denkst, das reicht? Du trittst vor den Papst hin, sagst: ‚Im Übrigen habe ich Euren Glauben angenommen, Heiliger Vater, also rückt schön beiseite und macht mir Platz auf dem Thron Petri, damit wir besprechen können, wie wir weiter vorgehen!’, und er öffnet die Arme und preist sein Glück, dass ihm endlich jemand sagt, wo es langgeht?“
„Belle, ma chère Belle“, sagte Kristina mit einer Zärtlichkeit, die ihre Worte im Grunde noch schärfer machte, „ne pas oublier que tu parles avec ta reine.“
„Verzeih“, flüsterte Ebba.
„Ich werde den Papst überzeugen, dass ich die richtige Gesprächspartnerin bin.“
„Indem du zum katholischen Glauben übertrittst!?“
„Indem ich ihm etwas zurückbringe, was vor langer Zeit aus dem Vatikan entwendet wurde. Die Jesuiten haben mir davon erzählt.“
„Und was und wo soll dieses Geheimnis sein? Wie willst du es in deinen Besitz bringen?“ Ebba war gegen ihre eigene Überzeugung plötzlich von Neugier gepackt. Kristina neigte nicht dazu, irgendwelche Übertreibungen zu machen oder Spinnereien nachzuhängen. Wenn ein Plan so weit in ihr gereift war, dann stand er auf sicheren Füßen. Und plötzlich hämmerte ihr Herz – nicht wegen der Nähe ihrer Geliebten, sondern weil es auf einmal schien, als schöbe sich eine Wolke vor die Sonne und die Wärme entweiche aus dem Raum.
Kristina lächelte gezwungen. Die Worte drängten sich auf Ebbas Lippen: Sag es nicht! Was immer es ist, es wird sich zwischen uns schieben und uns und unsere Liebe zerstören. Sie schluckte die Worte hinunter, und ihr Herz schlug noch heftiger als zuvor. Nie hatte sie in Gegenwart Kristinas Scham empfunden, doch nun war der Drang, ihre Blöße zu bedecken, fast übermächtig. Sie fühlte ihre Brustwarzen hart wie Stein werden. Es war keine Lust damit verbunden.
„Hier kommst du ins Spiel“, sagte Kristina, und ihr Lächeln flackerte. „Liebst du mich, schönste, einzigste Belle?“