Читать книгу Die Erbin der Teufelsbibel - Richard Dübell - Страница 13
3.
ОглавлениеDer Junge taumelte in den Schutz des Waldsaums und fiel hinter den ersten Bäumen zu Boden. Sein Körper verkrampfte sich im Schüttelfrost. Er versuchte sich das Gesicht seiner Mutter vorzustellen, aber es gelang ihm nicht – weder das rotwangige, augenzwinkernde Lächeln aus besseren Tagen noch die blutverschmierte, zerschlagene, zur Unkenntlichkeit aufgeschwollene Fratze, die ihn aus dem Dunkel der Scheune heraus angesehen hatte. Der Anblick von Leupold schob sich davor, splitternackt, auf den Boden geworfen wie totes Schlachtvieh, die grässliche Wunde zwischen den Schenkeln, das von den Tritten und Schlägen aufgeplatzte Fleisch seines Oberkörpers, die aus den Höhlen gequollenen Augen – und das unsägliche Teil, das man ihm in den Mund gestopft hatte und woran er erstickt war. Der Junge rollte sich zusammen und wimmerte.
Aus der Richtung, in der der Bauernhof lag, drang das trockene Peitschen von Schüssen, Gebrüll, Pferdewiehern, das Donnern der galoppierenden Bestien, wütende Befehle und panisches Gewimmer. Das Feuer toste und röhrte dazwischen. Er presste sich die Hände auf die Ohren, doch es nützte nichts. Er kniff die Augen zusammen, aber der Anblick des toten Leupold ließ sich nicht vertreiben. Er begann zu schreien. Als er erst damit angefangen hatte, konnte er nicht mehr aufhören.
Schließlich verstummte er doch, wenn auch nur aus purer Erschöpfung. Es war stiller geworden hinter dem Hügel, selbst das Prasseln des Feuers schien schwächer geworden zu sein. Er hörte Rufe und ein sich ständig wiederholendes Geschrei einer einzelnen, schrillen Stimme: „Quartier! Quartier!“ Ein Schuss dröhnte, und die schrille Stimme war verstummt. Langsam richtete er sich auf und versuchte, durch das Gestrüpp hindurch nach draußen zu sehen. Von einer Seite näherte sich das grollende Donnern, das er nun kannte: heranstürmende Kavallerie. Er erstarrte vor Entsetzen. Er sah die Reiter, denen er auf der Flucht begegnet war, vollständig wieder über den Hügel kommen, ein dichter Pulk diesmal, der sich um einen dicken Mann mit gelbem Gewand scharte und ein halbes Dutzend zusätzlicher, reiterloser Pferde hinter sich herzog. Sie galoppierten an seinem Versteck vorbei. Wenn sie die Pferde an der Stelle in den Wald getrieben hätten, an der er lag, hätten sie ihn über den Haufen geritten, denn er war nicht fähig, sich zu bewegen. Etliche qualvoll trommelnde Herzschläge später galoppierte eine andere Gruppe Reiter den Hügel herauf, hielt aber vor dem Waldrand an. Die Pferde tänzelten und drehten sich um sich selbst, ihre gepanzerten Reiter fluchten und schwenkten die Waffen.
„Wenn wir da hineinreiten und der Schwed’ steckt noch drin, knallt er uns alle ab!“, schrie jemand.
„Sollen wir die Schweinerei drunten ungesühnt lassen, du Schmalkachel?“
„Sühnen wir sie auf dem Schlachtfeld, morgen! Für jeden unserer Kameraden ein toter Schwed’ und noch einer als Dreingabe!“
„Zwei als Dreingabe!“
„Und der fette Arsch von Gustav Adolf!“
Die Männer brüllten vor Lachen. Dann rissen sie die Pferde herum und stürmten den Hügel wieder hinunter.
Der Junge ließ den Atem langsam entweichen. Seine Hände hatten sich so um die Zweige gekrampft, die er vorsichtig beiseitegeschoben hatte, dass er sie nur mit Mühe lösen konnte. Er sah an sich herunter und erkannte, dass er sich vor Angst beschmutzt hatte. Ein Schluchzen stieg in seiner Kehle auf.
Dann packte ihn etwas von hinten, eine Pranke legte sich über seinen Mund, er wurde gegen etwas Raues, nach hundert Jahren Schweiß und Dreck Stinkendes gedrückt und davongeschleppt, und seine von neuerlichem Entsetzen rotierenden Sinne hörten ein Stammeln: „Teufel … Teufel … T…t…teufel …!“