Читать книгу Die Erbin der Teufelsbibel - Richard Dübell - Страница 12

2.

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Rittmeister Samuel Brahe von den Småländischen Reitern wartete nervös auf die Rückkehr des Spähers. Die Gegenwart des Königs, der umringt von Brahes Männern auf seinem Pferd saß und ein Gesicht zog, als wäre jeder Tag ein köstliches Abenteuer, machte ihn unruhig. Es war nicht die Person Gustav Adolfs an sich, dazu hatte er sich zu lange in der unmittelbaren Nähe seines Souveräns aufgehalten und mit ihm Essen, Trinken, Latrine und das Fieber des Kampfes geteilt. Was dem Rittmeister Sorgen machte, war, dass er nicht genau wusste, ob sie sich noch in dem Areal aufhielten, das vom schwedischen Heer kontrolliert wurde.

Heute Morgen waren sie bei Rain am Lech angekommen und hatten festgestellt, dass die andere Flussseite von den Kaiserlichen unter Tilly gehalten wurde. Es sah aus, als sei Tillys Heer zahlenmäßig unterlegen, aber sie hatten Kanonen in ausreichender Anzahl in Stellung gebracht. Während sich die schwedische Artillerie eingrub, hatte Gustav Adolf Erkundungsritte auf ihrer Seite des Lechs befohlen; die Taktik war, soweit Rittmeister Brahe es mitbekommen hatte, die Kaiserlichen mit dem morgigen Tagesbeginn mit Dauerfeuer zu belegen, als ob man hier den Flussübergang erzwingen wolle, und gleichzeitig zu versuchen, an anderer, besser geeigneter Stelle überzusetzen. Diese geeignete Stelle zu finden, waren mehrere Spähtrupps unterwegs. Der König hatte es sich nicht nehmen lassen, die Gegend persönlich in Augenschein zu nehmen.

Alles, was Brahe sicher wusste, war, dass sie immer noch auf der Westseite des Lechs waren. Er hatte keine Zeit gehabt, sich genauer zu orientieren. Der König war einfach davongeprescht, und sie hatten nichts tun können, als ihm zu folgen.

Die Stellung Tillys am Ostufer des Lechs hatte den Marsch des schwedischen Heers auf Ingolstadt aufgehalten. Samuel Brahe kannte seinen König; er hasste es, aufgehalten zu werden, besonders wenn die Chance bestand, den Feind nach den Siegen vor Nürnberg und Donauwörth vor sich herzutreiben wie eine Viehherde. Wenn Gustav Adolf über den Verlauf des Feldzuges unzufrieden war, neigte er zu Leichtsinn – nicht in seiner Taktik, sondern in Bezug auf seine eigene Person. Selbst für eine Elitetruppe wie die Småländischen Reiter, die ihren König in- und auswendig kannten, war es schwer, ihm dann auf den Fersen zu bleiben. Der beleibte Monarch war ein überraschend guter Reiter und ein Draufgänger, wie es selbst in Brahes kleiner Truppe nur wenige gab.

Der Rauchgeruch war mittlerweile nicht mehr zu leugnen. König Gustav Adolf hatte ihn zuerst wahrgenommen, wie immer. Brahe hatte daraufhin den Späher losgeschickt. Der Mann war überfällig. Brahe hielt ihren Feind, den Brabanter Johan Tserclaes Graf von Tilly, für einen fähigen Feldherrn. Er würde seinen Abschnitt der Front sichern; vielleicht waren sie auf feindliches Gebiet geraten, und der Späher lag längst mit durchschnittener Kehle neben einem Baum, während sich kaiserliche Musketiere langsam näherschlichen.

Überrascht erkannte er, dass Gustav Adolf ihm zublinzelte. Das lange Gesicht mit dem üppigen blonden Knebelbart und den feisten Backen verzog sich zu einem Grinsen. Brahe wurde klar, dass der König all seine Gedanken gelesen hatte. Er räusperte sich unwillig. Gustav Adolfs junger Page August von Leublfing und sein Leibknecht Anders Jönsson sahen zu Boden; Leublfings Wangen brannten vor unterdrücktem Eifer.

„Bereithalten, Männer“, flüsterte Brahe und lockerte die zweite Sattelpistole. Er gab das breiter werdende Lächeln des Königs mit einem stoischen Kopfnicken zurück.

Ein Hakengimpel begann in einem Gebüsch ein paar Mannslängen entfernt zu rufen. Brahe entspannte sich. Es hatte eine Weile gedauert, bis er erkannt hatte, dass es das Tier zwar in seiner Heimat, aber nicht hier im Reich zu geben schien. Sein Gesang unterschied sich nicht sehr von dem anderer Finken, aber doch genug, dass es einem Småländer auffiel. Einem Kaiserlichen wäre der Unterschied nicht klar gewesen, was den Ruf des gedrungenen roten Vogels zu einem idealen Erkennungszeichen machte. Brahe warf einen Seitenblick zu Wachtmeister Alfredsson und sah diesen lächeln. Der Wachtmeister spitzte die Lippen und antwortete auf das Zeichen. Augenblicke später kam Torsten Stenbock auf bloßen Füßen aus dem Gebüsch und baute sich vor Brahe auf.

„Meldung, Kornett“, flüsterte Brahe. Er ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken, dass der junge Offizier wohlbehalten zurückgekehrt war. Torsten Stenbock war der Neffe von Oberst Fredrik Stenbock, dem Oberbefehlshaber des Småländischen Reiterregiments. Brahes Befehle lauteten, den Kornett nicht anders zu behandeln als alle seine Männer, doch der Rittmeister hatte in den Augen des Obersten lesen können und erkannt, welche Angst dieser um den Sohn seines Bruders hatte.

Der junge Mann schluckte.

„Kaiserliche Kürassiere“, sagte er leise. Brahe spürte, wie sich König Gustav Adolf im Sattel aufrichtete.

„Späher?“

„Marodeure. Sie haben einen Bauernhof überfallen.“

„Die Bauersleute?“

„Niemand zu sehen, aber …“ Der junge Offizier schluckte erneut.

„Aber?“

„… zu hören, Rittmeister.“

Brahe nickte. Niemand brauchte ihm zu erklären, was Stenbock gehört hatte.

„Stiefel anziehen, aufsitzen“, sagte er. Er fing einen Blick seines Wachtmeisters auf. „Gut gemacht, Kornett.“

„Vielleicht können wir den Leuten helfen?“, fragte Stenbock kläglich.

Brahe schüttelte grimmig den Kopf. „Viel zu …“

„Er hat recht, Kornett“, unterbrach ihn die Stimme des Königs. „Hat Er gezählt, wie viele Kürassiere es sind?“

„Ein Dutzend, Majestät.“

„Genau so viele wie wir.“

„Majestät …“, begann Brahe.

„Die Kerle müssen irgendwo über den Fluss gekommen sein, Rittmeister“, sagte der König. „Meint Er nicht, wir sollten sie befragen, an welcher Stelle?“

„Natürlich, Majestät, aber doch nicht mit Majestät erlauchter Person als …“

„Als Retter sind wir ins Reich gekommen, nicht als Zuschauer“, sagte Gustav Adolf. „Kornett Stenbock, reite Er voran. Rittmeister Brahe… mir nach!“

Der König sprengte aus dem Ring seiner Bewacher heraus, hinter dem Pferd Torsten Stenbocks her. Leublfing und Jönsson setzten ihm nach. Die Småländer warfen sich und ihrem Rittmeister unsichere Blicke zu. Brahe sah Wachtmeister Alfredsson den Kopf schütteln. Er selbst hätte am liebsten laut geflucht.

„Worauf wartet ihr?“, zischte er. „Angriff!“

Sie stoben über eine Weide, die jetzt, in der beginnenden Dunkelheit, wie eine graue Fläche vor ihnen lag. Über der nächsten Hügelkuppe stand eine Rauchsäule, von unten rot beleuchtet, dick und schwer. Der Geruch war beißend. Brahe schloss zu König Gustav Adolf auf, der Leublfing und Jönsson abgehängt hatte, und jagte neben ihm her. Er hütete sich, den König zu überholen; er hatte es einmal getan, um Kugeln, die auf seinen Herrn gezielt waren, mit seinem Körper abfangen zu können. Gustav Adolf hatte ihn mitten im Kampfgetümmel in die hinterste Reihe geschickt. Der König, ein Koloss in einem gelben Lederkoller, den Hut im Nacken, eine Spur ausgerissener Hutfedern durch die Dämmerung ziehend, als fiele in seinem Kielwasser bunter Schnee, grinste und nickte ihm zu. Seite an Seite galoppierten sie über die Hügelkuppe, eingehüllt vom Rauch, dem Schweißgeruch der Pferde und dem lauten Donnern der Hufe.

Brahe sah eine Anzahl von Gebäuden, zwischen denen Schafe hin- und herliefen, halb irr vor Panik wegen des Feuers. Die Flammen schlugen aus dem größten Bau, vermutlich dem Wohnhaus, und sandten die dicke Rauchsäule in den Himmel. Soldaten standen um das Feuer herum; sie drehten sich nicht um, obwohl das Getrommel der Pferdehufe überlaut war. Das Prasseln des Feuers musste den Lärm schlucken. Brahe glaubte zu sehen, dass einer der Männer eine lange Stange in der Hand hielt und etwas in das Feuer zurückstieß, etwas, das offenbar versuchte, daraus zu entkommen, etwas, das ein Mensch sein musste …

Wut schäumte in ihm hoch, und er ließ die Zügel fahren und ergriff die zweite Sattelpistole, stand im Sattel auf und sprengte vorwärts, beide Arme mit den Pistolen ausgestreckt, feuerbereit. Er erkannte aus dem Augenwinkel, wie seine Männer sich auffächerten, sah Wachtmeister Alfredsson an der anderen Seite des Königs auftauchen, seinen nägelbespickten Knüppel schwingend, mit dem er tödlicher war als mit jedem Rapier.

An einer zweiten Feuerstelle, über der ein geschlachtetes Tier gedreht wurde, fuhren Männer in die Höhe und starrten ihnen bestürzt entgegen. Die Ersten griffen zu ihren Musketen. Brahe sah die Bewegungen der kaiserlichen Soldaten, als handelten diese im Traum, langsam und träge. Er wünschte sich, bereits näher heran zu sein, damit er seine Pistolen abfeuern und Zeuge werden könnte, wie zwei der Mörder tot zu Boden geschleudert wurden. Das Pferd unter ihm war wie ein Teil seines eigenen Körpers, der über den Boden flog. Er federte die Stöße ab, ohne darüber nachzudenken; seine Hände waren so ruhig, als stünde er in einem Schießstand.

Ein Schatten kam ihnen entgegengerannt. Brahes Hände zuckten von allein herum, die Pistolenläufe senkten sich, er krümmte die Finger, während ein Teil von ihm schrie: Das ist ein Kind!, und ein anderer antworte: Schütze den König, was immer es kostet!

Der Schatten fiel zu Boden und krümmte sich dort zusammen. Brahes Pferd setzte mit einem Sprung über den kleinen Körper hinweg, der Rittmeister schwang die Pistolen wieder herum und zielte auf die Soldaten, die jetzt allesamt den Angriff gehört hatten und auf der Suche nach ihren Waffen planlos herumliefen. Nirgendwo waren Pferde zu sehen; die Narren mussten sie in der Scheune untergebracht haben. Er hatte jemanden sagen hören: Wenn ein Dragoner vom Pferd fällt, steht er als Musketier wieder auf. Doch die Kaiserlichen dort vorn in dem Schlachthaus, in das sie den friedlichen Bauernhof verwandelt hatten, waren keine Dragoner, sondern Kürassiere, mit dem Kampf auf den eigenen Beinen nicht vertraut – sie hätten dem Angriff nicht einmal dann ernsthaft etwas entgegensetzen können, wenn sie darauf vorbereitet gewesen wären.

Brahe sah einen Soldaten hektisch seine Muskete laden und nahm ihn ins Visier. Gut! Er wollte nichts so sehr als diese Männer töten. Gleich würden er und seine Reiter heran sein, gleich würde er feuern können. Die Wut war so groß, dass das Kind, auf das er im letzten Augenblick doch nicht geschossen hatte, bereits aus seinen Gedanken verdrängt war. Er brüllte laut und hörte das Kriegsgeschrei der Männer links und rechts von ihm – „Magdeburger Pardon!“ –, aber die Erinnerung an die grausame Zerstörung Magdeburgs vor elf Monaten durch die tillyschen Soldaten war nur ein Name für all die Gräuel, die sie gesehen hatten, von den zu Tode geschändeten Frauen und Mädchen links und rechts der kaiserlichen Heerstraßen bis zu den Feuern von Würzburg, in denen die Kinder gebrannt hatten. Jeder der Småländer wünschte sich den Tod der Kürassiere ebenso sehr wie ihr Anführer.

Ein Dutzend apokalyptischer Reiter, die direkt in die Hölle galoppierten, um die Teufel darin abzuschlachten.

Die Erbin der Teufelsbibel

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