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Warum ist Wachstum so wichtig?

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In den letzten beiden Jahrhunderten entwickelte sich das Wirtschaftswachstum zum praktisch einzigen Index für das Wohlergehen eines Landes. Wenn die Wirtschaft wuchs, entstanden neue Jobs, und Investitionen brachten hohe Renditen. Wenn die Wirtschaft vorübergehend nicht wuchs, wie während der Weltwirtschaftskrise, führte das zu einem finanziellen Aderlaß.

In diesem Zeitraum nahm die Weltbevölkerung zu – von unter zwei Milliarden Menschen im Jahr 1900 auf über sieben Milliarden heute, jedes Jahr kommen rund 70 Millionen neue »Konsumenten« hinzu. Deshalb ist künftiges Wirtschaftswachstum noch wichtiger: Wenn die Wirtschaft stagniert, können pro Kopf weniger Güter und Dienstleistungen zirkulieren.

Wir bauen auf Wirtschaftswachstum, wenn es um die »Entwicklung« der ärmsten Volkswirtschaften geht. Ohne Wachstum müssen wir ernsthaft die Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß Hunderte Millionen – vielleicht Milliarden – Menschen niemals beim Konsum den Lebensstandard der Menschen in den Industrieländern erreichen werden. Künftig werden sich die Bemühungen, die Lebensqualität in den armen Ländern zu verbessern, viel mehr auf Faktoren wie kulturelle Möglichkeiten, politische Freiheiten und staatsbürgerliche Rechte konzentrieren müssen und weniger auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Überdies haben wir Währungs- und Finanzsysteme geschaffen, die Wachstum erfordern. Solange die Wirtschaft wächst, sind Geld und Kredit verfügbar, die Erwartungen sind hoch, die Menschen kaufen mehr Waren, die Unternehmen leihen sich mehr Geld, und vorhandene Kredite können bedient werden.5 Aber wenn die Wirtschaft nicht wächst, fließt kein neues Geld in das System, und die Zinsen können nicht bezahlt werden. In der Folge gehen Unternehmen reihenweise bankrott, Arbeitsplätze verschwinden, die Einkommen sinken, und die Konsumenten geben weniger Geld aus – was die Unternehmen veranlaßt, weniger Kredite aufzunehmen, wodurch noch weniger Geld in den Wirtschaftskreislauf gelangt. Diese sich selbst verstärkende negative Feedbackschleife ist schwer zu durchbrechen.

Mit anderen Worten: Unsere Marktwirtschaft kennt keinen »stabilen« oder »neutralen« Zustand, es gibt nur Wachstum oder Schrumpfen. Und »Schrumpfen« ist manchmal nur ein harmloserer Name für Rezession oder Krise – eine lange Phase von Arbeitsplatzverlusten, Zwangsvollstreckungen, Insolvenzen und Bankrotten.

Weil wir mittlerweile so an Wachstum gewöhnt sind, wissen wir kaum noch, daß es sich dabei um ein ziemlich neues Phänomen handelt.

In den letzten Jahrtausenden sind Imperien aufgestiegen und zusammengebrochen, lokal hat die Wirtschaft Fortschritte gemacht oder Rückschritte – während die Weltwirtschaft insgesamt nur langsam expandierte und immer wieder Rückschläge erlitt. Doch dank der durch die fossilen Brennstoffe ausgelösten Revolution in den letzten eineinhalb Jahrhunderten erlebten wir Wirtschaftswachstum in einem Tempo und einer Größenordnung, wie es das in der Geschichte der Menschheit bisher noch nicht gegeben hat.6 Wir nutzten die Energie aus Kohle, Öl und Gas, um Autos, Lastwagen, Autobahnen, Flughäfen, Flugzeuge und Stromnetze zu bauen und zu betreiben – all die Dinge, ohne die eine moderne Industriegesellschaft nicht funktionieren kann. Durch den nicht wiederholbaren Vorgang, die Kraft von Jahrmillionen chemisch gespeichertem Sonnenlicht zu extrahieren und zu verbrennen, errichteten wir eine Maschinerie, die (einen kurzen, strahlenden Augenblick lang) immerwährendes Wachstum zu verheißen schien. Nach und nach hielten wir eine außerordentliche Situation für selbstverständlich. Sie wurde normal für uns.

Doch nun, da die Ära der billigen, reichlich vorhandenen fossilen Brennstoffe zu Ende geht, werden unsere Vorstellungen von permanenter Expansion bis in den Kern erschüttert. Das Ende des Wachstums ist in der Tat ein kritisches Ereignis. Es bedeutet das Ende einer Ära und das Ende der Art und Weise, wie wir bisher unsere Wirtschaft, unsere Politik und unseren Alltag organisiert haben.

Es ist lebenswichtig, daß wir die Bedeutung dieses historischen Augenblicks erkennen und begreifen: Wenn wir wirklich das Ende des Zeitalters der von fossilen Brennstoffen getriebenen Expansion erreicht haben, dann sind alle Bestrebungen der politisch Verantwortlichen, weiter trügerischem Wachstum nachzujagen, nichts anderes als eine Flucht vor der Realität. Wenn die politisch Verantwortlichen weltweit Illusionen über unsere Situation hegen, werden sie den Aufbau der Unterstützungssysteme hinauszögern, die das Leben in einer Wirtschaft ohne Wachstum erträglich machen können, und sie werden ziemlich sicher die erforderlichen grundlegenden Veränderungen in den Bereichen Währung, Finanzen, Nahrungsmittel und im Transportwesen versäumen.

In der Folge könnte aus einem möglicherweise schmerzhaften, aber erträglichen Anpassungsprozeß die größte Tragödie der Menschheitsgeschichte werden. Wir können das Ende des Wachstums überleben und vielleicht auch danach noch prosperieren, aber nur, wenn wir die Realität erkennen und entsprechend handeln.

E.1ABER ERHOLT SICH DIE US-WIRTSCHAFT DENN NICHT?

Von Juli 2009 bis Ende 2010 vermeldete die US-Wirtschaft Zuwächse beim BIP – das heißt Anzeichen von Wachstum. Mitte 2010 lag das nominale BIP wieder über den Werten vor der Rezession und das inflationsbereinigte BIP ziemlich genau auf dem Wert vor der Rezession.7 Dieser Anstieg folgte auf einen Rückgang des BIP von Dezember 2007 bis Juni 2009.8

Doch wie wir in Kapitel 6 sehen werden, ist das BIP ein schlechter Maßstab für die generelle Gesundheit einer Volkswirtschaft. Zwar hat das BIP seine früheren Werte wieder erreicht, doch die US-amerikanische Wirtschaft hat sich fundamental verändert: Die Arbeitslosigkeit ist viel höher, und die Steuereinnahmen der Bundes und der Einzelstaaten sind eingebrochen. Einige Ökonomen definieren diesen Zustand vielleicht technisch als eine in Erholung und Wachstum begriffene Volkswirtschaft, aber eine gesunde Volkswirtschaft ist es gewiß nicht.

Überdies verdankt sich ein Großteil dieses scheinbaren Wachstums den enormen Geldspritzen und Rettungspaketen der Regierung in Washington. Wenn man diese Summen abzieht, bleibt vom Wirtschaftswachstum etwa der letzten zwei Jahre praktisch nichts übrig.

Ausgehend von der historischen Analyse früherer Finanzkrisen kommen die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zu dem Schluß, die Wirtschaftskrise des Jahres 2008 werde

»… tiefe und bleibende Auswirkungen auf Vermögenspreise, Produktion und Beschäftigung haben. Die Arbeitslosenzahlen werden über fünf Jahre weiter steigen und die Immobilienpreise über sechs Jahre weiter fallen. Positiv ist zu vermerken, daß Produktionsrückgänge im Durchschnitt nur zwei Jahre anhalten. Selbst Rezessionen, die durch Finanzkrisen verursacht wurden, enden schließlich, allerdings fast immer unweigerlich begleitet von einer massiven Erhöhung der Staatsverschuldung … Die globale Natur der [gegenwärtigen] Krise wird es für viele Länder sehr viel schwieriger machen, sich durch höhere Exporte daraus zu befreien oder die Auswirkungen auf den Konsum durch Kreditaufnahme im Ausland zu mildern. Unter solchen Umständen ist damit zu rechnen, daß es mit der gegenwärtigen Ruhe bei Staatsbankrotten bald vorbei sein wird.«9

Diese Analyse betrachtet jedoch nur die finanziellen Aspekte der Krise und geht nicht auf die grundsätzlicheren Probleme bei Energie, Ressourcen und Umwelt ein. Die 2009 begonnene »Erholung« fand vor dem Hintergrund gesunkener Energiepreise statt, die gegenüber ihrem Höhepunkt Mitte 2008 deutlich zurückgegangen waren. Doch als die Konsumentennachfrage Ende 2010 zaghafte Ansätze einer Wiederbelebung zeigte, kletterten die Ölpreise sofort wieder. Wenn diese »Erholung« weitergeht, werden die Energiepreise noch höher steigen, und die Wirtschaft wird wieder schrumpfen.

Kurz gesagt: Es mag sein, daß die US-Wirtschaft für die Jahre 2009 bis 2010 Wachstum (im technischen Sinn) vermeldet hat, aber sie läuft in einem grundsätzlich anderen Modus als zuvor: Sie ist sehr viel mehr von Ausgaben der Regierung (im Gegensatz zu Ausgaben der Konsumenten) abhängig, und sie ist eine Geisel der Energiepreise.


Grafik 2. Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit, 2006–2010. Als die US-Wirtschaft infolge der Finanzkrise 2008 schrumpfte, fiel das Wachstum in den negativen Bereich, und die Arbeitslosenquote stieg steil an.

Quelle: US Bureau of Labor Statistics, US Bureau of Economic Analysis.


Grafik 3. Wirtschaftswachstum, Stimulus- und Rettungspakete. »Rettung und Stimulus« bezieht sich auf das amerikanische TARP-Programm (Troubled Asset Relief Program, Programm zur Stabilisierung des Finanzsektors) und auf den American Recovery and Reinvestment Act (Konjunkturprogramm der Regierung Obama; Anm. d. Übers.) von 2009. Wie die Kurve zeigt, waren diese staatlichen Ausgaben die Hauptquelle für Wirtschaftswachstum seit der Finanzkrise 2008. Was passiert, wenn die Regierung die Banken nicht mehr retten und die Wirtschaft nicht mehr stimulieren kann?

Quelle: US Bureau of Economic Analysis, The Committee for a Responsible Federal Budget.

Das Ende des Wachstums

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