Читать книгу Das Ende des Wachstums - Richard Heinberg - Страница 17

Eine Anleitung für dieses Buch

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Am Anfang dieses Buches stand eine plötzliche Erkenntnis am Morgen des 16. September 2008 (dem Tag nach der Pleite von Lehman Brothers). Ich saß in einer Konferenz von rund 40 Leitern und Geldgebern von Nonprofit-Organisationen und hörte zu, wie ein ehemaliger Geschäftsführer von JP Morgan erklärte, was Derivate sind und warum die Finanzwelt sich gerade in diesem Augenblick aufzulösen schien. Einer der Geldgeber nahm einen Anruf auf seinem Handy entgegen, und danach flüsterte er: »Ich habe gerade 40 Millionen Dollar verloren.« Mir ging durch den Kopf: Wir erleben den Anfang vom Ende des Wirtschaftswachstums. Ich wußte, daß das Ende unvermeidlich war, aber nun wirkten Ereignisse in der Finanzwelt mit ökologischen Grenzen zusammen, und das beschleunigte und verstärkte die Entwicklung sehr viel mehr, als irgend jemand vorausgeahnt hätte.

Dieser Gedanke wäre mir nicht gekommen, wenn ich nicht darauf vorbereitet gewesen wäre – weil ich vor Jahrzehnten Die Grenzen des Wachstums gelesen hatte, aber vorbereitet auch durch die allmähliche Erschöpfung der Ressourcen in den Jahren danach. Der Gedanke setzte sich fest, und in den folgenden Monaten drehte und wendete ich ihn und prüfte, ob er vernünftig, verfrüht oder schlichtweg falsch war.

Ich diskutierte darüber mit Ökonomen, Unternehmensberatern, Energieexperten und auf Ressourcen spezialisierten Analysten. Ich las viele Stunden über Wirtschaftsgeschichte und die Ursachen der sich entfaltenden Finanzkatastrophe. Ich sprach mit meinen Kollegen beim Post Carbon Institute und fragte sie: Selbst wenn es stimmt – daß die Welt aus der Möglichkeit weiteren Wachstums »herausgewachsen« ist –, sollte man diese Botschaft dann der Welt verkünden, oder sollte ich lieber weiter über Energie- und Ressourcenthemen schreiben? Mitte 2010 wurde schließlich klar (aus Gründen, auf die ich in Kapitel 7 näher eingehen werde), daß die Geschichte vom Ende des Wachstums erzählt werden mußte.

Die Erkenntnis, daß das Wachstum sein Ende erreicht haben dürfte, wirft viele Fragen auf. Werden die finanziellen Auswirkungen inflationär oder deflationär sein? Werden manche Länder besser damit zurechtkommen als andere, was zu protektionistischen Handelskriegen führen könnte? Wird die »Verschlankung« der Wirtschaft auch zu einer »Verschlankung« der menschlichen Spezies führen? Wie schnell wird das gehen? Wie können wir uns schützen und anpassen?

Das sind nur einige der Themen, die in den folgenden Kapiteln behandelt werden.

Kapitel 1 ist eine kurze Geschichte der Volkswirtschaften und der Wirtschaftswissenschaften. Lesern, die sich in diesen Themen auskennen, mag das sehr verkürzend erscheinen. Das liegt nicht daran, daß mir die Ausbildung als Wirtschaftswissenschaftler oder Historiker fehlt (obwohl das tatsächlich der Fall ist), sondern daß ich hier nur den Kontext skizzieren will. Die weiteren Kapitel setzen ein Grundverständnis voraus, wie und warum Volkswirtschaften auf Wachstum bauen und warum die meisten Theorien des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams ökologische Grenzen ausblenden.

In Kapitel 2 sehen wir, warum Wirtschaftswachstum aus Gründen, die in den Währungs- und Finanzsystemen der Welt verankert sind, ins Straucheln geraten ist. Vor allem werden wir untersuchen, ob es praktische Grenzen der Verschuldung gibt und ob wir sie womöglich erreicht haben. Dieses Kapitel enthält auch eine kurze Geschichte der gegenwärtigen weltweiten Wirtschaftskrise und der Bemühungen von Regierungen und Zentralbanken, das Chaos in den Griff zu bekommen.

In Kapitel 3 untersuchen wir, welche externen Faktoren verhindern, daß die Wirtschaft sich erholen und wieder wachsen kann – dazu zählen unter anderem die Erschöpfung der fossilen Brennstoffe, der Minerale und anderer natürlicher Ressourcen sowie immer schlimmere Naturkatastrophen und industrielle Zusammenbrüche.

Viele Leser werden einwenden, Grenzen bei Energieressourcen und Mineralen könnten durch Effizienz und Substitution überwunden werden, so daß künftiges Wirtschaftswachstum möglich sei. In Kapitel 4 gehen wir auf diese Argumente ein und zeigen, warum die wirtschaftlichen Strategien, mit denen wir im 20. Jahrhundert auf Expansionskurs bleiben konnten, ihre Wirksamkeit verlieren.

Kapitel 5 erforscht, wie sich der Rückgang des weltweiten Wirtschaftswachstums mutmaßlich in der Demographie, bei der internationalen Entwicklung, in Währungskriegen und geopolitischen Rivalitäten manifestieren wird. In diesem Kapitel behandeln wir auch Chinas anhaltend hohe Wachstumsraten und untersuchen ausführlich die Frage: Kann das langfristig so bleiben?

In Kapitel 6 betrachten wir Wege, wie Regierungen und Zentralbanken den unvermeidlichen Übergang von einer wachstumsabhängigen zu einer schrumpfenden oder statischen Wirtschaft erfolgreich bewältigen könnten. Wir beginnen das Kapitel mit der eher krassen Beschreibung eines »Szenarios des Scheiterns«, das wahrscheinlich eintreten wird, wenn die für das globale Währungssystem Verantwortlichen ihren bisherigen Kurs fortsetzen. Nebenbei hören wir von alternativen Währungen, ökologischer Ökonomie und Glücksökonomie.

Schließlich erörtern wir in Kapitel 7, was Einzelne und Gruppen heute tun können, um sich auf die veränderten Bedingungen in der Zukunft vorzubereiten, wie sie die Grundlagen für eine Wirtschaft und Lebensweise ohne Wachstum und ohne Kohlenstoff legen können. Als hoffnungsvolle Zeichen und Ansätze stellen wir Übergangsinitiativen und Common Security Clubs vor.

Ich empfehle, die Kapitel der Reihe nach zu lesen, weil die Argumente in diesem Buch aufeinander aufbauend entwickelt werden.

Die Arbeit an Das Ende des Wachstums hat mich verändert. Obwohl ich gut darauf vorbereitet war, das Projekt in Angriff zu nehmen, nachdem ich die letzten vier Jahrzehnte beobachtet hatte, wie und warum unsere bestehende wachstumsbasierte Wirtschaft nicht nachhaltig ist, fand ich es mehr als ernüchternd, zu Ende zu denken, welche Auswirkungen es hat, wenn weltweit die ökonomische Expansion aufhört. Auch Leser, die sich mit den relevanten Themen wie ökologische Ökonomie gut auskennen, werden wahrscheinlich feststellen, daß dieses Buch ihr seelisches Gleichgewicht in einer Weise erschüttert, die zugleich zutiefst verstörend und erhebend ist – weil es eine ganze Menge Ängste und Zweifel an der Wirtschaft explizit macht, die, wie ich denke, die meisten von uns unbewußt mit sich herumtragen.

E.3DIE GEFAHREN DER VORAUSSAGE

Dieses Buch trifft faktisch eine Voraussage: daß es kein weltweites Wirtschaftswachstum mehr geben wird. Es ist eine vorsichtige Voraussage, weil die Wahrscheinlichkeit einbezogen wird, daß relatives Wachstum weiter möglich ist, das heißt eine temporäre Expansion in einigen Volkswirtschaften und gelegentliche partielle Aufschwünge in anderen. Doch vorsichtig oder nicht, Voraussagen sind immer gefährlich, beim Wetter ebenso wie beim Pferderennen und ganz gewiß in der Wirtschaft.18

Manche werden sagen, entscheidend für eine Voraussage sei das Timing.19 Wenn eine Voraussage ein paar Jahre (oder bei manchen wissenschaftlichen Experimenten nur ein paar Millisekunden) zu spät kommt, geht sie daneben. Paul Ehrlich scheiterte spektakulär, als er 1980 mit Julian Simon wettete, die Preise von fünf Metallen würden in den nächsten zehn Jahren ansteigen. Eigentlich lag Ehrlich nur mit seinem Timing falsch: Wie wir gesehen haben, klettern seit 2000 die meisten Rohstoffpreise. Aber weil er den Anstieg der Rohstoffpreise zu früh verkündete, verlor er 10 000 Dollar und lieferte all jenen, die optimistisch sind, was die Rohstoffversorgung betrifft, eine endlos wiederholbare Anekdote.

Andere werden vielleicht sagen, in Situationen, bei denen die Vorhersage eine ernste Warnung beinhaltet, sei es oftmals wichtiger, daß die Warnung richtig ist, als daß sie zur richtigen Zeit kommt. Nehmen wir an, das Nationale Hurrikan-Vorhersagezentrum kündigt an, gegen 17 Uhr werde Miami von einem Hurrikan getroffen. Doch über dem Wasser verliert der Hurrikan an Geschwindigkeit, er trifft Miami erst um 23 Uhr und richtet dennoch erhebliche Zerstörungen an. Wichtig ist, daß die Menschen gewarnt waren und sich in Sicherheit bringen konnten. Daß nicht der genaue Zeitpunkt vorausgesagt wurde, ist demgegenüber nicht so wichtig – der Hurrikan ist deshalb nicht verschwunden.

Das Ende des Wachstums ist ein Prozeß, und zwar, wie ich hoffentlich deutlich machen konnte, ein unausweichlicher. Der Crash des Jahres 2008 war zweifellos ein Schlüsselmoment in diesem Prozeß, aber der Übergang von Wirtschaftswachstum zu wirtschaftlicher Schrumpfung wird sich noch über Jahre hinziehen. Phasen von relativem Wachstum werden es schwierig erscheinen lassen, unterdessen die in dem Titel dieses Buchs enthaltene Voraussage zu bestätigen oder zu widerlegen. Doch das wahre Anliegen dieses Buchs ist nicht, Punkte für die korrekte Vorhersage eines Ereignisses zu sammeln, das auf jeden Fall eintreten wird (ob in diesem Jahr oder erst in zehn Jahren), sondern die Leser und die Gesellschaft insgesamt zu warnen, damit wir uns erfolgreich anpassen und die Schäden möglichst gering halten können.

Das Ende des Wachstums

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