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Das Urgefühl, nicht richtig zu sein

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Für viele Menschen ist es noch relativ einfach, eine freundliche, mitfühlende Haltung dem Leben und anderen Menschen gegenüber einzunehmen. Aber uns selbst gegenüber? Wie hart sind wir oft uns selbst und unseren Schwächen gegenüber! Und wie kämpfen wir gegen unsere Unzulänglichkeiten an, nur um einem Idealbild zu entsprechen!

Wozu versuchst du immer etwas zu sein,

was du nicht bist?

Was ist denn falsch an dir?

Es geht nicht darum, etwas zu werden –

sei, was du bist!

Wie können die kleinen süßen Seifenblasen deines

Verstandes außerhalb des Ganzen,

außerhalb des Tao sein?

Es gibt gar kein Außen. Der Fisch ist im Teich. Ob er

es nun glaubt oder nicht – er ist. Dein Kampf gegen

das Tao ist nur eine Bewegung des Tao selbst. Und so

ist es auch mit dem Aufgeben des Kampfes.

ANONYMUS

Warum wollen wir uns eigentlich immer irgendwie anders haben? Wieso nehmen wir uns nicht vollständig an? Wieso strengen wir uns immer so an? Wenn wir unsere Anstrengungen, anders zu werden, zum Ursprung zurückverfolgen, taucht ein tief sitzendes Grundgefühl in uns auf: das Gefühl, nicht richtig zu sein.

Bei diesem Grundgefühl geht es nicht um konkrete Dinge, die wir an uns nicht annehmen können. Es betrifft keinen Fehler, den wir gemacht haben, keinen Wutausbruch, den wir hatten, und auch nicht unser Gewicht. Es geht um etwas viel Grundlegenderes: ein unbestimmtes generelles Gefühl, grundsätzlich nicht richtig zu sein.

Es ist diffus und untergründig. Ein Grundgefühl jenseits von Sprache. Es sitzt im Körper und in den Zellen wie ein Grundton, der unsere Gefühle und unser Sein in der Welt färbt. Diffus, ungreifbar und vielleicht gerade deswegen so machtvoll.

Wenn wir uns fragen, wie lange wir schon dieses untergründige Gefühl in uns tragen, haben wir den Eindruck, dass es immer schon da war. Es scheint ohne Anfang. In dem folgenden Zitat von Da Avabhasa wird dieses Urgefühl, nicht richtig zu sein, beschrieben.

Irgendwann beginnt in jedem Menschen der

Verdacht oder sogar die Überzeugung zu keimen,

er werde betrogen und nicht geliebt. Dieses Gefühl ist

nicht auf die Psyche beschränkt; es ist vielmehr das

tief greifende körperliche Erleben, die vollkommene

Geborgenheit und die unbegrenzte Verbindung zum

Leben überhaupt verloren zu haben. Unabhängig

von den tatsächlichen Lebensumständen entsteht in

jedem Kind mehr oder weniger stark dieses Gefühl,

es werde betrogen oder nicht geliebt. Schließlich

kommt das Kind zu der Überzeugung „Ihr liebt

mich nicht...“

Dieses Gefühl des Betrogenseins, dieses „Ihr liebt

mich nicht“ ist genau das, was wir als Ich oder Ego

bezeichnen. Das Ego ist kein Wesen, kein Ding,

sondern eine Aktivität, ein Prozess. Es ist das

Ausweichen vor der Beziehung, die Verkrampfung

der fühlenden Aufmerksamkeit.

Das Leben des Egos besteht aus Trennung und

„ihr liebt mich nicht“.

NACH DA AVABHASA (12)

Da Avabhasa beschreibt hier sehr treffend dieses Urgefühl als die Verkrampfung der fühlenden Aufmerksamkeit. Die Verkrampfung, das Gefühl, nicht richtig zu sein oder, wie Da Avabhasa es nennt, das Gefühl, nicht geliebt zu sein, ist der Ursprung des Ichs, die Basis für all unser Leiden. Es ist der Prozess, durch den wir aus dem absoluten Sein herausfallen. Oder biblisch ausgedrückt: Wir werden aus dem Paradies vertrieben.

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