Читать книгу Kein Pfad - Richard Stiegler - Страница 28
Wie das Urgefühl entsteht
ОглавлениеWie entsteht nun aber dieses Urgefühl, nicht richtig zu sein, so wie wir sind? War es wirklich schon immer da?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, müssen wir bis in die frühe Kindheit zurückgehen. Natürlich gab es irgendwann einmal in unserem Leben eine Zeit, in der das Urgefühl, nicht richtig zu sein, noch nicht da war. Eine Zeit, in der wir absolut eins mit uns und mit allem waren. Ein vollständiges Aufgehobensein oder auch Angenommensein ohne Worte.
Doch als Baby sind wir unserer Umwelt bedingungslos ausgeliefert. Es ist notwendig, dass in der Regel Mutter und Vater auf uns und unsere Bedürfnisse angemessen eingehen. Wenn wir in der frühesten Kindheit, in der wir vollkommen abhängig sind, mit Situationen von Haltlosigkeit konfrontiert werden, schützen wir uns durch Anspannung. Wir verkrampfen uns.
Stellen wir uns beispielsweise vor, ein kleines Baby ist für ein paar Wochen von seiner Mutter getrennt. Für ein Baby ist dies ein Zeitraum, der unüberschaubar und damit unüberbrückbar ist. Es weiß nicht, dass die Mutter weg ist, weil es ja noch gar nicht im erwachsenen Sinne denken kann. Aber es fühlt deutlich, hier stimmt etwas nicht.
Dieses „Es stimmt nicht“ ist kein Gedanke, sondern ein umfassendes Körpergefühl, das eine Anspannung bewirkt. Wenn diese Anspannung, dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmt, längere Zeit anhält oder sich mehrmals wiederholt, wird es verinnerlicht. Es wird zu einem Grundgefühl. Und auch die Anspannung im Körper wird chronisch.
Ein kleines Baby kann noch nicht zwischen sich und der Umwelt, also zwischen ich und du, unterscheiden. Für ein Kind diesen Alters kommt das Gefühl „es stimmt nicht“ dem Gefühl gleich „ich stimme nicht“.
Und wieder müssen wir uns klar machen, dass dieser Prozess vollkommen ohne Sprache auskommt. Das Kind denkt nicht „ich stimme nicht“, zumindest noch nicht in diesem Alter, sondern fühlt Unstimmigkeit.
Dieses „ich stimme nicht“ bedeutet nichts anderes als „ich bin nicht richtig, so wie ich bin“ oder „ich bin nicht geliebt“. Für ein kleines Kind ist dies alles das Gleiche. Es ist ein Urgefühl von Ungeliebtsein und Sich-nicht-angenommen-Fühlen.