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Eichstätt, Maria Immaculata9 1557

Kerzenschein flackerte über ihr weißes Gesicht und es schien ihm, als habe sich ihr roter Mund bewegt.

»Dein mildes Lächeln wird mir sehr fehlen.« Ungewollt war ihm ein tiefer Seufzer entglitten und sein warmer Atem vernebelte für einen Augenblick die Sicht in der eiskalten Kirche. Er konnte sicher sein, dass es keinen Mithörer gab, weil nach der Matutin alle wieder in ihren Zellen waren, um die wenigen Stunden Schlaf bis zur Morgenhore zu nutzen. Eigentlich hatte er gelernt, seine Gefühle zu unterdrücken. »Nur der Schwächling zeigt Gefühle«, waren die mahnenden Worte seines Novizenmeisters. Dennoch fiel ihm der Abschied schwerer, als er es sich vorgestellt hatte. Er würde dieses Bild der Madonna mit dem Kind vermissen. Fast vierundzwanzig Jahre hatte er beinahe täglich davor gekniet und gebetet. Sie war jederzeit für ihn da, wandte ihren Blick niemals von ihm ab, hatte ihn getröstet und ihm Kraft gespendet, diese Hure, seine treulose Mutter, zu vergessen. Die Madonna beschützte liebevoll ihren Sohn, der sein Köpfchen eng an ihre Wange schmiegte, das erhabene Rot ihres Kleides, die sie umgebenden Strahlen und die in allen Farben glitzernde Krone zeigten ihre Macht. Unter ihrem Schutz fühlte er sich geborgen, sie war die Himmelskönigin, der er sein Leben anvertrauen wollte; sie würde ihn nicht enttäuschen.

Auch die Klostermauern würden ihm fehlen, hatten sie ihm doch von klein auf Geborgenheit und Schutz bedeutet. Hier war er zu Hause, das Kloster war ihm Familie, Quell des Wissens, Ort der Kontemplation und Zuflucht vor weltlichen Begierden. Alles hatte er überstanden. Selbst das unkeusche Drängen im Dormitorium. Jahrelang musste er mit ansehen, wie dort mit Mund und Hand Unzucht getrieben wurde. Er hatte die Versuchungen an sich abprallen lassen.

»Nur eiserne Härte gegen dich selbst lässt dich stark gegen andere werden«, war ein weiterer Leitspruch des Novizenmeisters. Diesen Kampf hatte er gewonnen durch Fasten, Disziplin und den Nagelgürtel.

Draußen hatte die Welt sich verändert. Die Protestanten ließen nicht nach, sich mit Verleumdung und Hetze gegen seine Kirche und den Papst hervorzutun. Die Nachrichten, die das Kloster erreichten, waren beunruhigend, es verging kein Tag, an dem sie sich nicht mit Häresie und Ketzerei hatten auseinandersetzen müssen. Die Mutter Kirche war in großer Bedrängnis. In dieser schwierigen Zeit erging an den Orden der Ruf aus Rom. Der Papst rief nach ihnen, den Fähigsten und Besten, um seine Herde zu schützen.

»Deine Zeit ist gekommen. Strenge im Glauben, striktes rationales Denken, verbunden mit Gehorsam gegenüber der katholischen Kirche und den dominikanischen Prinzipien, zeichnen dich aus, mein Sohn.« So hatte sein Abt ihn gepriesen.

Er war bereit, sich in Italien zu einem derer machen zu lassen, die man ehrfürchtig Domini canes nannte, zu einem der »Hunde des Herrn«. Es machte ihn stolz und erhaben. Mit Freude und Dankbarkeit würde er dem Ruf folgen, aber da war das Unbekannte, das Neue, das Unberechenbare, das ihn unruhig machte. Nein, Angst war es nicht, vielmehr fühlte er eine Art Fieber in sich aufsteigen. Es war die fiebrige Erwartung, Witterung aufzunehmen und sich dem Bösen an die Fersen zu heften. Wie von selbst wischte das rote Taschentuch über seine feuchte Stirn.

»Fiat voluntas tua10, du wirst mich beschützen«, flüsterte er, berührte die Lippen der Gottesmutter mit seinen Fingern und verließ zum letzten Mal die Kapelle der Madonna.

9 8. Dezember

10 Dein Wille geschehe.

Das Ketzerdorf - Der Aufstieg des Inquisitors

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