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Leeder, Juni 1558

Anna strahlte, und mit ihr die Junisonne, als sie und Emanuel das Schloss verließen, in dem sie kurz zuvor der Amtsschreiber zu Mann und Frau erklärt hatte. Emanuel war der Richtige für sie, davon war sie überzeugt. Er stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden, leitete umsichtig das Gut und würde sicher ein herzensguter Vater werden. Wie schnell hatte doch das Schicksal, über alle Standesdünkel hinweg, ihr trauriges Dasein beim alten Blärsch beendet und sie zur Frau eines wohlhabenden Gutsbesitzers gemacht.

Eine dicke Menschentraube wartete auf die beiden frisch Vermählten, war es doch Brauch, dass bei einer Hochzeit im Schloss für alle Dorfbewohner süßes Gebäck verteilt wurde. Anna dachte nur daran, hinaus nach Schäfmoos zu kommen, um ihren Bund vom Meister segnen zu lassen. Der festlich geschmückte Wagen wartete bereits auf sie und unter begeisterten Vivat-Rufen fuhren sie in Richtung Aschthal.

Das junge Paar hatte den Ort längst verlassen, als der Kutscher Karl plötzlich die Pferde mit einem lauten »Hooo, Buaba« anhielt und die beiden unfreiwillig gegeneinanderprallten.

»Ist etwas passiert, Karl?«, fragte Emanuel.

Anna sah ein kleines, dunkel gekleidetes Wesen mitten auf dem Weg stehen. Sie schob Emanuel zur Tür der Kutsche. »Ich glaube, du solltest nach dem Rechten schauen.«

Er folgte ihrer Aufforderung und stieg ins Freie. Anna kannte die Frau nicht, aber das verrunzelte Gesicht mit den stechend und unerschrocken blickenden schwarzen Knopfaugen prägte sich ihr ein.

»I hao miassa bremsa, sonscht wär se mir unter d’Räder komma«, stammelte der Kutscher Karl entschuldigend.

Anna hörte, wie Emanuel mit der Alten redete: »Was ist dein Begehr?«, fragte er die Frau höflich.

»I hao an Briaf für de Hoachzeitar«, antwortete sie mit krächzender Stimme und reichte ihm ein Stück Papier. »Es standet it so scheane Sacha dinna«, schob sie mit einem bösartigen Lächeln hinterher. »Mei, es gibt halt Leit, wo uib Rehlinger am liabschta zum Deifl schicka däded.«

Anna überlegte, wer ihnen wohl diese Nachricht zukommen lassen wollte und was die Alte damit meinte, dass es Leute gab, die die Rehlinger zum Teufel schicken wollten. Emanuel nahm das Papier, griff in die Tasche und gab ihr ein Geldstück.

»Du hast sicher nur deine Pflicht getan, vergelt’s Gott«, entgegnete er der verdutzten Alten, die sich artig bedankte und das Weite suchte.

»Du hast ihr Geld gegeben? Jetzt komm, mach es schon auf«, rief Anna ihrem Mann von der Kutsche aus zu.

Emanuel setzte sich wieder zu ihr und gab Karl das Zeichen zum Weiterfahren. »Lass uns doch warten, bis wir wieder zu Hause sind; der Brief deutet auf nichts Gutes, und Caspar soll uns in fröhlicher Stimmung wiedersehen!«

Widerwillig gab Anna nach und konnte nicht verhindern, dass ihr Mann den Brief ungelesen in die Tasche steckte.

Als sie Aschthal verlassen hatten und bergauf in den Wald einbogen, hielt der Kutscher abermals mit einem »Brrrrr« das Gespann an. Ein dicker Baumstamm lag quer über dem Weg.

»Dean hot ebbar umg’säged. Mir könnt grad meah umdrehe!«, vermeldete Karl aufgeregt.

»Müssen wir wirklich umdrehen? Kennst du keinen anderen Weg nach Schäfmoos?«, fragte Emanuel, und Anna spürte, wie sie mit einem Mal traurig wurde.

»Es gibt bloßig den oine.« Karl ließ die Pferde rückwärtsgehen und bemühte sich, das Gespann zu wenden.

»Ich kann mir vorstellen, wer dahintersteckt! Wir lassen uns nicht von diesen Leuten den Tag verderben, Anna. Ich werde einen Holzmacher heraufschicken und morgen ist der Weg wieder frei. Caspar wird wohl noch ein paar Tage hier bleiben.«

Anna nickte nur und versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen; niemand konnte ermessen, was ihr dieser Besuch beim Meister bedeutet hätte.

Das Ketzerdorf - Der Aufstieg des Inquisitors

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