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Kapitel 10

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Es war eine ganze Weile her, seit Pinchas die Stimmen gehört hatte. Seit einigen Stunden saß er nun schon in der Gefängniszelle der Vatikanpolizei-Station, und seine Augen starrten ins Leere, als würde ein ganz besonderer Punkt an der Wand, den nur er sehen konnte, eine hypnotische Anziehungskraft auf ihn ausüben. Aber er war schon in Situationen wie dieser gewesen, eingesperrt in engen Räumen, in denen die Zeit keine Rolle mehr zu spielen schien, und wo Sekunden, Minuten, Stunden, ein Tag oder ein Monat zu einer Unendlichkeit verschmolzen.

An die letzten drei Jahre seines Lebens besaß er nur noch wenige Erinnerungen und nur vage Bilder … kurze Ausschnitte von dunklen Schatten und dem Schmerz, den sie ihm bereitet hatten. Er erinnerte sich daran, dass er an den Knöcheln und Handgelenken gefesselt gewesen war, an den Hunger und den Durst. Er erinnerte sich an kurze Augenblicke, in denen verhüllte Gestalten in wollenen Kutten erschienen waren, deren Gesichter jedoch immer in der Dunkelheit verborgen geblieben waren.

Und natürlich an die Stimmen und das grauenerregende Flüstern, das auf irgendeine Weise imstande gewesen war, alle Rechtschaffenheit und Gottesfürchtigkeit in ihm auszuradieren und ihm stattdessen Regeln eingepflanzt hatte, die ihn fortan ohne die Angst vor Konsequenzen oder moralischen Fragen beherrschen sollten.

Vage Bilder.

Unendlich viel Zeit.

Aber nicht alles war ausgelöscht worden.

Er erinnerte sich nämlich noch an Kimball Hayden – erinnerte sich an ihn als einen Mann, der so verloren war wie er selbst. Er wusste noch, wie er neben dem Hünen gekämpft hatte, und konnte Bruchstücke der Kämpfe vor sich sehen.

Doch dann verschwanden die Bilder plötzlich und sein Verstand wurde vollkommen leer, bis es nichts mehr gab außer einem mentalen Vakuum.

Als er hörte, wie die Tür entriegelt wurde, nahmen seine Augen seine Umgebung in sich auf und sahen, wie sich eine Reihe von Bolzen zurückzogen und sich die Zellentür öffnete. Drei Beamte der Vatikanpolizei betraten nun den Raum. Einer von ihnen hielt einen Taser in der Hand, ein anderer einen Schlagstock, und der Dritte Ketten und Fußfesseln. Als der Polizist die Ketten anhob und auf Italienisch Befehle erteilte, verstand Pinchas sofort das Wesentliche von dem, was er ihm sagen wollte: Wir können es auf die einfache oder auf die harte Tour angehen. Es liegt ganz bei dir.

Nach einem weiteren Blick auf die beiden Polizisten, die mit Schlagstock und Taser bewaffnet waren, fügte sich Pinchas und ließ sich die Fesseln widerstandslos anlegen.

***

Kimball und Leviticus saßen in einem kleinen Vernehmungsraum ohne Fenster und mit Wänden, von denen bereits die Farbe abblätterte. Über ihnen hing eine Kamera, an der ein rotes Licht leuchtete, und in der Mitte des Raums befand sich ein Edelstahltisch, der fest mit dem Betonboden verschraubt war.

Nachdem die Beamten Pinchas in das Zimmer gebracht hatten, setzten sie ihn an den Tisch und ketteten ihn an einen metallenen Ring in der Mitte des Tisches an. Dann verließen sie den Raum und schlossen die Metalltür hinter sich.

Pinchas sah die beiden ihm gegenübersitzenden Menschen an, sagte aber kein Wort, er starrte sie einfach nur mit einem leeren Blick an.

»Pinchas«, begann Kimball tonlos, »ich brauche dringend Antworten … und du wirst sie mir geben.«

Genauso tonlos erwiderte Pinchas: »Natürlich.«

»Ich muss wissen, wo du während der letzten drei Jahre gewesen bist. Was ist mit der Shepherd One und ihren Passagieren passiert?«

Pinchas schien die Frage offenbar Kopfzerbrechen zu bereiten, denn sein Blick glitt an die Decke, als ob sein Verstand verzweifelt nach einer Antwort suchen würde. »Das Flugzeug«, sagte er schließlich.

»Die Shepherd One verschwand über dem Dschungel von Brasilien«, sagte Kimball. »Wir dachten, sie wäre abgestürzt, aber wir haben nie Trümmerteile oder eine genaue Absturzstelle finden können.«

Pinchas nickte. »Nein, natürlich nicht.«

»Wieso nicht? Was ist damals passiert?«

Pinchas schwieg.

»Pinchas.« Kimball wurde immer ungeduldiger. »Was ist dort passiert?«

»Die ehrwürdigen Meister haben uns nach Hause gerufen.«

Kimball warf Leviticus einen verwirrten Blick zu, der ihm mit einem knappen Keine-Ahnung-wovon-er-da-redet-Schulterzucken antwortete.

»Du hast diese Meister schon einmal erwähnt«, fuhr Kimball fort. »Haben sie dich hierher geschickt? Bist du allein gekommen?«

»Natürlich nicht«, erwiderte Pinchas knapp, als würde sich das ganz von selbst verstehen. »Ich kam zusammen mit Mordechai hierher.«

»Sonst niemand? Nur du und Mordechai?«

»Fürs Erste.«

Mordechai war der Attentäter im Gemelli-Krankenhaus gewesen – der damit gegen alle Lehren der Vatikanritter verstoßen hatte, denn Selbstmord galt als Todsünde, die zu ewiger Verdammnis führte. Zumindest wusste Kimball jetzt schon mal, mit wie vielen Attentätern sie es zu tun hatten. »Also nur ihr beide? Sonst niemand?«

»Fürs Erste.«

»Fürs Erste? Willst du damit sagen, dass noch andere Ritter überlebt haben? Was ist mit Elias und Jakob? Mit Kish und Zadok? Sind sie noch am Leben?«

Pinchas beugte sich nun nach vorn. Sein Gesicht begann nervös zu zucken, so als würde er plötzlich gegen widersprüchliche Emotionen ankämpfen müssen.

»Pinchas?«, bohrte jetzt Leviticus nach.

Der ehemalige Vatikanritter gewann die Fassung zurück und sein Blick nahm wieder diesen speziellen unbeteiligten Ausdruck an.

»Pinchas«, begann Kimball erneut. »Was ist mit den Kardinälen, die ihr begleitet habt? Was ist aus ihnen geworden?«

Pinchas antwortete: »Die Kardinäle weilen in der vergessenen Kathedrale«, sagte er. »Sie sitzen dort und beten das Symbol an.«

»Die vergessene Kathedrale?«

»Der Palast der gefallenen Engel, wo das Triumvirat der Meister thront.«

»Diese Meister … haben sie dir das angetan?«

»Was angetan?«

Kimball empfand die Antworten, die mehr Rätsel als Lösungen aufwarfen, zunehmend als anstrengend. »Pinchas, diese vergessene Kathedrale … ist das der Ort, wo sich die restlichen Ritter momentan befinden? Sind sie bei den Kardinälen?«

»Nein. Aber sie sind ganz in ihrer Nähe. Die Kardinäle sitzen allein, um das Symbol auf dem Altar anzubeten.«

»Das Bild Jesu?«

Pinchas schüttelte den Kopf. »Nein, das Symbol.«

»Von welchem Symbol sprichst du denn sonst?«

Pinchas blickte auf den Edelstahltisch hinab. Mit der Fingerkuppe seines Zeigefingers begann er ein Bild zu malen. Er zeichnete Linien mit rechten Winkeln, die er anschließend miteinander verband. Dann lehnte er sich wieder in seinem Stuhl zurück.

Kimball und Leviticus beugten sich nach vorn und erkannten auf der schmutzigen Tischplatte das Zeichen, das Pinchas auf die Oberfläche gezeichnet hatte.

Es war ein Hakenkreuz.

»Ich bin jetzt müde«, sagte Pinchas. »Ich will in meine Zelle zurück.« Er zog die Worte in die Länge und hörte sich dadurch an, als würde er unter starken Medikamenteneinfluss stehen.

Doch Kimball ignorierte seinen Wunsch. »Wieso hast du versucht, Bonasero zu töten, Pinchas?«

Pinchas sah ihn fragend an. »Wen?«

»Du hast mich schon verstanden!«

»Wir sind nicht hierhergekommen, um jemanden namens Bonasero zu töten«, sagte er monoton.

Nun war es Kimball, der ihn fragend anblickte.

Pinchas sah die beiden Vatikanritter nacheinander an und sagte dann: »Wir kamen hierher, um Franz Kleimer-Schmidt zu töten … eine Herrschaft, ein Gesetz und ein Glaube.«

Weder Kimball noch Leviticus verstanden auch nur im Geringsten, wovon er sprach.

DIE VERGESSENE KATHEDRALE (Die Ritter des Vatikan 7)

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