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PARADIGMEN

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Thomas Kuhn erläutert in seinem zeitlosen Text Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen über die den Paradigmenwechsel – ein vom ihm geprägter Begriff – einleitende Krise, dass zu allen Zeiten die bedeutendsten Fortschritte in den Naturwissenschaften und im Wissen eher geschahen, als dass sie sich entwickelt hätten. Es kann gut sein, dass für dieses Geschehen eine Evolution der Gedanken vonnöten ist. Aber erst wenn es zu einem kreativen Sprung kommt, werden Innovationen tatsächlich geboren. Dies kann das Ergebnis von Inspiration, Intuition, göttlicher Intervention, purer Genialität oder eines Zusammenspiels all dessen sein. Es geschieht mehr, als dass es sich entwickelt, und es ist häufig ein Nebenprodukt einer methodischen Suche nach etwas ganz anderem. Die Art und Weise, wie Neuerungen Widerstand erfahren, gefürchtet und abgelehnt werden, ist geradezu vorprogrammiert, wobei ich allerdings befürchte, dass politisches oder kommerzielles Kalkül das Getriebe der etablierten Akzeptanz ölen. (In diesem Kontext hat wohl niemand, zumindest in absehbarer Zukunft, etwas bei der Integration der Osteopathie in das Gesundheitswesen zu gewinnen.)

Noch viel schlimmer für die Osteopathie ist aber, wie sie als Berufsstand auf die Ächtung reagierte, nämlich indem sie mit dem Establishment verhandelte und versuchte sich ein vermeintlich anständiges Äußeres zu verpassen. Ausschließlich im Glauben an Anerkennung muss sie letztlich mit dem konventionellen Modell konform gehen. Es ist traurige Wahrheit, dass dies zu einer Spaltung des Berufsstandes geführt hat. Und umso seltsamer erscheint dieser Prozess, wenn man bedenkt, wie vollkommen dabei die Tatsache ignoriert wurde, dass sich die medizinische Wissenschaft zur gleichen Zeit in sich selbst veränderte, wohingegen in unseren Reihen einige immer noch an längst veralteten Ansichten festhalten. Manche der neuen Ansichten stammen aus der modernen Physik und liefern aufregende Grundlagen für unsere osteopathischen Methoden. Das Problem ist nur, dass diese Innovationen der Naturwissenschaft wahre Herausforderungen sind und selbst ihre Befürworter haben in den eigenen Kreisen ähnliche Anerkennungsprobleme. Eines muss jedoch laut gesagt werden: Wenn neues Wissen bedeutet hätte, bereits Bekanntes nur aufzubauschen und bis ins Kleinste zu vervollkommnen, dann wäre es zu keinen Veränderungen in der Geschichte der Zivilisation gekommen.

Hätten Künstler und Musiker nicht immer wieder gegen die Meinungen und den Geschmack des Establishments verstoßen (was viele der ganz Großen getan haben), ihre Kunst wäre an Verblödung zugrunde gegangen. Ganz aus modischen Launen heraus haben viele von ihnen neuen Boden beschritten, um ihre Kunst weiterzuentwickeln. Schmähung und Spott wichen dabei nur langsam Bewunderung und Verehrung. Sehen wir uns nur einmal all die öffentlichen Reaktionen auf Manet, Turner, van Gogh, Skrjabin und Strawinski an. Es verging viel Zeit bevor ihr Einfluss und ihre zentrale Rolle in der Entwicklung in ihrem Bereich anerkannt, respektiert und gefeiert wurden. Das Betreten neuen Bodens, so lebenswichtig dies für den Fortschritt auch sein mag, zieht die radikale Restrukturierung des Altbekannten mit sich. Und dessen Lakaien und Anhänger fühlen sich durch Veränderungen aufs Äußerste bedroht und entrüsten sich naturgemäß.

Ich werde hier nicht allzu sehr auf die Geschichte der Osteopathie eingehen; andere haben dieses bereits bewundernswert in Angriff genommen. Viele von uns sind damit ohnehin sehr vertraut und andere haben nur ein begrenztes Interessen daran. Und doch gibt es einige Aspekte, die manch einen im Zusammenhang mit der Geschichte beschäftigen. Da ist zum Beispiel dass Missverständnis, Osteopathie sei irgendwie aus östlichen Kulturen abgeleitet worden; eine Ansicht die viele unserer Patienten geäußert haben. Einige, aber sicherlich nicht alle Behandler wurden durch viele östliche philosophische und spirituelle Ideen beeinflusst. Nichtsdestoweniger wurde die Osteopathie in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Missouri, geboren und nur durch ihren Geburtshelfer, den in Virginia geborenen Landarzt Andrew Taylor Still (1828 – 1917), erblickte sie das Licht der Welt. Stills Vater war ein Methodistenprediger in einer überwiegend landwirtschaftlich geprägten Gegend. In den 1850 ern lebte und arbeitete er unter den Shawnee-Indianern. Und auch wenn viele unterschiedliche kulturelle Einflüsse Stills Ideen mitgeformt haben mögen, so handelt es sich bei der Osteopathie dennoch primär um ein amerikanisches Importgut.

Die Kunst und Philosophie der Osteopathie

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