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VI. Erkenntnisse
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Über den Schutz des Bürgers gegen Verwaltungsmaßnahmen in Belgien kann abschließend zusammenfassend Folgendes festgehalten werden:
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In erster Linie basiert der Rechtschutz des Bürgers gegen Maßnahmen der Verwaltung auf zwei unterschiedlichen Mechanismen. Dabei legt der eine den Schwerpunkt auf die Einrede der Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsmaßnahme und ist zur Bewahrung der Normenhierarchie von jedem Gericht zu prüfen. Der andere und jüngere baut hingegen auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine solche existiert zwar, jedoch ist die rechtliche Ausgestaltung ihrer einzelnen Zweige und Rechtsprechungsorgane diffus und der Rechtsrahmen uneinheitlich. Dabei kommt dem Staatsrat, der als Bundesorgan eine allgemeine Zuständigkeit besitzt und gleichzeitig einziges Organ seiner Art ist, eine herausragende Stellung zu. Er begleitet das Handeln der öffentlichen Verwaltung und wacht über die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und ihrer Prinzipien.
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In diesem Zusammenhang ist der Staatsrat für unterschiedliche Verfahren zuständig: Erstens erstellt die Gesetzgebungsabteilung begründete Gutachten zu den Vorentwürfen für Gesetze, Dekrete und Gesetzerlasse sowie zu den Entwürfen für Erlasse der föderierten Teilgebiete Belgiens. Zweitens entscheidet die Abteilung für Verwaltungsstreitsachen über Nichtigkeitsklagen und ahndet damit Überschreitungen der Amtsbefugnisse durch die Behörden. Darüber hinaus kann sie in dringlichen Fällen den Vollzug einer angegriffenen Verwaltungsmaßnahme aussetzen und gegebenenfalls einstweilige Maßnahmen anordnen. Drittens kommt der Verwaltungsstreitsachenabteilung die Rolle einer Revisionsinstanz zu, sofern ein Revisionsantrag gegen ein Urteil der Verwaltungsgerichte gestellt wird. Viertens ist diese Abteilung in den von den KGSR vorgesehenen Fällen auch zur unbeschränkten Nachprüfung einer Entscheidung befugt, insbesondere zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung, beispielsweise bei Beschwerden im Rahmen von Gemeinde- und Provinzialwahlen. Fünftens entscheidet die Abteilung für Verwaltungsstreitsachen subsidiär und auf der Grundlage von Billigkeitserwägungen über Anträge, die eine Entschädigung zur Wiedergutmachung eines von einer Verwaltungsbehörde verursachten außerordentlichen Schadens begehren.
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Damit ist die Verwaltungsstreitsachenabteilung das dominierende Organ der Verwaltungsgerichtsbarkeit, auch wenn diese in Belgien nicht stringent mehrstufig aufgebaut ist. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat dabei der gerichtliche Rechtsschutz des Bürgers eine bedeutende Entwicklung durchlaufen, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Organ der Verwaltungsgerichtsbarkeit par excellence prüft der Staatsrat die formelle und materielle Rechtmäßigkeit behördlicher Entscheidungen. Daneben nehmen allerdings auch die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit nach wie vor Zuständigkeiten für die Überprüfung einer Verwaltungsmaßnahme in Anspruch. Wenngleich all diese Bemühungen die Kontrolle der Exekutive bezwecken, um die Gefahr willkürlicher oder amtsmissbräuchlicher Maßnahmen zu verhindern, so leidet hierunter doch die Einheitlichkeit des Systems.
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Der Staatsrat hat seinen Arbeitsrhythmus zunehmend gefunden. Für die unterschiedlichen Verfahrensarten bestehen recht klare Verfahrensvorschriften, die gleichzeitig dennoch auch Anpassungen erfahren haben, beispielsweise im Bereich der Rechtsfolgen einer Nichtigkeitsentscheidung.
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In einem Staat, der seine Bürger vor der Gefahr willkürlicher Maßnahmen bewahren möchte, sind derartige Rechtsschutzmöglichkeiten in vielerlei Hinsicht unverzichtbar. Als der Staatsrat geschaffen und damit eine kopernikanische Wende eingeleitet wurde, fand der Senator Orban die folgenden Worte: „Ich betone, dass die strukturelle Reform, über die wir hier gerade streiten, im Wesentlichen demokratischer Art ist. In der Tat geht es darum, die Handlungen des Staates der Gesetzmäßigkeit unterzuordnen. […] Der Rechtsstaatsgedanke bedeutet, dass die Tätigkeit des Staates einer Überprüfung durch übergeordnete Instanzen unterworfen sein muss. Der Staat kann sich genauso wenig wie der einzelne Bürger festgelegten Rechtsformen entziehen.“[427]
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › VII. Herausforderungen und Ausblick