Читать книгу Der Regent - Roland Bochynek - Страница 12
Rückblick
ОглавлениеWährend er den Quader spielerisch in den Händen drehte, wanderten die Gedanken zurück zu den Anfängen. Er arbeitete als kleiner Sachbearbeiter in einem großen Konzern. Seine Aufgabe bestand darin, sich mit säumigen Kunden auseinanderzusetzen, um offene Forderungen zum Ausgleich zu bringen. Er war sehr erfolgreich bei dieser Arbeit. Keiner schaffte es so effizient wie er, sowohl Schulden einzutreiben, als auch zu erkennen, dass man nichts holen konnte, wo jeder Aufwand bzw. Rechtsstreit nur noch mehr Kosten produzieren würde. Damals war er von seinen fachlichen Fähigkeiten überzeugt, mehr nicht.
Aber so oder so half ihm der Erfolg nicht weiter. Die Leistungen des ganzen Teams fanden keine Anerkennung beim Management. Es war total frustrierend, diese Ignoranz hinnehmen zu müssen. Typisch Konzernmanager! Niemand interessierte, wie viel Geld das Unternehmen tatsächlich einnahm. Es genügte, die Forderungen zu verbuchen. Der Betrag erschien damit in den Büchern. Unabhängig davon ob er eingenommen wurde oder nicht. Somit tauchte er in der Bilanz und letztendlich in den Prämien der Manager auf. Kontrolle durch Aufsichtsrat oder Aktionäre? Lachhaft! Solange der Vorstand den Aufsichtsgremien Riesenumsätze vorgaukelte und die Anteilseigner mit satten Dividenden verwöhnte, notfalls aus imaginären Rücklagen, war die Unternehmenswelt in Ordnung, was dann die Vorstandsprämie sicherte, selbst wenn die Pleite schon vor der Tür stand.
„Bei objektiver Betrachtung ist eine Aktiengesellschaft doch nur ein Selbstbedienungsladen für Manager!“, schimpfte Berger oft. Man konnte ihn zwar nicht als Kommunisten bezeichnen, aber er hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Es ging ihm gegen den Strich, wie rücksichtslos ausschließlich Profite zählten, selbst wenn diese nur auf dem Papier standen und kaum etwas mit den tatsächlichen Einnahmen zu tun hatten. Nicht von ungefähr platzten in regelmäßigen Abständen Finanzblasen, oft mit globalen Auswirkungen.
Profitgier auf der einen, Menschenverachtung auf der anderen Seite. Sowohl Mitarbeiter als auch Kunden wurden rücksichtslos ausgebeutet. Um sich nicht an diesen Umständen aufzureiben, kapselte Berger sich von seinem betrieblichen Umfeld ab. Er konzentrierte sich mit einer nahezu autistischen Fixiertheit auf die eigene Arbeit. Jedoch hielt seine Ehe dieser Belastung nicht stand. Die Scheidung war unumgänglich. Fast hätte er damals den Boden unter den Füßen verloren. Es erforderte ein hartes Training, bis es ihm gelang, seinen Lebensrhythmus neu zu finden, um in der Freizeit den Frust der Arbeit vollkommen auszuklammern. Mittlerweile beherrschte er diese Methode wie ein Roboter. Es kam ihm vor, als könnte er in seinem Kopf einen Schalter umlegen. Klick, Arbeit – klick privat. Lange Zeit lebte er so nach dem Prinzip Jekyll and Hyde, wie er es nannte.
Alles änderte sich mit dem Besuch bei seinem alten Freund Heinz in Baden-Baden. Sie hatten gemeinsam ihre Ausbildung absolviert. Seit damals trafen sie sich regelmäßig zwei bis dreimal im Jahr. Dieses Mal sollte es ein ganz besonderes Wochenende werden. Heinz wollte sein neu erworbenes Single-Dasein feiern. Er hatte bei der Einladung schon so etwas angedeutet und bat darum, Anzug und Krawatte mitzubringen. Berger ahnte, was da auf ihn zukommen würde. Schon immer hatte Heinz davon geträumt, einmal im Casino Roulette zu spielen. Glücksspiel faszinierte ihn. Vor längerer Zeit zeigte er Berger Wahrscheinlichkeitsberechnungen, die er erstellt hatte. Nur die panische Angst seiner Frau, dass Heinz dem Spieltrieb verfallen würde, hielt ihn bisher ab, sein System auszuprobieren. Aber jetzt, wo diese 'Bremse' auf und davon war, die Scheidung lief gerade, hielt ihn nichts mehr von seinem Vorhaben ab. Den ganzen Tag zitterte Heinz dem Ereignis entgegen. Stundenlang studierte er seine Berechnungen. Mit Berger diskutierte er immer wieder die Vorgehensweise. Er war davon überzeugt, dass er dem Zufall mathematisch Paroli bieten konnte. Sein halbes Leben und seine Ehe hatte er dieser Idee geopfert. Heute Abend würde er die Ernte einfahren. Nichts konnte seine Überzeugung erschüttern. Berger hatte es auch schon längst aufgegeben, ihn von dem Vorhaben abzubringen. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg.