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6 Rügen und Hiddensee

Ostseeträume

HIGHLIGHTS

Seebrücke Binz und Promenade. Der 370 Meter lange »Highway to Heaven« macht den Blick auf den Binzer Laufsteg (die Flaniermeile), die pompöse Kurhausarchitektur und die Strandvillen von der Seeseite her möglich.

Rasender Roland. Eine Küstenwanderung zur Selliner Seebrücke, der längsten auf Rügen, wird mit einer Rückfahrt im historischen Dampfzug perfekt. www.ruegensche-baederbahn.de

Hiddensee. Auf den Spuren des Romanhelden Ed Bendler von Kloster über den Klausner bis zum Leuchtturm auf der Inselnordspitze schlendern

Ostseebad Sellin. Eine prachtvolle Bäderarchitektur baut sich vor der 30 Meter hohen Selliner Steilküste auf; die 394 Meter lange Seebrücke wurde 1927 gebaut.

DAS SOLLTEN SIE PROBIEREN

Rügener Fischsuppe: ein Gedicht aus Dorsch, Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln, Sellerie und Porree – Gebratene Fischklopse Saßnitzer Art: Fischfilet durch den Wolf gedreht, mit Eiern, Gewürzen und Semmelmehl zu Klößen geformt, in Öl gebraten – Brathering: an jedem Fischimbiss zu haben, mit saftigen Zwiebelringen auf Brötchen

Hereinspaziert in die Strandvillenpracht! Das Architektur- und Sandwunder Binz stellt seine einzigartige Bäderarchitektur aus, die sogar Rügens weltberühmte Steilküste aus Kreide noch toppt – und den Rasenden Roland. Natürlich lässt es sich im feinen Bäderstil der Binzer Strandherbergen perfekt abtauchen.

Der Nachkomme eines Wilhelm Klünders, der ab 1880 Erbauer der Villa Klünder an der Promenade von Binz war, ist ausgerechnet ein drahtiger Bayer, heißt Michael Gronegger, und war, bis der merkwürdige Brief kam, weitgehend ahnungslos, aber 1995 gehörte ihm plötzlich das Haus. »Rückübertragung« nannte man das nach der Wende, die eine vollkommen verwahrloste Bausubstanz sowie ungeklärte Besitzverhältnisse mit sich brachte. Nach der überraschenden Post fuhren die Groneggers hinauf in den Norden und bestaunten die in DDR-Zeiten verfallene Jugendstilpracht, bevor sie das Erbe ihrer Mutter, einer Cousine der verstorbenen Klünder-Tochter, annahmen und ihren Wohnsitz für immer nach Rügen verlegten. Heute erstrahlt das Haus Klünder mit den für Binz typischen Holzveranda-Vorbauten, die durchweg als Sommerresidenzen für Feriengäste dienen.

»Betuchte Besucher kamen früher mit der Dampfeisenbahn direkt aus Berlin, über die Brücke«, erzählt Ortsführer Klaus Boy, »die Märchenbuch-Villen mit ihren opulenten hölzernen Anbauten waren ein Lockmittel: Je schöner und größer und kunstvoller die Zimmermannsarbeit war, desto besser funktionierte die profitable Vermietung.« Im September, dem Monat der Bäderarchitektur, öffnen viele der schönen privaten Stranddomizile ihre Pforten für das normale Publikum, die gewerblichen sind sowieso das ganze Jahr über zu bestaunen. Ein Beispiel ist die feine Villa Salve, Baujahr 1899. Im Salve-Seerestaurant speist Angela Merkel gern, wenn sie wieder einmal auf Stippvisite in ihrem Wahlkreis ist.


Die Kreidefelsen der Halbinsel Jasmund sind eine der schönsten deutschen Küstenlandschaften und Teil des Nationalparks Jasmund.


Das nunmehr 100-jährige Kurhaus Binz an der Strandpromenade ist heute ein Luxushotel.

Ein Muss ist die Fischräucherei Kuse am Ende der Binzer Promenade, zwischen Waldrand und anbrandenden Wellen: Schillerlocken, Makrelenfilets und Räucheraal kommen hier frisch vom Fangboot auf den Tisch. Wer es weniger rustikal mag, wechselt in die »Strandhalle« schräg gegenüber, die zu Kaiser Wilhelms Zeiten als Winterlager für Strandkörbe diente – und im Sommer als feines Restaurant, wo sich die vornehmen Herrschaften zwangsläufig zum abendlichen Dinner einfanden, weil die hübschen Binzer Gästehäuser nur auf Frühstück eingestellt waren. Heute zählt die Binzer Strandhalle aufgrund ihres einzigartigen Ambientes zu den nachgefragtesten Gastronomieperlen der Insel. Und natürlich gibt es auf Rügen jede Menge Strände, endlose, sowie die berühmten Caspar-David-Friedrich-Motive, die Felsen aus Kreide, opulente Schlösser und Residenzen, außerdem den Rasenden Roland, der als Dampfzug immer noch fährt.


Hochbetrieb hat die Strandbar neben der Seebrücke von Binz praktisch immer.

Zum Genießen

INSULARE DRINKS

Wenn der Barkeeper der Villa Nixe einen Cocktail nach geheimer Rezeptur mixt, ist das ganz sicher der niXenCocktail. Der Misch-Drink begeisterte Binzer Gäste schon vor 100 Jahren. In der Bar des Loev Hotels kann man mit Cocktails aus der Zeit der amerikanischen Prohibition auf Zeitreise gehen. Das Finale einer solchen historischen Cocktailrunde könnte im Haus Colmsee stattfinden: Zur Seeseite befand sich hier früher Mampes Gute Stube, wo Mampe-Mixgetränke, gemischt aus dem berühmten Berliner Likör Mampe Halb und Halb, serviert wurden. Dabei könnte die alte Zeit ziemlich flott wieder lebendig werden. Wer damals zu viel probierte, holte sich am nächsten Tag den Rat des Badearztes, der nicht nur wusste, wie man sich streng getrennt nach Damen und Herren »der Lust des Badens hingab«, sondern auch, wie die Folge von zu viel Alkoholgenuss zu beheben war. Wer kein Risiko in Sachen Binzer Drinks eingehen mag, bleibt am besten beim traditionellen Störtebeker, gebraut in Stralsund, oder probiert eines der Spezialbiere der neuen Rügener Insel-Brauerei.


Als architektonisches Mahnmal früherer Zeiten ragt das Jagdschloss aus der Granitz.

Ein besonderer Ausflug

WANDERUNG ZUM JAGDSCHLOSS GRANITZ

Vor dem »Haus des Gastes« der Binzer Kurverwaltung geht es los in die Granitz, die eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Rügens und ein wunderschönes Naturschutzgebiet ist. Nach steilem Bergauf zeigt sich bald der Granitzer Buchenbestand und nach einigen Kilometern Waldwegen die Zufahrtsstraße zum Jagdschloss: Türme und Zinnen ragen so unvermittelt hoch und beinahe kitschig auf, als sei es eine Filmkulisse. Fürst Wilhelm Malte I. von Putbus beauftragte die Architekten Karl Friedrich Schinkel und Johann Gottfried Steinmeyer mit dem Bau, der seit 1852 auf dem höchsten Punkt der Granitz, dem Tempelberg, thront. Hauptattraktion der Räumlichkeiten im Stil des Historismus ist ein Meisterwerk der Eisengießkunst, die gigantische selbsttragende Turmwendeltreppe. Der Blick von der Aussichtsplattform auf dem Dach des 38 Meter hohen Aussichtsturms ist bombastisch! Zurück geht’s mit dem Rasenden Roland, der nahe dem Jagdschloss hält.

www.mv-schloesser.de

Die Welt des Ed Bendler

Es ist eine gemütliche Tagestour zum benachbarten Hiddensee hinüber, das die Kulisse in Lutz Seilers Roman Kruso stellt, der das weit abgelegene Hiddensee-Inselchen zu Zeiten des DDR-Regimes als menschlichen Fluchtpunkt beschreibt, und auf tiefgründige Weise die damalige Lebenswirklichkeit aufzeigt. Auf den Spuren des Protagonisten Ed Bendler zu wandern und die Schauplätze des preisgekrönten DDR-Romans nachzuempfinden, funktioniert über den Rügener Fährhafen Schaprode. Von dort legt das Boot ab nach Kloster, dessen putziges Kirchlein zwischen 1332 und 1536 ein Zisterzienserkloster nutzte. Nur 40 Minuten dauert die Fahrt.

Künstler und Schriftsteller ließen sich durch die idyllische Naturlage inspirieren, auch der Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann, der in seinem Sommerhaus im Kirchweg 13 residierte. Von Kloster führt ein Pfad zum Leuchtturm, der weithin sichtbar an der Nordspitze der Insel vorbeiziehenden Schiffen seit 1888 den Weg markiert. Auf halber Spazierstrecke zeigt sich der Gasthof Zum Klausner. In genau diese Kneipe, die sich zwischen dichtem Tannholz und Dornbusch versteckt und beinahe das Ende der Welt ist, hat es die Romanfigur Ed Bendler verschlagen.

Einen Steinwurf entfernt donnert die Brandung an die 60 Meter hohe und vier Kilometer lange Steilküste wie im Buch. Das Gasthaus, der Biergarten, ein paar lieblich-romantische Holzhäuschen im Schatten der Bäume, die für ein paar stille Tage im Abseits zu mieten sind, und die Geschichte lässt sich im Kopf gleich rekonstruieren. Dann spielt die Leserfantasie an diesem seltsamen Ort in Sichtweite des Leuchtturms noch einmal verrückt.


Der Blick vom Turm des Jagdschlosses Granitz geht weit über das flache Land.

Infos und Adressen

ANREISE

Flug: Süddeutsche Flughäfen bieten Verbindungen nach Rostock-Laage an, per Mietwagen ist Rügen dann ein Katzensprung. Bahn: via Rostock oder direkt nach Binz; Auto: Aus dem Süden über Hamburg–Lübeck–Rostock nach Rügen, aus Berlin/Ostdeutschland über Rostock; Schwerin und Wismar sind gute Stopover.

BESTE REISEZEIT

Spätes Frühjahr und Frühherbst: Im Herbst sind die Badetemperaturen meist noch passabel, die Sonnenscheindauer oft optimal und die umtriebige Ferienzeit vorbei.

SEHENSWERT

Kap Arkona. Die 45 Meter hohe Steilküste der Halbinsel Wittow beherbergt am nördlichsten Kap Rügens zwei Leuchttürme, einen Peilturm, zwei Militärbunker, die Jaromarsburg sowie Restaurants, Cafés und Souvenirläden.

Nationalpark Jasmund. Caspar David Friedrichs Gemälde aus dem Jahr 1818 verschaffte Rügens Kreideküste Weltruhm, das Wahrzeichen Rügens ist der Königsstuhl, ein 118 Meter hoher Kreidevorsprung.

Prora. Hitlers »Bad der Zwanzigtausend« zwischen Binz und Sassnitz ist ein fast sechs Kilometer langer Baukomplex in feinster Strandlage, der gerade saniert wird.

ESSEN UND TRINKEN

Nixe. Der unterirdische Fresstempel des Designhotels Nixe verfeinert pommersche Küche mit asiatischen Aromen. Strandpromenade 10, Binz, Rügen, www.nixe.de

Brasserie Villa Salve. Frischer Fisch und Steaks mit Zutaten aus hochwertigen regionalen Produkten machen das Restaurant der edlen Jahrhundertwende-Villa zu einem speziellen Erlebnis. Strandpromenade 41, Binz, Rügen, www.salve-binz.de

NEGRO. Kulinarische Tiefe verspricht das NEGRO im ersten Designhaus am Platz. Drinnen präsentiert das Ceres ein tolles Ambiente, draußen seine Seeterrasse mit Blick. Strandpromenade 24, Binz, Rügen, www.ceres-hotel.de



Hiddensee: mit der Pferdekutsche von Kloster nach Grieben

SHOPPING

Kunsthandwerk. »Kunstmeile Binz« nennt sich die Straße der Künstler und Kleinhandwerker, die eigentlich die Margaretenstraße ist. Eine Reihe Galerien, Werkstätten und Kunstläden bieten hier Keramik, Malerei, Glaskunst und Produkte aus Gold- und Silberschmieden an.

ÜBERNACHTEN

Designhotel Ceres. Liebhaber moderner Exklusivität sind in diesem Hotelbau an der Strandpromenade erstklassig bedient, mit Senso-Spa & Restaurant. Strandpromenade 24, Binz, Rügen, www.ceres-hotel.de

Designhotel Nixe. Der umgebaute Jugendstilbau aus dem Jahr 1903 empfängt seine Gäste zwischen Binzer Kurpark und Strandpromenade, von der Terrasse in Eins-a-Lage lässt sich der Sonnenaufgang zum Frühstück auf formidable Weise genießen. Strandpromenade 10, Binz, Rügen, www.nixe.de

Kurhaus Hotel Binz. Etwas old-fashioned, aber prächtig mit viel Plüsch erinnert das Binzer Kurhaus an längst vergangene Zeiten. Strandpromenade 27, Binz, Rügen, www.travelcharme.com

Villen der Bäderarchitektur. Eine Liste der Gästehäuser und Pensionen hält die Kurverwaltung bereit. www.ostseebad-binz.de

WEITERE INFOS

www.ostseebad-binz.de, www.ruegen.de, www.seebad-hiddensee.de


Abwärts geht’s immer: Tauchglocke an der Seebrücke von Sellin

Nix wie weg! Europa

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