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Moderne

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Die Welt des 21. Jahrhunderts ist die Welt der Postmoderne, deren augenfälligstes Merkmal die Lossage von den ethischen Werten ist, die in der Moderne einen gesellschaftlichen Konsens bildeten. Dies gilt zumindest für die westliche Welt. Die Postmoderne bildet den großen kulturellen Rahmen des 21. Jahrhunderts.

Die Postmoderne kann nur auf dem Hintergrund der Moderne verstanden werden, aus der sie hervorgeht. Mit dem Begriff der Moderne bezeichnen wir die Neuzeit, die aus dem mittelalterlichen Weltbild hervorging und sich in allen Lebensbereichen radikal davon unterschied. Geisteswissenschaftlich gesehen setzte die Moderne mit der Renaissance des 14. Jahrhunderts ein. Bis zu jenem Zeitpunkt war Europa von der mittelalterlichen Denkweise geprägt. Kirche und Könige teilten sich die Macht. Die katholische Tradition mit ihren Dogmen prägte die Gesellschaft und die Kirche wachte über deren Einhaltung. Die soziale Schichtung wurde als von Gott gegeben hingenommen. Der Mensch lebte eingebunden in einen sozialen Zusammenhang und verstand sich mehr als Teil eines Ganzen denn als autonomes Individuum. Wissenschaftliches Arbeiten im modernen Sinn gab es noch nicht. Gelehrte wie Galileo Galilei (1564–1642), die sich erlaubten, naturwissenschaftliche Überlegungen anzustellen, die mit den Dogmen der Kirche nicht kongruent waren, mussten mit einem Verfahren der Inquisition rechnen. Galilei, der brillante Mathematiker, Physiker und Astronom, erntete für seine bahnbrechenden Theorien Gerichtsverfahren, Hausarrest und ein Lehrverbot. Andere Wissenschafter bezahlten ihre Überzeugungen mit ihrem Leben.

Die Wiederentdeckung antiker Kunst und Wissenschaften führte im 15. und 16. Jahrhundert die Epoche der Renaissance herbei. Es kam zu einer ersten Loslösung von der alles beherrschenden Macht der Kirche. Der Mensch und seine Freiheit sowie seine wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen wurden neu entdeckt und im 19. Jahrhundert mit dem französischen Begriff „Renaissance“ (Wiedergeburt) bedacht.

Die Reformation war nicht zuletzt ein Kind der Renaissance. Martin Luther berief sich auf das individuelle Gewissen des Gläubigen und verteidigte seinen Glauben gegen die Gedankenfestungen der katholischen Kirche. Es war etwas völlig Neues, dass ein gewöhnlicher Mönch sich auf sein Verständnis des Evangeliums berief und bereit war, seine Ansichten gegen den Rest der Welt auch dann durchzusetzen, wenn es ihn Leib und Leben kosten sollte. In Luther erkämpfte sich das autonome Gewissen seinen Platz in der Geschichte.

Wissenschaftlich gesehen führte die Wiederentdeckung antiker Wissenschaften zu einem verstärkten Fragen nach der Natur und dem Ursprung der Dinge. Die Antworten der Kirche vermochten nicht mehr zu befriedigen, zumal sich die Tradition mit neuen wissenschaftlichen Theorien im Streit wiederfand. Die wissenschaftliche Moderne setzte im 17. Jahrhundert ein. Bisher hatten die Gelehrten aller Gattungen im Denkrahmen der kirchlichen Tradition gearbeitet. Mit dem Einsetzen der Renaissance begann man, die Erkenntnisse griechischer Größen wie Aristoteles zu studieren und gedanklich weiterzuentwickeln. Trotzdem setzte die an der autonomen Vernunft und dem Fortschrittsgedanken orientierte Moderne erst im 17. Jahrhundert fassbar ein. Denn erst jetzt kam es zu umwälzenden Veränderungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, welche die Welt des Mittelalters endgültig in die Vergangenheit drängten.

Im 17. Jahrhundert gelang es den europäischen Wissenschaften, sich erstmals über das Niveau des Mittelalters und der Antike zu heben. Eine neue Art wissenschaftlichen Arbeitens und Denkens setzte ein, die sehr bald auch die Theologie nachhaltig erschüttern sollte, welche bis zu jenem Zeitpunkt die Königin der Wissenschaften war. Fassbar wird diese neue Art zu denken und bald auch zu glauben schon früher durch Gestalten wie Nikolaus Kopernikus (1473–1543), der statt des geozentrischen Weltbilds (die Erde im Mittelpunkt), welches die Kirche vertrat, ein heliozentrisches Weltsystem vorschlug (die Sonne im Mittelpunkt), mit den Mitteln seiner Zeit aber noch nicht beweisen konnte. So spricht man mit Recht von der „kopernikanischen Wende“ als Ausdruck für verschiedene „Wenden“, welche die Moderne konstituierten. Johannes Kepler (1571–1630) bestätigte und korrigierte Kopernikus’ Hypothesen. Die Keplerschen Gesetze über die Umlaufbahnen der Planeten haben bis heute Gültigkeit. Galileo Galilei schließlich gelang der überzeugende Beweis des kopernikanischen Modells und der Nachweis, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Dadurch wurde er zum Begründer der modernen Naturwissenschaften. „Das Aufzeigen der Naturgesetze und die grenzenlose Erforschung der Natur, die immer neue Bereiche erfassen sollte, waren jetzt grundgelegt“ (Küng 1999, 762).1

Moderne Wissenschafter wie Francis Bacon (1561–1626) und Isaac Newton (1642–1726) trieben die empirische Forschung voran. Ihrem Verständnis nach sollte die Wissenschaft nicht in erster Linie in theoretischen Erörterungen bestehen. Die Wissenschaft sollte auf Erfahrung und Verstand bauen. Der praktische Versuch, mit dem eine Annahme auf ihre Richtigkeit überprüft wurde, löste das theoretische Denken ab. Wissenschaftlich haltbar konnte in der Folge nur noch sein, was sich durch praktischen Nachvollzug erweisen ließ. Das brachte große Fortschritte in wissenschaftlicher Hinsicht. Damit war aber auch die Methode des auf der Vernunft basierenden Zweifels geboren. Alles, was nicht vernünftig erklärbar war, musste zunächst einmal radikal in Zweifel gezogen werden. Dafür steht der französische Naturwissenschafter und Philosoph René Descartes (1596–1650), der mit seinem berühmten Satz „Ich denke, also bin ich“ die Gewissheit von Gott in den Menschen verlegte. Damit war eine Wende im abendländischen Denken erreicht, denn nunmehr sollte das Faktum der eigenen Existenz zum Fundament aller Gewissheit werden (Küng 1999, 766). Gott war aus dem Zentrum des Kosmos vertrieben worden.

Die neue, an der Vernunft orientierte Denkweise, galt nicht nur für wissenschaftliche Behauptungen, sondern bald auch für das kirchliche Dogma. Die Moderne brachte die Epoche der Aufklärung hervor, die sich des Verstandes als Urteilsinstanz bediente, und bald wurde die Bibel kritisch untersucht und radikal neu interpretiert. Man hatte jetzt nicht mehr wie zweihundert Jahre zuvor das Bedürfnis nach Reformation, sondern nach Aufklärung. Die Aufklärung hatte einen ihrer einflussreichsten Vertreter im deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724–1804), nach dessen Definition die Aufklärung „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ist. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, ist der Wahlspruch der Aufklärung.2 Küng (1999, 780–781) stellt die Frage, gegen wen sich der Wahlspruch der Aufklärung richtete, und antwortet: „Gegen die alles Denken beherrschenden kirchlichen Autoritäten aller Konfessionen, die – wiewohl sie durch Glaubensstreit und Glaubenskriege ihre Glaubwürdigkeit vielfach eingebüßt haben – die Menschen noch immer in unwürdiger Abhängigkeit zu halten versuchen. Deshalb will die ‚Aufklärung‘ (‚enlightenment‘) in einer von kirchlichem Aberglauben und kirchlichen Vorurteilen verfinsterten Welt das Licht der Vernunft verbreiten.“

Der methodische Zweifel zersetzte in einem zweihundert Jahre dauernden Prozess die biblische Botschaft und führte zur Auflösung des traditionellen Glaubensguts. Die entscheidenden Anstöße zur Weltgestaltung kamen zum ersten Mal nicht von der Kirche, sondern von der aus ihrem Machtbereich losgelösten Philosophie und Wissenschaft. Die neue Autorität war die menschliche Vernunft, die sich auf nichts berief als auf sich allein. Plötzlich war nicht mehr klar, was denn nun wahr, vernünftig und tugendhaft sei, und so fanden sich alle traditionellen Autoritäten von Aristoteles über den Papst bis hin zur Bibel „in einer Krise ihrer Legitimation“ (Küng 1999, 773). Diese Krise ist mit der anbrechenden Postmoderne nicht aufgehoben, sondern wird noch verschärft. Die Postmoderne stellt die Identitätskrise der Moderne dar, „deren Ansprüche auf eine umfassende universale Vernunftwahrheit sich nicht eingestellt haben“ (Hille 2000, 27).

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