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Globalisierung

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Die Welt des 21. Jahrhunderts ist die Welt der Globalisierung. Es ist eine Tatsache, dass wir heute global leben. Wir konsumieren Güter des täglichen Bedarfs aus aller Herren Länder und fliegen um die ganze Welt herum für einen Sprachaufenthalt, eine Geschäftsreise oder einen Sommerurlaub. Die Globalisierung macht es uns in den Ländern des Westens möglich, Bedarfsgüter wie Kleider oder Nahrungsmittel günstig zu erwerben. Für die Menschen in den Billiglohnländern ist die Globalisierung hingegen zur Falle geworden. Es ist eine neue Schicht von sklavereiähnlicher Lohnarbeit entstanden, welche die Menschen um Würde und Leben bringt. Es wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, ethisch zu leben ohne die Mechanismen der Globalisierung zu hinterfragen. Denn der Globalisierung liegt ein Todesmechanismus zugrunde, welcher die wenigen zu Gewinnern und die vielen zu Verlierern macht. Zu den Gewinnern gehören Sie und ich, die wir uns günstig ein Paar in Vietnam oder Indonesien produzierte Schuhe kaufen können. Zu den Verlierern gehören die Arbeiterinnen in der asiatischen Textilindustrie, die von ihrer Arbeit kaum leben können und die keine Arbeitsrechte besitzen. Die Verlierer, das sind die Arbeiter in den chinesischen Spielzeugfabriken, die Plüschtiere für den Weihnachtsverkauf und Kinderspielzeuge für McDonald’s herstellen. Es sind auch die Indianer in Peru, deren Boden durch den extensiven Bergbau vergiftet wird, sodass sie ihrer Lebensgrundlage beraubt werden.

Bis in die jüngste Zeit fiel der Ertrag der Globalisierung in Form wirtschaftlicher Gewinne gewöhnlich im Norden an, während das Leid in Form von Ausbeutung von Bodenschätzen und Arbeitskräften im Süden anfiel. Diese Gesetzmäßigkeit hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts an Gültigkeit verloren (Sachs & Santarius 2005, 13ff). Die Verwerfungen der Globalisierung machen sich zunehmend auch im Norden bemerkbar. Schwellenländer wie China und Indien machen den Industrienationen Arbeitsplätze streitig. Politische Flüchtlinge und Wirtschaftsemigranten drängen in die Wohlstandsfestung Europa und bedrohen den sozialen Frieden. Umweltsünden gefährden das Klima – auch zum Schaden des Nordens. Steigt der Meeresspiegel an, wird Europa in wenigen Jahrzehnten von Umweltflüchtlingen überschwemmt. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen in Europa und den Vereinigten Staaten. Die Geister des Wohlstands, des Konsums und des ungebremsten Wachstums, die Europa im Kielwasser von Kolumbus Ausfahrt in die Welt hinaussandte, kehren vagabundierend ins christliche Abendland zurück.

Die Globalisierung ist im Grunde genommen kein neues Phänomen. Sie begann im Mittelalter mit dem Befahren der Weltmeere. Die Welt rückte merklich zusammen. Es wurde möglich, global mit Gütern zu handeln. Einen ersten Höhepunkt erlebte der globale Welthandel in der Zeit des Kolonialismus und im Sklavenhandel. Besonders lukrativ war der sogenannte Dreieckshandel: Von Europa wurden Alkohol und Waffen als Tauschmittel für Sklaven nach Afrika verschifft. In Afrika wurden von lokalen Häuptlingen und weißen Sklavenjägern Sklaven gekauft. Sie wurden in die Karibik verfrachtet, wo sie verkauft und auf den Zuckerrohrplantagen innerhalb weniger Jahre zu Tode geschunden wurden. „Die Karibik war ein Schlachthaus“, stellt Hochschild (2007, 88) in seiner bemerkenswerten Studie über die Sklaverei fest. Von der Karibik wurden Zucker und andere Güter nach Europa verschifft. Dieses magische Dreieck verhalf Europa zu immensem Reichtum.

Im 20. Jahrhundert versetzte das Ende des Kommunismus der Globalisierung einen kräftigen Schub. Mit seinem Abgang war die Idee der staatlich gelenkten Wirtschaft gescheitert. Der Wirtschaftsliberalismus, welcher den schrankenlosen Welthandel predigt, setzte sich durch. In der gleichen Zeit wurde die Globalisierung durch den Faktor Internet beschleunigt. Es erlaubt international tätigen Firmen – sogenannten multinationalen Konzernen – globale Imperien zu schaffen, in denen Gewinne geschickt verschoben werden und billig produziert wird. Durch ihre schiere Größe sind sie zu globalen Playern in der Wirtschaftspolitik aufgestiegen. Es ist eine Machtverschiebung im Gange, weg von den Nationalstaaten hin zu multinationalen Konzernen. Diese kämpfen für Steuersenkungen, Privatisierungen und Deregulierungen und nehmen damit den nationalen Regierungen ihre Machtinstrumente weg (Clarke 2002, 112). Es ist nicht übertrieben, wenn Mander (2002, 9) sagt: „Die wirtschaftliche Globalisierung hat wahrscheinlich die fundamentalste Umstrukturierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf unserem Planeten mindestens seit der Industriellen Revolution zur Folge.“ Die Finanzkrise von 2008 hat gezeigt, wie gefährlich nahe am Abgrund sich der deregulierte Finanzsektor befindet und wie wenig es braucht, dass dieser die Weltwirtschaft in eine globale Depression stürzt.

Was bedeutet es angesichts der Globalisierung, in Gottes geliebter Welt Salz und Licht zu sein?

Unsere globale Lebensweise mit ihren sozialen Verwerfungen verlangt nach einer Neudefinierung des Begriffs „Nächstenliebe“. Die Frage „Wer ist mein Nächster?“ stellt sich angesichts einer global vernetzten Welt anders als in der jüdischrömischen Welt des Neuen Testamentes. Mein Nächster – das ist die Näherin, die in Bangladesh das T-Shirt näht, das ich ab Stange kaufen kann; es ist der Bauer mit seinem Kleinbetrieb in Zentralamerika, der die Kaffeebohnen anbaut, die ich in meiner Kaffeemaschine mahle; es ist die Familie auf den Fidschi-Inseln, die nach einer neuen Heimat sucht, weil der von mir mit verursachte Klimawandel ihr Land überflutet und versalzt.

Das Modell der wirtschaftlichen Globalisierung mit ihrem grenzenlosen Handel ist nicht zukunftsfähig, weil es nicht auf Gerechtigkeit beruht. Ungerechtigkeit aber gebiert Unfrieden. Die Errungenschaften der Moderne im Bereich der Menschenrechte (Religionsfreiheit, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit) müssen konsequent weiter verfolgt werden. Nun ist aber gerade die Globalisierung ein Angriff auf die Menschenrechte und die Menschenwürde. Millionen von Arbeitern in den Billiglohnländern werden ausgebeutet. Das Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit (etwa in der Form des Zusammenschlusses zu Betriebsräten oder Gewerkschaften) wird beschnitten. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Die Finanzkrise hat auf einen Schlag Millionen von Menschen in der Zwei-Drittel-Welt noch ärmer gemacht, weil die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe schnellten – unter anderem wegen spekulativer Geschäfte an den Warenterminbörsen.

Die Kirche sollte die Avantgarde der Gerechtigkeit sein. Denn eine gerechte Verteilung des Wohlstands, die Sicherung von Menschenrechten und eine gerechte Nutzung der ökologischen Ressourcen werden Schlüsselthemen des 21. Jahrhunderts sein. Was die Schaffung von Gerechtigkeit und Freiheit betrifft, hat sich die Kirche in den vergangenen Jahrhunderten keine Auszeichnungen geholt. Sie ist den Menschenrechten, welche die Aufklärung erkämpfte, weit hinterhergehinkt. Meier (2009, 1) gibt zu bedenken:

„Ist Freiheit nicht vor allem ein Wert der Aufklärung, der Leitwert des mit ihr verbündeten Liberalismus? Nur allzu oft füllen auch Theologen das Wort ‚christlich‘ mit Freiheit und Freiheitsrechten wie Glaubens- und Gewissensfreiheit. So geht kollektiv vergessen, dass die Freiheits- und Menschenrechte ihren Ursprung im Humanismus der Aufklärung haben – und sich nicht dank, sondern trotz der Kirche durchsetzen konnten. Noch die Päpste des 19. Jahrhunderts verurteilten Religionsfreiheit, Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung in Bausch und Bogen. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts lehnten die Großkirchen beider Konfessionen die liberalen Menschenrechte ab, weil sie das Freiheitsstreben des Individuums als sündhaftes Streben nach Autonomie, als Rebellion gegen Gott verstanden.“

Meier (2009, 1) weist darauf hin, dass die Kirchen sich erst dann mit den Menschenrechten anfreundeten, als diese bereits anerkannte Grundlage des Rechtsstaates geworden waren. Der Fehler der Kirchen bestehe darin, dass sie die Menschenrechte im christlichen Glauben für angelegt hielten. Dieses Urteil wird noch zu prüfen sein. Wir können aber schon jetzt sagen: Das Evangelium von Jesus Christus ist befreiend. Mit Verweis auf das Evangelium kann man die Verweigerung der Menschenrechte nicht erstreiten, ohne sich in Widerspruch zu dieser Guten Nachricht zu setzen. Der frühe Evangelikalismus – ehe Teile von ihm vom Weltverneinenden Fundamentalismus aufgesogen wurden –, erkannte dies deutlich. Hilborn (2004, 9–35) zeigt auf, dass die Evangelical Alliance von ihrer Gründung im Jahre 1846 an eine soziale Agenda entwickelte und sich insbesondere für Religionsfreiheit einsetzte. Einen ähnlich visionären Blick brauchen die Evangelikalen auf das 21. Jahrhundert, wenn sie Vorkämpfer des Schlüsselthemas „Gerechtigkeit“ sein wollen.

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