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VORWORT ONLY THE LONELY

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Philadelphia

15. Juni 2001

Alle Zutaten seines Triumphes finden sich hier inmitten dieses klebrig süßen Sprühregens aus teurem Champagner. Es ist das Jahr 2001, in seinen Armen hält er die glitzernde Trophäe der National Basketball Association für den Gewinn der Meisterschaft. Ein Preis, den Kobe Bryant so liebt wie keinen anderen, die ultimative Belohnung für alle zwanghaft ehrgeizigen Athleten und Alphatiere, die sich zu diesem amerikanischen Profisport hingezogen fühlen. Über dem Teamlogo ziert der Schriftzug „Champions“ in gelbgoldenen Lettern die brandneue offizielle Los Angeles Lakers-Basketballkappe auf seinem Kopf.

Obwohl es Juni ist und er sich in einem vor Schweiß dampfenden Umkleideraum befindet, trägt er eine mehrfärbige Lederjacke – eine Spezialanfertigung mit Aufnähern jedes einzelnen der unzähligen Titel des L.A. Franchise – um damit zu zeigen, dass auch er sich nun, im zarten Alter von 22 Jahren, seinen Platz unter all den Größen dieses Teams erspielt hatte.

Er hat auch allen Grund, seinen Blick gen Himmel zu richten und zu lachen und diesen einzigartigen Moment zu genießen, den er an keinem anderen Ort als in Philadelphia, seiner Heimatstadt, erlebte. Bryant hatte den Lakers gerade zu einer 15-1 Siegesserie in den Playoffs verholfen und damit zum zweiten Mal hintereinander den NBA-Championship Titel nach L.A. geholt und das mit 4-1 Siegen in der Finalserie über die Philadelphia 76ers und seinen Erzfeind Allen Iverson.

Man bedenke, dass selbst die ehemalige – von Basketballfans geliebte und verehrte – Lakers-Legende Jerry West nur einen einzigen Titel in seiner 14jährigen Profikarriere holen konnte. Und nun stand ein junger Kobe Bryant bereits mit zwei Titeln hier. Mit Höchstgeschwindigkeit auf der Überholspur unterwegs, um seine Träume und Ziele zu erreichen, jeder große Erfolg nur ein vorbeirauschendes Straßenschild. Kobe wurde in einer Familie groß, die tief im Basketballsport verwurzelt war, in einer Familie, die sowohl ihn als auch die hohen Erwartungen an seinen bevorstehenden Erfolg nährte. Seine Mutter, Pam Cox Bryant, verehrte ihn von klein auf, genauso wie sie es schon Jahre zuvor bei ihren basketballspielenden Brüdern getan hatte. Wie eine enge Freundin der Familie einmal anmerkte, erinnerte sie Kobe Bryants Kindheit an eine alte Episode der TV-Serie The Twilight Zone – Unwahrscheinliche Geschichten, die von einem Kind handelte, das so sehr von seiner eigenen Familie verehrt wurde, dass sie jeden Tag seinen Geburtstag feierten. Doch es wurde kein verwöhntes und verhätscheltes Kind aus ihm wie in der Serie. Das Verhalten seiner Eltern hatte das genaue Gegenteil zur Folge und half ihm dabei, seinen Traum von klein auf zu verfolgen. Seit seinem ersten Erscheinen als Teenager auf öffentlicher Bühne im Jahre 1996 stand Bryant als intelligenter junger Mann in der Öffentlichkeit, höflich und formvollendet, allerdings mit einem Selbstvertrauen, das von einer anderen Welt zu stammen schien und eine beinahe abstoßende Wirkung auf viele hatte. Dieser unerschütterliche Glauben an sich selbst gründete sich teilweise auf die Bemühungen seines Vaters, Joe „Jellybean“ Bryant, das Selbstvertrauen seines Sohnes Schritt für Schritt aufzubauen – nachdem seine eigene, vielversprechende NBA-Karriere in den turbulenten 1970er Jahren vor seinen Augen zerbrochen war.

Seit seiner Jugend war Kobe Bryant ausgesprochen dreist, wenn er meinte, er würde einmal der beste Basketballspieler aller Zeiten werden. Jedes Mal begegnete man dieser Aussage mit Kopfschütteln und hochgezogenen Augenbrauen, denn solch ein Traum ist doch lächerlich und könnte niemals in Erfüllung gehen. Doch da ist er nun am Weg zu Ruhm und Reichtum, wie es einst seine Großmutter prophezeit hatte: nämlich, dass es zumindest ein Familienmitglied einmal dazu bringen werde.

Eigentlich sollte er von Freunden, Familie und Spielern seines alten HighschoolChampionshipTeams umringt sein. Kurz zuvor hatten seine Teamkollegen bei den Lakers die feuchtfröhlichen Feierlichkeiten damit begonnen, die hymnischen Textzeilen des Rappers DMX anzustimmen: „Y’all gon’ make me lose my mind, / Up in here, up in here, / Y’all gon’make me go all out, / Up in here, up in here.“ Diese Worte, die etwa so viel bedeuten wie „Ihr bringt mich alle um den Verstand hier drin, ihr bringt mich dazu, mich wie ein Narr zu benehmen“, sind die Versinnbildlichung von Bryants Leben. Doch anstatt groß mitzufeiern, hat er sich still und heimlich zurückgezogen. Er sitzt in einer sterilen Toilettenkabine des Umkleideraums. Das Gesicht in die Hände gestützt, sein Blick auf den Fliesenboden gerichtet, einfach ins Leere starrend. Er ist komplett verloren und allein, überwältigt und hin- und hergerissen von einer Welle an Emotionen, die sich in den Monaten zuvor aufgestaut hatte. Bereits in jungen Jahren bestand Bryants Existenz fast ausschließlich aus dem beinahe unmenschlichen Bestreben, es bis an die Spitze zu schaffen. Millionen von Schulkindern seiner Generation träumten davon, einmal so erfolgreich wie Michael Jordan zu werden, doch nur einer unter diesen Millionen Kindern hatte auch den eisernen Willen und die Motivation, so viel dafür zu tun wie Kobe Bryant. Schon als Teenager fiel er den Leuten bei Adidas auf und sie sagten ihm, dass sie ihn zum nächsten Michael Jordan machen würden. Das passte natürlich wunderbar zu seinen eigenen Plänen und innerhalb weniger Monate hatte er diese Rolle bereits perfekt einstudiert, obwohl er damals erst 17 war. Seine Verwandlung war unglaublich, erinnert sich Sonny Vaccaro, damals Sportmarketing Manager bei Adidas und Königsmacher in der Basketballindustrie.

Doch jetzt, in diesem Moment des großen Triumphs, bestätigte Bryants Gesicht, dass es keinen Preis gibt, den er nicht bereit war zu zahlen, kein Opfer, das er nicht bereit war zu bringen, um der Größte zu werden, der Spieler, der das Spiel dominiert. Erst kurz zuvor hatte er seine Familie diesem Ziel geopfert. Eine Familie, die weithin als Modell für Erfolg und Zusammenhalt bewundert wurde und vor deren Scherben er nun als Resultat seines unbeirrbaren Wunsches steht. Bald darauf würde er sich seines Agenten entledigen, seines Sportschuhausstatters und in naher Zukunft auch seines Trainers, Phil Jackson und seines Co-Stars Shaquille O’Neal. Doch jetzt waren es einmal seine Mutter und sein Vater sowie seine beiden Schwestern, die er ohne Vorwarnung und mit beinahe chirurgischer Präzision aus seinem Leben verbannte. Familienmitglieder erzählten Bekannten von gesperrten Kreditkarten, Autos, die ihnen wieder abgenommen wurden, Jobs die plötzlich gestrichen wurden, von unbeantworteten Anrufen, einer geräumten Familienresidenz und abgebrochenen Beziehungen.

„Es ist eine Tragödie, was da passiert ist“, meint Gary Charles, ein New York AAU-Coach und Freund der Familie. Eine Meinung, die auch von anderen Freunden und Bekannten der Familie immer wieder geäußert wurde. „Nach jedem AAU-Spiel war Kobe sofort zu seinem Vater gelaufen, hatte ihn umarmt und gefragt: ‚Hast du gesehen, was ich da gemacht habe?‘ und Joe antwortete, ‚Ja, klar hab ich das gesehen.‘ In der ganzen Zeit, die ich mit ihnen damals verbrachte, gab es nie einen Moment, in dem er seinen Vater nicht respektierte.“

Doch der riesige Erfolg, der über ihn hereinbrach, der Wunsch nach noch mehr und die unglaublichen Summen an Geld in Bryants Leben als Profibasketballer hatten irgendwie einen Keil in die Familie getrieben, einen Keil, der jeden, der sie näher kannte, überraschte.

In jener Nacht im Spectrum, Philadelphias Basketballarena, ist Chubby Cox, sein Onkel mütterlicherseits, sein einziges engeres Familienmitglied in der Arena. Als Cox und seine Frau abseits der Party und der Medien den jungen Lakers-Star treffen, bricht schließlich alles aus Bryant hervor. „Joe Bryant erzählte mir von dieser Nacht“, erinnert sich Gary Charles. „Als Kobes Onkel und Tante sich mit ihm trafen, umarmte er die beide und brach in Tränen aus. Er weinte und weinte.“

Dieses leise Schluchzen und der Schmerz auf seinem Gesicht an diesem Abend zeigten, wie tief der Verlust seiner Familie und seine Entfremdung von ihnen bei ihm saß. Trotzdem hatte es der entschlossene und willensstarke Jungstar für unumgänglich gehalten, seinen Pfad ohne seine Liebsten weiterzugehen. „Es ist hart, ein Star zu sein“, sagt Mo Howard, ein alter Freund der Bryants. „Es ist traurig, richtig traurig“, meint Anthony Gilbert, ein weiterer Freund aus Philadelphia, der Bryants Leben und Karriere genau verfolgte. „Es ist wie F. Scott Fitzgerald einst sagte: Hinter jedem strahlenden Helden verbirgt sich eine Tragödie.“

Kobe Bryant

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