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ОглавлениеV. Kanarische Inseln
Die Kanaren, ein paar hingekleckste Inseln vor der afrikanischen Küste, galten als die letzten Außenposten der zivilisierten Welt: Wie Gran Canaria und die übrigen Eilande gehörte auch Lanzarote zum Besitz der kastilischen Krone. Aus verschiedenen Gesprächsfetzen und manchen Äußerungen an Bord reimte Rodrigo sich einiges zusammen: Diese Inseln waren erst vor 150 Jahren wiederentdeckt worden, nachdem man sie in der Antike bereits als die „Glückseligen Inseln“ gekannt hatte. Auf diesen Inseln lebte ein wildes Volk von Einheimischen: die Guanchen. Sie wehrten sich teilweise immer noch gegen die Besiedlung durch die Spanier. 1344 vermachte die Krone alle sieben Inseln, La Canaria, Teneriffa, Lanzarote, Fuerteventura, Palma, Gomera und Hierro dem spanischen Edelmann Luis de Cerda. Die richtige Eroberung der Inseln hatte aber erst in den letzten zwanzig Jahren unter Diego de Herrera eingesetzt. La Canaria hielt man seit etwa zehn Jahren für befriedet, auf La Palma wurde noch gekämpft und auf Teneriffa hielten sich die Guanchen bislang gänzlich ungeschlagen; diese Insel galt es zu meiden. Von Ferro, auch Hierro genannt, der westlichsten und noch kaum erforschten Insel, hörte man nur selten. Gomera hingegen war erobert und von spanischen Siedlern bewohnt. In diese wilde Inselwelt fernab des kastilischen Reiches drang die Gallega nun ein. Das Flaggschiff von Admiral Christóbal Colón erreichte damit den südwestlichsten Vorposten des spanischen Königreichs. Nur die Portugiesen mit ihren Siedlungen auf den Azoren waren noch weiter in den Atlantik vorgestoßen.
Ein hoher Seegang an diesen und den nächsten Tagen brachte Rodrigo nun doch noch die gefürchtete Seekrankheit. Elendiglich kotzte er die Schiffsaußenwände hinunter. Für jemanden, dessen Magen sonst alles verdaute, was hineingestopft wurde, eine ungewohnte Schmach. Immerhin: Maestre Juan Sanchez, der mitfahrende Schiffsarzt aus Sevilla, konnte helfen. Er verteilte mit diabolischem Grinsen kleine Stücke von Ingwerwurzeln, die Rodrigo langsam zwischen den Zähnen zerkleinern musste. Er kaute und schluckte ungerührt. Andere hätten erst recht weitergespuckt. Aber Rodrigo ergab sich ganz den Anweisungen des Arztes. Dieser verabreichte außerdem einen Trank aus gekochtem Moos, etwa so schmackhaft wie Weihwasser aus der Georgskirche in Palos. Ein weiteres, immerhin wohlschmeckenderes Rezept bestand aus einen Esslöffel Honig. Zuguterletzt tränkte er einen Leinenlappen mit starkem Schnaps und legte ihn Rodrigo auf den Magen. Obwohl er fest an die Künste des Arztes glaubte, erlebte Rodrigo trotzdem die nächsten zwei Tage in hilfloser Übelkeit und mehr außenbords als auf Deck. Zwei Sitzgestelle hingen, je nach Windrichtung, vorschiffs oder achtern über der Reling. Dort setzte man sich zur Verrichtung seiner Bedürfnisse hinein. Bei starkem Wellengang, so wie jetzt vor den Kanaren, passierte es leicht, dass man dabei bis zum Bauch ins Meerwasser eingetaucht wurde.
In diesen elenden Tagen wäre Rodrigo am liebsten allen anderen an Bord aus dem Weg gegangen. Er ertappte sich dabei, dass er sich zurück in die heimatliche Hütte in Palos sehnte. Dort hätte er sich verkriechen können. Die jüngeren Matrosen fanden ihr gehässiges Vergnügen an seinem Elend. Colóns Kajütpage Pedro de Tereros, der aus unerfindlichen Gründen einen seltsamen Groll gegen Rodrigo hegte, tat sich besonders hervor. Er suchte nach Aufträgen für Rodrigo, mit denen er den Jungen schikanieren konnte, und er machte die anderen höhnisch auf Rodrigo aufmerksam, wenn dieser grünbleich über der Reling hing und mit dem Wind kotzte.
Rodrigo nahm dies alles widerstandslos hin. Er hätte den jämmerlichen Tereros mit Leichtigkeit verprügeln können, obwohl der Admiralspage mindestens zwei Jahre älter war. Aber er unterließ es. Der Admiralspage gehörte eben wegen seiner gehässigen und selbstgefälligen Art nicht unbedingt zu den beliebtesten Besatzungsmitgliedern. Jederman wusste aber, dass er unter dem Schutze des Admirals stand. So durfte er sich seine kleinen Gemeinheiten erlauben, ohne dass einer der älteren Matrosen oder einer der Offiziere eingriff.
Die Schiffe erreichten in schwieriger See nach drei Tagen die Insel Gran Canaria. Als am Mittag des 9. August endlich ein Boot zu Wasser gelassen wurde, damit der Admiral und seine Offiziere an Land gehen konnten, dachte niemand mehr an Rodrigo, der sich irgendwo mit seinem verknoteten Magen elend unter Deck wälzte.
Admiral Colón, Kapitän Juan de La Cosa und Steuermann Peralonso Niño hatten die Absicht, in Las Palmas Ausschau nach einem Ersatzschiff für die ramponierte Pinta zu halten. Es stellte sich aber schnell heraus, dass derzeit auf ganz Gran Canaria kein geeigneter Segler vorhanden war und in absehbarer Zeit auch keiner erwartet wurde. Dafür hieß es, auf der nicht weit entfernten Insel Gomera, die ebenfalls der kastilischen Krone gehörte, werde in den nächsten Tagen ein Schiff aus Sevilla erwartet. Es sollte die Gouverneurin der Insel, die Witwe Doña Beatriz de Bobadilla, zurückbringen, die einige Monate bei Hofe gewesen war. So beschloss Admiral Colón, der die Gouverneurin persönlich kannte, unverzüglich nach Gomera aufzubrechen, um dort jenes für die weitere Fahrt über den Atlantik als Ersatz für die manövrierunfähige Pinta, die immer noch auf dem Meer herumirrte und bisher nicht in den Hafen von Las Palmas eingelaufen war, zu chartern.
Es kam also nicht zu einem Landgang für die Mannschaft. Ungeachtet des schlechten Wetters befahl der Admiral bereits am nächsten Morgen das Auslaufen. Das dritte Schiff der Flotte, die Niña mit ihrem jungen Kapitän Vicente Yanez Pinzon, sollte im Hafen von Las Palmas bleiben und dort auf die Pinta warten. Man beschloss, bei dieser Gelegenheit die Werft zu nutzen und auch die Takelage der Niña von Lateiner auf Rahsegel umzustellen.
In der Hektik dieser Ereignisse vergaßen die Offiziere Rodrigo auf Gran Canaria auszusetzen, wie Colón es eigentlich befohlen hatte. Als die Gallega Richtung Gomera auslief, befand sich der Junge immer noch an Bord.
Inzwischen hatte Rodrigo sich soweit erholt, dass er wieder mit gutem Appetit bei den Mahlzeiten antrat. Als er seine Ration abholen wollte, gewahrte ihn der etwas abseits stehende königliche Notar Escobedo. Mit zwei schnellen Schritten sprang der Schreiber herbei und schlug Rodrigo den Napf aus den Händen: „Ist dieser schmarotzende Bastard immer noch an Bord“, brüllte er so laut, dass alle Umstehenden sich umdrehten. „Wo hast du dich versteckt, als wir in Las Palmas waren?“
„Der Kleine hatte den Koller“, beruhigte mit seiner sanften Stimme Maestre Juan Sanchez, der Schiffsarzt, der gerade in der Nähe stand. Währenddessen sammelte Rodrigo stumm seinen Napf ein. Aber Escobedo tobte mit sich überschlagender Stimme weiter: „Wir füttern den Kerl seit fast zwei Wochen durch. Er faulenzt herum, steht im Wege, ist Ballast, unnützer, fressender Ballast!“
„Beruhigt Euch doch, Señor Escobedo“, sagte Sanchez und legte seine flache Hand auf dessen Arm. Doch der schüttelte ihn wütend ab und packte stattdessen Rodrigo am Kragen, um ihn ein Stück übers Deck zu zerren. Überrascht von der plötzlichen Attacke verlor Rodrigo das Gleichgewicht, stürzte rücklings und hing hilflos in Escobedos Griff. Der gab ihm zwei, drei Fußtritte, in Magen und Unterleib. Das ließ Rodrigo kalt. Prügel hielt er aus. Er krümmte sich und steckte ungerührt die weiteren Hiebe ein, die folgten. Escobedo war in seiner Rage ein schlechter Prügler. Da war der alte Säufer zuhause in Palos ein ganz anderes Kaliber gewesen.
Nach einer Weile – die Matrosen bildeten bereits eine neugierige Traube um den Vorfall, manche feuerten Escobedo sogar an: „Gibs dem kleinen Teufel, zeigs ihm!“ – mischte sich Pedro Gutierrez ein und beschwichtigte seinen Kumpan.
„Es ist gut jetzt“, sagte er und schob seinen stämmigen Körper zwischen den schwer atmenden Escobedo und den zusammengekrümmten Rodrigo. „Lass ihn zufrieden. In Gomera werfen wir ihn von Bord, dann ist die Sache erledigt.“
Escobedo wischte sich die verschwitzten Haarsträhnen aus der Stirn. Er atmete schwer, doch seine Erregung legte sich. Unsicher blickte er in die grinsenden Gesichter der Matrosen. Es ging ihm auf, dass er sich eine ziemliche Blöße gegeben hatte. Er brachte sein herausgerutschtes Hemd in Ordnung, strich sich nervös die Beinkleider glatt und drehte sich einmal im Kreis.
Vorlaut spottete aus dem Kreis der Matrosen heraus der schöne Jakob: „Dem hast du’s aber schwer gegeben. Bravo Escobedo!“
„Bravo, bravo!“, wiederholte auch ein anderer. Vergnügt empfahl jemand: „Ein Hoch auf Escobedo!“
„Elende Bande, Gesindel, Dummköpfe!“, fluchte Escobedo.
Vom Steuerruder herüber brüllte Juan de La Cosa, der den ganzen Vorfall beobachtet hatte, zu den Matrosen: „Hey, ihr Faulpelze. Was gibt’s noch zu gaffen? Macht voran, geht wieder an eure Plätze.“
Um Rodrigo kümmerte sich nur der Schiffsarzt. Er beugte sich kurz hinunter. Aber als er sah, dass Rodrigo behende wieder auf die Beine kam und ungerührt grinste, verlor er seine Besorgnis: „Du hast ein dickes Fell, mein Junge. Alle Achtung!“
Rodrigo mochte die sanfte Art von Juan Sanchez. Das war einer der wenigen Männer an Bord, der ihm Vertrauen einflößte.
„Er kann nicht richtig draufschlagen. Zu viel Wut“, kommentierte der Junge lakonisch und ließ den Schiffsarzt kopfschüttelnd zurück.
Am nächsten Morgen, am Sonntag, 12. August, kam Gomera in Sicht. An Bord begrüßte die Besatzung den Tag mit einem improvisierten Gebet. Da es keinen Priester in der Mannschaft gab, hielten sie keine Messe ab. Martin de Urtubia, der jüngste Schiffsjunge, sprach vor: „Gesegnet sei der Seele Grund, bewahrt vom Herrn zu jeder Stund, gesegnet sei der neue Tag und Gott, der dieses Werk vermag.“ Nach dem Vaterunser und dem Ave Maria ertönte noch einmal die Stimme des Schiffsjungen: „Gott gebe uns gute Tage, gute Reise, gute Fahrt dem Schiff, dem Herrn Kapitän und den Fahrtgenossen. Oh lasst uns eine gute Reise machen, ihr Herren vom Achterschiff und auch ihr Herren vom Vorschiff.“
Die Matrosen verharrten noch einen Moment in andächtiger Haltung, dann spuckte der Erste über die Reling, andere fluchten und scherzten, und bald schwärmte die ganze Mannschaft aus, schnappte sich die aus Weißdorn gebundenen Besen und die Eimer voll Salzwasser, und die Männer begannen das Deck zu schrubben. Auch Rodrigo musste mit anpacken, bis es endlich Frühstück gab: Hartkäse mit Sardinen und Schiffszwieback mit Knoblauch.
Im provisorischen Hafen von San Sebastian, dem einzigen befestigten Ort auf Gomera, lagen nur einige Fischerboote und zwei kleinere Küstenkaravellen. Keine Spur des Schiffes aus Sevilla. Diesmal sorgte Escobedo höchstpersönlich und mit grimmiger Miene dafür, dass Rodrigo schon beim ersten Landgang mitgenommen wurde. Zwei Matrosen, José Pequinos und Jacomo Rico, wurden von ihm beauftragt, auf den Jungen aufzupassen. Sie machten sich auf den Weg zum Gouverneurssitz.
Willig ließ Rodrigo sich von den beiden Matrosen über die Hafenmole führen, schnupperte die salzige Luft, den leichten Fischgeschmack, Teer, Holz und den Staub frisch gehauener Steinbrocken. Ein paar verhärmte Fischer saßen im Schatten der schiefen Hütten und verfolgten die Gruppe mit misstrauischen Blicken.
Admiral Colón und Diego Harana, der Alguacil der Flotte, führten die Abordnung an. Es folgten die Zivilisten Escobedo, Gutierrez und der alte Rodrigo Sanchez de Segovia. Bei Letzterem handelte es sich um einen weiteren königlichen Beamten, einen unscheinbaren und kränklichen älteren Hofschranzen. Die Krone war nie zufrieden. Sie musste in allen Geschäften mehrere Hände haben und überall mit vielen Augen dabei sein, das galt ganz besonders für den Seehandel und für Entdeckungsfahrten. Die Aufgabe des königlichen Inspektors Sanchez de Segovia bestand darin, alle Ausgaben der Fahrt zu überprüfen und im Falle von Einnahmen, besonders beim erhofften Auffinden von Gold und anderem Edelmetall, für das königliche Fünftel zu sorgen.
„Wenn du ausbüchsen willst, wir lassen dich laufen“, flüsterte José Pequinos und nickte mit dem Kopf in Richtung einer Nebengasse, die sich zwischen den schäbigen Hütten auftat. Rodrigo schaute kurz hinüber, schüttelte dann aber den Kopf. Wieso sollte er ausbüchsen? Und wohin?
Vor dem Gouverneurssitz, einem burgähnlichen steinernen Zweckbau, überragt von einem klotzigen, viereckigen Turm, wartete eine bunte Delegation auf die Besucher: Würdenträger der Insel, der Sekretär der Gouverneurin, der Alguacil mit seinen Stadträten, spanische Edelleute vom Mutterland und von der Nachbarinsel Hierro, die gerade zu Gast im Gouverneurspalast waren, sowie einige edle Damen, die als Ehefrauen oder Hofstaat zu den aufgezählten Honoratioren gehörten. Man hatte natürlich das Einlaufen der von Admiral Colón neuerdings in „Santa Maria“ umgetauften Gallega beobachtet und vor allem das königliche Banner gesehen sowie die Admiralsflagge Colóns, ein dunkelgrünes Kreuz auf weißem Feld mit den goldgestickten Initialen F und Y des Königspaares über dem Kreuz. Deshalb hatten sich alle hochstehenden Persönlichkeiten am Gouverneurspalast versammelt, um diesen hohen Besuch gebührend zu empfangen. Zumal Besuch vom Festland immer etwas Besonderes war.
Im Gouverneurspalast angekommen, wurde mit Rodrigo kurzer Prozess gemacht. Man jagte ihn ohne viel Federlesens davon. Ein Sekretär, souffliert vom eifrigen Escobedo, schnappte sich den Jungen und belehrte ihn: „Such dir Arbeit im Hafen oder irgendwo auf den Feldern. Betteln ist verboten. Herumtreiber kommen ins Gefängnis, Diebe werden ausgepeitscht, Mörder und Frauenschänder kommen an den Galgen. Ketzerei und religiöse Irrlehren werden nicht geduldet, Juden sind unerwünscht. Das ist alles. Mach dass du fortkommst!“
Rodrigo beeilte sich, so schnell wie möglich aus der Burg zu verschwinden. Nicht, dass die Herren es sich noch einmal anders überlegten. Er fand, dass er es gut getroffen hatte, wenngleich er es bedauerte, dass die Fahrt auf dem Admiralsschiff für ihn nun vorbei sein sollte.
Die erste Nacht verbrachte er außerhalb des Städtchens in einem Lorbeerhain. Am nächsten Tag fand er einen kastilischen Bauern, der sich in den Kopf gesetzt hatte, auf Gomera Wein anzubauen. Da jetzt im August die Lese beginnen sollte, suchte er Erntehelfer. Rodrigo griff zu, ohne nach Lohn und sonstigen Konditionen zu fragen. Verpflegung und Unterkunft waren jedenfalls gesichert. Es ging in erster Linie ums Überleben.
So kam es, dass Rodrigo auf Gomera Trauben erntete, zusammen mit zwei jungen Guanchen-Burschen und zwei älteren, zahnlosen spanischen Weibern, unter der Aufsicht eines mürrischen Verwalters. Insgesamt quälte er sich klaglos bald zwei Wochen lang in den kargen Weinbergen, in denen mehr Unkraut als Weinreben gedieh. Aber immerhin: Er hatte ein Dach über dem Kopf, musste nicht hungern und man ließ ihn in Frieden.
Am zehnten Tage seines Aufenthaltes, es war der 23. August, verließ die Santa Maria den Hafen. Rodrigo hielt bis dahin zwar jeden Tag Ausschau nach dem Schiff, wagte es aber nicht, noch einmal Kontakt mit der Mannschaft aufzunehmen. Er hatte das Kapitel abgeschlossen. Zwei Tage nach dem Auslaufen von Colón Segler tauchte im Hafen ein weiters Schiff auf: eine große Karavelle von mindestens vierzig Tonneladas. Das war das lange erwartete Schiff der Gouverneurin Beatriz de Bobadilla. Sie war es gewesen, auf deren Ankunft der Admiral die vergangenen Tage vergebens gewartet hatte.
Noch am gleichen Abend erwartete Rodrigo bei der Rückkehr aus den Weinbergen im Hof des Weinbauern ein Abgesandter der Gouverneurin: Kein Geringerer als jener Sekretär, der ihn auf Geheiß Escobedos vor zehn Tagen aus der Burg gejagt hatte.
„Du kommst mit mir, Bursche“, ordnete der Sekretär in einem Tonfall an, der keinen Widerspruch duldete. „Die Gouverneurin will mit dir sprechen. Wasch dir die Hände und die Füße. Beeil dich!“ Nähere Erklärungen gab er keine.
Rodrigo hatte sich Betriz de Bobadilla als ältere, ergraute Witwe vorgestellt. Ihr verstorbener Gatte, so hatte Rodrigo beim Weinbauern erfahren, war Graf Hernan Perazza gewesen, ein älterer Hidalgo, der führend an den Feldzügen gegen die Guanchen beteiligt gewesen war. Sein Hinscheiden kurz nach der Vermählung mit der aus dem königlichen Hofstaat rekrutierten Doña Beatriz war in adligen Kreisen nicht ganz ohne Fragezeichen geblieben und bildete einige Monate den Mittelpunkt des Hofklatsches. Man munkelte, sie habe ihn vergiftet. Doch Gomera lag fernab vom Mutterland und Untersuchungen unterblieben.
Die Überraschung für Rodrigo war nicht gering, als er sich jetzt plötzlich einer wunderschönen jungen Frau gegenüber sah. Doña Beatriz de Bobadilla besaß eine schlanke Gestalt, zählte gerade dreißig Jahre, verfügte über eine aufreizend weibliche Ausstrahlung, die sie vor allem mit den magischen Blicken ihrer geheimnisvollen grünblauen Augen erzielte. Diese kühlen Augen saßen wie unergründliche Bergseen in einem fein geschnittenen Gesicht, das von pechschwarzem, glattem Haar umrahmt wurde.
Rodrigo stand zwar noch als ein halbwüchsiger Junge vor ihr, ein knapp dreizehnjähriger Knabe, aber doch nicht mehr weit entfernt von der Empfänglichkeit erwachsener Männer für solche Reize. So blieb es nicht aus, dass diese Frau ihn, auf bisher ungekannte Weise beeindruckte. Um genau zu sein: Doña Beatriz eroberte ihn im Sturm.
Die Gouverneurin ruhte in einem bequemen Lehnstuhl, die Röcke um sich drapiert wie auf einem Gemälde, und Rodrigo, der in seinen Lumpen in gebührendem Abstand brav vor ihr Aufstellung genommen hatte, genoss unvermeidlich beste Einblicke in das raffinierte Dekolleté der Gräfin. Seinen aufgeregten Augen bot sich ein strammer, runder Busen mitsamt rosig aufgestellten Brustwarzen, so dass Rodrigo gar nicht anders konnte, als wie magnetisiert auf diese überraschend dargebotenen Früchte zu stieren. Sein schier ins Blöde gehender Blick entging der Gräfin freilich nicht, doch sie duldete die Beschau ohne Anzeichen von Verlegenheit. Sie lächelte vielsagend: „Ich habe dich holen lassen, weil ich dich zu Admiral Colón etwas befragen will“, sagte sie mit gurrender Stimme. Rodrigos Blick verglaste noch mehr und nahm noch mehr den debilen Ausdruck eines Idioten an.
Die Gouverneurin lächelte.
„Der Admiral ist ein guter Freund von mir, ein sehr guter, alter Freund. Ich habe ihn lange nicht gesehen, und bedaure sehr, dass wir uns verfehlt haben. Darum erfreuen mich umso mehr alle Nachrichten über ihn. Man sagte mir, Schiffsjunge, du seiest mit ihm und seiner Mannschaft von Palos gekommen. Erzähl von Palos. Was hat der Admiral dort gemacht, wo hat er gewohnt, mit wem hatte er zu tun?“
Wie hätte Rodrigo ahnen sollen, was diese Fragen sollten? Er, der von den familiären Verhältnissen des Admirals und von dessen Umgang in Palos herzlich wenig wusste, druckste herum, den Blick weiterhin stur auf Doña Beatriz’ Dekolleté gerichtet. Wenn die Gräfin sprach, hoben und senkten sich beim Atmen ihre Brüste. Rodrigo saugte den Anblick der schneeweisen, von feinen Äderchen marmorierten Kugeln verzückt in sich auf.
Die Gräfin stellte weitere Fragen: Wie es dem Admiral gehe, wie er aussehe, wie er sich kleide, welches sein Tagesablauf auf der Santa Maria gewesen sei. Rodrigo antwortete mechanisch und einsilbig wie in Trance, nicht imstande, vernünftig und zusammenhängend Auskunft zu geben. Trotzdem war die Gräfin mit seinen Antworten wohl durchaus zufrieden. Nach wie vor nahm sie seine hingebungsvollen Blicke ungerührt hin. Schließlich, als sie das Objekt ihrer Neugierde von allen Seiten mit Fragen eingekreist hatte, drang sie zum eigentlichen Kern ihres weiblichen Interesses vor: „Hat der Admiral denn in Palos keine Frau an seiner Seite gehabt? Hat ihn nicht manchmal eine Frau begleitet?“
Rodrigo schüttelte den Kopf. Frauen gab es nicht in der Gesellschaft Colóns. Jedenfalls nicht in Palos. Da war sich Rodrigo ganz sicher.
Gräfin Beatriz de Bobadilla lächelte zufrieden und lehnte sich zurück. Ihr Busen sank dabei, sehr zum Bedauern Rodrigos, zurück in die Körbchen ihres Korsetts. Eine Weile noch setzte die Gouverneurin ihre Befragung mit Belanglosigkeiten fort, aber ihr Wissensdurst war in den entscheidenden Punkten gestillt. Plötzlich stand sie abrupt auf – Rodrigo sah die vollen Brüste auf sich zukommen – und schritt dann mit rauschenden Kleidern an Rodrigo vorbei zur Tür.
„Es ist gut“, rief sie ihm noch zu. „Du erhältst eine Belohnung. Jetzt kannst du gehen.“ Zurück blieb nur der süße Duft ihres Parfüms, dem Rodrigo versonnen nachschnupperte.
Betäubt wankte der Knabe zu seinem Quartier beim Weinbauern. Märchenhaftes war ihm widerfahren; er hatte noch nicht in die Wirklichkeit zurückgefunden.
In dieser Nacht lag Rodrigo lange wach, träumte von der Gräfin, von ihren Brüsten, ihren zarten, feingliedrigen Händen, ihrem schlanken Hals, den runden Schultern, ihrem Alabastergesicht, ihren blaugrünen Edelsteinaugen. Er berührte in seiner Fantasie ihre knospenden Brustwarzen, küsste die Gouverneurin und wurde geküsst. Sein Glied schwoll an und pochte unter der Strohmatte, unter der er sich zusammengerollt hatte. Rodrigo nahm seine Hand zu Hilfe, um dieses erstmalige Gefühl von Erregung auszukosten. Ein warmer, klebriger Erguss spritze auf seine Finger. Rodrigo stöhnte wohlig entspannt und gleichzeitig entsetzt. Nur einigermaßen wusste er, was ihm da widerfahren war. Dieses Erlebnis in seiner intensiven Neuartigkeit erschütterte ihn. Und doch sollte es sich in den nächsten Nächten wiederholen.
Ein paar Tage später, der Kalender zeigte den 2. September, erlebte Rodrigo, als er am Abend aus den Weinbergen heimkehrte, eine große Überraschung. Eigentlich hatte er sich damit abgefunden, die Santa Maria nie mehr wiederzusehen. Doch im Hafen lagen plötzlich die drei Schiffe, die Santa Maria, die Niña und die Pinta.
Im Hafenstädtchen San Sebastian wurde die Rückkehr der kleinen Flotte sofort zum Gesprächsthema Nummer eins. Sammelten die Schiffe sich zu ihrem letzten Stop vor dem großen Sprung über den Ozean? Jedermann in San Sebastian wusste vom abenteuerlichen Ziel der Fahrt, überall schossen Spekulationen über ihren Ausgang ins Kraut. Die Mannschaften hatten noch einmal Landgang bekommen, und so machten bald Gerüchte die Runde. Die Flotte sei vor Anker gegangen, um nochmals Vorräte zu fassen und das Trinkwasser zu erneuern – eine Version. Der Admiral habe von der Rückkehr der Governeurin erfahren und wolle sich eine Begegnung nicht entgehen lassen – eine andere.
Alle Nachrichten, die vom Hafen bis zum Weinbauern und seinem Gesinde drangen, saugte Rodrigo begierig auf. Vor allem diese: Admiral Colón hatte sich im Gouverneurspalast bei der Gräfin einquartiert.
Als Rodrigo in der nächsten Nacht voller Neugierde zur Burg schlich, fand er das Gebäude hell erleuchtet vor. Die Klänge von Trommeln und Gitarren, Flöten, Geigen und Stimmengewirr zeigten an, dass ein Fest im Gange war. Die fröhlichen Laute drangen aus dem Inneren der Burgmauern ins Freie und übertönten das Gezirpe der Grillen.
Rodrigo hockte im Schutz der Dunkelheit unter einem Palmenbaum und beobachtete die Schatten an den Fensteröffnungen. Konnte er jemanden erkennen? In jeder Gestalt, die vorbeihuschte, meinte er, die Konturen der Gräfin zu erkennen. Hirngespinste! Einmal hörte er klar und deutlich die scharfe, schon etwas angeheiterte Stimme von Juan de La Cosa heraus. Dann das krächzende Lachen von Escobedo.
Geduldig blieb Rodrigo an seinem Platz sitzen, beobachtete die Schemen hinter den Fenstern, lauschte den Klängen, sog den Duft der Nacht ein, dachte an Gräfin Bobadilla und fingerte an sich herum.
Endlich, weit nach Mitternacht, erloschen in der Burg die letzten Lichter. In Gruppen oder zu Paaren verließen die letzten Gäste die Festung und wankten Richtung Hafen zu den Schiffen oder nach Hause in ihre Palazzi in San Sebastian. Unten stand ein hölzernes Tor der Burg sperrangelweit offen, keine Wachen weit und breit. Ohne zu überlegen huschte Rodrigo in den Schatten der Burgmauer und schlüpfte hindurch.
Er überquerte den kleinen Innenhof, fand den Eingang zum Haupthaus und tastete sich dort einige Treppen hinauf ins Obergeschoss, schlich auf leisen Sohlen über Steinfußböden, an Türen vorbei, den Gang entlang. Instinktiv schlug er den Weg ein, den er von seinem Besuch bei der Gräfin kannte.
Ein schwacher Lichtschein lockte ihn zu einer Tür, die leicht offen stand. Rodrigo spähte hinein, erkannte im schummrigen Dunkel jedoch nur schemenhaftes Mobiliar. Er drückte die Tür weiter auf, erschrak über das leichte Knarren der Scharniere, ging aber weiter. Das Licht flackerte in einer fast abgebrannten Öllampe, die auf einem kleinen Tisch in einer Ecke des Raumes gegen das Verlöschen ankämpfte. Ein leichter Duft nach Rosenholz und Mandelöl durchzog die Gemächer. Die Flämmchen warfen bizarre Schatten an die Wand. Aus dem Nachbarraum drang leises Stöhnen.
Wer als Sohn einer Hafenhure aufgewachsen war, der brauchte für diese Art von Lauten keine Erklärung.
Wie in Trance schlich Rodrigo durch die offene Tür in den dunklen Nachbarraum hinein. Durch die Fenster warf der Mond fahles Licht an die holzgetäfelte Wand. Rodrigo huschte blitzschnell hinter eine große, altarartige Spiegelwand – und lauschte.
Das Stöhnen steigerte sich in rhythmischen Kaskaden, dazwischen mischten sich grunzende Männerlaute, geflüsterte Worte, das Rascheln von Bettzeug, Geräusche von reibenden Körpern, Haut auf Haut. Rodrigo kannte auch den Geruch nach Schweiß. Was ihn zu Hause abgestoßen hatte, hier zog es ihn an. Er wagte einen Blick durch die Scharnierritzen des Spiegelflügels. Das helle Mondlicht beleuchtete die Szene.
Christóbal Colón, der Admiral der Weltmeere, splitternackt, unter sich der sich windende nackte Leib von Doña Beatriz de Bobadilla. Beide Körper rangen, fest ineinander verwickelt, miteinander, zuckend, gurrend, ekstatische Laute ausstoßend. Colón vergrub seinen Kopf im dichten schwarzen Haarschopf der Gräfin, sie krallte ihre Finger in seinen starken, schlanken Rücken. Ihre weichen Schenkel umklammerten seine Hüften.
Dieses Bild zweier zuckender Leiber, die zarten Glieder der Gräfin lustvoll in der Klammer ihres Liebhabers, packte Rodrigo dermaßen, dass er jede Vorsicht vergaß. Aufgeregt lehnte er sich gegen die Spiegelwand, um durch die Ritzen noch mehr zu erspähen. Die Spiegelwand geriet ins Wanken, der linke Flügel kippte nach vorne weg. Rodrigo besaß zu wenig Kraft, um das Monstrum zu halten. Der mannshohe und schrankbreite Kasten kippte vornüber und krachte mit donnerndem Getöse auf den Zimmerboden. Die kostbaren Spiegel splitterten in tausend Einzelteile.
Rodrigo stand mitten drin im Scherbenhaufen, zu benommen und zu erschrocken, um die Flucht zu ergreifen. Die beiden Liebenden unter dem Baldachindach des großen Himmelbettes fuhren auseinander. Colón sprang reaktionsschnell aus dem Bett und zückte kampfentschlossen seinen Degen, den er daneben abgelegt hatte. Doña Beatriz de Bobadilla entfuhr ein spitzer Schrei. Dann zog sie sich die Bettücher bis ans Kinn und verfolgte mit weit aufgerissenen Augen, was weiter geschah.
Christóbal Colón erfasste schnell die Situation. Splitternackt stand er breitbeinig im Raum, das fahlblonde Haar wirr in Strähnen, ein grimmiger Blick auf Rodrigo gerichtet, den nackten Körper angespannt leicht nach vorne gebeugt. Als er den kleinen Rodrigo in den Scherben stehen sah, zu Tode erschrocken, mit entsetzt geweiteten Augen und nahezu erstarrt, entspannte sich seine Haltung etwas. Er senkte den Degen und brüllte voller Wut: „Räudiger, kleiner Bastard, was fällt dir ein?“ Wie mit einer Peitsche schlug er mit seinem Degen Rodrigo zweimal gegen den Oberkörper. Zwei schmerzhafte Schläge. Rodrigo schielte kurz zur Tür. Sein Fluchtweg. Doch Colón war auf der Hut. Er bemerkte den Blick und verstellte ihm mit zwei schnellen Schritten den Fluchtweg.
„Geh da hinüber“, kommandierte er, versetzte Rodrigo noch einmal einen Striemen auf die Hinterbacken und scheuchte ihn mit seinem Degen durch den Raum. Er deutete auf die Tür eines Wandschranks. „Da hinein!“ Rodrigo kletterte in den großen Schrank – zwischen die üppige Garderobe der Gouverneurin, raschelnde Stoffe und süße Düfte umhüllten ihn. Colón schlug die Schranktür hinter ihm zu und verriegelte von außen.
Rodrigo hörte die Stimme des zornigen Admirals und dazwischen die nicht minder aufgebrachte Gräfin: „Das ist Euer Schiffsjunge, Colón!“
„Ich weiß, wer das ist. Ein Bastard aus Palos. Eine Mücke, ein Schmarotzer. Wie kommt der in Eure Burg?“
„Das ist mir vollkommen egal. Er hat uns gesehen, in eindeutiger Situation. Wer weiß, wie lange er da schon gestanden hat. Die Schande! Ich ertrage es nicht.“
„Beruhigt Euch, Beatriz, Herrin. Was soll ich sagen? Ich bin kompromittiert, viel mehr als Ihr. Wenn Spanien erfährt, was hier zwischen uns beiden geschehen ist ... Ich darf nicht daran denken. Alle meine Privilegien ... Ich habe einen Ruf zu verlieren, meine ganze Mission gerät in Gefahr, der Seeweg nach Indien ...“
„Eure Mission, Eure Mission ... Was ist das schon?“, unterbrach wütend die Gräfin. „Bei mir steht mein gesellschaftlicher Rang auf dem Spiel, vielleicht gar meine Existenz. Vom Hofe wurde ich auf diesen Gouverneursposten verbannt, das wisst Ihr so gut wie ich. Wegen meiner Affären mit Ferdinand. Noch eine solche, und gerade mit Euch, Colón, dem Liebling der Königin, und Isabella lässt mich endgültig fallen.“ Doña Beatriz zischte: „Die Königin ist eifersüchtig! Sie wartet nur auf eine solche Gelegenheit.“
„Euch wird nichts geschehen. Ihr seid Witwe und frei. Aber ich stehe in Diensten der Krone und wie Ihr wisst bin ich durch mein Wort auch noch an eine andere Frau gebunden. Mein Wort, meine Ehre, mein Ruf, alles steht auf dem Spiel.“
Die Stimme der Gräfin klang erregt, fast hysterisch: „Ihr verschwindet für Monate, ja vielleicht für Jahre auf dem Ozean. Was soll da auf dem Spiel stehen, was soll Euch geschehen? Ich bin es, die es büßen muss! Wenn dieser Kerl auch nur ein Wort erzählt, von dem, was er hier gesehen hat ...“
„Er darf es nicht erzählen“, unterbrach Colón barsch und bestimmt.
„Dann hängt ihn auf oder nehmt ihn mit auf Euer verdammtes Schiff und lasst ihn nie mehr nach Spanien zurückkehren, am besten bis an sein Lebensende. Oh, dieser wilde, unverschämte Kerl, ich hasse ihn! Ich hasse ihn!“ Die Gräfin brach in Tränen aus.
Es trat eine kurze Pause ein. Die beiden flüsterten. Rodrigo verstand nicht mehr jedes Wort. Colón öffnete den Schrank und zerrte den Jungen heraus: „Du wirst zu keinem darüber sprechen, was du hier gesehen hast“, drohte der Admiral und verstärkte noch einmal seinen Griff in Rodrigos Nacken. Colón zwang ihn, den Kopf zu heben und aufzuschauen. „Hast du mich verstanden, Groumette?“
Rodrigo nickte stumm.
„Zu keinem ein Wort!“
Noch einmal nickte Rodrigo. Er spürte die Unsicherheit und die Zweifel des Admirals, besonders als dieser hinzufügte: „Es könnte sein, dass du wieder auf die Santa Maria kommst. Das willst du doch?“
Wieder nickte Rodrigo. Hoffentlich sah man ihm die Freude darüber nicht an. Die Dinge fügten sich zu seinen Gunsten.
Für den Rest der Nacht sperrte die Palastwache Rodrigo in ein kerkerähnliches Gewölbe. Dort überfiel ihn ein süßer Traum:
Isabella sitzt in ihrem Garten im Korbstuhl, Rodrigo ihr zu Füßen. Er hält ihre Hand. Sie lächelt das Lachen von Doña Beatriz. Sie schaut mit diesen Augen, grünblauen Augen. Verführerisch locken sie: Komm! Küss mich, Rodrigo! Rodrigo zieht Isabella an sich, spürt ihren warmen Körper. Zarte Knospen heben sich ihm entgegen. „Sei mein Geliebter, mein Hidalgo. Entdecke für mich unbekannte Inseln, Rodrigo, erobere fremde Länder, werde reich und berühmt, und ich werde deine Frau.“ Süße Verheißungen.
„Du bist schön und stark, Rodrigo. Die Königin bewundert dich, ich bewundere dich. Ganz Spanien blickt zu dir auf.“
Rodrigo zieht Isabella an sich. Er hat starke Arme und Schultern, ein kühnes Gesicht mit kalten, wasserblauen Augen, fahlblondes Haar. Er sieht aus wie Admiral Colón.
Die kleine Isabella Pinzon in der Gestalt von Doña Beatriz de Bobadilla zieht Rodrigo zu sich runter. Sie sinken auf ein Bett unter einem großen Baldachin. Es duftet nach Rosenblüten und nach Mandelholz. Sie lieben sich.
Drei Tage und Nächte blieb Rodrigo eingesperrt. Dann holte Colón Rodrigo aus dem Kerker: „Du kommst wieder auf die Santa Maria. Ein Schiffsjunge mehr kann uns nicht schaden“, lautete die knappe Begrüßung. Rodrigo frohlockte.
„Das setzt aber in einem Punkt vollkommene Klarheit voraus, Bursche: Was im Gouverneurspalast geschehen ist, erfährt niemand!“ Dies war unmissverständlich. „Wenn je ein Wort nach draußen dringen sollte ...“ Stumm marschierten sie gemeinsam den kurzen Weg von der Burg zum Hafen. Colón voraus, Rodrigo einen halben Schritt hintendran. Nach kurzer Pause fügte Colón an: „Sag, dass du das verstanden hast, Groumette, und dass du das einhalten wirst.“
„Ich habe verstanden“, erklärte Rodrigo eilfertig. „Ich werde mich daran halten.“
Tief und glücklich zog er die erfrischende Meeresluft ein. Er besaß nun ein mächtiges Faustpfand. Wenn Admiral Colón einmal derartige Zugeständnisse machte, so würde er es auch in Zukunft tun. Alles hing nur von seinem klugen Wohlverhalten ab. Rodrigo erkannte augenblicklich seinen Vorteil klar und deutlich: sein Schweigen gegen die Protektion des Admirals.
„Morgen früh stechen wir in See.“ Das ohnehin karge Gespräch war beendet.
Als Rodrigo mit dem Admiral das Schiff betrat, machte die Mannschaft große Augen. Damit hatte niemand gerechnet. Am wenigsten Rodrigo de Escobedo. Die zornesroten glühenden Augen des Notars funkelten Rodrigo entgegen. Er senkte den Kopf, als er an seinem Feind vorbeiging. Ihm war klar, dass Escobedo seine kürzliche Niederlage nicht auf sich beruhen lassen würde.