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Der germanische Held

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Dieser Versuch, Jesus für eine bestimmte Weltanschauung zu gewinnen, gehört ebenfalls in das 20. Jahrhundert. Der Sieg der biologischen Weltanschauung, die Lehre von dem Überlebensrecht des Stärkeren, hatte mit dazu beigetragen, dass Menschen unter dem Gesichtspunkt der Rasse und Volkszugehörigkeit angesehen wurden. Dann war es nur noch ein Schritt, bis ein Volk als grundsätzlich überlegen, als Herrenmenschen, und ein anderes als unterlegene Rasse, als Untermenschen bezeichnet werden konnte. Für die sogenannte „Deutsche Glaubensbewegung“, eine heidnisch-christliche Mischreligion, die ihr Gedankengut unter starker Anlehnung an nationalsozialistische Vorstellungen und den Rückgriff auf heidnisch-germanische Sagen gebildet hatte, und später auch für Teile der Bewegung der sogenannten „Deutschen Christen“ im nationalsozialistischen Staat war es unerträglich, an einen jüdischen, dunkelhäutigen und schwarzhaarigen Jesus zu glauben. Jesus musste neu modelliert werden, umgestaltet in das Bild eines blonden, hünenhaften germanischen Recken, der als ethisch hochstehender Muskelmann Vorbild für den neuen Deutschen sein konnte. Das Alte Testament wurde als jüdisch und undeutsch abgetan. Jesus wurde eingedeutscht. Er konnte nun Vorbild für den freien germanischen Mann sein, der auszieht, um neuen Lebensraum für sein Volk zu erobern.

Welche gedankliche Akrobatik zu einer solchen Umformung der biblischen Dokumente gehört, ist für uns heute kaum noch nachvollziehbar. Aber die Sache selbst geschieht immer neu: Jesus wird dem jeweiligen Geschmack angepasst.

Nun ist auch in dieser Jesusdeutung eine Wahrheit enthalten. Denn Jesus und seine Botschaft sind für jede Kultur relevant. Und jede Kultur, wie jeder einzelne Mensch, wird Jesus von einer bestimmten Seite her ansehen. Und das Gefühl gewinnen, dass Jesus ganz zu ihm steht, ganz auf seine Seite tritt. Das wird vor allem in künstlerischen Jesusdarstellungen deutlich. In verschiedenen Kontinenten wird in der Kunst Jesus als einer gemalt und dargestellt, der ganz zu ihnen gehört. So gibt es den schwarzen Jesus, den indonesischen Jesus und den indianischen Jesus. Jesus wird von der jeweiligen Kultur ganz angenommen und integriert. Und das ist gut so, denn hier zeigt sich die universelle Bedeutung von Jesus. Er hat in sich die Kraft, Menschen jeder Kultur anzusprechen und für sich zu gewinnen. Dennoch gibt es eine feine Trennlinie: Keines dieser auf eine bestimmte Kultur zugeschnittenen Bilder von Jesus darf absolut gesetzt werden. Jedes ist nur eine Interpretation, das in die bestimmte Situation hineinspricht. Und jedes muss sich immer wieder an den historischen Dokumenten, wie sie uns im Neuen Testament vorliegen, überprüfen und korrigieren lassen. Denn Jesus ist eben letztlich doch nicht ein germanischer, afrikanischer oder asiatischer Jesus.

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