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II. Alltag und Einsatz von Frauen in den letzten Kriegsmonaten

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Eigentlich sollte die deutsche Frau nach der Ideologie der Nationalsozialisten einen umsorgten Platz als Hausfrau und Mutter in Heim und Familie haben. Doch als Hitlers Reich im Krieg stand, ging man von dieser Vorstellung Schritt für Schritt ab. Schließlich stellte der Diktator am 2. März 1945 – als sich die militärische Niederlage bereits abzeichnete – unverhohlen fest, auch Frauen müssten für den Waffendienst genommen werden, um dadurch eine neue Front aufbauen zu können. Nun war ihm dieser früher abgelehnte Gedanke „völlig gleichgültig“; er erklärte: „Es melden sich jetzt so viele Weiber, die schießen wollen, daß ich auf dem Standpunkt stehe: auch die muß man sofort nehmen.“1 Diese Einstellung hätte man sich zuvor niemals träumen lassen: Bewaffnete Frauen und Mädchen sollten als letztes Aufgebot das „Tausendjährige“ Reich, das bereits nach zwölf Jahren am Abgrund stand, verteidigen.

Kampf und Waffendienst galten nun einmal als Männersache in Deutschland, auch schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Die NS-Bewegung hatte sich von Anfang an als Männerbund verstanden. Konservativ und rückwärts gewandt, beharrte sie auf einem Rollenverständnis, das von der Vorherrschaft des Mannes ausging und den weiblichen Lebensbereich auf Familie, Kinder und Haushalt eingrenzte. Schon bei der ersten Mitgliederversammlung der Partei im Jahre 1921 wurde beschlossen, dass Frauen in der NSDAP keine Führungspositionen einnehmen durften.2 Ferner wurde in Artikel 21 des 25 Punkte umfassenden Parteiprogramms der Mutterschutz als Hauptziel künftiger NS-Sozial- und Familienpolitik betont.3

Viele Frauen hatten diese politische Entmündigung und die entwürdigende Reduzierung ihrer Persönlichkeit auf die biologische Funktion keineswegs als bedrückend empfunden. Sie schwärmten für den „Führer“ Adolf Hitler, der als Idol der Massen ängstlich jeden Einblick in sein Privatleben vermied. Dankbar empfanden die Frauen die umfassenden sozialpolitischen Maßnahmen des Regimes zur Förderung von Ehe, Mutterschaft und Hausfrauentätigkeit.4 Sie übersahen dabei zumeist die Kehrseite der Medaille: Eheverbote nach dem „Blutschutzgesetz“, Sterilisierung angeblich minderwertiger Frauen, sittliche Entgleisungen der SS bei der Züchtung „rassisch wertvollen“ Nachwuchses, die bis zum Kindesraub in den eroberten Ländern führten, und die verbrecherische Vernichtungspolitik gegen Millionen rassisch unerwünschter Menschen im deutschen Machtbereich während des Zweiten Weltkrieges – in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Viele wussten davon oder ahnten doch zumindest das Ausmaß dieser Verbrechen, von denen die Männer auf „Heimaturlaub“ während des Krieges unter dem Druck schwerer seelischer Belastung oder nur in Andeutungen berichteten, sofern sie Augenzeugen dieser verbrecherischen Aktionen geworden waren.

Die „Ritterlichkeit“, mit der die Nationalsozialisten gern ihr Verhältnis zur deutschen, „arischen“ Frau umschrieben, demaskierte sich gegenüber den Frauen in den eroberten Gebieten, den Fremdarbeiterinnen im Reich, weiblichen KZ-Insassen und jüdischen Frauen rasch in voller Brutalität. Neben Sklavenarbeit und „Vernichtung durch Arbeit“ umfasste das entsetzliche Spektrum eine Vielzahl anderer verbrecherischer Maßnahmen: Heranziehung als lebendes Objekt für medizinische Versuche, Folter, Erhängen, Erschießen und Vergasen. Hier kehrten der Rassismus und die biologistische Denkweise der Nationalsozialisten seine menschenverachtenden, barbarischen Grundlagen bis zur letzten Konsequenz hervor.

Die Frauen der deutschen „Volksgemeinschaft“ wurden dagegen auch während des Krieges mit ungewöhnlicher „Schonung“ behandelt. Während z. B. in Großbritannien und der Sowjetunion Frauen in den Produktionsprozess eingespannt wurden – ähnlich wie in Deutschland während des Ersten Weltkrieges –, verzichtete die NS-Führung darauf, das Potenzial von etwa fünf Millionen zusätzlicher weiblicher Arbeitskräften nutzbar zu machen. Neben der Rücksicht auf die Stimmung an der „Heimatfront“ war es vor allem die Sorge um die Gebärfreudigkeit der deutschen Frauen, die für die Besiedlung des „Großgermanischen Reiches“ nach dem „Endsieg“ benötigt wurde.

Appelle zum freiwilligen Arbeitseinsatz blieben ohne große Resonanz, wie der folgende Auszug aus dem Nachrichtendienst der Reichsfrauenführung zeigt:

Wir bekommen zum Einsatz immer nur die, die wissen, was arbeiten heißt. Wir bekommen auch die sogenannten oberen Zehntausend, vor allem Offiziersfrauen und Menschen, die man beim Ehrgefühl packen kann. Wir können gar nicht bekommen eine gewisse obere Mittelschicht. Frauen, die es früher gar nicht allzu gut gehabt, die nicht allzu viel gelernt haben, sich aber dann gut verheirateten, und nun auf ihrem guten bürgerlichen Glück sitzen und sich bei jedem Aufruf auch zum allereinfachsten Einsatz schwerhörig stellen. Es sind Menschen, die nach dem alten egoistischen Grundsatz leben: Jetzt haben wir uns das erarbeitet, jetzt sorgen wir erst einmal für uns, nach ein paar Jahren können wir uns ein Kind zulegen und dann vielleicht noch mal eins. Das wird so ineinandergerechnet, wie es am besten paßt. Da wird der Küchenschrank mit dem zweiten Kind verkoppelt und der Toilettenspiegel oder Radioapparat mit dem dritten Kind. Diese Menschen sind schwer für eine selbstlose und für die Gemeinschaft nützliche Idee zu gewinnen.5

Hitler sorgte dann dafür, dass der Platz der deutschen Frauen in den Rüstungsfabriken von rund zehn Millionen Kriegsgefangenen und ausländischen Zwangarbeitern eingenommen wurde. Hunderttausende ukrainischer Mädchen wurden ins Reich geholt, um in deutschen Haushalten auszuhelfen. So hatten dann viele deutsche Frauen teil am „Herrenmenschentum“ und doch war die NS-Reichsfrauenführung besorgt um die weibliche „Konkurrenz“ der Ostarbeiterinnen. Das russische Mädchen „wirke erfahrungsgemäß auf den deutschen Mann so anziehend und verlockend, dass sogar schon zahlreiche Parteigenossen eine Eheschließung mit Russinnen oder Ukrainerinnen in Erwägung gezogen hätten. [. . .] Wo bliebe bei alledem die deutsche Frau und das deutsche Mädchen, die angesichts der gewaltigen Verluste an jungen Männern im gegenwärtigen Kriege nicht auf ihre Rechnung kommen könnten!“ Das einzige Mittel dagegen sei, die Ostarbeiterinnen zu diffamieren und sie, „wenn man sie überhaupt aus dem Hause lasse, so schmutzig und ungepflegt herumlaufen zu lassen, daß sie einem deutschen Mann nicht gefährlich werden könne“.6 Diese Forderungen wurden von der Nazi-Führung erfüllt.

1945

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