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Die Eskalation zum strategischen Luftkrieg

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Als der deutsche Angriff gegen Frankreich und die Benelux-Staaten am 10. Mai 1940 begann, wurde irrtümlicherweise die Stadt Freiburg im Breisgau von deutschen Flugzeugen bombardiert. Unter der Zivilbevölkerung gab es zahlreiche Tote und Verletzte. Fortan erklärte die NS-Propaganda, mit Freiburg hätten die Westmächte die Bombardierung der Zivilbevölkerung begonnen – dies war eine Lüge, die bis Kriegsende aufrechterhalten wurde, obwohl Hitler, Göring und Goebbels wussten, dass die eigene deutsche Luftwaffe versehentlich die Breisgau-Stadt bombardiert hatte.2

Nach dem Regierungsantritt Churchills beschloss das britische Kriegskabinett am 11. Mai 1940, den Bombenkrieg durch strategische Einsätze in das Innere Deutschlands zu tragen. Wenige Tage darauf bombardierte die deutsche Luftwaffe Rotterdam, um die rasche Übergabe der Stadt zu erzwingen. Die Eskalation des Luftkrieges führte ab Sommer 1940 zu verstärkten Angriffen auf die Städte im Hinterland. Hitler wollte die britischen Städte „ausradieren“ und ließ während der Luftschlacht um England London, Birmingham, Portsmouth, Southampton und Liverpool angreifen. Großen Schaden richtete die schwere Bombardierung von Coventry am 14. November 1940 an. Als Vergeltung flogen die Briten größere Angriffe auf Berlin.

Damit setzten sich jene schon nach dem Ersten Weltkrieg entwickelten Luftkriegstheorien des italienischen Generals Giulio Douhet durch, bei denen der Terror- und Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung im Rahmen des „totalen Krieges“ die maßgebliche Rolle spielte.3 Als der britische Luftmarschall Arthur Harris, später berüchtigt als „Bomber-Harris“4, im Februar 1942 den Befehl über das Bomber-Kommando der „Royal Airforce“ (RAF) übernahm, lag bereits die Entscheidung des britischen Kriegskabinetts vom 14. Februar 1942 vor, in erster Linie nicht-militärische Einzelobjekte, sondern die Arbeiter-Wohngebiete der deutschen Industriestädte als Zielpunkte auszuwählen. Dabei ging man ab Frühjahr 1942 zum bewussten Flächenbombardement (area bombing) über, um die Kampfmoral der deutschen Zivilbevölkerung in der Heimat zu brechen. Harris bewies mit schweren Luftangriffen auf Lübeck und Rostock im März und April 1942 sowie den „Tausend-Bomber-Angriffen“ auf Köln (30/31. März 1942), Essen (1. Juni 1942) und Bremen (25./26. Juni 1942), dass Flächenbombardements zu verheerenden Ergebnissen führen konnten.

Auf der Casablanca-Konferenz vom 14. bis 26. Januar 1943 verständigten sich die alliierten Stabschefs darauf, „die Militärmaschinerie, Industrie und Wirtschaft Deutschlands konsequent zu zerstören und zu vernichten sowie das deutsche Volk zu demoralisieren bis zu einem Punkt, an dem seine Widerstandskraft gebrochen ist“.5 Die dabei vereinbarte „kombinierte Bomberoffensive“ erfolgte im Rahmen einer britisch-amerikanischen Arbeitsteilung, wonach die Briten nachts und die US-Amerikaner tagsüber ihre Luftangriffe flogen. Die deutsche Flak sowie die Tag- und Nachtjäger der Luftwaffe konnten die fast pausenlosen Einflüge schon lange nicht mehr abwehren, sodass die alliierten Luftstreitkräfte freie Angriffsmöglichkeiten hatten. Mit Hilfe von Umquartierungen im Rahmen des „Reichsevakuierungsplanes“ suchte die NS-Führung die Bedrohung für Frauen und Kinder – besonders im Westen des Reiches – zu mildern.6

Zweifelhaft ist jedoch, ob es den Alliierten gelang, mit diesen Flächenbombardements Moral und Kampfgeist des deutschen Volkes zu brechen, wenn auch das „Unternehmen Gomorrha“, d. h. die mehrmaligen, vernichtenden Großangriffe auf Hamburg im Juli 19437, die totale Zerstörungskraft eines konzentrischen Luftangriffs mit Brandbomben auf ein dichtes Wohngebiet eindrucksvoll demonstrierte. Weitere Großangriffe auf Dortmund, Leipzig, Braunschweig, Augsburg und Schweinfurt sowie auf die Reichshauptstadt während der „Battle of Berlin“8 bis zum Frühjahr 1944 forderten große Verluste und Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung.

Da diese schweren Verluste nicht verheimlicht werden konnten, versuchte die NS-Führung, die Bevölkerung mit Worten und speziellen Sprachregelungen zu beruhigen. Reichspropagandaminister Goebbels verfügte im Dezember 1943, dass das Wort „Katastrophe“ im Zusammenhang mit Meldungen über feindliche Luftangriffe und entsprechende Rettungsmaßnahmen aus dem Sprachgebrauch der Wehrmacht und offiziellen Berichten zu streichen sei – sogar bei Meldungen über Rettungsmaßnahmen im „Katastropheneinsatz“ –, da es „psychologisch und politisch unerfreulich“ sei; anstelle von „Katastropheneinsatz“ musste deshalb einheitlich die Bezeichnung „Soforthilfe“ verwendet werden.9 Das neue Wort setzte sich jedoch nicht überall durch, sodass man die Katastrophe auch trotz dieser Anordnung weiterhin beim Namen nannte.

Im Februar 1944 wurde den Stadtoberhäuptern des Deutschen Reiches von der NS-Führung sogar eine positive Einstellung zur Luftbombardierung ihrer Städte durch die Westalliierten abverlangt, als der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in seiner Eigenschaft als Reichsinnenminister die deutschen Oberbürgermeister und Bürgermeister zu einem kommunalpolitischen Kongress nach Posen zusammenrief. Diese Reichsversammlung diente der Information über die mit den schweren Bombenangriffen der Alliierten verbundenen Probleme in den Städten. Himmler belehrte die Oberbürgermeister persönlich über die sich aus einer Bombardierung ergebenden „Vorteile“ für ein nationalsozialistisches Stadtoberhaupt: Die Bombenangriffe hätten auch „ihr Gutes“. Denn die Städte und Gemeinden könnten danach „ohne die Bausünden des 19. und 20. Jahrhunderts, wo regellos und ohne Sinn liberalistisch gebaut wurde“, im Sinne echter NS-Architektur neu errichtet werden. Die Stadtoberhäupter, so erklärte Himmler unverblümt, könnten dadurch „ihren Namen in die Geschichte ihrer Stadt einmalig einschreiben“.10

Nach den Stimmungsberichten des Sicherheitsdienstes war es jedoch den Bewohnern der jeweiligen Städte besonders im Westen des Reiches verständlicherweise angenehmer, wenn sie auf diese „gute“ Sache verzichten konnten. Sie hofften immer wieder, dass ihre jeweilige Heimatstadt von den Luftangriffen des „totalen Krieges“, wie ihn Goebbels propagiert hatte, verschont würde. Die Arbeiter und Bewohner der westdeutschen Industriestädte empfahlen denn auch den Westalliierten in einem für die Stimmung symptomatischen Spruch von Mund zu Mund: „Lieber Tommy, fliege weiter, wir sind alle Bergarbeiter. Fliege weiter nach Berlin, die haben alle ‚ja‘ geschrien!“11

Ab Sommer 1944 – nach der Landung der Alliierten in der Normandie – sank bei jedem Tag- und Nachtangriff der Westalliierten ein Wohngebiet nach dem anderen, auch von mittleren und kleineren Städten, in Schutt und Asche, so z. B. am 28./30. August Königsberg und Stettin, am 11./12. September Darmstadt, am 5. Oktober Saarbrücken, am 14./15. Oktober Duisburg, am 23./24./25. Oktober Essen, am 4./5. November Bochum und Solingen, am 27. November Freiburg, am 4. Dezember Heilbronn und Karlsruhe, am 9. Dezember Stuttgart und am 17. Dezember Ulm.

Die Moral der Bevölkerung wurde dadurch jedoch nicht gebrochen. Dafür sorgten schon der Terror des NS-Systems und dessen durchaus erfolgreiche Propaganda sowie der Glaube an den „Führer“ und den „Endsieg“. Der schon bald in der deutschen Bevölkerung aufkommende Ruf nach Vergeltung konnte allerdings nicht in die Tat umgesetzt werden. Weder die von Hitler befohlenen „Wunderwaffen“-Einsätze der V 1- und V 2-Geschosse auf London ab Juni 1944 noch die ersten Jagdeinsätze von Turbinen-Düsenmaschinen (Me 262 und Me 163) konnten die Luftherrschaft der Alliierten erschüttern, die planmäßig ihre Ziele für die Flächenbombardierungen auswählen und angreifen konnten. Vergeblich blieb auch das letzte Aufbäumen der deutschen Luftwaffe im „Unternehmen Bodenplatte“ Anfang Januar 1945, als mit fast 900 Flugzeugen und zum Teil frischen Besatzungen noch einmal die alliierten Flugplätze, Radaranlagen und Stützpunkte im Westen angegriffen wurden. Ein Drittel der dabei eingesetzten Maschinen ging verloren – viele sogar durch eigene Flak.

1945

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