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„Alles muß eingesetzt werden!“

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Mitte März 1945 ließ Hitler dann alle Skrupel fallen. Um den eigenen Untergang hinauszuzögern und den Faktor Arbeitskraft zu steigern, sollte die gesamte Bevölkerung rücksichtslos eingesetzt werden; ob es sich dabei um Mädchen oder Frauen handelte, war ihm „ganz Wurscht: eingesetzt muß alles werden“.16 Der Zusammenbruch der Produktion im Frühjahr 1945 verminderte allerdings den beabsichtigten Leistungsdruck auf die Frauen.

Unterschiedliche subjektive Betroffenheit durch den Krieg gab es nicht nur zwischen Frauen der verschiedenen Gesellschaftsschichten, sondern auch zwischen den Generationen. Die älteren Frauen erinnerten sich noch an die Not des Ersten Weltkrieges, die sich in dieser Form jedoch nicht wiederholte. Die mittlere Generation war geprägt von den Entbehrungen der Inflationszeit und der Weltwirtschaftskrise, aber auch von dem Aufschwung in den dreißiger Jahren, oft ihre persönlich schönsten Jahre, die sie an das NS-Regime banden. Obwohl die Jüngeren im Hitler-Staat aufgewachsen waren und in die Pflicht genommen wurden, z. B. im Bund Deutscher Mädel (BDM), im Arbeitsdienst, beim Geländemarsch, bei Heimatabenden und im Zeltlager, verstanden es nicht wenige, sich der geistigen und tatsächlichen Uniformierung zu entziehen.17 Die Vorliebe für modischen Chic und andere verpönte Attribute westlichen Lebensstils war unausrottbar, wenn auch unter Kriegsbedingungen zumeist nur eine Sehnsucht.

Vor allem bei der Jugend wuchs die Bereitschaft zu abweichenden Verhaltensweisen, eine Folge der zwangsläufig gelockerten sozialen Kontrolle in den Kriegswirrnissen und der häufig zerstörten Familien. Oft machte auch die drängende Not ein größeres Maß an Selbstständigkeit zum Überleben erforderlich. Der Partei waren Erscheinungen wie die „Swing-Cliquen“, Jugendliche, die für amerikanische Musik schwärmten, ein Dorn im Auge, und dort, wo abweichendes Verhalten in unterschiedliche Widerstandsformen überging, wie z. B. bei den „Edelweiß-Piraten“ in Köln, schlug sie erbarmungslos zu. Insgesamt aber war die Anpassung auch der weiblichen Jugend in so weitem Maße gelungen, dass die wenigen, die den Weg in den Widerstand gingen, isoliert blieben.

Wie sah der Alltag für die Frauen an der „Heimatfront“ aus? Hier ist – neben der Arbeitspflicht für die Kriegswirtschaft – zunächst an die zunehmende Erschwerung der Haushaltsführung durch die Rationierung von Lebensmitteln – obwohl diese nicht so knapp wurden wie in den meisten anderen europäischen Ländern – und die besonders schwierige Versorgung mit Konsumgütern zu denken. Selbst Schuhe und Babywäsche waren oft nur auf dem Schwarzen Markt zu bekommen. Stundenlanges Schlangestehen vor den wenigen geöffneten Verkaufsstellen, nächtliche Fliegeralarme, Kohlenmangel, Stromsperre usw. kamen noch hinzu.

Mit immer neuen Kampagnen und Appellen – die sich vor allem an die Frauen richteten – versuchte das Regime, das durch wachsende Not erschwerte Alltagsleben zu steuern und damit zum „Durchhalten“ zu ermuntern. Frauen sollten z. B. „Waffen gegen den Kohlenklau“ schmieden; gemeint war der Bau einer Kochkiste, ausgepolstert mit Papier, Stroh oder Heu, die insofern energiesparend war, als die Speisen nur kurz auf dem Herd angekocht werden mussten, um dann in der wärmeisolierenden Kiste fertig zu garen.

Zusammenrücken in den wenigen noch erhaltenen Wohnungen, waren die eine Seite, tägliche Belehrungen über das Verhalten bei Tieffliegerangriffen die andere Seite des Alltags. Während Aufrufe des Reichsführers SS Heinrich Himmler gegen „Drückeberger“ – gerade die deutschen Frauen und Mädchen seien berufen, „diese Männer an ihrer Ehre zu packen, zur Pflicht zu rufen, ihnen statt Mitleid Verachtung entgegenzubringen und hartnäckige Feiglinge mit dem Scheuerlappen zur Front zu hauen“18 – in den letzten Kriegsmonaten wohl kaum noch ernst genommen wurden, war es doch empfehlenswert, weiterhin vor Nazi-Spitzeln auf der Hut zu sein. Denn auf Flüsterpropaganda konnte die Todesstrafe stehen.

Zu den drängenden Alltagssorgen gehörten vielfach die Erschütterungen der familiären und persönlichen Beziehungen, wenn der Ehemann oder Freund an der Front stand und die Frau jeden Tag mit dem Schlimmsten rechnen musste. Die langen Trennungen lösten zwangsläufig die Bindungen und führten nicht zuletzt auch zu sexuellen Problemen. Für die Männer wurden diese zwar von der Wehrmacht an der Front „geregelt“, aber den Frauen in der Heimat brachte man kein Verständnis entgegen. Die Stimmungsberichte des Sicherheitsdienstes der SS waren voll von Klagen über den „unmoralischen“ Lebenswandel vieler Frauen19, und das Regime versuchte, mit härtesten Strafen Kontakte mit Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern zu verhindern.

Der „totale Krieg“ verschonte weder Frauen noch Kinder. Frauen im unmittelbaren Kriegsdienst – gegen diese Konsequenz hatten sich die NS-Machthaber lange Zeit gesperrt. Dennoch nahm die Zahl von Rotkreuz-Helferinnen und anderen Hilfskräften der Wehrmacht ständig zu, um Männer für den Frontdienst freizumachen. Zunächst vorwiegend im Nachrichten- und Stabsdienst eingesetzt, gerieten die „Blitzmädel“ immer stärker in den Strudel des Krieges. Die Gefahr, als „Offiziersmatratze“ u. Ä. verleumdet zu werden, war wohl noch die geringste. Seit Sommer 1944 standen etwa 50 000 dienstpflichtige Mädchen des Reichsarbeitsdienstes an den Scheinwerferbatterien der Flak, und die Zahl der Wehrmachtshelferinnen erreichte Anfang 1945 ungefähr eine halbe Million.

Die ideologischen Barrieren schwanden, je näher die militärische Niederlage rückte. Frauen und Mädchen wurden, zum Teil aufgrund freiwilliger Meldungen, hinter der Hauptkampflinie als Hilfspersonal oder sogar als Melder eingesetzt. Am 23. März 1945 gab das Oberkommando der Wehrmacht dann bekannt, dass Hitler die Ausstattung von Frauen im freiwilligen Einsatz und zur Selbstverteidigung mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten genehmigt habe.20 Die Panzerfaust wurde von der NS-Propaganda als „Waffe der Frau“ gepriesen. Um den eigenen Untergang hinauszuzögern, ließ Hitler die letzten Skrupel fallen: Er genehmigte die versuchsweise Aufstellung von Frauenbataillonen.21 Davon versprach er sich eine „entsprechende Rückwirkung auf die Haltung der Männer“.22 Dazu ist es allerdings infolge der Kriegsereignisse zum Glück nicht mehr gekommen.

Die heimliche Trauung Adolf Hitlers mit seiner langjährigen Geliebten Eva Braun am 28. April 1945, kurz bevor beide im „Führerbunker“ Selbstmord begingen, ist in diesem Zusammenhang von einer tiefen Symbolik. In ihr kommt die Befangenheit, Zwiespältigkeit und Heuchelei zum Ausdruck, die das Verhältnis Hitlers und seines Regimes gegenüber den Frauen charakterisieren; sie kennzeichnet zugleich aber auch die Bereitschaft, im Strudel des Untergangs alle bisherigen Grundsätze über Bord zu werfen.

Der von den Nationalsozialisten entfesselte Krieg schlug letztlich mit voller Gewalt auf die deutsche Zivilbevölkerung zurück. Die meisten Frauen hatten – ob freiwillig oder gezwungen – in den vergangenen fünf Jahren ihre Ehemänner, Söhne und Freunde zum Bahnhof gebracht für einen Krieg, der sich in fernen Ländern abspielte. Im Rahmen der Kriegswirtschaft – am Pflug, an den Maschinen, beim Stricken von Wollsachen usw. – hatten sie ihren eigenen Teil zur Kriegführung beigetragen. Hitlers „Paradefrau“, die „Reichsfrauenführerin“ Gertrud Scholtz-Klink, hatte das 1941 so ausgedrückt: „Unsere Männer haben zu den Waffen gegriffen, und wir Frauen reichen ihnen diese Waffen zu, bis der letzte Sieg errungen ist.“23 Diese Frauen mussten nun erleben, dass die Welle der Gewalt, die im deutschen Namen über die Nachbarvölker gebracht worden war, zurückflutete. In den ersten Wochen des sowjetischen Vormarsches auf deutschem Boden kam es zu entsetzlichen Massakern und zu zahllosen Vergewaltigungen. Die Willkür der Sieger war im Osten sicher härter als im Westen, aber auch dort unübersehbar.

So bezahlten am Ende auch deutsche Frauen den Krieg mit dem Verlust von Heimat und Habe, mit Entehrung und Tod. Viele verloren ihre Männer – es gab 1945 etwa 1,2 Millionen Kriegerwitwen –, ihre Kinder oder andere Angehörige. Da die überlebenden Männer zumeist für mehrere Jahre in den Gefangenenlagern verblieben, hatten die Frauen auch die Last des Überlebenskampfes nach Kriegsende und den ersten Wiederaufbau zu tragen. Die Trümmerfrau wurde dafür zur Symbolfigur.

Sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, dazu waren viele Frauen ebenso wenig bereit wie ein Großteil der Deutschen, zumal ihnen jahrelang indoktriniert worden war, die Frau habe kein politisches Verständnis. Der im Krieg mögliche und zum Teil unvermeidliche Emanzipationsschub war von den Nationalsozialisten mit allen Mitteln eingedämmt worden. Dennoch hatten viele Frauen durch das Erleiden von Not, Todesangst und Sorgen soviel Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit gewonnen, dass sie auch nach dem Kriege daran festhielten. Obwohl sich dieser Impuls für gesellschaftliche Strukturveränderungen alsbald wieder abschwächte, begünstigte er den Neuaufbau nach 1945 in erheblichem Maße. Als dann der Krieg und die größte Nachkriegsnot als Ausnahmesituationen wieder vorbei und die Männer zurückgekehrt waren, trat die Mehrzahl der Frauen auf den Platz zurück, der ihnen erneut als angeblich „angestammt“ zugewiesen wurde.

1945

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